Hilfe zum Suizid: Selbstbestimmung sichern, Alternativen aufzeigen

Nach der Orientierungsdebatte im Bundestag

Kathrin Vogler MdB, Fraktion DIE LINKE

Das Bundesverfassungsgericht hat im Februar des letzten Jahres den vom Deutschen Bundestag in nach ausführlicher Debatte und mit großer Mehrheit beschlossenen §217 StGB, der die absichtlich und geschäftsmäßig betriebene Förderung des Suizid unter Strafe gestellt hat, aufgehoben und damit den rechtlichen Zustand vor der Gesetzesänderung wieder hergestellt. Diejenigen Vereine und Personen, die mit mehr oder weniger öffentlicher Werbung ein angeblich „humanes“ Sterben propagieren, haben also ihre Tätigkeit wieder aufgenommen, wenn auch zu konstatieren ist, dass sie dies nun erheblich unauffälliger tun.

Der Verein „Sterbehilfe Deutschland“, der seinen Sitz in der Schweiz hat, hat nach eigenen Angaben im ersten Jahr nach dem Urteil 103 Menschen in den Suizid „begleitet“ und konnte seine Mitgliederzahl deutlich steigern. Über die Mitgliederentwicklung und die Vereinsaktivitäten von Dignitas Deutschland gibt es auf dessen Website keinerlei transparente Informationen und wie viele Privatpersonen in Deutschland wiederholt, also geschäftsmäßig die Selbsttötung fördern ist unbekannt.

 

Gesetzgeber muss sich Aufgabe stellen

Das Verfassungsgericht konstatierte in seinem Urteil, der §217 verenge die Möglichkeit einer assistierten Selbsttötung in einem Maße, dass dem einzelnen faktisch kein Raum zur Wahrnehmung seiner verfassungsrechtlich geschützten Freiheit, über sein eigenes Leben und Sterben zu verfügen, bleibe. Gleichwohl sei der hohe Rang, den die Verfassung Leben und Autonomie beimisst, grundsätzlich auch geeignet, diese mit dem Instrument des Strafrechts zu schützen.

Der Gesetzgeber steht nun vor einer Aufgabe, die der Quadratur des Kreises ähnelt, der er sich jedoch nicht entziehen darf. Er muss klären, wie die Selbstbestimmung Suizidwilliger gesichert werden kann, sowohl gegen Beeinflussung und Druck von außen als auch gegenüber inneren Faktoren, die die Fähigkeit von Menschen zur freiverantwortlichen Entscheidung unter bestimmten Umständen beeinträchtigen. Er darf sich dieser schwierigen Aufgabe nicht entziehen, sollte sie jedoch nicht ohne ausführliche wissenschaftliche, medizinische, juristische und ethische Beratung zu lösen versuchen. Und dann muss er Regelungen erarbeiten, die in klar zu definierenden Einzelfällen den Zugang Sterbewilliger zu Suizidmitteln ermöglicht, ohne damit die Bemühungen zur Suizidprävention zu konterkarieren.

 

Strittig ist Androhung strafrechtlicher Konsequenzen

In der Orientierungsdebatte des Bundestags wurden die verschiedenen Perspektiven deutlich, mit der die Abgeordneten quer durch die Fraktionen an diese Aufgabe herangehen. Eine große Mehrheit der Rednerinnen und Redner sprach sich für gesetzliche Regelungen aus, welche die Bedingungen festlegen, unter denen Sterbewilligen der Zugang zu tödlichen Mitteln ermöglicht werden soll. Strittig ist neben vielen prozeduralen Einzelfragen vor allem, ob diese Regelung auch strafrechtliche Konsequenzen androhen soll. Ich persönlich bin der Auffassung, dass es mit rein zivilrechtlichen Regularien nicht getan sein wird, schon deswegen, weil das ursprüngliche Ziel des Gesetzgebers, das Geschäftsmodell der Sterbehilfevereine zu unterbinden, nur dann Bestand haben wird, wenn eine Strafrechtsnorm deren Tätigkeitsbereich eingrenzt. Denn zum Glück ist das Vereinsrecht in Deutschland sehr frei gestaltet und ein Eingriff in diese Freiheit ist nur unter sehr begrenzten Bedingungen möglich.

Auf jeden Fall muss meines Erachtens die Beratung und Begleitung von Suizidwilligen von der Verschaffung eines tödlich wirkenden Mittels vollständig getrennt werden, damit im Vorfeld eines geplanten Suizids alle Möglichkeiten genutzt werden können, den Betroffenen Alternativen aufzuzeigen. Aus der Suizidforschung wissen wir, dass es vor allem zwei Faktoren sind, welche die Zahl der Suizide signifikant erhöhen: Der in der menschlichen Psyche vorhandene Nachahmungstrieb („Werther-Effekt“) und die einfache Verfügbarkeit von Suizidmitteln. Ebenso spielen sozikulturelle Faktoren eine Rolle, etwa ob der Suizid allein als Entscheidung des oder der Einzelnen oder als eingebettet in den sozialen Kontext wahrgenommen wird.

 

Suizidhilfe ist Ausnahme von der Regel

Insofern hat der Gesetzgeber hier auch die Verantwortung, bei seiner Entscheidung künftige Auswirkungen auf dieses soziokulturelle Gefüge zu berücksichtigen. Schafft er Gesetze, die den freien Zugang zu Suizidmitteln als Norm setzen oder drückt er den Willen aus, Suizidhilfe als Ausnahme von der Regel zu definieren – für die weitere Entwicklung unserer Gesellschaft ist das entscheidend. Ich werbe ausdrücklich für das Letztere. Suizidalität ist nicht automatisch ein Ausdruck des Wunsches, tot zu sein, sondern oft das Ergebnis einer als ausweglos empfundenen Situation, in der der betroffene Mensch keine Hoffnung mehr hat, sein Leben wieder als lebenswert empfinden zu kommen. Etwa 90 % derer, die nach einem Suizidversuch gerettet werden, versuchen nie wieder sich das Leben zu nehmen. Ob die Gesellschaft in dieser Situation Alternativen aufzeigt, die zum Weiterleben ermutigen oder den einfachen Weg in den Tod als soziale Norm etabliert, macht einen riesigen Unterschied bei den Bemühungen, Menschen in Krisen aufzufangen und ihnen neue Perspektiven zu geben.


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