Keine automatische Substitution bei Biosimilars

Prof. Dr. Wolf-Dieter Ludwig

Dr. Stanislava Dicheva-Radev

Bei der Behandlung mit Biosimilars – biologischen Arzneimitteln, die als arzneilich wirksamen Bestandteil eine strukturelle Version des Wirkstoffs eines in der EU bereits zugelassenen biologischen Arzneimittels (Referenzarzneimittel) enthalten – unterscheidet man heute zwischen der ärztlich verordneten Umstellung von einem Referenzarzneimittel auf ein Biosimilar (sog. „Switch“) und dem nicht vom Arzt veranlassten Austausch eines biologischen Arzneimittels (Referenzarzneimittel) gegen ein Biosimilar oder eines Biosimilars gegen ein anderes Biosimilar (Substitution).

Die Substitution kann dabei „automatisch“, d. h. verbindlich vorgeschrieben – in der Regel bei Abgabe in der Apotheke – erfolgen. Die Erlaubnis zur Substitution kann aber auch auf eine bestimmte Behandlungssituation (therapienaive Patienten) oder auf eine vom Apotheker mit dem Arzt abzustimmende Therapieentscheidung beschränkt werden. Entscheidungen zur automatischen Substitution von Referenzarzneimitteln durch Biosimilars trifft nicht die Europäische Arzneimittel-Agentur (EMA), sondern jeder Mitgliedsstaat der EU, da es sich um eine Frage des nationalen Rechts handelt (1).

 

Substitution nur in engen Grenzen

In den meisten europäischen Ländern ist derzeit die automatische Substitution nicht erlaubt (2). Frankreich war das erste europäische Land, das bereits 2014 die Substitution von Biosimilars ausdrücklich zugelassen hat. Apotheker durften theoretisch das verschriebene Referenzarzneimittel durch ein Biosimilar ersetzen, wenn eine Behandlung bei therapienaiven Patienten begonnen wurde und der verordnende Arzt das Rezept nicht als „nicht substituierbar“ gekennzeichnet hat. Der behandelnde Arzt musste informiert werden und nach erfolgter Substitution durch ein Biosimilar durfte keine weitere Substitution durch ein anderes Biosimilar erfolgen. Das erste Biosimilar, das bei der Substitution abgegeben wurde, musste weiterhin eingesetzt werden, um die Behandlungskontinuität zu gewährleisten. Diese Regelung wurde allerdings nie in die Praxis umgesetzt und daher im Jahr 2020 abgeschafft (3).

Eine Substitution unter bestimmten Bedingungen ist außer in Frankreich lediglich in Estland, Lettland, den Niederlanden, Polen und Tschechien zulässig (4). In den Niederlanden soll laut der dort für die Zulassung von Arzneimitteln zuständigen Behörde eine unkontrollierte Substitution zwischen biologischen Arzneimitteln – unabhängig davon, ob es sich um das Referenzarzneimittel oder ein Biosimilar handelt – vermieden werden. Eine Substitution ist daher nur dann zulässig, wenn der Patient über die Substitution informiert und sie medizinisch überwacht wird. Es ist notwendig, dass sowohl der behandelnde Arzt als auch der Apotheker beteiligt sind, wenn ein biologisches Arzneimittel durch ein anderes ersetzt wird, um sicherzustellen, dass diese Entscheidung mit der gebotenen Sorgfalt getroffen wird. In Estland und Lettland dürfen Patienten die Substitution ablehnen und müssen dann jedoch die Kostendifferenz zum günstigsten Biosimilar selbst tragen (5).

In den USA ist nach Attestierung von Austauschbarkeit („Interchangeability“), einem Schritt der zusätzlich zur und unabhängig von der Zulassung erfolgt, eine automatische Substitution in der Apotheke in den meisten Bundesstaaten erlaubt.

Eine detaillierte Übersicht der an Ärzte gerichteten Maßnahmen zur Förderung des Einsatzes von Biosimilars sowie der unterschiedlichen Verordnungsvorgaben bzw. Verordnungsempfehlungen in Europa findet sich im Arzneiverordnungs-Report 2020 (6).

