10.10.2025
Menetekel für Ministerin Nina Warken
Kabinettsbeschluss zum KHAG mit zwiespältigem Ergebnis
Dr. Robert Paquet
Von der Krankenhausreform bleibt noch etwas übrig, aber was bleibt von der Ministerin? Die SPD hat die Kabinettsvorlage des KHAG länger als vier Wochen blockiert und Bemerkenswertes nachverhandelt. Im Kern ist das Gesetz jetzt auf die Vorgaben des Koalitionsvertrages reduziert worden.
Die Ministerin wollte den Ländern und den Krankenhäusern jedoch erheblich weiter entgegenkommen. Das zeigte schon der Referentenentwurf und dann die Bereitschaft zu Zugeständnissen in weiteren Verhandlungen. Hier hat die SPD das Erbe ihres Ministers Lauterbach ein Stück weit gerettet, so weit das nach dem Koalitionsvertrag noch möglich war. Damit hat sie aber gleichzeitig die Gesundheitsministerin düpiert. Kein gutes Omen für ihr Standing bei den wichtigen Reformen von Kranken- und Pflegeversicherung.
Der Kern – Abschwächung der Qualitätskriterien und Ausnahmeregelungen
Entscheidend dafür sind § 109 SGB V und korrespondierend § 6a KHG. Im Hinblick auf diese und viele andere Regelungen unterscheidet die z.T. sehr laute Kritik daran (vor allem der Kassen) nicht mehr, was bereits im KHVVG steht bzw. im Referentenentwurf schon stand und was im Kabinettsentwurf neu geregelt werden soll. Im Folgenden wird versucht, das ein wenig zu sortieren, was für die Bewertung der Entwicklung nicht unwichtig ist.
Beim § 109 SGB V gibt es im Vergleich zum Referentenentwurf (RefE) eigentlich nichts Neues. Die Ausnahmeregelung mit Befristung auf drei Jahre und die Möglichkeit unbefristeter Ausnahmen für Krankenhäuser (KH), die auf der Sicherstellungsliste stehen, gibt es bereits nach dem KHVVG. Auch die Prüfung, ob die Qualitätskriterien durch Kooperationen etc. erfüllt werden können, war im RefE enthalten, richtete sich aber explizit an die Landesverbände der Kassen. Jetzt ist das allgemeiner formuliert, was jedoch an der Substanz nichts ändert, denn der ganze SGB V-Abschnitt richtet sich ja an die Kasse als Vertragspartner der KH (siehe Begründung S. 109). Die eigentliche Änderung, die der RefE brachte und der die Kassen so in Rage trieb, war der Wegfall der Erreichbarkeitskriterien. Das ist jetzt unverändert und schlimm genug. Die Kassen sollten sich aber freuen, dass § 109 nicht noch weiter aufgeweicht wurde. Die Länder hatten ja z.B. die Verlängerungsmöglichkeit für die Ausnahmen von weiteren drei Jahren gefordert etc.
Das verschränkt sich mit § 6a KHG: Die Landesbehörde kann zur Sicherung der Versorgung Leistungsgruppen (LG) zuweisen, auch wenn die Qualitätskriterien nicht erfüllt sind. Diese Ausnahmeregelungen gelten längstens bis zu drei Jahren. Es gibt aber keine zusätzliche Verlängerungsmöglichkeit um weitere drei Jahre, so wie es noch im RefE stand. Auch hier gibt es weiterhin den Wegfall der Entfernungsregelungen, wie es schon im Referentenentwurf vorgesehen war. Allerdings gibt es nun eine sehr wichtige Änderung, die man durchaus als Verschärfung der Qualitätssicherung bewerten kann. Ausnahmen darf die Landesbehörde nur im „Einvernehmen“ mit den Kassen gestatten. Im Referentenentwurf war lediglich vom „Benehmen“ die Rede. Nur zur Erinnerung: „Benehmen“ bedeutet faktisch nur die Verpflichtung zur Information.
Mit der veränderten Regelung werden die Kassen mit in die Verantwortung für die Sicherstellung der flächendeckenden Versorgung einbezogen. Hier können sie beweisen, wie viel Mut sie bei der Bereinigung der Krankenhauslandschaft tatsächlich haben, auch wenn es im konkreten Fall jeweils nur um drei Jahre geht. Die Prinzipienfestigkeit im Allgemeinen erweist sich bei den Kassen „vor Ort“ oft als ziemlich kleinlaut. – Hier muss man berücksichtigen, dass das (durchaus verständliche) Hauptanliegen der Länder im Koalitionsvertrag war, mehr Anpassungszeit bei der Krankenhausreform zu bekommen.
