29.09.2022
Herbstfest des AOK-Bundesverbandes
Schon wenige Tage vor dem Herbstfest des AOK-Bundesverbandes geistert es durch die Szene. Nicht der Bundesgesundheitsminister hält das Grußwort, sondern Gerald Gaß, Vorstandsvorsitzender der DKG: ein Novum. Gaß und die Vorstandsvorsitzende des AOK-Bundesverbandes Carola Reimann machen ihren Unmut über die derzeitige Gesundheitspolitik, insbesondere der aktuellen Gesetzgebung, denn auch in ihren Reden reichlich Luft. Süffisant: Da schießen zwei SPD-Mitglieder gegen den SPD-Minister. Lauterbach bleibt nichts anderes übrig, als sich anschließend zu erklären, und er kündigt eine Krankenhausreform an, die bereits „in Konturen am Himmel steht“.
Sehr geehrter Minister, lieber Karl, liebe Abgeordnete – so setzt die Chefin des AOK-Bundesverbandes an. Es sei ein offenes Geheimnis, dass es viel Unmut über das GKV-Finanzstabilisierungsgesetz gebe. „Das eine oder andere werden Sie im Zwiegespräch dann vorgetragen bekommen“, sagt sie, und fürwahr: Das Thema ist an diesem Abend präsent. Lösungen müssten endlich zu jenen Problemen gefunden werden, die schon vorher angestanden hätten. Reimann geht es konkret um die Finanzierung der Pflege- und Krankenversicherung und den Aufbau von zukunftsfähigen Versorgungsstrukturen.
Reimann: Alarmstufe Rot für Finanzierung der Pflege und der GKV
Bei vielen Themen sitze man in einem Boot – Krankenhäuser und Kassen. Gemeinsam müsse man beispielsweise die Ergebnisse der Krankenhauskommission abwarten. „Weil wir nicht dabei sind“, empört sich Reimann. So geschehen, als einen Tag vor dem Herbstfest Vorschläge zur Ambulantisierung von vollstationären Leistungen von Lauterbach und Kommissionsvorsitzendem präsentiert worden seien. Die Reaktion der Krankenkassen: „kollektives Kopfschütteln“. Reimanns Fazit: Die Beteiligung von Krankenhäusern und Krankenkassen in dieser Kommission wäre am Ende zweckdienlicher.
Gespannt sei sie, wie das BMG im kommenden Jahr Pflege- und Gesundheitsversorgung sicherstellen wolle. Das Motto „Alarmstufe Rot“ gelte nicht nur für die Krankenhäuser, sondern auch für die Finanzierung der Pflege und der Krankenkassen, auch mit Blick auf die Belastung der Versicherten und Arbeitgeber. Die Ampel habe sich in ihrem Koalitionsvertrag das Ziel einer verlässlichen und stabilen Finanzierung gesetzt. „Auf die Umsetzung warten wir – Kassen und Krankenhäuser – dringend“, betont Reimann in Richtung des Bundesgesundheitsministers. Und dann lobt Reimann, dass zwischen DKG und AOK-Bundesverband „in vielen Dingen die Einigkeit“ überwiege: bei der medizinischen Versorgung oder bei einem steuerfinanzierten Inflationsausgleich. Auf das Dilemma der nicht ausreichenden Investitionsfinanzierung würden Kassen und Krankenkassen seit Jahren hinweisen.
DKG und Krankenkassen stehen Seite an Seite in diesen Tagen und Monaten, betont denn auch DKG-Vorstandsvorsitzender Gerald Gaß: „Es ist gut, dass wir die Gemeinsamkeiten deutlich machen.“ Der eine oder andere unterstelle ein unversöhnliches Gegeneinander – es sei ein respektvoll, wertschätzender Umgang.
Gaß: Forderung nach politischen Rahmenbedingungen
Natürlich gibt es laut Gaß eine unterschiedliche Interessenslage im Detail. Ein gemeinsames Ziel stehe dem jedoch gegenüber: der Erhalt der sozialen Infrastruktur und der ausreichenden Finanzierung der gesetzlichen Krankenkassen. Krankenhäuser und Kassen seien gemeinsam in der Lage, auf der Bundesebene Reformvorhaben zu stemmen. Gaß erinnert an die DRG-Reform – Kassen und Krankenhäuser hätten dies als Selbstverwaltung „in die Hand genommen und ausgestaltet“. Ganz falsch sei es nicht, dass Krankenkassen auch als harte Sanierer des Systems und Krankenhäuser als Bremser und Kulturbewahrer in Verhandlungen wahrgenommen würden.
Gaß führt das auch auf das Versagen der Politik: Kassen glauben, dass wisse Gaß, nicht mehr an die Fähigkeit der Politik, große Strukturreformen auf den Weg zu bringen. Sie würden mit ihren Mitteln versuchen, dies zu erreichen bzw. zu verändern. Krankenhäuser treibe wiederum die Sorge um, dass in einem ungeordneten Strukturwandel Standorten die Existenzgrundlage genommen werde ohne Perspektive. Das Ergebnis sei ein kalter Strukturwandel. Man wehre sich gegen „diesen ungeordneten Prozess“.
