Gemeinsame Zielsetzung der Leitungen fördert Patientensicherheit

Aktuelle deutsche Studie auf Intensivstationen der Neonatologie: Kooperation und Sicherheitsverständnis unter Mitarbeitern wirken positiv



Eine effektive Zusammenarbeit zwischen Ärzten und Pflegepersonal ist erforderlich, um die Sicherheit für jeden einzelnen Patienten im Krankenhaus gewährleisten zu können. Insbesondere Fehler im kommunikativen Austausch von beteiligten Berufsgruppen haben erhebliche Folgen für die Patientenversorgung [1]. Vor allem Intensivstationen stellen im Anbetracht der multidisziplinären Aufgabenverteilung einen sehr sicherheitsempfindlichen Bereich dar [2]. Umso wichtiger ist es, dass gerade hier alle Ärzte und Pfleger ein identisches sicherheitsorientiertes Verständnis zur Patientenversorgung haben. Grund ist, dass das Sicherheitsklima nachweislich Auswirkungen auf das Wohlbefinden des Patienten hat [3]. Unter Sicherheitsklima ist dabei die gemeinsame Auffassung aller Teammitglieder / Mitarbeiter zum Stellenwert von sicherheitsorientiertem Verhalten, Verfahren oder Aktivitäten auf der Station zu verstehen.

Nicht immer sind sich Ärzte und Pflegepersonal über die Zielsetzung in der Gesundheitsversorgung einig [4], wodurch die Patientensicherheit beeinträchtigen werden kann [1]. Dies könnte vor allem ein Problem für das Sicherheitsklima auf Intensivstationen darstellen, bei der ein funktionierendes Zusammenspiel zwischen ärztlicher und pflegerischer Leitung („Co-Leadership“) gefragt ist. Wenn zwei gleichgestellte Führungskräfte die gemeinsame Führungsverantwortung für einen bestimmten Bereich übernehmen, wird dies auch als Co-Leadership bezeichnet. Diese Form der Führung kommt beispielsweise in Krankenhäusern vor, wo es ärztliche sowie pflegerische Leitungen gibt. Dass das Sicherheitsklima einen Einfluss auf die Patientensicherheit hat, konnte bereits in der Vergangenheit nachgewiesen werden [3]. Bislang ist jedoch nur wenig bekannt über den Einfluss von Co-Leaderships auf das Sicherheitsklima und welche Rolle kooperative Normen der Mitarbeiter dabei einnehmen können. Kooperative Normen beschreiben den Umfang, in dem Mitarbeiter wahrnehmen, dass die Kooperation zwischen beteiligten Berufsgruppen geschätzt und erwartet wird.

Eine Studie [5] untersucht daher im Anbetracht der bestehenden Forschungslücke, inwieweit das Ausmaß einer gemeinsamen Co-Leadership-Zielsetzung die kooperativen Normen und das Sicherheitsklima unter pflegerischen und ärztlichen Mitarbeitern auf Intensivstationen  in der Neonatologie beeinflussen kann. Selbst wenn die ärztliche und pflegerische Leitung unterschiedliche Aufgabenschwerpunkte haben, so können diese sich auch in den allgemeinen Grundsätzen einig sein. Eine „Gemeinsame Zielsetzung“ beschreibt somit das Ausmaß, in dem Individuen gemeinsame Ziele aufweisen und die gleichen Intentionen verfolgen.

Die Studiendaten basieren auf einer Umfrage, die in Deutschland zwischen September 2015 und August 2016 durchgeführt wurde. In Abhängigkeit zur Position (d.h. Führungskraft oder Mitarbeiter) und Berufsgruppe (d.h. Arzt oder Pfleger) wurden unterschiedliche Fragebögen ausgehändigt. Insgesamt haben sich 86 Intensivstationen der Neonatologie bereit erklärt, an der Studie teilzunehmen. Ausgefüllte Fragebögen wurden von 76 ärztlichen Leitungen, 78 pflegerischen Leitungen, 496 angestellten Ärzten und 1.406 Pflegekräften eingereicht. Von den 86 Intensivstationen wurden 70 berücksichtigt, weil Stationen unter anderem bei unvollständigen bzw. fehlenden Fragebögen der erforderlichen Positionen und Berufsgruppen von der Auswertung ausgeschlossen wurden. Die finale Stichprobe umfasst 70 Intensivstationen der Neonatologie mit den entsprechenden Mitarbeitern (= 1.182 Pfleger und 440 Ärzte) sowie Co-Leaderships.