 

Studienlage zu automatischer Substitution und Mehrfach-Switch

Es gibt bisher nur wenige wissenschaftliche Untersuchungen, welche die automatische Substitution von Referenzarzneimitteln durch Biosimilars untersucht haben. So untersuchte beispielweise eine dänische Kohortenstudie die Substitution von Remicade® durch das Infliximab-Biosimilar CT-P13 (Remsima®), nachdem im Mai 2015 in Dänemark festgelegt wurde, dass in Anbetracht der therapeutischen Gleichwertigkeit aus ökonomischen Gründen Patienten ausschließlich mit dem Infliximab-Biosimilar zu behandeln sind. Die Kosten des Biosimilars betrugen zum damaligen Zeitpunkt – so die Angaben in der Publikation – 36 % der Kosten des Referenzarzneimittels; dies entspricht einer Einsparung von 64 % durch das Biosimilar. Da mehr als 95 % der Patienten mit rheumatischen Erkrankungen unter medikamentöser Therapie mit Biologika in Dänemark im DANBIO-Register erfasst und kontinuierlich bezüglich ihrer Krankheitsaktivität dokumentiert werden, konnten die Effekte dieser nicht ärztlich veranlassten Umstellung („Switch“) analysiert werden (7).

Wichtige Ergebnisse hinsichtlich der Wirksamkeit und Sicherheit der Umstellung von biologischen Referenzarzneimitteln auf Biosimilars ergeben auch Studien mit einem sog. mehrfachen Switch. Dabei wird ein Teil der Patienten in einer randomisierten kontrollierten Studie (RCT) mehrfach zwischen einem Referenzarzneimittel und einem entsprechendem Biosimilar umgestellt (z. B. alle sechs Wochen) und mit den Patienten verglichen, die kontinuierlich mit dem Referenzarzneimittel bzw. dem Biosimilar behandelt wurden. Die EGALITY-Studie (8) und die ADACCESS-Studie (9) lieferten keine Hinweise darauf, dass eine ärztlich begleitete mehrfache Umstellung der Patienten die Wirksamkeit und die Sicherheit der medikamentösen Therapie mit Biologika gefährden könnte. Die Ergebnisse beider Studien sind detailliert im Anhang A des im Januar 2021 veröffentlichten Leitfadens der AkdÄ zu Biosimilars dargestellt (10). Trotz der gezeigten Unbedenklichkeit der mehrfachen Umstellung zwischen Referenzarzneimittel und Biosimilar sind diese Studien jedoch nicht geeignet, um die Auswirkungen auf die Patientenadhärenz und den Therapieerfolg zu evaluieren, wenn die Umstellung in der Apotheke – im Sinne einer automatischen Substitution ohne Wissen des behandelnden Arztes – erfolgen soll.

 

Nocebo-Effekte

In einigen Beobachtungsstudien mit Switch vom Referenzarzneimittel auf Biosimilar – v. a. bei den TNF-α-Inhibitoren Infliximab, Etanercept und Adalimumab – zeigten sich höhere Raten an vorzeitigen Therapieabbrüchen (15–30 %) als in doppelblinden RCT (< 10 %). In einigen dieser Switch-Studien wurde dies auf sog. Nocebo-Effekte zurückgeführt (11), die als Folge von häufig nicht objektivierbarem Wirkverlust bzw. Verschlimmerung der Symptomatik oder nicht schwerwiegenden Nebenwirkungen auftreten können. Dafür spricht auch insbesondere die hohe Rate an Patienten, die nach dem Abbruch der Therapie mit dem jeweiligen Biosimilar erneut erfolgreich mit dem Referenzarzneimittel behandelt wurden (50 bis 100 %, im Median 80 %) (12).

Es ist belegt, dass sich Nocebo-Effekte negativ auf die Adhärenz, Nebenwirkungen und die Symptomlinderung während der medikamentösen Behandlung auswirken können. Aktuell gibt es zahlreiche Hinweise aus Switch-Studien, dass Nocebo-Effekte die klinischen Ergebnisse bei Patienten, die von Referenzarzneimitteln auf Biosimilars umgestellt werden, in ähnlicher Weise beeinflussen. Deswegen ist es essenziell, diese Effekte zu berücksichtigen und zu versuchen, sie zu minimieren bzw. zu vermeiden. Solche negativen Effekte können nur durch ausführliche Information und Beratung der Patienten begrenzt bzw. vermieden werden. Eine gute Kommunikation zwischen Arzt und Patient erscheint daher als sehr wichtiger Schritt zur Vermittlung von Vertrauen des Patienten in die Biosimilars (10-13). Hierfür müssen Ärzte selbst gut über Biosimilars informiert sein und auf eine positive Haltung sowie Formulierungsweise („Framing“) achten. Es sollen relevante Informationen zur Definition und Zulassung von Biosimilars sowie zu Wirksamkeit und Sicherheit angeboten werden, um Bedenken und Ängste zu zerstreuen (10).

