Memorandum zur einheitlichen Gebührenordnung

Dr. Robert Paquet

Auf „Initiative der Bundesärztekammer (BÄK) und des Verbandes der Privaten Krankenversicherung (PKV)“ haben fünf Wissenschaftler am 30. Januar ein „Memorandum zur Diskussion einer Einheitlichen Gebührenordnung für Ärzte (EGO)“ vorgelegt (s. Observer Datenbank, Monitor Bundestagswahl, 5.2.18). Dr. Rainer Hess, Rechtsanwalt (Ex-Vorsitzender des G-BA), Prof. Dr. Gregor Thüsing (Uni Bonn), Prof. Dr. Volker Ulrich (Uni Bayreuth), Prof. Dr. Eberhard Wille (Uni Mannheim) und Prof. Dr. Ferdinand Wollenschläger (Uni Augsburg) haben darin herausgefunden: „Die Vereinheitlichung der kassen- und privatärztlichen Vergütungen wäre … aus rechtlicher Sicht ein verfassungswidriges und gegebenenfalls auch ein europarechtswidriges Unterfangen. In die Vertragsfreiheit der Versicherten und in die Berufsfreiheit der Ärzte sowie der Krankenversicherer würde eingegriffen werden, ohne dass ausreichende Rechtfertigungsgründe ersichtlich wären, die den Maßstäben des Bundesverfassungsgerichts genügen würden.“ (S. 15)

Dabei werden die diversen – meist bereits bekannten und vieldiskutierten – Schwierigkeiten einer solchen Angleichung ausgebreitet. Aber schon in der Überschrift wird dem Grundgedanken der Vereinheitlichung ein schöner Dienst erwiesen: Man erfindet für das Projekt einen sprechenden Namen: EGO („einheitliche Gebührenordnung für Ärzte“).

Zunächst beschreibt Dr. Rainer Hess die „historische Genese“ von GOÄ und EBM und arbeitet die Unterscheide heraus: Die „Vergütungslogik“ folge von Anfang an „der Systemlogik: Die Gesetzliche Krankenversicherung unterliegt zwangsläufig Restriktionen im Leistungsangebot und im Vergütungssystem. Sie kann nicht alle Bedürfnisse nach medizinischer Versorgung bedienen. Damit gehen „Sozialpreise“ für Kassenpatienten, Pauschalen und Budgetierungen einher. Untrennbar mit der ärztlichen Vergütung in der GKV verbunden ist zudem das komplexe System der Honorarverteilung im Rahmen der Selbstverwaltung. Derartige Restriktionen bestehen in der PKV nicht. Die PKV gewährt in ihren Verträgen bis heute die nicht budgetierte Erstattung jeder ärztlichen Leistung – d.h. ohne Pauschalierung.“ (S. 5).

Entgegen seiner Intention wird aber in dem kurzen Abriss klar, dass sich beide Gebührenordnungen stets wechselseitig beeinflusst haben und zeitweise auf dem gleichen Leistungsverzeichnis und gleichen Leistungsdefinitionen beruhten. Aus den Ausführungen ist nicht ersichtlich, warum eine diesbezügliche Annäherung nicht (wieder) möglich und sogar sinnvoll sein sollte. Das wäre immerhin ein wichtiger erster Schritt für eine Annäherung beider Systeme. Zumal die zentrale Forderung der Ärzteschaft doch darin besteht, mit der Abschaffung der „Budgetierung“ und der „Abstaffelung“ auch in der GKV wieder zu einer Einzelleistungsvergütung zurückzukehren. Jedenfalls im Umfeld der Koalitionsverhandlungen wurden bereits von Politkern Öffnungsschritte in diese Richtung angedeutet (z.B. fachärztliche Grundleistungen entbudgetieren). Und umgekehrt sehnt sich die PKV bekanntlich nach effizienzorientierten Vertragsmöglichkeiten nach dem Vorbild der GKV („Öffnungsklausel“) und hat ein Interesse daran, in der GOÄ mengenbegrenzende Regelungen einzuführen.

Die „gesundheitsökonomischen Aspekte“ präsentieren dann Wille und Ulrich. Zutreffend ist sicher der Hinweis, dass „EBM und GOÄ keine durchgängig einheitliche beziehungsweise gleiche Definition und Abgrenzung der Leistungen auf(weisen)“ (S. 5). Und dass die Intention der Bürgerversicherungsbefürworter darauf hinausläuft, den „Regulierungsapparat des EBM mit Budgetierung, Mengenbegrenzungen, Quotierungen und Abstaffelungen“ zur Grundlage der EGO zu machen. (Schon das ist nicht zwingend.) Dass das aber zwangsläufig dazu führen würde, dass „die Versorgungslandschaft weiter ausgedünnt und/oder die Versorgungsqualität“ sinken würde, folgt zwar der ideologisch durchtränkten Argumentation des Wissenschaftliche PKV-Instituts, ist aber nicht beweisbar. Jedenfalls könnte die GKV dem durch entsprechende Regelungen (Bedarfsplanung, gezielte Eingriffe in die Honorarverteilung und die Aufstockung der GKV-Honorarsätze (Punktwerte) entgegenwirken.

