Höchstbetrag und Schwellenwert für DiGA entschieden

Bessere Vermarktung bei der Ärzteschaft als Herausforderung für die Zukunft

Pia Maier, Mitglied im Vorstand des Bundesverbandes Internetmedizin

Nach unzähligen Verhandlungsrunden sind nun alle preislichen Rahmenbedingungen für Digitale Gesundheitsanwendungen (DiGA) geklärt: die Bedingungen der Vergütungsbetragsverhandlungen, die Abschläge für Erprobungs-DiGA und nun eben auch die Höchstbeträge und der Schwellenwert, die ab 1. Oktober 2022 gelten werden.

Im Folgenden wird die letzte Entscheidung über die Höhe der Höchstbeträge und des Schwellenwertes erläutert und ihre Folgen für Hersteller von DiGA eingeordnet. Dazu werden auch die ersten verhandelten Vergütungsbeträge in den Blick genommen und ein Ausblick auf die Zukunft der DiGA gewagt.

 

Die Vorgeschichte

Seit Oktober 2020 stehen die ersten DiGA im Verzeichnis des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM). Laut gesetzlicher Grundlage hat der Hersteller ein Jahr Preisfreiheit („tatsächlicher Preis“), ab dem 13. Monat greifen mit der Kassenseite verhandelte Vergütungsbeträge („Vergütungsbetrag“). In der Rahmenvereinbarung[1] zwischen Herstellerverbänden und GKV-Spitzenverband (GKV-SV) wurden die Rahmenbedingungen der Verhandlungen und der Abschläge für DiGA in der Erprobung festgelegt, teilweise durch die Schiedsstelle entschieden. Diese hatte im Dezember 2021 gegen den Willen der Herstellerverbände entschieden, welche Details für die Abschläge und die Bestimmung der Höchstbeträge und es Schwellenwertes gelten. In aller Kürze:

  • Höchstbeträge werden für Gruppen von DiGA gebildet, die im gleichen Indikationsbereich angeboten werden und es wird nach medizinischem Nutzen/patientenrelevanter Struktur- und Verfahrensverbesserung unterschieden.
  • Es gilt mengenabhängig: der tatsächliche Preis für 2.000 Verordnungen, die Höchstbeträge von der 2.001. bis zur 10.000 Verordnung, darüber greift ein weiterer Abschlag.
  • Es gibt Ausnahmen von den Höchstbeträgen für Produkte, die KI nutzen und die Orphan Diseases behandeln.
  • Abschläge für DiGA in der Erprobung liegen bei 20 %.
  • Eine gemeinsame Stelle von GKV-SV und Herstellerverbänden berechnet halbjährlich die sich dynamisch aus den tatsächlichen Preisen der im Markt befindlichen DiGA die Höchstbeträge und den Schwellenwert.

 

Die aktuelle Entscheidung

Nach der Entscheidung der Schiedsstelle waren die Rechenschritte für die Bestimmung der Höchstbeträge und des Schwellenwertes gesetzt, ebenso der Weg, wie diese bestimmt werden sollten. Dazu wurde eine gemeinsame Stelle aus beiden Vertragsseiten – Herstellerverbänden und GKV-SV – gebildet, aus deren Mitte ein Fachgremium bestimmt wurde, das die Rechenarbeit erledigt.

Da hier ein neuer Versorgungsbereich für digitale Behandlung entstanden ist, ist auch ein neuer Bereich der Selbstverwaltung gewachsen. Die Verhandlungsrunde der Rahmenvereinbarung ist in die Routinearbeit übergegangen und soll nun halbjährlich die genauen Beträge ermitteln. Dabei geht es zum einen darum, die Gruppenzuordnung der DiGA zu begleiten. Hier stellen sich zum Beispiel Fragen, wenn die DiGA zwei Indikationsbereiche in Kombination anspricht, wie zum Beispiel die DiGA HelloBetter Diabetes und Depression. Die Patientengruppe sind hier Diabetiker:innen, die eine Depression entwickeln und gezielt mit der Grunderkrankung Diabetes angesprochen werden. Außerdem werden hier die Ausnahmen verhandelt – setzt ein DiGA Künstliche Intelligenz in dem Sinne ein, wie die Rahmenvereinbarung das vorsieht, beziehungsweise ist eine Seltene Erkrankung das wesentliche Behandlungsfeld, um eine Ausnahme von den Höchstbeträgen zu rechtfertigen.