 

Rechtslage in Deutschland

Die automatische Substitution ist derzeit in Deutschland für Biologika und Biosimilars nicht zulässig. Mit dem Gesetz für mehr Sicherheit in der Arzneimittelversorgung (GSAV), das im August 2019 in Kraft getreten ist, wurde bezweckt, die Qualität und Sicherheit der Versorgung zu verbessern (14). Dazu sollen u.a. Versorgungs- und Wirtschaftlichkeitsziele sowie konkrete, auf die Umsetzung dieser Ziele ausgerichtete Maßnahmen für im Wesentlichen gleiche, biotechnologisch hergestellte biologische Arzneimittel (Biosimilars) zwischen den gesetzlichen Krankenkassen und den Kassenärztlichen Vereinigungen vereinbart werden.

Zudem wurden die Regelungen zur Ersetzung eines wirkstoffgleichen Arzneimittels („Aut idem“) – also die automatische Substitution wie sie bei Generika seit Jahrzehnten praktiziert wird – auf biologische Arzneimittel ausgeweitet. Voraussetzung für einen „Aut-idem“-Austausch eines Biosimilars ist dabei eine vorherige Feststellung der Austauschbarkeit durch den Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) in seinen Richtlinien für die ärztliche Verordnung nach § 92 Absatz 1 Satz 2 Nummer 6. Der „Aut-idem“-Austausch auf Apothekenebene tritt allerdings erst im August 2022 in Kraft. Davor sollte der G-BA in den Richtlinien nach § 92 Absatz 1 Satz 2 Nummer 6 für die ärztliche Verordnung Hinweise geben zur Austauschbarkeit von biologischen Referenzarzneimitteln durch im Wesentlichen gleiche biotechnologisch hergestellte biologische Arzneimittel im Sinne des Artikels 10 Absatz 4 der Richtlinie 2001/83/EG unter Berücksichtigung ihrer therapeutischen Vergleichbarkeit.

Dieser Verpflichtung ist der G-BA inzwischen nachgekommen und hat am 20.08.2020 die Hinweise für die ärztliche Verordnung zur Umstellung von biotechnologisch hergestellten biologischen Arzneimitteln nach § 129 Absatz 1a Satz 3 SGB V veröffentlicht (15). Demnach soll der behandelnde Arzt bei der Verordnung von biotechnologisch hergestellten Biologika einer wirtschaftlichen Verordnung insbesondere dadurch entsprechen, dass die Patienten auf ein preisgünstiges Arzneimittel eingestellt bzw. nach Maßgabe einer wirtschaftlichen Verordnungsweise umgestellt werden. Dies gilt sowohl für die Umstellung des Referenzarzneimittels auf eines seiner Biosimilars als auch für die Umstellung zwischen Biosimilars untereinander, sofern diese mit Bezug auf dasselbe Referenzarzneimittel zugelassen sind.

Als preisgünstige biotechnologisch hergestellte Biologika gelten dabei vorrangig solche Arzneimittel, für die eine Vereinbarung nach § 130a Absätze 8 und 8a SGB V (sog. Rabattverträge) mit Wirkung für die jeweilige Krankenkasse der oder des Versicherten besteht. Voraussetzung für Umstellungen ist, dass das verordnete biologische Arzneimittel über eine Zulassung für die Indikation verfügt, für die es eingesetzt werden soll. Der Arzt soll den Patienten über die Gründe der Umstellung informieren und bei Wirkstoffen, die von den Patienten allein appliziert werden, die Handhabung der Applikation des neuen Arzneimittels demonstrieren. Aus medizinischen und therapeutischen Gründen unter Würdigung patientenindividueller und erkrankungsspezifischer Aspekte kann der Arzt von einer Umstellung von Patienten auf Biosimilars absehen. Als Anlage enthält die Regelung eine tabellarische Übersicht von Wirkstoffen, die in Form von mindestens einem Biosimilar bzw. in mehr als einem Originalarzneimittel am Markt verfügbar sind.

Bis August 2022 soll ein Austausch auf der Grundlage der Hinweise des G-BA nur auf Arztebene unter der Verantwortung des behandelnden Arztes erfolgen. Zudem sollen wissenschaftliche Erkenntnisse über die Austauschbarkeit von Biosimilars und Erfahrungen mit der Versorgungspraxis von Biosimilars gesammelt und bewertet werden.

