MDK-Reformgesetz – ein strategisches Angebot an die Länder?

Dr. Robert Paquet

Mit seinem Gesetzentwurf will Minister Spahn aus Einrichtungen der Selbstverwaltung (faktisch) nachgeordnete Behörden der (Landes-)Ministerien machen. Beim Medizinischen Dienst Bund (MD Bund) will das Bundesministerium selbst die Macht übernehmen. Neben diesem politisch-organisatorischen Umbau wird die Prüfung der Krankenhausabrechnungen neu geregelt. Dabei fallen die veränderten Bestimmungen überwiegend zu Gunsten der Krankenhäuser aus. Vor dem Hintergrund, dass die Länder stets als Paten „ihrer“ Krankenhäuser gehandelt haben, drängt sich ein Verdacht auf: Macht ihnen Spahn mit seinem MDK-Reformgesetz ein Kompensationsangebot für die organisations- und aufsichtsrechtlichen Zumutungen des „Faire-Kassenwahl-Gesetzes“?

 

Was ist und macht eigentlich der MDK?

Für die meisten Menschen ist der Medizinische Dienst der Krankenversicherung (MDK) eine unbekannte Größe. Dabei ist der MDK der sozialmedizinische und pflegefachliche Beratungs- und Begutachtungsdienst für die gesetzliche Kranken- und Pflegeversicherung. Nach seinem gesetzlichen Auftrag unterstützt er die Kranken- und Pflegekassen in medizinischen und pflegerischen Fragen. So stuft der MDK die Pflegebedürftigen in Pflegegrade ein, prüft die Qualität in Pflegeheimen und bei Pflegediensten und kontrolliert die Rechnungen der Krankenhäuser. Bei genehmigungspflichtigen Leistungen (z. B. bei der Verordnung teurer Hilfsmittel oder besonderer Rehabilitationsleistungen) erstellt er Gutachten für die Krankenkassen.

In Deutschland gibt es 15 eigenständige MDK, die nach Bundesländern organisiert sind. Der Medizinische Dienst des Spitzenverbandes Bund der Krankenkassen (MDS) koordiniert und fördert die bundesweite Zusammenarbeit der MDK zum Beispiel über Richtlinien für eine einheitliche Begutachtung.

Den Dienst gibt es in seiner jetzigen Form seit 1989. Träger der 15 regionalen MDK sind bisher die Landesverbände der Kranken- und Pflegekassen. Sie finanzieren den Dienst jeweils zur Hälfte. Vor 1989 bedienten sich die Krankenkassen (bei medizinischen Fragen und für Gutachten) des vertrauensärztlichen Dienstes der Rentenversicherung. Aus der zunehmenden Komplexität der Medizin ergab sich jedoch allmählich die Notwendigkeit eines eigenständigen Dienstes der Krankenkassen, der mit dem Gesundheitsreformgesetz etabliert wurde. Mit der Einrichtung der Pflegeversicherung in den 90er Jahren erfuhr der MDK einen gewaltigen Bedeutungszuwachs und trat mit der entsprechenden Begutachtungsfunktion erstmals ins Bewusstsein größerer Kreise der Bevölkerung.

Bei der Pflegeeinstufung begegnen nämlich die Versicherten direkt und persönlich Mitarbeiter des MDK. Sicher meist mit ambivalenten Gefühlen. Die andere Hälfte seiner Aufgaben (für die Krankenkassen) erledigt der Dienst dagegen zumeist hinter den Kulissen. Das gilt gleichermaßen für die Qualitätsprüfung der Pflegeheime und -dienste. Auch die Begutachtung genehmigungspflichtiger Leistungen der GKV findet meist nach Aktenlage statt. Nun ist mit der Krankenhaus-Abrechnungsprüfung der zweitgrößte Arbeitsbereich des Dienstes in das Licht der Öffentlichkeit geraten.

 

Neue Abrechnungsprüfung entlastet Krankenhäuser

Auch das macht den MDK nicht wirklich zum „Sympathieträger“. Was immer schon als ‚Bündnis zwischen Patienten und Arzt‘ (gegen die angeblich knickrigen Krankenkassen) funktionierte, reproduziert sich auch mit den anderen Leistungserbringern, in diesem Falle mit den Krankenhäusern. „Kontrolle“ im Bereich der Medizin hat ohnehin etwas Unappetitliches. Auch der TÜV wird zwar (im Einzelfall oft zähneknirschend) akzeptiert, aber nicht geliebt. Vor diesem Hintergrund eskalierte die Abrechnungsproblematik, was sich auch im Namen des neuen Gesetzes niederschlägt: „Entwurf eines Gesetzes für bessere und unabhängigere Prüfungen – MDK-Reformgesetz“.