Wie immer bei komplexen Regelungen, sind am Ende der Festlegungen noch viele Fragen offen, die sich erst bei der genauen Arbeit mit den gegebenen Regeln erschließen. Als große Hürde stellte sich hier zum Beispiel die Datengrundlage heraus. Die tatsächlichen Preise werden im BfArM-Verzeichnis veröffentlicht und sind Grundlage der Berechnungen. Preisänderungen, die der Hersteller vornehmen darf, sollen anteilig in die Berechnung einfließen. Dazu muss dann aber auch bekannt sein, wann genau die Preisänderung erfolgte – und das ist im Verzeichnis nicht zu sehen, dort steht nur der jeweils aktuelle Preis. Das BfArm verfügt über eine Schnittstelle, mit der man die historischen Daten des Verzeichnisses nachvollziehen kann, teilt diese Informationen jedoch nicht mit der gemeinsamen Stelle – denn die wiederum ist ein Ergebnis der Rahmenvereinbarung, steht aber weder im Gesetz noch in der Verordnung. Die Herstellerverbände haben daher keinen Zugriff auf diese Daten. Nötig waren die historischen Daten zum Beispiel auch für die Bestimmung des Schwellenwertes – hier galt als Stichtag für die Berechnung der Tag der Veröffentlichung der Rahmenvereinbarung durch die Schiedsstelle: Das war der 28.12.2021. An diesem Tag war das weitere Verfahren – die Bildung der gemeinsamen Stelle und des Fachgremiums –allerdings noch gar nicht abgeschlossen.

Weitere Unklarheiten entstanden durch uneindeutige Festlegungen in der Rahmenvereinbarung. Danach gilt ein Abschlag für DiGA in der Erprobung von 20 Prozent, für DiGA ab der 10.001sten Verordnung ein weiterer Abschlag von 25 Prozent. Es fehlt eine Aussage dazu, wie mit DiGA in der Erprobung ab der 10.001sten Verordnung verfahren wird: Tritt an die Stelle des Abschlages von 20 Prozent wegen der Erprobung der Abschlag von 25 Prozent wegen Menge, denn ein erprobungsspezifischer Mengenabschlag wurde nicht festgelegt? Wenn beide kumulativ gelten, wie wird dann gerechnet: Abschlag von 20 Prozent vom Hundert plus Abschlag von 25 Prozent von Hundert oder 25 Prozent von 80 Prozent…?

Ungeachtet einiger weiterer Detailfragen, die sich auf einzelne Angaben im Verzeichnis bezogen und Einfluss auf den jeweils zu errechnenden Tagestherapiepreis haben – also eine ganze Reihe von Fragen, die wiederum an den bekannten Streitlinien zwischen Kassen und Herstellern nicht zu einigen waren. Daher wurde wiederum ein Schiedsverfahren nötig, das nun Entscheidungen getroffen hat.

 

Das Niveau von Höchstbeträgen und Schwellenwert

Ab dem 1. Oktober 2022 gelten nun also für vier indikationsspezifische Gruppen Höchstbeträge, wovon insgesamt 23 der gelisteten DiGA betroffen sind, sofern sie nicht bis dahin einen Vergütungsbetrag verhandelt haben. Fünf DiGA sind Solisten, eine Gruppe kann aber erst ab zwei DiGA in der Gruppe gebildet werden, eine DiGA konnte erfolgreich die Ausnahme Künstliche Intelligenz für sich in Anspruch nehmen. Die Differenz zur aktuellen Zahl im DiGA-Verzeichnis ergibt sich aus den jüngsten Neuzugängen, die noch nicht in der Berechnung/Gruppenbildung berücksichtigt sind. Für diese DiGA gelten die Regeln dann allerdings auch ab Oktober und sie werden in der nächsten halbjährlichen Berechnungsrunde mit einbezogen.

 

Gruppenspezifischer Höchstbetrag für DiGA innerhalb der ersten 12 Monate im Markt, im Quartal[2] gerundet:

 

Psychische Erkrankungen mit medizinischem Nutzen Krankheiten des Nervensystems/ medizinischer Nutzen Stoffwechselkrankheiten/ medizinischer Nutzen Krankheiten des Muskel-Skelett-Systems/ medizinischer Nutzen
Gruppenspezifischer Höchstbetrag 599 Euro 740 Euro 534 Euro 220 Euro
Für DiGA in der Erprobung 480 Euro 593 Euro 427 Euro 175 Euro
Ab 10.000 Verordnungen 450 Euro 556 Euro 400 Euro 164 Euro
Ab 10.000 Verordnungen für DiGA in der Erprobung 360 Euro 444 Euro 320 Euro 131 Euro

 

Diese Berechnung wird halbjährlich erneuert; dabei werden die neu auf den Markt gekommenen DiGA mit einbezogen, so dass neue Gruppen entstehen können. Jede DiGA bleibt für 36 Monate mit ihrem tatsächlichen Preis in der Rechnung – damit soll sowohl der Manipulierbarkeit vorgebeugt werden (kurzfristige Änderungen haben weniger Gewicht), wie auch einem Kellertreppeneffekt, indem die verhandelten Vergütungsbeträge und Preisanpassungen an das Höchstbetragsniveau nicht einbezogen werden.