Dass sich dann „schnell“ mit privaten Zusatzversicherungen „ein neuer Markt für ‚Premiumpatienten‘“ (S. 7) entwickeln würde (mit z.B. dem Angebot kürzerer Wartezeiten), ist nicht zwangsläufig bzw. könnte durch Regelungen der GKV beeinflusst werden (z.B. durch den aktuellen Vorschlag des GKV-SV einer Verlängerung der vorgeschriebenen Praxisöffnungszeiten von 20 auf 30 Stunden pro Woche). Die Bevorzugung von PKV-Patienten bei der Terminvergabe könnte mindestens bei den Vertragsärzten im GKV-System sanktioniert werden (obwohl das in der Praxis schwer kontrollierbar sein dürfte). Schon heute gibt es zwar ein paar Tausend reine Privatpraxen. Dass deren Zahl aber sprunghaft steigen würde, wenn sie mit der EGO geringere Vergütungen erhielten, ist kaum anzunehmen. (Zumal ein großer Teil dieser Praxisgründungen auf Restriktionen (Zulassungssperren) der im Übrigen völlig insuffizienten Bedarfsplanung zurückgeht).

Zur Relevanz des Wartezeiten-Problems wird allerdings insgesamt richtig festgestellt: „Das deutsche Gesundheitssystem weist im internationalen Vergleich durchgängig die geringsten Wartezeiten auf Arzttermine auf. Schon rein rechnerisch ist fragwürdig, was eine einheitliche Gebührenordnung verbessern könnte. Rund 10 % Privatversicherte können die Wartezeiten der 90 % gesetzlich Versicherten substantiell nicht verkürzen.“ (S. 15).

Völlig zutreffend ist auch die Feststellung, dass die EGO die Probleme der „medizinische Versorgung auf dem Land“ nicht lösen würde, wie es die Protagonisten der Bürgerversicherung behaupten (S. 9). Hier müssen ganz andere Maßnahmen ergriffen werden, wie Wille/Ulrich zu Recht ausführen.

Die „verfassungs- und europarechtliche Hürden einer einheitlichen Gebührenordnung“ behandeln bzw. behaupten Thüsing und Wollenschläger. In ihrer Argumentation entsteht vor allem der Widerspruch, durch eine EGO würde die „Möglichkeit von Individualvereinbarungen“ unzulässig beschränkt. Wenn gleichzeitig die Entstehung des neuen „Premiummarktes“ als Menetekel an die Wand gemalt wird! – Entweder dieser Markt kann sich entwickeln, oder mit der EGO würde „gleichzeitig einhergehen, Ärzten und Patienten das Angebot und die Inanspruchnahme anderer medizinischer Regelleistungen als die im EBM aufgeführten zu anderen als den insoweit geltenden Preisen zu verbieten“ (S. 10). Ein solcher Effekt würde nur entstehen, wenn die EGO ohne Öffnungsklauseln zwingend und einheitlich für GKV und PKV gelten würde (wie Wille/Ulrich etwas vorschnell und kühn unterstellen). Schon heute gibt es übrigens die Möglichkeiten, dass die gesetzlichen Kassen z.B. in Selektivverträgen vom EBM (oder dann ggf. der EGO) abweichende Regelungen treffen können.

Sicher ist richtig, dass die GKV-spezifischen Regelungen (z.B. Erlaubnisvorbehalt bei neuen Leistungen, Abstaffelungen und floatende Punktewerte zur Mengensteuerung etc.) auf die PKV nicht übertragen werden können: „Der GKV-Selbstverwaltung kann keine Regelungsbefugnis für den PKV-Kontext zukommen.“ (S. 13). Das Argument trägt aber nicht so weit, dass dadurch eine unterschiedliche Handhabung der gleichen EGO in GKV und PKV ausgeschlossen wäre.

Zusammenfassend ist also festzustellen, dass das „Memorandum“ keineswegs so wuchtige Argumente gegen die Vereinheitlichung der Honorarordnungen liefert, wie es die Autoren selbst (und ihre Auftraggeber) behaupten. Es werden sogar umgekehrt Ansatzpunkte geliefert, wie erste Schritte einer Annäherung stattfinden könnten. Die wäre nämlich durchaus sinnvoll. Denn warum sollten z.B. die „Preise“ für (die identischen) Leistungen im Labor oder bei der Strahlen-Diagnostik für GKV- und PKV-Patienten unterschiedlich sein?

Zutreffend ist allerdings, dass eine Vereinheitlichung in einer EGO zunächst zu empfindlichen Mehrkosten in der GKV führen würde. Wenn man aber das Ärgernis der Parallelwelten von GKV und PKV vermindern will, wäre das ohne zusätzliche Kosten nicht zu haben. Zutreffend ist sicher auch, wie der NAV erklärt, dass die Entwicklung dieses „völlig neuen Konstrukts“ „ mindestens zehn bis 15 Jahre Entwicklungszeit benötigen würde“ (PM vom 30. Januar 2018).

 


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