14.06.2022
Kräfte bündeln mit Shared Service Centern
Enge Zusammenarbeit von Krankenhäusern auch jenseits von Fusionen
Prof. Dr. Djordje Nikolic
Dr. Stephan Balling
Die Blattschmiedeameise darf man, wenn auch wenig bekannt, zu den bedeutendsten Tieren in tropischen Ländern zählen, genauso wie den Tiger. Was unterscheidet beide? Der Tiger als Großwildkatze kann gut alleine überleben, zumindest, wenn ihm der Mensch nicht zu nahekommt. Ameisen-Kolonien, deren Biomasse weltweit selbst die der acht Milliarden Menschen und erst recht jene der vom Aussterben bedrohten Tiger übersteigt, überleben nur dank Kooperation und Zusammenarbeit, dank einer komplexen Sozialstruktur.
Wer klein ist, braucht Partner, kann gerade in einer sich verändernden Welt allein nur schwer überleben. Diese Erfahrung machen auch Krankenhäuser im Zeitalter der Digitalisierung. „Wie schon bei der Versorgungsqualität zeigt sich auch beim digitalen Wandel, dass v.a. kleine Häuser nicht Schritt halten können“, konstatierte bereits 2019 der damalige AOK-Vorstandsvorsitzende Martin Litsch. Das klassische Einzelkrankenhaus hat keine Zukunft, war das Ergebnis einer Expertenbefragung 2021.[1]
Zwischen Fusion und Einzelkampf: Shared Service Center als Alternative
Müssen Krankenhäuser also großflächig fusionieren und Unterschlupf in Konzernverbünden suchen? Vielfach ist das sicher vorteilhaft, aber es stößt an Grenzen, gerade bei kommunalen Häusern nicht selten an politische. Das bedeutet aber nicht, dass jeder weiter für sich kämpfen muss. Es gibt eine Zwischenlösung, die in der betriebswirtschaftlichen Literatur seit Langem unter dem Stichwort „Shared Service Center“ (SSC) firmiert. Statt den großen Schritt einer Fusion wählen Unternehmen gezielt die Zusammenarbeit in bestimmten Bereichen. Beispiele dafür gibt es auf der ganzen Welt. Eine Kalkulation für neun Krankenhäuser in der Region Medina in Saudi-Arabien kommt beispielsweise zu dem Schluss, dass die Konzentration biomedizinischer Abteilungen – etwa für die Wartung technischer Geräte – in einem SSC zu Einsparungen von 62 bis 81 Prozent bei den Lohnkosten führen kann, und dies trotz eines um 13,5 Prozent gestiegenen Durchschnittsgehaltes.[2]
Zu verstehen ist unter SSC eine teilweise selbständige Geschäftseinheit, die mehreren internen Kunden unterstützende Leistungen anbietet. Weitere Beispiele sind die Leistungsbereiche Rechnungswesen oder Human Ressources.[3] Dabei geht es darum, dass Unternehmen gemeinsam standardisierte Dienstleistungen nutzen, um operative Kosten zu senken und zugleich gemeinsam Informationen und Wissen zu generieren.[4] Basis von SSC sind Netzwerke und strategische Partnerschaften in oftmals neuen Organisationsformen.[5]
Netzwerke und zentralisierte Einheiten werden im Zeitalter der Digitalisierung bedeutender. Einerseits schafft die Digitalisierung zunehmend die technischen Voraussetzungen dafür, um insbesondere sekundäre und tertiäre Leistungsbereiche in größere zentrale Einheiten auszulagern. Andererseits erfordert die wachsende Bedeutung von auf Künstlicher Intelligenz basierender medizinischer Systeme, Telemedizin und elektronischer Patientenakten Investitionen in IT, was sowohl Humankapital als auch Soft- und Hardware betrifft.[6]
Standards als Basis
Vergleichsweise einfach lassen sich SSC in bestehenden Konzernen bilden. Private Verbünde wie Helios oder SRH haben längst zentrale Einheiten, die Felder wie IT, aber auch Controlling, Rechnungswesen und Regulierungsfragen überregional angehen. Der kirchliche Agaplesion-Konzern etwa hat nach den Worten seines Vorstandsvorsitzenden Dr. Martin Horneber zu Beginn der Corona-Krise enorm davon profitiert, dass es ein zentrales Logistikzentrum gab, mit Spezialisten, die auf langjährige Beziehungen zu Lieferanten setzen konnten. „Keines unserer Krankenhäuser hatte zu irgendeinem Zeitpunkt einen Mangel an Masken, Schutzkitteln oder Desinfektionsmitteln“, sagte Horneber Mitte 2021 zufrieden.[7] Aber auch kommunale Häuser, die traditionell eher als Einzelkämpfer agieren, suchen den Zusammenschluss.
Eine auch in Deutschland längst etablierte Form von SSC für Krankenhäuser bilden Einkaufsgemeinschaften, wobei diese bei näherer Betrachtung eher eine Vor-Form von SSC bilden. Ein Schlüsselwort für SSC ist nämlich Standardisierung. Gemeinsame Standards bilden die Basis zur Zusammenarbeit. Wer sich darauf einigt, kann beispielsweise im Einkauf weitergehen und auch im Bereich der Medizintechnik mit Anbietern attraktive Vergütungssätze aushandeln. Standardisierte Investitionspläne und Wartungsverträge sind dafür Voraussetzung. Bei Großgeräten in der Radiologie gilt das ebenso wie bei mittleren Anschaffungen wie Sono-Geräten oder kleineren wie Infusionspumpen.