 

Therapie-Entscheidungen nicht aufgrund von Rabattvereinbarungen

Ein unabhängig von der ärztlichen Verordnung erfolgender Austausch von Referenzarzneimitteln gegen Biosimilars oder von Biosimilars untereinander – im Sinne einer automatischen Substitution – wurde im Frühjahr 2019 anlässlich der Anhörung zum GSAV (BT‐Drs. 19/8753) aus unterschiedlichen Gründen von der Bundesärztekammer und der AkdÄ abgelehnt (16). Die Entscheidung zum Einsatz eines Biosimilars sollte weiterhin vom behandelnden Arzt und nicht aufgrund von Rabattvereinbarungen der gesetzlichen Krankenkassen nach § 130a Absatz 8 SGB V getroffen werden. Dabei müssen Ärzte selbst gut über Biosimilars informiert sein und auf eine positive Haltung sowie Formulierungsweise („Framing“) achten. Es sollen relevante Informationen zur Definition und Zulassung von Biosimilars sowie zu Wirksamkeit und Sicherheit angeboten werden, um Bedenken und Ängste zu zerstreuen (17).

 

Literatur

  1. Kurki P, van Aerts L, Wolff-Holz E et al.: Interchangeability of biosimilars: a European perspective. BioDrugs 2017;31: 83-91.).
  2. Thimmaraju P, Rakshambikai R, al. FRe: Legislations on biosimilar interchangeability in the US and EU – developments far from visibility: http://www.gabionline.net/Sponsored-Articles/Legislations-on-biosimilar-interchangeability-in-the-US-and-EU-developments-far-from visibility
  3. https://www.has-sante.fr/jcms/pprd_2974218/en/medicaments-biosimilaires-l-essentiel-en-6-points-et-2-temoignages
  4. Reiland JB, Freischem B, A R: What pricing and reimbursement policies to use for off-patent biologicals in Europe? – Results from the second EBE biological medicines policy survey. .GaBI Journal – Generics and Biosimilars Initiative 2017; 6: 1-18
  5. Moorkens E, Vulto AG, Huys I et al.: Policies for biosimilar uptake in Europe: An overview. PLoS One 2017; 12: e0190147
  6. Vogler S, Schneider P, Panteli D, Busse R: Biosimilars in Deutschland und im europäischen Vergleich – Marktsteuerungsmechanismen und Einsparpotenziale. Arzneiverordnungs-Report 2020
  7. Glintborg B, Sorensen IJ, Loft AG et al.: A nationwide nonmedical switch from originator infliximab to biosimilar CTP13 in 802 patients with inflammatory arthritis: 1-year clinical outcomes from the DANBIO registry. Ann Rheum Dis 2017; 76: 1426-1431
  8. Griffiths CEM, Thaci D, Gerdes S et al.: The EGALITY study: a confirmatory, randomized, double-blind study comparing the efficacy, safety and immunogenicity of GP2015, a proposed etanercept biosimilar, vs. the originator productin patients with moderate-to-severe chronic plaquetype psoriasis. Br J Dermatol 2017; 176: 928-938
  9. Blauvelt A, Lacour JP, Fowler JF, Jr. et al.: Phase III randomized study of the proposed adalimumab biosimilar GP2017 in psoriasis: impact of multiple switches. Br J Dermatol 2018; 179: 623-631
  10. https://www.akdae.de/Arzneimitteltherapie/LF/PDF/Biosimilars.pdf
  11. Odinet JS, Day CE, Cruz JL, Heindel GA: The biosimilar nocebo effect? A systematic review of double-blinded versus open-label studies. J Manag Care Spec Pharm 2018;24: 952-959
  12. Colloca L, Barsky AJ: Placebo and nocebo effects. N Engl J Med 2020; 382: 554-561
  13. Bakalos G, Zintzaras E: Drug discontinuation in studies including a switch from an originator to a biosimilar monoclonal antibody: a systematic literature review. Clin Ther 2019; 41: 155-173.e113
  14. https://www.bundesgesundheitsministerium.de/fileadmin/Dateien/3_Downloads/Gesetze_und_Verordnungen/GuV/G/GSAV_bgbl119_S.1202_150819.pdf
  15. https://www.g-ba.de/downloads/40-268-6797/2020-08-20_AM-RL_Austausch-bio-Arzneimittel_TrG.pdf
  16. https://www.akdae.de/Stellungnahmen/BMG/20190404.pdf
  17. Dicheva-Radev S, Ludwig W-D: Biologika und Biosimilars.In: Schwabe U, Ludwig W-D (Hrsg.). Arzneiverordnungs-Report 2020. Springer-Verlag GmbH Deutschland,2020; 151-184.

 

Prof. Dr. Wolf-Dieter Ludwig
Vorsitzender der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft

Dr. Stanislava Dicheva-Radev
Referentin Versorgung, Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft

 


Observer Gesundheit Copyright
Alle Kommentare ansehen