Jede DiGA, für die eine der oben genanntem Erstattungsgrenzen gilt, hat die Möglichkeit, ihren Preis an diesen Betrag anzupassen. Tut sie das nicht, muss der/die Versicherte die Preisdifferenz aufzahlen. Um ein solches Verfahren zu vermeiden – es darf den Versicherten übrigens auch nicht einfach erstattet oder erlassen werden –, sollten die Hersteller den Höchstbetrag und die Mengenkomponenten im Blick behalten und reagieren.

Der Schwellenwert ist eine Grenze, unterhalb derer keine Verhandlungen mit dem GKV-SV geführt werden müssen. Bleibt eine DiGA mit ihrem tatsächlichen Preis unterhalb dieser Grenze, wird der tatsächliche Preis dauerhaft in dieser Höhe erstattet. Festgelegt wird der Schwellenwert aus dem Mittelwert aller Tagestherapierpeise der DiGA im Markt auf der Höhe von 25 Prozent. Aktuell wurde dafür der Berechnungsstichtag 28.12.2021 zugrunde gelegt, und es ergibt sich ein Schwellenwert von 103,50 Euro im Quartal.

 

Die ersten entschiedenen Vergütungsbeträge

Inzwischen liegen auch erste Entscheidungen für Vergütungsbeträge vor – bislang wurden diese mangels Einigung der Verhandlungspartner geschiedst. Alle diese bekannt gewordenen Vergütungsbeträge beziehen sich auf DiGA im Bereich der psychischen Erkrankungen. Die Schiedsstelle hat dafür eine Logik zugrunde gelegt, die als Vergleichspreis die Gruppentherapiekosten nutzt und daran die jeweilige nachgewiesene Evidenz und Studiengüte bemisst. So entstand ein Preisniveau von rund 230 Euro/Quartal für DiGA, die im Bereich psychischer Erkrankungen eingesetzt werden und gute Evidenz vorweisen.

In der Logik, wie sie der Vorsitzende der Schiedsstelle, Prof. Dr. Jürgen Wasem, etwa auf dem Hauptstadtkongress referiert hat, spiegelt sich eine Budget Impact Logik wider: Welche anderen Kosten sind vergleichbar, welche alternativen Therapien können vermieden werden und wie gut ist das belegt. Bei der Vergleichstherapie Gruppentherapie bei psychischen Erkrankungen ist das relativ gut zu fassen, schwieriger werden hier wieder die Erkrankungen werden, die längerfristige Verbesserungen des Gesundheitszustandes im Blick haben, wie bei Diabetes oder Adipositas.

Grundsätzlich kann man aber vermutlich die Logik zugrunde legen, die auch aus Verträgen der Integrierten Versorgung bekannt ist: Welchen Vorteil kann die Krankenkasse auch in anderen Bereichen der Versorgung generieren, wie gut kann der Erfolg nachgewiesen werden, dass diese Vermeidung anderer Kosten auch tatsächlich eintritt. Und daraus bildet sich ein Preisniveau, das die Krankenkasse bereit ist, zu bezahlen. Überlegungen einzelner Kassen, Produkte auch für Profilierung zu nutzen, fallen hier selbstredend weg, denn der Vergütungsbetrag gilt für alle Versicherten gleichermaßen.

Für Investitionsentscheidungen sollte daher diese Rechnung aufgemacht werden: Für welche Patientengruppe soll die DiGA eingesetzt werden? An welcher Stelle der Versorgung und was wären die alternativen Versorgungsangebote? Welche dieser alternativen Versorgungsangebote können in welchem Ausmaß vermieden werden? Oder welche Folgeerscheinungen können durch den Einsatz vermieden werden? Wenn das dann wiederum in Studien nachweisbar ist, und die Höhe einen auskömmlichen Businessplan verspricht, kann eine DiGA erfolgreich werden.

 

Der Blick in die Zukunft

Das Preisniveau der DiGA wird gegenüber diesen allerersten Preisen sinken. Das war angesichts der getroffenen politischen Entscheidungen auch keine Überraschung: Bei einem Jahr relativer Preisfreiheit und dem Damoklesschwert Vergütungsverhandlungen ist ein „Puffer“ beim Preis selbstverständlich, wenn noch kein vergleichbares Preisniveau verhandelt und öffentlich ist. Durch die enge Regulierung hat der Gesetzgeber selbst dazu beigetragen, dass die Preise so hoch sind.

