Gute Versorgung statt Kapitalinteressen – Medizinische Versorgungszentren als Teil der ambulanten Versorgung

Dr. Achim Kessler MdB, Sprecher für Gesundheitsökonomie und Obmann im Ausschuss für Gesundheit der Fraktion DIE LINKE. im Bundestag

Seit 2004 gibt es in Deutschland die Möglichkeit, Medizinische Versorgungszentren (MVZ) zu gründen. MVZ wurden als Möglichkeit gesehen, Kooperation im ärztlichen Bereich zu fördern und eine umfassende Versorgung „aus einer Hand“ anzubieten. Mit dem GKV-Versorgungsstrukturgesetz wurde geregelt, dass MVZ nur von Ärztinnen und Ärzten sowie von Krankenhäusern und Erbringern nichtärztlicher Dialyseleistungen betrieben werden dürfen, um auszuschließen, dass Kapitalinteressen medizinische Entscheidungen beeinflussen. Seit 2015 sind auch kommunale MVZ möglich.

Für Finanzinvestoren, zum Beispiel Private-Equity-Fonds, gibt es allerdings trotzdem Mittel und Wege, Medizinische Versorgungszentren zu betreiben. Private Equity Fonds und Finanzinvestoren geht es um wachsende Märkte, um Rendite und Gewinnmaximierung. Im Bereich der zahnärztlichen Versorgung ist es Groß- und Finanzinvestoren bereits gelungen, breit Fuß zu fassen. Meine Kleine Anfrage an die Bundesregierung zum Thema „Kapitalinteressen bei der Übernahme von medizinischen Versorgungszentren“ (BT- Drs. 19/4926) hatte zum Ziel, Informationen über die Entwicklung und Struktur der Versorgung über Medizinische Versorgungszentren und über die Rolle von Private Equity und Finanzinvestoren in diesem Bereich zu erhalten.

 

Wachsende Bedeutung Medizinischer Versorgungszentren

Für Ärztinnen und Ärzte stellen Medizinische Versorgungszentren eine Alternative zur eigenen Niederlassung dar, da es hier die Möglichkeit zu einer Festanstellung, zur Realisierung moderner Arbeitszeitkonzepte und zur Teilung von Räumen und organisatorischen Aufgaben gibt. Ursprünglich als grundsätzlich fachübergreifend konzipiert, wurden im Jahr 2015 mit dem GKV-Versorgungsstärkungsgesetz die Gründung fachgleicher Medizinischer Versorgungszentren ermöglicht.

Die Zahl der Medizinischen Versorgungszentren hat sich mit einem Anstieg von 665 im Jahr 2005 auf 2.821 im Jahr 2017 in diesem Zeitraum mehr als vervierfacht. Die Bedeutungszunahme der MVZ zeigt sich auch an der Gesamtzahl der angestellten Ärztinnen und Ärzte, die von 1.696 im Jahr 2006 auf 16.419 im Jahr 2017 stieg.

 

Finanzinvestoren als Träger Medizinischer Versorgungszentren

Die bisherige Umsetzung dieser grundsätzlich vielversprechenden Organisationsform bietet allerdings ein Einfallstor für das Eindringen von Kapitalinteressen in die ambulante Versorgung. Die bestehenden gesetzlichen Vorgaben ermöglichten Umgehungsstrategien für Investoren und Private Equity-Fonds, um Medizinische Versorgungszentren zu gründen. Eine Strategie dabei ist der Kauf eines Krankenhauses, um in den Besitz einer MVZ-Trägerschaft zu gelangen. Um die erforderlichen Arztsitze für eine MVZ-Gründung zu erhalten, werden teilweise Arztsitze aufgekauft. Eine Ärztin oder ein Arzt kann auch den eigenen Sitz in das MVZ einbringen, wenn sie oder er dann in den MVZ tätig sind. Finanzinvestoren sahen dies als weiteren Weg, lukrative Versorgungszentren gründen zu können. Mit einer vergleichsweise kurzen Beschäftigungsdauer kann so das übliche Nachbesetzungsverfahren des Arztsitzes umgangen werden. Die Übernahme von (Zahn-) Arztpraxen erfolgt teils auch über sogenannte Asset-Deals, wobei der Investor nur die Wirtschaftsgüter, wie Gebäude oder Geräte, kauft und diese an die früheren Eigentümer gewinnbringend vermietet werden.

 

Ein Bereich mit hoher Intransparenz

Der größte Anstieg fand bei den krankenhausbetriebenen MVZ statt: Hier stieg die Anzahl von 211 im Jahr 2006 auf 1169 im Jahr 2017. In ihrer Antwort auf unsere Kleine Anfrage zum Thema „Kapitalinteressen bei der Übernahme von Medizinischen Versorgungszentren“ stellt die Bundesregierung dar, dass ihr keine differenzierten Daten zur Trägerschaft durch Krankenhäuser vorliegen. Mit anderen Worten: Die Bundesregierung weiß nicht, wie viele MVZ durch privatisierte Krankenhäuser gegründet wurden und damit potentiell Investitionsobjekt von Kapitalgesellschaften sind. Nach Aussage der Bundesregierung kann auch eine verlässliche Zuordnung der Träger zu Private Equity im ärztlichen Bereich nicht vorgenommen werden. Auch kann sie weder Aussagen dazu machen, inwiefern sich MVZ in Private Equity-Hand auf besonders profitable Versorgungsbereiche konzentrieren, noch liegen ihr Informationen zu so genannten Asset-Deals und die Wiederveräußerungen von MVZ durch private Finanzinvestoren vor. Im Bereich der kassenzahnärztlichen Versorgung liegen konkrete Zahlen vor: Bundesweit sind es nunmehr 60 MVZ, die Finanzinvestoren mittelbar oder unmittelbar zuzurechnen sind. Diese Entwicklung startete 2015. Für das dritte Quartal 2018 rechne die Kassenzahnärztliche Bundesvereinigung mit einem weiteren Anstieg.