Vorbild Genossenschaft
Für Krankenhäuser gibt es also auch im Einkauf noch Potenzial, Effizienzgewinne einzufahren. Weitere Felder sind beispielsweise die Dokumentation und vor allem Rechenzentren. Das geht oft mit dem umstrittenen Begriff des Outsourcings einher, einem eher negativ besetzten Begriff. Doch in Zeiten von Fachkräftemangel überzeugt dieser Weg umso mehr. Dazu kommt: Bei SSC lagern Krankenhäuser Leistungen nicht an unbekannte Drittanbieter oder externe Dienstleister aus, sondern schließen sich mit anderen zusammen, um bestimmte Einheiten zu betreiben. Auch der Betrieb von gemeinsamen Rechenzentren bietet sich dafür an. Mehrere Krankenhäuser arbeiten gerade hieran.
Es steht also eher die Idee einer Genossenschaft im Vordergrund, als die des Auslagerns. Der Frage der Rechtsform fällt dabei ein zentraler Punkt zu. Gründen mehrere Krankenhäuser beispielsweise eine gemeinsame Gesellschaft mit beschränkter Haftung (GmbH), die den jeweiligen Kliniken bestimmte Leistungen anbietet und kommt es dabei zu einer Leistungsverrechnung, kann es sein, dass diese Leistungen umsatzsteuerpflichtig werden. Es entfällt die umsatzsteuerrechtliche Organschaft.
Hier ist womöglich die Politik gefordert, steuerrechtlich nachzubessern, um für Krankenhäuser flexible Möglichkeiten der Zusammenarbeit zu schaffen. Das gilt auch auf einem anderen Gebiet. Das Bundessozialgericht hat laut Mitteilung vom 27. April 2022 geurteilt, dass Krankenhäuser wesentliche Leistungen ihres Versorgungsauftrags nicht auf Dritte auslagern dürfen. Der Fall bezieht sich auf eine Klinik, die strahlentherapeutische Leistungen an eine in unmittelbarer Nähe befindliche spezialisierte Praxis ausgelagert hat. Die Wirkung auf SSC kann allerdings noch nicht beurteilt werden.
Zusammenarbeit in medizinischen Kernbereichen
Lassen sich SSC nun auf medizinische Kernbereiche ausweiten oder nicht? Fakt ist, es gibt sie längst, beispielsweise in der Onkologie. Tumorboards unter Beteiligung mehrerer Krankenhäuser sind letztlich auch SSC. Denn längst ist es üblich, dass Fachärztinnen und Fachärzte aus verschiedenen Kliniken in Tumorboards zusammenarbeiten, um gemeinsam über die Behandlung von Patientinnen und Patienten mit hochkomplexen Krebserkrankungen zu beraten. Für Mediziner ist es meist durchaus eine medizinische Erfüllung, in solchen Gremien mitzuarbeiten, die letztlich ein „Shared Service Wissenszentrum“ bilden. Krankenhäuser können diesen Ansatz fortsetzen, indem sie gemeinsame Zentren für Telemedizin aufbauen, die beispielsweise auch dem Management von Komplikationen dienen. Auf der Basis solcher gemeinsamer Einrichtungen lässt sich ein regionales Qualitätsmanagement organisieren, bis hin zur Steuerung von Leistungen. Es ist auch denkbar, dass Häuser ohne Psychiatrien über SSC Zugang zu psychiatrischen Konsilien erhalten, oder dass mehrere Krankenhäuser einen gemeinsamen Mitarbeiterpool etwa in der Anästhesie schaffen, der die Flexibilität steigert.
Trotz steuerrechtlicher und regulativer Unwägbarkeiten: Die Verantwortlichen in den Kliniken sollten nicht auf die Politik warten. Mit Blick auf Kosten, aber auch die Qualität und Zuverlässigkeit von medizinischen Leistungen und Leistungen aus den sekundären und tertiären Bereichen eines Krankenhauses sind insbesondere kleine und mittelgroße Krankenhäuser gefordert. Als Einzelkämpfer werden die wenigsten überleben. Der Zusammenschluss in Verbünden und Konzernen wird für viele ein sinnvoller Weg sein. Wo das nicht gelingt, vielleicht auch aus politischen Gründen, können kleinere Schritte ein sinnvoller Weg sein. Shared Service Center sollten dort auf die Agenda.
Prof. Dr. Djordje Nikolic
Gründer und Vorsitzender der Geschäftsführung, consus clinicmanagemnt sowie Professor für Krankenhausmanagement an der SRH Mobility Fernhochschule
Dr. Stephan Balling
Leiter Bereich Public Affairs, consus clinicmanagement
[1] Konzeptstudie: Ein kommunaler Krankenhauskonzern
[2] Alkhateeb A, Sahhari F, Hussain M. A Pilot Study of Biomedical Engineering Shared Service for Hospitals in Madinah Munawwarah. Industrial & Systems Engineering Conference (ISEC), Jeddah, Saudi Arabia, January 19-20, 2019
[3] Richter P, Brühl R. Shared service center research: A review of the past, present, and future. European Management Journal. 2017;35(1):26-38
[4] Wang H. Performance Predictive Analytics for Operations Management of Shared Services. Journal of International Business and Management. 2021;4(1):1-13
[5] https://www.atlas-digitale-gesundheitswirtschaft.de/sharedservices/
[6] https://www.atlas-digitale-gesundheitswirtschaft.de/sharedservices/
[7] Transformation Leader 03/2021
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