Der zweite Aspekt der hohen Preise sind die Anforderungen, die an DiGA gestellt werden: Zertifizierung als Medizinprodukt, zusätzliche Zertifikate für Datenschutz und Datensicherheit, ergänzende Anforderungen an die Barrierefreiheit und den Anschluss an die elektronische Patientenakte bedeuten jeweils auch dauerhafte Kosten, denn die Zertifikate stellen auf eine bestimmte Architektur des Produktes ab. Um Datenschutz dauerhaft sicherzustellen, reicht es nicht nur, einmalig etwas einzurichten. Es muss dauerhaft sichergestellt werden, dass neue Bedrohungen berücksichtigt und Anpassungen vorgenommen werden. Das heißt: Es entstehen Personalkosten, Kosten für Rezertifizierungen, Kosten für bestimmte qualifizierte Dienstleister, die wiederum die Anforderungen erfüllen… Eine DiGA ist also nicht ein einmalig fertigstelltes und dann automatisch laufendes Produkt, es erfordert permanente technische Betreuung. Und natürlich permanenten Support für die Anwender:innen, für die verordnenden Ärzt:innen, um sicherzustellen, dass die medizinischen Angaben immer aktuell sind…

Vor diesem Hintergrund werden sich DiGA dauerhaft in den Bereichen etablieren können, deren Alternativversorgung auf einem Preisniveau liegt, das die Kosten refinanzierbar macht – vor dem Hintergrund der erwartbaren Patientenzahlen. Größere Indikationsbereiche mit vielleicht auch jüngeren Versicherten können geringere Einzelpreise verkraften als „kleine“, mit wenigen Erkrankten, die zudem vielleicht weniger digital affin sind.

Was die DiGA nach der Erfahrung der ersten knapp zwei Jahre noch leisten müssen, ist eine bessere Vermarktung bei der Ärzteschaft. Noch immer ist dort viel Vorbehalt zu hören, Unkenntnis wird beklagt, was häufig in der Forderung mündet, die DiGA selbst ausprobieren zu wollen. Jedem Hersteller sei hier vermutlich Entgegenkommen empfohlen, deutlich wird an dieser Forderung aber vor allem: Es fehlt den Ärzt:innen an Informationen. Ein Arzneimittel wird von den Ärzt:innen auch nicht selbst ausprobiert. Die dort eingeübten Vermarktungspfade, über Kongresse, Besuche und abgegebene Muster, informieren die Ärzteschaft aber augenscheinlich. Diese Wege müssen auch digitale Angebote in angepasster Weise entwickeln. Fortbildungsveranstaltungen, Auftritte mit dem Produkt dort, wo über die Versorgung der Indikation gesprochen wird, Besuche/digitales Marketing…

Der Phantasie sind keine Grenzen gesetzt. Ohne eine solche Informationsoffensive werden die Ärzt:innen die DiGA aber nicht verordnen. Sie müssen von der Wirksamkeit und dem Wert der DiGA überzeugt sein, dann können sie geeignete Patient:innen ansprechen und verordnen. Und wenn die DiGA dann hält, was sie verspricht, werden die Verordnungszahlen auch steigen können.

 

[1] https://schiedsstelle.de/schiedsstellen/134_abs_3_sgv_v/134.jsp unter „Dokumente“

[2] Die Grundlage für die Berechnungen ist immer der Tagestherapiepreis. Gelten für eine DiGA andere Verordnungszeiträume als das Quartal, sind diese zu berücksichtigen. Hier wurden Quartalspreise gewählt und gerundet dargestellt, um die Größenordnungen besser fassbar zu machen und weil die meisten DiGA quartalsweise verordnet werden. Das gilt auch für den Schwellenwert.

 

 

Weitere Beiträge von Pia Maier zum Thema im Observer Gesundheit: 

Höchstbeträge für DiGA, Observer Gesundheit, 23. Dezember 2021,

Verhandeln mit der Rahmenvereinbarung, Observer Gesundheit, 16. April 2021,

Droht das Aus vor dem Durchstarten?, Observer Gesundheit, 15. Dezember 2020,

Was dürfen DIGA kosten?, Observer Gesundheit, 2. Oktober 2020,

Digitale Gesundheitsanwendungen – Chance für das Gesundheitswesen, Observer Gesundheit, 24. Januar 2020.


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