Schon im Koalitionsvertrag wurde die MDK-kritische Stimmung aufgegriffen. Die Ankündigung, eine ungeliebte und wenig transparente Institution zu reformieren, kommt immer gut an. Die (latente) Unterstellung, die dem Dienst gesetzlich garantierte fachliche Unabhängigkeit würde durch die Trägerfunktion der Kassen faktisch ausgehebelt, wurde nur zu gern geglaubt. Die unmittelbar Beteiligten, Kassen und MDKs selbst haben allerdings auch wenig bis nichts zu einem besseren Verständnis der Verhältnisse beigetragen. Die Quittung ist die angekündigte Organisationsreform bzw. Verselbständigung der Dienste.

Wenn jemand wie Minister Spahn einen Konflikt, wie den um die Krankenhaus-Abrechnungen lösen will, schaut er selbstverständlich darauf, wo mehr Wählerstimmen zu holen sind. Angesichts dieser Grundorientierung, die zu Gunsten der Krankenhäuser und ihrer Beschäftigten ausschlägt, sind die Kassen sogar noch relativ „fair“ davongekommen. Im Einzelnen wird neu geregelt:

  • Einführung einer maximalen Prüfquote von 10 Prozent der Fälle (bisher wurden bis zu 17 Prozent der Fälle geprüft), die sinken soll, wenn die Abrechnungen überwiegend korrekt waren (und im umgekehrten Falle steigen kann).
  • Es bleibt zwar bei der Zahlung von 300 Euro „Aufwandspauschale“ durch die Krankenkasse bei ‚erfolgloser‘ Rechnungsprüfung. Umgekehrt wird jedoch erstmals auch ein Aufschlag der Krankenhäuser festgelegt, wenn der Anteil ihrer korrekten Abrechnungen weniger als 60 Prozent beträgt.
  • Die Prüfungen und ihre Ergebnisse sollen durch eine zentrale Statistik beim GKV-Spitzenverband transparenter werden.
  • Es wird eine Vorab-Prüfung von „Strukturmerkmalen“ für die Abrechenbarkeit bestimmter Leistungen eingeführt.
  • Die umstrittenen pauschalen Rechnungs-Abschläge (anstelle einer konkreten Prüfung der Einzelfälle) werden verboten, ebenso wie die Aufrechnung von Forderungen der Kassen gegen aktuelle Krankenhausrechnungen.
  • Zur Klärung strittiger Kodierfragen wird im Krankenhausfinanzierungsgesetz ein Schlichtungsausschuss eingerichtet und – ebenfalls präventiv gedacht – wird für das DIMDI die Entwicklung einer Verfahrensordnung zur Weiterentwicklung der Diagnose- und OPS- Schlüssel angeordnet.

 

Krankenkassen verlieren die Organisationsmacht

Der wichtigste Punkt der Reform ist jedoch die Verselbständigung des Dienstes und seine Überführung in die direkte Landesaufsicht. Das macht ihn zu einem neuen politischen Instrument sui generis. Das MDK-Reformgesetz vollzieht damit einen weiteren Schritt zur Entmachtung der Krankenkassen und der Selbstverwaltung, so wie sie bisher verstanden wurde. Erklärt wird, dass die Unabhängigkeit der MD gestärkt und ihre Aufgabenwahrnehmung vereinheitlicht werden soll. Dazu gibt es die folgenden Regelungen:

  • Die MD stellen künftig keine Arbeitsgemeinschaften der Krankenkassen mehr dar, sondern werden unter Beibehaltung der föderalen Struktur zu eigenständigen Körperschaften des öffentlichen Rechts (KödR) (unter der Bezeichnung MD).
  • Die Besetzung der Verwaltungsräte der MD wird neu geregelt. Von den 16 Mitgliedern können die Kassen sechs benennen (amtierende Verwaltungsräte, Vorstände und Mitarbeiter von Kassen und ihren Verbänden sind jedoch ausgeschlossen; nur mindestens ein Jahr „abgekühlte“ Ehemalige können berufen werden). Die Patienten-Selbsthilfe und Verbraucherschützer benennen weitere sechs Mitglieder. Schließlich gibt es vier Mitglieder, die von den Verbänden der Pflegeberufe und den Landesärztekammern vorgeschlagen werden. Nach maximal einem Jahr soll die Umstellung abgeschlossen sein.
  • Der Medizinische Dienst des Spitzenverbandes Bund der Krankenkassen (MDS) wird organisatorisch vom GKV-Spitzenverband gelöst und – wie die MD, die seine Mitglieder sind – künftig als KödR unter der Bezeichnung Medizinischer Dienst Bund (MD Bund) geführt. Die Umstellungsphase soll nach maximal anderthalb Jahren abgeschlossen sein.
  • Der MD Bund wird künftig die Richtlinien für die Aufgabenwahrnehmung der MD unter Mitwirkung der MD beschließen.