Weitere Regelungen des SGB V
Zu betrachten sind auch weitere Regelungen des SGB V:
- 135d: Die Streichung der LG Notfallmedizin gab es schon im RefE. Ist also nicht neu. Außerdem geht es hier formal „nur“ um die Kategorisierung für den KH-Atlas. Hier werden die im KHVVG strengeren Kriterien zur Einordnung eines „Fachkrankenhauses“ etwas gelockert (z.B. geht es jetzt um einen „relevanten Versorgungsanteil“ statt „80 Prozent“ bestimmter LGs). Insgesamt also nur eine geringfügige Änderung gegenüber den RefE.
- 135e: Hier geht es um die Mindestanforderungen an die Qualität der KH-Behandlung. Der Inhalt der Verordnungsermächtigung wird eingeschränkt. Gestrichen wird in Absatz 1 die Regelungsbefugnis zu den Kriterien der Kooperationen und Verbünde, die die nicht vorhandenen „eigenen“ Qualitätsmerkmale ersetzen sollen. Ebenfalls gestrichen wird die Möglichkeit, in der Verordnung für bestimmte LGs eine Ausnahmeregelung gänzlich zu verbieten.
- In Abs. 4 wird Ziffer 4. gestrichen (Erfüllung der Qualitätskriterien bei Fach-KH durch Kooperationen). Das weitet den Spielraum der Länder bei der Definition von Fachkliniken aus. In Ziffer 7 (neu) wird dagegen geregelt, dass die Kooperationspartner nicht weiter als 2000 Meter Luftlinie voneinander entfernt sein dürfen. Das ist immerhin eine (kleine) Verschärfung der Vorschrift.
- 136c: Niedrigere Prozentzahlen (<15%) für die Ausschlussspirale bei onkochirurgischen Leistungen sollen zur Sicherung der flächendeckenden Versorgung möglich sein – das ist im Prinzip wie im RefE geregelt, nur anders formuliert. Korrespondierend dazu gibt es die Verfahrens-Regelung in § 40 KHG: Die Entscheidung über Modifikationen liegt beim G-BA, also mit Beteiligung der Kassen.
- 275a: Die Mitteilungs- und Informationspflichten von Medizinischem Dienst (MD) und KH zu den Strukturmerkmalen bzw. zur Einhaltung der Qualität in den LGs werden verschärft. Hintergrund ist der Wegfall der Prüfung der Erfüllung der Pflegepersonaluntergrenzen durch den MD (als Folgeänderung der Streichung dieses Qualitätskriteriums in der Anlage 1).
- 283: Stärkung des MD-Bund. Vereinheitlichung des Berichtswesens.
Insgesamt entsprechen diese Änderungen weitgehend dem RefE. Darüber hinaus geht allerdings die Einschränkung der Reichweite der Rechtsverordnung, die eine Schwächung der KH-Reform bedeutet. Der Spielraum der Länder bei den Ausnahmeregelungen wurde gegenüber dem Referentenentwurf nicht noch vergrößert, sondern eher gebunden. Den Wegfall der Bindung der LGs an die Pflegepersonaluntergrenzen-Verordnung (über deren Sinnhaftigkeit auch die Krankenkassen mal nachdenken sollten)[1] und den vergrößerten Spielraum zur Definition von Fachkrankenhäusern gab es bereits im RefE. Beim letzteren Punkt wird darauf zu achten sein, wie sich die Dinge entwickeln, d.h. wieweit insuffiziente Allgemeinkrankenhäuser zu (möglicherweise ebenso insuffizienten) Fachkrankenhäusern umgewidmet werden. Auch bei den Kooperationen muss in Zukunft sorgfältig geprüft werden, ob sie Substanz haben oder nur auf dem Papier stehen.
Gesamtbewertung
Insgesamt muss man feststellen, dass sich die Qualitätssicherung mit dem Kabinettsentwurf gegenüber dem Referentenentwurf nicht verschlechtert hat. Die schwächenden und stärkenden Elemente halten sich in etwa die Waage. Dass der jetzt beschlossene Regierungsentwurf des KHAG von den Kassen jetzt so fundamental kritisiert wird wie der Referentenentwurf, verrät nicht gerade politisches Gespür. Es hätte für die Reform sehr viel schlimmer kommen können, und zwischenzeitlich sah es wirklich danach aus. Man könnte auch sagen, das Lamento der Kassen ignorierte schon beim RefE den Koalitionsvertrag und die Tatsache, dass die Länder die entsprechenden Passagen wesentlich gestaltet haben.
Die Gesundheitsministerin musste (in der Pressekonferenz nach dem Kabinettsbeschluss am 8.10.) öffentlich sogar einräumen, dass die Ausnahmeregelungen im RefE zu weit gegangen seien. Insoweit musste sie gute Miene zum bösen Spiel (der SPD) machen.