Die Strukturen in unveränderter Form könnten nicht mehr ohne weiteres so weitergeführt werden: schon aufgrund des Fachkräftemangels. Politische Rahmenbedingungen seien erforderlich, ein Konsens von Bund und Ländern. Gaß: „Weniger Krankenhausbetten, weniger Standorte, aber auch andere Strukturen sind erforderlich.“ Die Politik müsse dem endlich gerecht werden.
Lauterbach: Krankenhausreform „in Konturen am Himmel“
Minister Lauterbach, der – so ist im Vorfeld zu hören – nicht reden will, geht doch auf die Bühne. Und was tut er zuerst. Er dankt; dieses Mal den Krankenkassen für „eine phantastische Leistung“, die sie während der Pandemie erbracht haben. In der Regel sei er nett, aber weniger zu beeinflussen, sagt Lauterbach mit Blick auf seine im Frühjahr beim AOK-Fest genannten Eckpunkte zum GKV-Finanzstabilisierungsgesetz. „Im Großen und Ganzen“ sei er bei seinen Vorstellungen geblieben. Er sei immer bereit, über seinen Vorschlag zu reden. Bevor man Steuermittel in das System bringt, die Beitragssätze erhöht, bevor man zusätzliche Belastungen beschließt, müsse man jedoch an die Effizienzreserven des Systems herangehen. „Das macht niemand gern“, versucht er sich zu rechtfertigen und schiebt ein „mit Augenmaß“ nach.
Wieso nehme er jedoch nicht mehr Geld von Christian Lindner, wie so nehme er nicht mehr für ALG-II? Wieso werde der Bundeszuschuss nicht dynamisiert. Lauterbach übersetzt das für sich so: „Die Effizienzreserven werden nicht angetastet.“ Das möchte er nicht. Und dann betont er noch: „Wir haben noch genug Gelegenheit, frisches Geld in das System zu bringen.“ Kopfschütteln und missbilligende Blicke können sich einige Gäste nicht ersparen.
Schön ist, dass auch Lauterbach erhebliche Defizite in der GKV-Finanzierung und auch Pflegeversicherung sieht. Nach dem GKV-Finanzstabilisierungsgesetz höre er sich gern die Vorschläge an. Vieles wird nach seiner Ansicht „aus der ständigen Perspektive von Lobbyisten hervorgetragen“ und nicht aus dem Blickwinkel, wo die Effizienzreserve zu heben seien. Die kurzfristige Deckungslücke ergebe sich im Krankenhaus aus der Energieproblematik und der medizinischen Inflation, die zu Liquiditätsproblemen führen könnten. „Schnelle und gute Lösungen“ müsste man hier haben. In der Pflege gebe es Energie und Heizung. Lauterbach verweist auf die Wohngeldregelung und den Heizkostenzuschuss, beides im Kabinett bereits beschlossen.
Und weil Lauterbach gerade im Redefluss ist, stellt er gleich noch mal die anstehenden Aktivitäten im BMG vor. Herausnahme der Kinderheilkunde aus dem DRG-System – damit werde man beginnen. Die Geburtshilfe und die Pädiatrie würden folgen. Ein anderes System der Notfallversorgung komme danach; zudem auch die Umsetzung des Vorschlags Regierungskommission Krankenhaus der Tagesbehandlung. Eine große Krankenhausreform kündigt Lauterbach dann an. Sie erscheine bereits „in Konturen am Himmel“. Die Weiterentwicklung der DRG würden dazu gehören.
Vorschläge liefert wiederum die Regierungskommission. Wenn sie denn da seien, würden sie „mit allen“ besprochen. Es gebe Anhörungen und dann werden mit den Ländern politische Umsetzungen gemacht. Wiederum blicken verkniffene Gesichter auf den Minister. An den Gesundheitskiosken hält der Minister fest. „Wir müssen an einer Finanzierungsreform der GKV und der Pflegeversicherung arbeiten“, sagt Lauterbach. Eine sehr große Aufgabe stehe dann in der Digitalisierung an. Lauterbach, der in der Öffentlichkeit als Ankündigungsminister bekannt ist, hält mit dieser Rede Wort. Auch mit seinem so bekannten Spruch, dass er dankbar sei für alle Hinweise und sich auf die Zusammenarbeit „mit Ihnen allen“ freue.
So recht glauben will ihm das keiner mehr. Die Hoffnung besteht für viele Akteure jetzt, sich zusammenzuschließen – DKG und AOK-Bundesverband haben schon mal ein Zeichen gesetzt. Einige verweisen auf Sachsen-Anhalt, wo ein neues Bündnis aus Handwerk, Arbeitgebern, Gewerkschaften, Krankenkassen und Ärzten entstanden ist. Auf die Politik setzt – so wird aus zahlreichen Gesprächen klar – jedenfalls keiner mehr so recht.
Fina Geschonneck
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