07.11.2019
Health-i-Award 2019
Was einen Techniker Krankenkasse (TK) und Handelsblatt – auf den ersten Blick nichts. Seit 2016 gibt es eine Gemeinsamkeit: die Suche nach jungen Gründern, die das Gesundheitswesen mit ihren Ideen bereichern. Einmal im Jahr bekommen die besten von ihnen den Health-i-Award.
Die Preisverleihung im Kühlhaus Berlin in Schöneberg in diesem Jahr war, wie sollte es anders sein, sehr hipp. Moderatorin Johanna Klum, bekannt an der Seite von Oliver Pocher oder Wayne Carpendale, entzückte vor allem die männlichen Gäste. Klum gab dem Jens (Baas), Vorstandschef der TK, und dem Sven (Afhüppe), Handelsblatt Chefredakteur, fröhlich und locker ihre Stichworte. Stimmung also bestens.
Der Abend des 7. November war zudem perfekt gewählt. Wenige Stunden vorher hatte der Bundestag das DVG verabschiedet. Afhüppe meinte denn auch, das Schönste sei, dass es jetzt Apps auf Rezept gebe. Die Krankenkassen hätten da ja mitgearbeitet, so der Handelsblatt-Chefredakteur: „Jens vorneweg“, erfuhr der Gast. Der wiederum freute sich über das Besondere der Aktion: das Zusammenkommen einer Kasse und Start-ups.
Und die sind fürwahr die Nutznießer, wie Mona Späth und Hanna Jakob von neolexon berichteten. Vor zwei Jahren gewannen sie den Preis in der Kategorie „Junge Talente“ mit ihrer Sprachtherapie-App. Mittlerweile haben die beiden Frauen die eigene Firma gegründet und 2018 ihre Entwicklungen kostenpflichtig gemacht. Zwei Apps sind derzeit auf dem Markt – für Patienten mit Hirnschädigungen und für Kinder mit Artikulationsstörungen. Letztere wird gemeinsam mit der TK angeboten. Künftig beschäftigt die beiden Frauen aber vor allem eins: Kostenerstattung – das große Thema für die Start-ups.
Gottfried Ludewig, Abteilungsleiter für Digitalisierung im Bundesgesundheitsministerium, übernahm die Verleihung der diesjährigen Jungen Talente. Das BMG ist Schirmherr Health-i-Award. Doch zuvor lobte sich Ludewig erst einmal selbst und seine Mitarbeiter. Elektronische Patientenakte 2021, elektronisches Rezept 2020 – „wir werden es einführen und erlauben“, so Ludewig. Das Thema Telemedizin und Videosprechstunden – auch dies werde nicht länger ein Traum bleiben. „Wir werden es bezahlen“, sagte der BMG-Mann. Zwar sind es vor allem die Versicherten – geschenkt.
Ludewig sprach auch die kurz vor der Verabschiedung des DVG aufgekommene Debatte zur Sammlung von Forschungsdaten an. „Bar jedes Sachverhaltes, bar jeder Kenntnis“ sei eine „Skandalisierung sondergleichen“ betrieben worden, erregte sich Ludewig. Die Koalition habe jedoch Wort gehalten – das Forschungsdatenzentrum wurde beschlossen. Und natürlich durften die Apps auf Rezept nicht fehlen. Kritiker hätten zu Beginn der Vorschläge seitens des BMG gemutmaßt, dass dies eine Spielerei sei. „Das macht der Jens Spahn nur, weil es so unfassbar cool ist, Apps auf dem Handy zu haben – was für ein Blödsinn“, sagte der BMG-Mann. Die Apps seien die Zukunft für eine bessere Versorgung und Deutschland das erste Land, „das mit einem solchen Modell voran geht.“ Applaus im Saal – die Start-ups freute es.
