Kampf gegen Fachkräftemangel – angemessene Gehälter für Physiotherapeuten notwendig

Ute Repschläger, Vorstandsvorsitzende des Bundesverbands selbstständiger Physiotherapeuten (IFK e. V.)

Fragt man Inhaber einer Physiotherapiepraxis nach den derzeit größten Problemen, kommt immer häufiger das Thema „Personalrekrutierung“ zutage. Noch vor gut 15 Jahren konnten Physiotherapiepraxen, die eine Stelle zu besetzen hatten, rein rechnerisch zwischen fünf arbeitslosen Physiotherapeuten aussuchen.

Inzwischen hat sich das Verhältnis umgekehrt: Arbeitssuchende Physiotherapeuten wählen nun aus knapp vier freien Stellen das attraktivste Jobangebot für sie aus, ergeben die Zahlen der Bundesagentur für Arbeit. Schon allein aus Wettbewerbsgründen ist es da unabdingbar, den Angestellten ein angemessenes Gehalt zu zahlen.

 

Vernünftige Bezahlung für Angestellte und Praxisinhaber

Und hier ist nicht nur der Wettbewerb zwischen den Praxen gemeint, sondern auch der zu anderen Berufen. Gut ausgebildete Fachkräfte müssen eine angemessene und leistungsgerechte Vergütung erhalten. Wenn das nicht gewährleistet werden kann, wird die Physiotherapie für Mitarbeitende und auch für Berufseinsteiger immer mehr an Attraktivität verlieren, wodurch sich der Fachkräftemangel noch weiter verstärken wird. Eine vernünftige Bezahlung ist unabdingbar – sowohl für Angestellte als auch für die Praxisinhaber, die das unternehmerische Risiko zu tragen haben.

Durch hart erkämpfte Vergütungserhöhungen haben Praxisinhaber zwischen 2017 und 2021 durchschnittlich 36,6 Prozent mehr Einnahmen erzielt. Im selben Zeitraum sind die Gehälter von Angestellten in den Praxen selbstständiger Physiotherapeuten um 32,8 Prozent gestiegen, meldet die Berufsgenossenschaft für Gesundheitsdienst und Wohlfahrtspflege (BGW). Somit haben Praxisinhaber einen Großteil der Mehreinnahmen an ihre Mitarbeiter weitergegeben. Allein im Jahr 2021 stiegen die Angestelltengehälter um rund 8,5 Prozent. Dies entspricht etwa 83 Prozent der Umsatzsteigerungen, die durch die GKV-Vergütungserhöhungen 2021 in Höhe von 14,09 Prozent entstanden sind.

 

Zu geringe Vergütung seitens der Krankenkassen

Die Tendenz ist die richtige, doch die Prozentzahlen kaschieren das Ausgangsproblem. Da Physiotherapie seit Jahrzenten zu gering von den Krankenkassen vergütet wird, sind die Ausgangslöhne deutlich zu niedrig. Selbst Erhöhungen im zweistelligen Prozentbereich können nicht ausgleichen, was über Jahrzehnte versäumt wurde.

Zudem verdienen viele Physiotherapeuten selbst nach den jüngsten Erhöhungen in niedergelassenen Praxen noch deutlich weniger als Physiotherapeuten, die im stationären Bereich tätig sind. Gleiches gilt für die Praxisinhaber, die oftmals weniger erhalten als angestellte Physiotherapeuten in leitender Position, beispielsweise im öffentlichen Dienst. Zusätzlich hat die nicht ausreichende Vergütung der letzten Jahrzehnte in vielen Praxen zu einem Investitionsstau geführt, der erst einmal aufzulösen ist, indem beispielsweise in neue Praxisausstattung investiert werden muss. Daher können Praxisinhaber die Vergütungserhöhung nicht vollständig an ihre Mitarbeiter weitergeben und eine weitere Anhebung der GKV-Vergütung ist notwendig.

Doch um dem Fachkräftemangel Einhalt zu gebieten, wird ein höheres Gehalt allein nicht reichen. Die Attraktivität der Physiotherapie muss für Arbeitnehmer insgesamt steigen. Therapeuten benötigen zum Beispiel ausreichend Zeit, um den Patienten nicht nur die rein fachliche, sondern auch die erforderliche menschliche Zuwendung geben zu können. Außerdem wünschen sie sich mehr Autonomie: Therapeuten möchten die Techniken am Patienten anwenden, die sie gemäß ihrer Ausbildung für therapeutisch sinnvoll erachten und bei denen sie gleichzeitig die entsprechenden Befugnisse haben, dies zu tun.

 

Aufwärtstrend bei den Schülerzahlen

Etwas Hoffnung schenkt der leicht positive Trend, der sich bei den angehenden Physiotherapeuten zeigt: Gingen die Schülerzahlen an Physiotherapiefachschulen zwischen 2005 und 2015 noch kontinuierlich zurück, zeigt sich nach einer Phase der Stagnation seit 2019/2020 sogar erstmals wieder ein Aufwärtstrend. Dieser Aufschwung lässt sich – zumindest zu einem Teil – auf die Schulgeldfreiheit an vielen Physiotherapieschulen zurückführen, die ab September 2018 in vielen Bundesländern nach und nach umgesetzt wurde und sicherlich ein richtiger und wichtiger Schritt war. Ob und – wenn ja – wann sich die gestiegenen Schülerzahlen der letzten beiden Jahre jedoch auf dem Arbeitsmarkt widerspiegeln werden, ist noch nicht absehbar. Gleichzeitig ist zu bedenken, dass die Physiotherapeuten der sogenannten Baby-Boomer-Generation in den kommenden Jahren aus dem Beruf ausscheiden werden, während der Bedarf an Physiotherapie durch den demografischen Wandel zunimmt.

Im Koalitionsvertrag der aktuellen Ampelregierung findet sich eine Passage, die als ein positives Signal bewertet werden kann: „Wir verbessern die Arbeitsbedingungen der Gesundheitsfachberufe.“ Im Bereich der Vergütung wurde mit dem Terminservice- und Versorgungsgesetz (TSVG) bereits ein guter Schritt in die richtige Richtung getan. Weitere müssen nun folgen. Es ist dabei nicht nur wichtig, die Arbeitsbedingungen so weit zu verändern, dass ein zunehmendes Abwandern von Fachkräften in andere Berufsfelder verhindert wird und Therapeuten weiterhin mit Freude und Engagement ihrer Arbeit nachgehen können. Gleichzeitig muss die Physiotherapieausbildung so reformiert werden, dass sie für eine größere Anzahl an Schulabgängern attraktiv und interessant wird – dafür ist eine Angleichung an internationale Standards unbedingt notwendig.

Um den Fachkräftemangel nachhaltig zu entschärfen, bedarf es also insgesamt einer deutlichen Verbesserung der Attraktivität des Berufs! Praxisinhaber allein können das Problem nicht lösen. Sie geben bereits nachweislich so viel der Vergütungserhöhungen an ihre Mitarbeiter weiter, wie sie es wirtschaftlich verantworten können. Außerdem gestalten sie die Arbeitsbedingungen für ihre Mitarbeiter so angenehm wie möglich – aber der Rahmen, in dem sie das tun können, ist viel zu eng und muss geweitet werden.


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