 

Trickreiche Besetzungsverfahren – Personalumbau und Strategiewandel

Die auffälligste Änderung ist die stimmberechtigte Mitgliedschaft der Patientenvertreter im Verwaltungsrat (VR), die bisher nur im Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) mit beratender Stimme beteiligt waren. Die Krankenkassen sollen den Dienst zwar weiterhin vollständig bezahlen, ihre Vertreter verlieren jedoch die Mehrheit im Verwaltungsrat. Die Raffinesse (oder je nach Standpunkt: Perfidie) der Neuregelung besteht im Ablauf und den Details der Besetzung: Herr des Verfahrens sind nämlich die zuständigen Landesministerien, die auch darauf zu achten haben, dass künftig Männer und Frauen im VR je zur Hälfte vertreten sein sollen.

Zunächst erscheint es seltsam und willkürlich, wenn mit den Vertretern der Pflegeberufe und Ärzte gerade Angehörige solcher Institutionen den MD kontrollieren sollen, die der MD selbst kontrollieren soll. Schon das ist eine eigenwillige Interpretation der Selbstverwaltungsidee. Hier zieht auch nicht die Vorstellung der Selbstverwaltung im Sinne der Vertragspartnerschaft, nach der etwa der G-BA oder auch der Qualitätsausschuss des SGB XI den Regelungsinhalt von Kollektivverträgen bestimmen. (Sonst müssten ja auch die Krankenhäuser direkt im VR des MD vertreten sein). Außerdem fällt auf, dass die niedergelassenen Vertragsärzte, deren Wirken (z.B. beim Verordnungsverhalten) ebenfalls Gegenstand der MD-Begutachtung ist, gar nicht vertreten sind. Gerade, weil der MD eine Institution der Sozialversicherung ist, müsste man bei der Einbeziehung von Ärzten zunächst an die Kassenärztlichen Vereinigungen denken, die in diesem Gesetzentwurf jedoch überhaupt nicht vorkommen. Dass die Wahl auf Ärztekammern gefallen ist, dürfte ausschließlich daran liegen, dass die Kammern (immer noch vor allem) als Institutionen gelten, die von den Krankenhausärzten dominiert werden und daher die Interessen dieser Häuser vertreten. Dass die Politik dagegen die ehrenamtlichen GKV-Selbstverwalter aus den Verwaltungsräten raushalten will, kann man noch nachvollziehen. Dass dafür die Hauptamtlichen völlig ausgeschlossen werden, entspricht jedoch nicht der „Professionalisierung“, die Spahn z.B. im GKV-FKG dem Verwaltungsrat des GKV-SV verordnen will. Wenn stattdessen aber ehemalige (und meist sehr viel Ältere) GKV-Verwaltungsräte als Kassenvertreter in die MD-Gremien einziehen sollen, ist das widersinnig. Hat man so viel Angst vor den hauptamtlichen Kassenvorständen bzw. Mitarbeitern?

Der MD wird auch in Zukunft erst mal seine Arbeit weitermachen, wie bisher. Veränderungen in der Selbstverwaltung schlagen nicht sofort auf das alltägliche Handeln durch. Der Einfluss der Länder, der den MD mittel- und langfristig doch strategisch verändern könnte, liegt in ihrer Rolle beim Besetzungsverfahren der Verwaltungsräte. Sie sollen die Patientenvertreter berufen und bestimmen die Vertreter der Pflegeberufe und Ärztekammern. Damit beeinflussen sie die Auswahl der Mehrheit der VR-Mitglieder. Dabei ist zu bedenken, dass die Selbsthilfe- und Patientenorganisationen auf Landesebene z.B. finanziell von ihren Ministerien abhängig sind. Die Landesregierungen haben u.a. durch die Einrichtung von Pflegekammern Einfluss auf die Auswahl der Vertreter der Pflegeberufe etc. Außerdem wird ihr Einfluss durch die direkte Aufsichtsfunktion gestärkt, d.h. ohne die bisher dazwischengeschalteten Landesverbände der Krankenkassen.

Auch die Vorstände der MDK werden „übergeleitet“, sodass sich in der Leitung der MD zunächst einmal wenig ändert. Langfristig könnte sich die Lage jedoch merklich wandeln, wenn die Vorstände der MD in Zukunft „politisch“ besetzt werden und nicht mehr – wie bisher – aus dem Personalpool der Krankenversicherung. Das würde sich allerdings nur langsam bemerkbar machen. Auch die neuen Verwaltungsräte werden nicht gleich mit einer Revolution in ihren Vorstandsetagen beginnen. Eine andere „Systemveränderung“ könnte mittel- und langfristig dadurch stattfinden, dass die Richtlinien für die Aufgabenwahrnehmung, die der MD Bund zu erlassen hat, künftig stärker durch dessen neuen VR geprägt werden. Und nicht mehr durch die sozialpartnerschaftliche Selbstverwaltung des GKV-SV. Außerdem könnte es durch die direkte Aufsicht des BMG (dem für alle Richtlinien des MD Bund ein Genehmigungsvorbehalt zusteht) zu einer allmählichen inhaltlichen Trendverschiebung kommen.

