Große Sorge um die medizinische Versorgung in der EU

Erster Hoffnungsschimmer seitens der Gesundheitskommission / Aktivitäten bis Dezember angekündigt

Dr. Peter Liese, CDU-Europaabgeordneter und gesundheitspolitischer Sprecher der EVP-Fraktion im Europäischen Parlament

Ich mache mir große Sorgen um die medizinische Versorgung in der Europäischen Union. Viele lebenswichtige Medizinprodukte stehen vor dem Aus, weil die Umsetzung der Medizinprodukteverordnung in ihrer jetzigen Form zu zahlreichen Problemen führt. Wir müssen die Warnungen der Medizinproduktehersteller und insbesondere die der Ärzte endlich ernst nehmen. Am Ende wird es sonst besonders Produkte, die etwa in der Kinderchirurgie oder in der Kinderkardiologie eingesetzt werden, treffen.

Die EU-Medizinprodukteverordnung war am 25. Mai 2017 verabschiedet worden. Unter ihr müssen alle Produkte erneute Zertifizierungen, welche mit einem hohen bürokratischen und finanziellen Aufwand einhergehen, erlangen. Das führt dazu, dass zahlreiche, teils lebenswichtige Medizinprodukte vom Markt genommen werden. Insbesondere Nischenprodukte, gerade für Kinder, die es nur in kleiner Auflage gibt, sind betroffen. Schon bei der Verabschiedung haben wir Probleme gesehen, doch leider gab es im Europäischen Parlament in vielen Fragen eine Mehrheit gegen die Christdemokraten und im Rat gegen Deutschland. Trotzdem habe auch ich die aufkommenden Schwierigkeiten, die sicherlich durch Brexit und die Pandemie verschärft wurden, nicht voll abschätzen können. Umso wichtiger ist es mir persönlich, deshalb nun für eine schnelle Abhilfe für unsere Patientensicherheit zu sorgen – dafür sind Anstrengungen auf allen Ebenen notwendig.

 

Forderungen an die Kommission und die Bundesregierung

Ich glaube weiterhin, dass es gut und notwendig war, die Verordnung zu erneuern, um weitere Skandale zu verhindern, die Sicherheit bei Medizinprodukten zu gewährleisten und Betrügern beispielsweise durch unangemeldete Kontrollen den Garaus zu machen. Trotzdem sind wir mit der Verordnung dann doch über das Ziel hinausgeschossen, und ich denke, dass wir auf europäischer Ebene noch mal an den Gesetzestext müssen. Ich bin dafür, unter Auflagen die Möglichkeit zur Verlängerung von Übergangsfristen für Bestandsprodukte, also Produkte, welche sich seit Jahren ohne Auffälligkeit bewährt gemacht haben, einzubauen.

Für Nischenprodukte, insbesondere im Bereich der Kinderkardiologie und Kinderchirurgie, müssen die Lösungen allerdings weitergehen. Ich habe selbst in einer Kinderklinik gearbeitet und höre in vielen Gesprächen mit Kollegen immer wieder, dass bereits jetzt konkrete Instrumente zur Behandlung von herzkranken Kindern fehlen. Für diese Produkte muss es ein geändertes Zulassungsverfahren geben. Hier benötigt es eine mittel- und langfristige Ergänzung, ähnlich der „Orphan Device Regulation“ in den Vereinigten Staaten.

Zusammen mit Angelika Niebler (EVP-CSU) setze ich mich seit Monaten für diese Forderungen an höchster Stelle der Europäischen Kommission ein. Dabei sind wir mit einer Anfrage zur mündlichen Beantwortung an die Kommission auch über die parlamentarischen Instanzen gegangen. Die Anfrage hat es auf die Agenda der letzten Plenumssitzung in Straßburg (November II) geschafft und beinhaltete drei ganz wesentliche Punkte: 1) Die Sicherstellung der Verfügbarkeit von Medizinprodukten, insbesondere in Krankenhäusern, 2) Eine Änderung der Verordnung für die Weitergeltung bestehender Zertifikate, wenn die Neuzertifizierung noch nicht abgeschlossen werden konnte, und 3) die langfristige Sicherung der Versorgung mit Nischenprodukten.

Neben dem Druck auf europäischer Ebene müssen wir aber auch die Mitgliedsstaaten in die Pflicht nehmen. Im Oktober habe ich mich zusammen mit Frau Niebler und fünf weiteren Bundestagskollegen an Karl Lauterbach (SPD) gewandt. Er muss jetzt endlich dafür sorgen, dass Deutschland die Handlungsmöglichkeiten, die es bereits in der bestehenden Gesetzgebung gibt, voll nutzt. Die Verordnung gibt den Regierungen die Option, Ausnahmegenehmigungen zu erlassen, um Engpässe zu verhindern. Das wird in Deutschland nicht in ausreichendem Maße getan. Frankreich macht das besser. Die Regierung sollte sich zudem beim Kapazitätsaufbau für die Benannten Stellen besser engagieren. Hersteller müssen planen können, deshalb müssen die Kriterien, die Prüfzeit und die Kosten eines Antrags klar kommuniziert werden.

 

Kommission bewegt sich

Es gibt allerdings gute Nachrichten. Ich habe sowohl von der EU-Gesundheitskommissarin Stella Kyriakides als auch der Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen bereits vor längerer Zeit bestätigt bekommen, dass die Kommission noch dieses Jahr einen Vorschlag vorlegen wird, der essentielle Medizinprodukte im Markt halten soll. Die Gesundheitskommissarin hat am vergangenen Donnerstag, in Reaktion auf meine mündliche Anfrage, nun auch endlich öffentlich verkündet, dass bis Dezember 2022 sowohl legislative Maßnahmen, als auch andere Aktivtäten von der Kommission vorgeschlagen werden. Ich fühle mich durch diese Reaktion sehr ermutigt, aber gleichzeitig gilt es nun sicherzustellen, dass dieser Vorschlag die Mängel auch wirklich ausmerzt und dass dieser dann so schnell wie möglich im Parlament angenommen wird. Hierfür werde ich mich mit allen Kräften einsetzen. Es würde mich umso mehr freuen, wenn unser Gesundheitsminister an der Problematik ähnlich engagiert wäre – auf meinen Brief hat er zumindest noch keine Antwort geben können oder wollen.


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