19.09.2024
Gesellschaftsabend des Hausärztinnen- und Hausärzteverbandes im Tipi am Kanzleramt
Deutliche Worte der Bundesvorsitzenden, Eins-a-Rhetorik des Bundesgesundheitsministers, große Tanzfreude der Gäste: Der Hausärztinnen- und Hausärzteverband kann Klartext plus Feier im Tipi am Kanzleramt.
Dance your troubles away – das war der Name eines Albums (und eines Songs darauf), das die Band Archie Bell & the Drells 1975 veröffentlichte. Und es ist ein gutes Rezept gegen Sorgen aller Art. Die werden nicht allein durch Gesetzgebung verursacht. Launig müsse er als Bundesvorsitzender des Hausärztinnen- und Hausärzteverbandes (HÄV) reden beim Gesellschaftsabend, gibt Dr. Markus Beier einen Rat an ihn zum Besten, aber: „Die Situation ist nicht launig.“ Mit Bezug auf Landtagswahlen, Rechtsruck, antidemokratische Äußerungen stellt er klar: „Die Menschen, um die wir uns kümmern, sind bunt und divers. Unsere Arbeit, unsere Teams funktionieren nur, wenn Vielfalt möglich ist.“
Auch die Bundesvorsitzende Prof. Dr. Nicola Buhlinger-Göpfarth positioniert sich eindeutig. Eine vorurteilsfreie Behandlung sei Teil des professionellen Selbstverständnisses. Das werde man im HÄV hochhalten: „Unsere Praxen bleiben bunt.“ Dass die hausärztliche Versorgung vielerorts schwieriger wird, hält sie für allgemeinpolitisch relevant: Ein niedrigschwelliger Zugang zur Gesundheitsversorgung sei „ein demokratiestabilisierender Faktor“. Deshalb: „Die hausärztliche Versorgung muss dringend gestärkt werden.“
Womit sie zum Gesundheitsversorgungsstärkungsgesetz (GVSG) kommt, das „immer weiter nach hinten verschoben wird“. Beier ergänzt: „Das Gesetz muss dieses Jahr noch kommen.“ Detaillierter und schroffer haben sich beide am Morgen bei einer Pressekonferenz positioniert, mit Kritik an der Lauterbachschen Ankündigungsprosa. Ohne GVSG wird es nichts mit der Entbudgetierung des hausärztlichen Honorars. Zwar ist inzwischen jeder siebte gesetzlich Krankenversicherte in die Hausarztzentrierte Versorgung (HZV) eingeschrieben, wie Buhlinger-Göpfarth berichtet, und löst eine entsprechende nicht budgetierte Honorierung aus, die der HÄV verhandelt hat. Aber sechs von sieben Versicherten sind es eben nicht.
Am Abend sind nun alle im Tipi am Kanzleramt gespannt, wie sich Karl Lauterbach aus der GVSG-Affäre ziehen wird. Es bleibt festzuhalten: Rhetorisch eins a, zumindest anfangs. Er kommt erst gegen 21 Uhr. Da haben alle schon leckere Speisen genosssen sowie das ein oder andere getrunken. Er habe ein „Luxusproblem“, so der Bundesgesundheitsminister am Rednerpult mit Anspielung aufs GVSG: „Auf meine Gesetze wird wenigstens noch sehnsüchtig gewartet.“ Damit gehe es ihm besser als manchem Ressortkollegen: „Nicht jedes Gesetz wird in diesen Tagen als eine Verheißung gesehen.“ Gelächter, Beifall.
Letzteres erst recht, als Lauterbach behauptet: „Dieses Gesetz wird nicht auf die lange Bank geschoben.“ Die Verbesserung der hausärztlichen Versorgung „steht nicht zur Disposition und wird kommen“. Es folgt bekannte Ankündigungsprosa, aber der Minister kommt dennoch gut an. Sowieso, als er die Anfangsstatements der HÄV-Bundesvorsitzenden und ihr Eintreten für Vielfalt und Diversität lobt. Darin habe man in ihm „einen kompromisslosen Freund“.
Vermutlich sind auch Nichtmitglieder des HÄV, die aufs GVSG warten, beim schokoladig-fruchtigen Nachtisch schon wieder ernüchtert. Aber eingeladen wurde ja unter dem Motto: „Let’s HÄV some fun!“ Also erst mal zur Tanzfläche, alles Weitere findet sich.
Sabine Rieser
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