28.09.2021
Mit Netzwerkmedizin die Versorgung von morgen gestalten
Daniela Teichert, Vorstandsvorsitzende der AOK Nordost
Das Leistungsversprechen der gesetzlichen Krankenversicherung ist in Gefahr! Knappe finanzielle und personelle Ressourcen auf der einen Seite stehen einem steigenden Versorgungsbedarf auf der anderen Seite gegenüber. Der rasante medizinische Fortschritt bringt viel Gutes, hat aber auch einen hohen Preis. Und die teure Gesetzgebung der vergangenen beiden Legislaturperioden macht es nicht einfacher.
Hinzu kommt, dass die ohnehin begrenzten Mittel zu oft noch nach dem Gießkannenprinzip eingesetzt werden. Mit einem „weiter so wie bisher“ können wir eine faire und qualitativ hochwertige Gesundheitsversorgung für alle bald nicht mehr leisten. Wir müssen jetzt intelligente Lösungen schaffen und dabei auch völlig neue Wege gehen.
Der Anspruch der AOK Nordost dabei? Aktiv Versorgung mit zu gestalten! Wir wollen nicht nur Mangel-Verwalter sein, sondern innovativer Gestalter. Als regionale Versorgerkasse sind wir dafür prädestiniert. Wir haben jahrzehntelange Erfahrung in der Versorgungsgestaltung, sind regional gut vernetzt und kennen die konkreten Bedarfe vor Ort. So haben wir schon früh erkannt: Ohne digitale Unterstützung und gute Vernetzung können wir die vor uns liegenden Herausforderungen nicht bewältigen. Und wir müssen beginnen, Therapienutzen messbar zu machen – langfristig und auf der Basis fortwährend aktualisierter Daten. Nur so können wir Gesundheitsversorgung wirklich nachhaltig und effizient gestalten.
Therapienutzen messbar machen
Unsere Kooperation mit dem Netzwerk Hauptstadt-Urologie der Charité – Universitätsmedizin Berlin verbindet diese drei wichtigen Aspekte – Digitalisierung, Vernetzung und Messbarkeit von Therapienutzen – auf beispielhafte Weise. Hier kann eine weitere Blaupause für die künftige Versorgung in Zeiten der Präzisionsmedizin und eine qualitätsgesicherte Translation neuer – bereits zugelassener – Diagnostik- und Therapieverfahren in die (Regel-)Versorgung geschaffen werden.
Wie funktioniert es? Versicherte mit fortgeschrittenem Prostatakrebs erhalten von ihrem am Netzwerk teilnehmenden Urologen einen Zugangscode, mit dem sie sich datenschutzkonform und anonym auf einer Online-Plattform registrieren. Dort geben sie ihre medizinischen Daten, die in Verbindung mit der Erkrankung stehen, ein. Die Experten der Charité analysieren diese Daten darauf hin, ob für den betreffenden Patienten die Teilnahme an einer aktuell laufenden Studie oder eine sogenannte Gen-Sequenzierung in Frage kommt. Letztere ermöglicht eine sehr zielgerichtete Therapie, sofern schon entsprechende Medikamente für die jeweilige Gen-Veränderung existieren. Um das herauszufinden, bedarf es eines spezialisierten Expertenwissens, denn auch individuelle Präzisionsmedizin sollte nur dort eingesetzt werden, wo sie wirklich wirkt.
Der behandelnde Arzt erhält dann von den Experten eine entsprechende Empfehlung für das weitere Vorgehen. Kommen zum Zeitpunkt der Datenanalyse weder eine Studie noch eine Gen-Sequenzierung in Betracht, wird die Therapie zunächst so fortgesetzt wie bisher. Aber die Patienten sind dazu angehalten, ihre Daten auf der Plattform immer wieder zu aktualisieren und die Experten prüfen diese auch in regelmäßigen Abständen. Bei Bedarf erhält der behandelnde Arzt dann eine aktualisierte Therapie-Empfehlung auf der Basis der aktuellsten Untersuchungsergebnisse. Gleichzeitig kann genau gemessen werden, wie die angewandten Therapien wirken. Und zwar auch über einen längeren Zeitraum.
Notwendig ist echte Netzwerkmedizin
Dieser zielgenaue Einsatz von Präzisionsmedizin bringt mehrere Vorteile für alle Beteiligten mit sich: Der Patient wird weiterhin von seinem vertrauten Arzt begleitet und bekommt gezielt die für ihn geeignete Therapie. Denn was bei dem einen hilft, kann bei dem anderen im ungünstigen Fall lediglich zu unangenehmen Nebenwirkungen führen und kostbare Zeit rauben. Das gilt sowohl für die Standardtherapien als auch für die neuen Medikamente. Die niedergelassenen Urologinnen und Urologen profitieren von der Expertise international anerkannter Expertinnen und Experten. Krankenkassen können hier Gelder sparen, weil zielgenauer behandelt wird, und können diese an anderer Stelle in die Versorgung reinvestieren.
Diese Art von kooperativer Netzwerkmedizin ermöglicht es hochspezialisierten großen Maximalversorgern in Zusammenarbeit mit kleineren Krankenhäusern der Grund- und Regelversorgung und mit niedergelassenen Ärzten, eine qualitativ hochwertige Versorgung flächendeckend bereitzustellen. Gleichzeitig trägt die Kooperation dem Grundsatz gleichwertiger Lebensverhältnisse in Stadt und Land Rechnung. Dadurch profitieren betroffene Patienteninnen und Patienten auch außerhalb der großen Städte vom Know-How der Expertinnen und Experten. Zudem besteht durch die gelebte Kooperation die Möglichkeit, bei Bedarf die betroffenen Patientinnen und Patienten zeitnah und gezielt in ein entsprechend qualifiziertes Krankenhaus zu steuern. Mit der Kooperation mit der Hauptstadt-Urologie betritt die AOK Nordost gewissermaßen neues Terrain. Der Ansatz der präzisen Netzwerkmedizin, der sowohl Patienten, niedergelassene Ärztinnen und Ärzte, aber auch Kliniken und Forschungszentren aktiv einbindet, kann ein guter Weg sein, die Versorgung von morgen zu gestalten.
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