 

Medizinische Versorgungszentren als Möglichkeit, die Versorgungsqualität und -sicherheit zu verbessern

Wer bislang der Vorstellung anhing, dass Medizinische Versorgungszentren einen Beitrag zur Verbesserung der Versorgung im ländlichen Raum leisten, wird durch die bisherige Entwicklung eines Besseren belehrt.

Medizinische Versorgungszentren sollten zwar – laut Bundesregierung – „insbesondere auch in ländlichen und strukturschwachen Gebieten“ dazu beitragen, die Versorgung zu verbessern. Doch die Zuwächse der Zahl der MVZs in den letzten fünf Jahren kommen kaum der Versorgung in ländlichen und strukturschwachen Regionen zugute. Gerademal 14 Prozent der MVZ befindet sich in ländlichen Gemeinden. Den größten Anteil haben die Großstädte, und damit Regionen, die für die Leistungserbringer attraktiver, in denen die Versorgung einfacher und die Ertragsmöglichkeiten höher sind. Bei zahnärztlichen Medizinischen Versorgungszentren befinden sich nur 3,4 Prozent in einer Landgemeinde; kleine Kleinstädte hinzugezählt sind es 9,2 Prozent. Lediglich 5 Prozent der Hausärztinnen und Hausärzte arbeiten in MVZs. Die neuen Regelungen für den Betrieb von MVZ durch Kommunen bleiben dagegen weitgehend wirkungslos: In kommunaler Trägerschaft sind bislang nur vier 4 Medizinische Versorgungszentren.

 

Wir brauchen Transparenz. Die Sicherung der Versorgungsqualität muss im Vordergrund stehen.  

Bislang plant die Bundesregierung keine Maßnahmen, Licht in den Trägerdschungel zu bringen und etwa verbindliche Meldepflichten zur Trägerstruktur einzuführen. Allerdings – so die Antwort auf unsere Kleine Anfrage, beobachte sie die Entwicklung der Übernahme von MVZ sehr sorgfältig und prüfe, inwieweit es weiterer Maßnahmen bedürfe. Es drängt sich sicherlich nicht nur mir die Frage auf, auf welcher Grundlage das nun eigentlich erfolgen soll.

Wer in Deutschland ein Krankenhaus kauft, darf nach heutigem Stand beliebig viele MVZs in ganz Deutschland betreiben. Die Regionalität ist dabei nicht sichergestellt, auch nicht der fachliche Bezug. Hinsichtlich möglicher Regelungen zu beiden Aspekten  – so die Antwort der Bundesregierung – werde zurzeit „diskutiert“.

Medizinische Versorgungszentren wurden eingeführt, um eine medizinische Versorgung „aus einer Hand“ anbieten zu können. MVZ können die Versorgung in Deutschland verbessern, wenn sie dort eine moderne interdisziplinäre Versorgung anbieten, wo sie dringend gebraucht wird: auf dem Land und in strukturschwachen Regionen. Doch die Entwicklung hin zu spezialisierten MVZ in der Stadt bringen den Patientinnen und Patienten, die um ihre künftige medizinische Versorgung bangen, herzlich wenig.

Der Bundesregierung ist die Problematik bekannt, denn sie hat sie ja bereits frühzeitig selbst als Problem formuliert. Dennoch sieht sie der Entwicklung bislang tatenlos zu. Solange keine Maßnahmen getroffen werden, dem Einhalt zu gebieten oder auch nur für verlässliche Informationen über diesen Ausverkauf der ambulanten Versorgung in Deutschland zu sorgen, nimmt sie diese Entwicklung billigend in Kauf. Die angekündigten Einschränkungen, zum Beispiel die Beschränkung der Gründungsbefugnis von nichtärztlichen Dialyseerbringern durch das geplante Terminservice- und Versorgungsgesetz (TSVG), sind nicht mehr als ein Tropfen auf den heißen Stein und gehen am Kernproblem, dem MVZ-Betrieb über privatisierte Krankenhäuser, vorbei.

Profitinteressen haben in der Gesundheitsversorgung aus meiner Sicht nichts zu suchen. Es ist dringend geboten, Transparenz in diesen Bereich zu bringen. Wir brauchen darüber hinaus Untersuchungen zu konkreten Auswirkungen auf die Behandlungs- oder Betreuungsqualität und langfristig auch zu Auswirkungen auf die Arbeitsbedingungen der betroffenen Beschäftigten. Zugleich gilt es, Kommunen zu stärken und zu unterstützen, die ihrerseits das Ziel haben, regionale Gesundheitszentren zu gründen, in der eine hochwertige und interdisziplinäre Behandlung erfolgen kann. Dazu gehören eine bessere finanzielle Ausstattung, Unterstützung des Aus­tauschs mit anderen Kommunen und Unterstützern und Beratung.


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