Da passten die Gewinner des Preises Christina Roitzheim und Team mit ihrer App „Contenance“ hervorragend. Contenance ist der erste mobile und geführte Coach zur Verhinderung eines als problematisch zu bezeichnenden Smartphone-Verhaltens, auch Handysucht genannt. Das Training basiert auf Ansätzen der kognitiven Verhaltenstherapie und übersetzt die evidenzbasierten Inhalte in einfach zu nutzende Text- und Audio-Übungen. Der Markt sei riesig, so die Jury; das Geschäftsmodell solide. Auf die Frage, warum Smartphone gegen Handysucht, nannte Roitzheim drei Gründe: bewusste Auseinandersetzung mit der eigenen Nutzung. Bei keinem anderen Medium erreiche man zudem so viele Menschen. Die größte Herausforderung der psychotherapeutischen Methoden sei außerdem der Transfer in den Alltag. Verhaltensmuster müssten gelernt werden. Es sei wie Schwimmen lernen – um in kritischen Momenten nicht unterzugehen, müsse man einfach ins Wasser, so Roitzheim.
Optimale Versorgung nach dem Krankenhausaufenthalt – das ist das Ziel des Start-up Recare GmbH: Gewinner in der Kategorie „Unternehmen“. Eigentlich hat jeder Patient einen rechtlichen Anspruch auf ein funktionierendes Entlassmanagement – so steht es im § 39 SGB V. Es funktioniert aber in den meisten Fällen nicht; Patienten werden vertröstet auf eine anschließende Pflege, die Reha dauert. Hier setzt Recare an. Das Unternehmen optimiert den Entlassprozess von Patienten in Krankenhäusern, indem durch eine Plattform die Anschlussversorgung digital koordiniert werden kann. Ein selbstlernender Algorithmus findet auf Basis eines Patientenprofils relevante Nachsorgeeinrichtungen (z.B. Pflegedienste oder Reha-Kliniken) und reserviert dort Kapazitäten für einen guten Übergang am geplanten Entlasstag. Mehr als 130 Krankenhäuser mit über 10.000 Einrichtungen, die die anschließende Betreuung des Patienten übernehmen, sind derzeit bei Recare. Unternehmer Maximilian Greschke bezeichnete Recare als eine Art booking.com. Finanziert wird die Leistung über das Krankenhaus: ein lernendes System „Schritt für Schritt.“ Boardpatin Brigitte Zypries, ehemalige Bundeswirtschaftsministerium, gratulierte und hoffte, „dass ich die App nie brauche.“
Den Gewinner in der dritten Kategorie „Start-ups“ konnte das Publikum wählen. Zuvor gab es eine Kurzvorstellung des Unternehmens und eine Fragerunde. Bedient wurde sich des erfolgreichen Formats „Höhle der Löwen“. Drei Minuten Zeit hatten die Jungunternehmer, um sich zu präsentieren, Fragen wurden anschließend von einer Jury gestellt – mit TK und Handelsblatt an Bord. Nur so viel: Das Original ist besser.
Doch das Produkt der Sieger wird vor allem die Krankenkassen, aber auch Apotheker in gute Laune versetzen. Die Plattform der Scanacs GmbH stellt einen neuen Standard in der Rezeptprüfung und Abrechnung zwischen Krankenkassen und Apotheken auf. Scanacs bietet die Möglichkeit zum bedarfsgerechten elektronischen Austausch von Informationen in Echtzeit. Für den häufig über Monate dauernden Prüfprozess zur Erstattung eines Arzneimittels benötigt scanacs nur wenige Sekunden. Bisher nicht nur eine langwierige, sondern auch teure Angelegenheit. Prozesskosten in Höhe von 150 Millionen Euro verursacht der Ablauf, berichtete Frank Böhme von Scanacs: Schnelligkeit und dabei Abbau von Bürokratie dank Innovation. Und das Wichtigste teilte Frank Böhme zum Schluss mit: Das Bundesversicherungsamt hat für die Scanacs-Plattform bereits grünes Licht gegeben. Leuchtende Augen im Saal, auch bei TK-Vorstandschef Jens Baas. Die Siemens BKK übrigens hat bereits im Frühjahr den ersten Vertrag mit Scanacs unterzeichnet.
Der Abend zeigte eins – viele, junge Talente haben grandiose Ideen, die danach rufen, öffentlich zu werden. Der Health-i-Award trägt mit dazu bei.
Fina Geschonneck
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