 

Machtverschiebung

Minister Spahn hat die (seit einiger Zeit anhaltende) politische Schwäche der Kassen genutzt; sie hatten ja auch jahrelang versäumt eine Verteidigungsstrategie für „ihren“ MDK zu entwickeln, um dessen Image zu verbessern und die MDK besser zu koordinieren. Die von den Kassen und ihren Verbänden zu verantwortende (z. T. vergreiste) Selbstverwaltung der MDKs hat mit zu ihrer Niederlage beigetragen. Der wenig geschickte Umgang mit der vor einiger Zeit vom Gesetzgeber verordneten Beteiligung der Patientenvertreter ist nur ein Beispiel. Die Konsequenz ist jetzt die (sicher auch populistisch gemeinte) Neubesetzung der Verwaltungsräte der künftigen MDs (vor allem durch die Patientenvertreter und Leistungserbringer).

Der Streit um die Prüfung der Krankenhausabrechnungen wird im Gesetzentwurf mit Augenmaß gelöst. Die relative Begünstigung der Krankenhausseite wird dazu beitragen, dass die MDK-Reform (auch bei der SPD) auf wenig Widerstand treffen wird. Die Länder werden akklamieren und in der Öffentlichkeit ist die „Neutralisierung“ des Dienstes nur zu gut zu verkaufen. Hier hat sicher auch – wie gerufen – die aktuelle Stellungnahme des Bundesrechnungshofes (BRH) (vom 10. April) zu den Vereinbarungen (von Kassen und Krankenhäusern) über pauschale Rechnungskürzungen beigetragen. Auch der BRH hatte deren Verbot gefordert und die unterschiedliche Aufsichtspraxis in den Ländern dazu moniert.

Der MDK war auch schon bisher zur Neutralität verpflichtet. Das glaubte man ihm jedoch immer weniger. Ob das durch das neue Gesetz besser wird, ist eine offene Frage. Wenn man von seiner Beeinflussbarkeit ausgeht, wird der MD in Zukunft jedenfalls anderen Einflüssen ausgesetzt sein als bisher. Wer die Neutralität der MDK-Aufgabenwahrnehmung heute wegen der Verwaltungsrats-Besetzung in Zweifel zieht, müsste in Zukunft logischerweise davon ausgehen, dass die Patientenvertreter und Leistungserbringer vor allem das Interesse haben, jegliche Kontrolle der Leistungserbringung zu verhindern. Ob die geplante Reform die Unabhängigkeit des MD tatsächlich stärken wird, bleibt daher abzuwarten.

 

Addendum

Wie inzwischen üblich hat Spahn in den Gesetzentwurf noch einige „fachfremde“ Elemente eingebaut: Die Online-Übertragung der (öffentlichen) G-BA-Sitzungen ist sicher populär, wird aber dazu beitragen, dass der eigentliche Kompromissprozess in die Unterausschüsse verlagert wird. Die versprochene zusätzliche Transparenz wird also nur ein Pseudogewinn. Außerdem wird die Rechtsstellung der sog. „Solidargemeinschaften“ (von ca. 20.000 Nicht-Versicherten, die darin ihren Schutz im Krankheitsfall organisieren) geklärt. Schließlich werden die Regelungen zum ambulanten Operieren (zugunsten der Krankenhäuser) verbessert und gangbar gemacht.

Reaktionen: (verhaltener) Jubel bei der DKG, die ihre jüngsten Forderungen zur Abrechnungsprüfung erfüllt sieht. Kein Jubel beim GKV-SV, obwohl die just am 2. Mai veröffentlichten Forderungen zum Thema ebenfalls fast eins zu eins erfüllt werden[1].

Die Länder werden das Gesetz sicher begrüßen. Fast parallel (mit Datum vom 2.5.) hat Nordrhein-Westfalen im Bundesrat einen Entschließungsantrag „zur Stärkung der Unabhängigkeit des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (MDK)“ eingebracht (BR-Drs. 204/19). Der Gesetzentwurf erfüllt die meisten der darin erhobenen Forderungen.

 

[1] https://www.gkv-spitzenverband.de/gkv_spitzenverband/presse/fokus/krankenhausabrechnung.jsp


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