22.07.2024
Medizinforschungsgesetz: Die Arbeit fängt jetzt erst an
Tessa Wolf, Head Corporate Affairs a.i., AstraZeneca Deutschland
Das Medizinforschungsgesetz (MFG) ist ein Meilenstein. Warum? Weil es dafür sorgt, dass die klinische Forschung wieder auf die Überholspur kommt. Weil es Deutschland dort stärkt, wo seine Talente liegen: In der Entwicklung neuer Therapien für Menschen mit schweren Erkrankungen. Aber das MFG ist kein Selbstläufer: Die Arbeit fängt jetzt erst an.
Nun hat es vor der Sommerpause doch noch geklappt – das politische Gezerre auf der letzten Meile bis zum Placet des Bundestages war noch einmal intensiv. Es hat sich gelohnt: Herausgekommen ist ein Gesetz, das auf mehreren Ebenen dafür sorgen kann, dass die klinische Forschung in Deutschland international wieder Anschluss findet. Denn in den vergangenen Jahren hat die Bundesrepublik hier massiv an Bedeutung verloren. Mit gezielten Programmen hatten andere Länder erfolgreich überholt und Deutschland bei der Anzahl klinischer Studien von Platz zwei auf den siebten Platz verwiesen. Das ist bis heute vor allem für Menschen mit schweren Erkrankungen eine schlechte Nachricht: Die Chance, von neuen Behandlungen früh zu profitieren, wird ihnen verwehrt. Schuld sind langwierige Genehmigungsverfahren, Schuld ist die Bürokratie. Dabei sind es neue Therapien, die Menschen Lebensperspektiven schenken können: In einer alternden Gesellschaft ist das eine nach vorne gerichtete Investition.
Tempo fehlt
Manchmal aber ist es ganz einfach: Mit verbindlichen Standardvertragsklauseln wird künftig vermieden, dass jede Studie aufwändig neu vertraglich geregelt wird – ein echter Beschleunigungsfaktor. Denn wir haben oft genug die Situation, dass wir in Deutschland noch über Verträgen brüten, während ein Land wie Spanien längst Patientinnen und Patienten die Studie schon beendet hat. Mit dem MFG soll sich das nun ändern.
Leider findet sich im MFG auch der Hang wieder, es kompliziert zu machen. Die Verknüpfung von AMNOG-Verfahren, Erstattungsregeln und Zahl der Studienteilnehmerinnen und Studienteilnehmer aus Deutschland schafft Mehrarbeit, die es gar nicht braucht. Denn wenn es um die Qualität der Klinischen Forschung geht, hat das Land mit Recht einen sehr guten Ruf – was fehlt ist Tempo. Wir bei AstraZeneca mit aktuell über 200 Studienprojekten stehen in den Startlöchern, um viel mehr Studien nach Deutschland zu holen.
AMNOG muss in die Reformwerkstatt
Das MFG ist ein Meilenstein, aber auch nur eines der Elemente, die es braucht, wenn die Bundesregierung die forschende Industrie als „Schlüsselindustrie“ nachhaltig fördern will. Wir brauchen eine nachhaltige Verjüngungskur des AMNOG-Verfahrens, das mit seinen methodischen Restriktionen zunehmend an seine Grenzen stößt und damit immer öfter nicht in der Lage ist, den medizinischen Nutzen neuer Therapien zu erkennen. Die Folgen: Schon heute sind in Deutschland fünf Medikamente mit europäischer Zulassung nicht mehr verfügbar. Drei davon haben in den USA eine so genannte „Breakthrough-Destination“; sie gelten als Durchbruchsinnovationen.
Und: Ins Aufgabenheft der nachfolgenden Regierung gehört der Plan einer nachhaltigen Finanzierung der GKV. Im weltweiten Ranking leisten wir uns eines der teuersten Systeme, in Outcomes wie der Lebenserwartung sind wir jedoch oft nur Mittelmaß. Fatalerweise entsteht daraus die Diskussion, ob wir uns den Fortschritt überhaupt leisten können. Die Frage sollte vielmehr sein: Wollen wir uns in Zukunft weiterhin diese Ineffizienzen leisten?
Der Reformbedarf ist über alle demokratischen Parteien hinweg erkannt, nimmt allerdings auf der Agenda des politischen Handelns nicht den Platz ein, den es haben müsste. Solange das der Fall ist, bewegt sich die GKV von einer budgetären Notlage zur nächsten, unter anderem, weil sie leider als Verschiebebahnhof für sozialpolitische Leistungen genutzt wird – Stichwort: Krankenversicherung von Bürgergeld-Bezieher:innen. Nur: Spitzenforschung auf Weltniveau und hektisches, kurzfristiges Ausgleichen von Finanzlücken vertragen sich nicht. Daraus kann Zukunft nicht entstehen.
Mit den extrem langen Entwicklungszeiten von Arzneimitteln brauchen forschende Unternehmen langfristige Planbarkeit wie die Luft zum Leben. Deshalb sollte auf Bundesebene der Pharma-Dialog fest etabliert werden, wie er in Bayern und auch in Baden-Württemberg seit vielen Jahren gut funktioniert. Wir brauchen eine gemeinsame Diskussion, wie wir auf den positiven Entwicklungen des MFG aufbauen können und sowohl den Studienstandort weiterentwickeln als auch die HTA-Bewertung modernisieren. Wir stehen bereit!
Es lohnt sich, die Nationale Pharmastrategie der Ampelregierung konsequent umzusetzen: Für eine forschende Industrie, die an den Therapien von morgen feilt, die hochqualifizierte Arbeitsplätze schafft und weitere Innovationen nach sich zieht. Für einen Wissenschaftsstandort, der durch klinische Studien wichtige Impulse erhält und sich voll entfalten kann. Für eine Bevölkerung, die auch in Zukunft gut und schnell von Arzneimittelinnovationen profitieren kann – denn schließlich ist in einer alternden Gesellschaft eine gesunde Bevölkerung einer der wichtigsten Standortfaktoren überhaupt.
Es gibt eine Menge zu gewinnen. Forschende Pharmaunternehmen stehen für Gesundheit, Innovation und Wohlstand. Aber die Arbeit fängt gerade erst an.
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