Die Hoffnung auf eine einheitliche Sprache in der Krankenhausplanung, einheitliche Qualitäts-Standards für die Leistungsgruppen und eine Strukturveränderung der Krankhauslandschaft ist daher mit dem Regierungsentwurf des KHAG nicht zu begraben. Sie braucht nur etwas mehr Geduld. Dazu gehört auch, dass die Sonderregelung für NRW bis einschließlich 2030 gilt.
Weitere Aspekte
Bemerkenswert (und neu im Kabinettsentwurf) ist, dass die SPD den Hochschulkliniken die Förderungsmöglichkeit im Transformationsfonds eröffnet hat (§ 12b KHG und Artikel 4 KH-Transformationsfonds-Verordnung). (Der im Hintergrund wirkende Karl Lauterbach hatte immer schon eine Vorliebe für die Universitätskliniken.) Das dürfte die Länder freuen und ihre Manipulationsmöglichkeiten erhöhen; im jeweils konkreten Fall kommt nämlich die abstrakte Unterscheidung zwischen Versorgungsauftrag und Wissenschafts-Aufgabe in eine Grauzone.
Peinlich für die Gesundheitsministerin ist auch die Aufwertung des Klinik-Atlas im Kabinettsentwurf. Er sollte von der SPD – so überflüssig er auch ist – als Erbe Lauterbachs bewahrt werden. Symbolpolitik muss sein, vor allem deshalb, weil Warken – wahrscheinlich noch recht ahnungslos – beim DKG-Sommerfest dem Gerald Gaß öffentlich versprochen hat, den Klinik-Atlas einzustellen, zugunsten des DKG-Krankenhausverzeichnisses.
Nichts verändert, geschweige denn verbessert hat sich bei der Konstruktion der Vorhaltevergütung, die für Kassen und Krankenhäuser gleichermaßen unsinnig ist. Die „Planfallzahlen“ sind (und bleiben im Kabinettsentwurf) unverbindliche Größen im Hinblick auf die Vorhaltefinanzierung. Berechnung und Aufteilung der Vorhaltebudgets werden im Kabinettsentwurf (gegenüber dem RefE) zwar etwas modifiziert (Aufgabe des InEK nach § 37 KHG), aber es bleibt beim Fallzahlbezug.
Fazit
Jedenfalls ist anzuerkennen, dass die Bundes-SPD ihre Länder, die ja mit den anderen ganz einhellig die Aufweichungen gefordert und gefördert haben, zuletzt z.B. auch Minister Philippi (Niedersachsen), in den vergangenen Wochen professionell umgedreht hat. Auch die Gesundheitsminister der Union, insbesondere Karl-Josef Laumann (NRW), sind dadurch angekratzt. Welche Tauschgeschäfte dahinter stehen, weiß vielleicht nur Herr Klingbeil. Jedenfalls steht fest: Die SPD ist Meister im Schwarze-Peter-Spiel. Was man ja auch bei der GKV- bzw. SPV-Finanzierung sieht. Erst den Karren in den Dreck fahren und dann die anderen verspotten, wenn sie sich daran schmutzig machen und ihn nicht elegant herausziehen können. – Bewundernswert!
Bemerkenswert ist daran auch: Wenn die SPD Nina Warken vorführt, lässt sie die Union dabei hängen. Für solche Spielchen braucht es immer zwei. Das geht auch den Kanzler an, der Warken in ihr Amt berufen hat. Die Reform von GKV und Pflegeversicherung sind jetzt schon unerträgliche Hängepartien. Dass Warken hier allein gelassen wird, ist nicht nur unfair, sondern auch ein Verhängnis, nicht nur für die betroffenen Sozialversicherungen. Die fortgesetzte Krise beider Systeme führt nicht nur zu gebrochenen Versprechungen der Koalitionäre. Die anhaltende Handlungsverweigerung der Koalition ist Wasser auf die Mühlen der Extremen rechts und links.
[1] Die Begeisterung der Kassen für dieses Instrument war immer schon schwer verständlich. Erstens weil sie die dadurch erhöhten Kosten wegen des Selbstkostendeckungsprinzips beim Pflegepersonal überwiegend selbst tragen müssen. Zweitens sollten auch die Kassen daran interessiert sein, dass Krankenhäuser betriebswirtschaftlich effizient geführt werden können. Hier wirken die entsprechenden Vorschriften z.T. wie die berühmte Forderung nach dem „Heizer auf der E-Lok“.
Lesen Sie vom Autor auch:
„Der Wurm in der Krankenhausreform“, Observer Gesundheit, 30. August 2025
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