Eine gemeinsame Co-Leadership-Zielsetzung wurde anhand des Ausmaßes gemessen, in dem ärztliche und pflegerische Leitung wahrnehmen, dass sie eine gemeinsame Zielsetzung aufweisen. Das Sicherheitsklima wurde durch den Anteil an positiven Antworten von den Stationsmitarbeitern zum Sicherheitsklima bestimmt. Anhand einer 7-Item-Skala (von „stimme gar nicht zu“ bis „stimme vollkommen zu“) mussten die Mitarbeiter bspw. zu folgender Aussage Stellung beziehen: „Auf dieser Intensivstation der Neonatologie ist es schwierig, Fehler zu besprechen.“ Insgesamt wurden in der Studie vier Hypothesen (siehe Abbildung) mittels multivariater Regressionsanalyse untersucht. Hierbei werden mehrere Outcomes (z.B. Sicherheitsklima und kooperative Normen) und deren Einflussfaktoren analysiert. Folgende Zusammenhänge bzgl. des stationsbasierten Sicherheitsklimas wurden überprüft:

 

Quelle: In Anlehnung an Kuntz et al. (2018).

 

Beeinflusst das Ausmaß einer gemeinsamen Co-Leadership-Zielsetzung das stationsbasierte Sicherheitsklima positiv?

Gemeinsame Co-Leadership-Zielsetzung & Sicherheitsklima (Hypothese 1):

Eine gemeinsame Zielsetzung fördert die Bereitschaft zum Wissensaustausch unter Organisationsmitgliedern [6]. Kuntz et al. [5] argumentieren, dass das Ausmaß einer gemeinsamen Co-Leadership-Zielsetzung auf neonatalen Intensivstationen förderlich ist für den Austausch von sicherheits- und behandlungsrelevanten Informationen, die bspw. Inhalte zu Art und Umfang sowie zur Kontrolle der Pflege auf Station beinhalten können. Durch diesen Austausch zwischen der ärztlichen und pflegerischen Leitung werden Mitarbeiter hinsichtlich des Stellenwertes von sicherheitsorientierten Verhalten sensibilisiert, was das Sicherheitsklima auf Stationsebene berufsgruppenübergreifend unterstützt. Mittels eines Regressionsmodells konnte ein positiver Zusammenhang zwischen dem Ausmaß einer gemeinsamen Co-Leadership-Zielsetzung und dem Sicherheitsklima nachgewiesen werden.

 

Beeinflusst das Ausmaß einer gemeinsamen Co-Leadership-Zielsetzung die Team-Normen zur berufsübergreifenden Kooperation unter den Mitarbeitern positiv?

Gemeinsame Co-Leadership-Zielsetzung & Kooperative Normen (Hypothese 2):

Soziale Normen sind Verhaltensregeln hinsichtlich des gesellschaftlichen Umgangs miteinander, die abhängig von Bedingungen zur Kultur und Gesellschaft unterschiedliche Formen annehmen können. Vor allem sind Normen mit den jeweiligen gesellschaftlichen Erwartungen an das Verhalten einer Person verknüpft. Team-Normen sind informelle Regeln unter Mitarbeitern [7], welche bspw. Erwartungen für ein akzeptables und kooperatives Verhalten untereinanderbeinhalten können. Diese Team-Normen werden in Bezug auf Verhaltensweisen entwickelt, um Aufgaben durchzuführen, die durch Interaktionen zwischen Leitung und Mitarbeitern gekennzeichnet sind [8]. Untersuchungen haben gezeigt, dass die Erwartungen von Führungskräften Einfluss auf die Normenentwicklung der Mitarbeiter haben können [9]. Zusammenfassend verfestigen sich Team-Normen zur berufsgruppenübergreifenden Kooperation auf Stationen in Form von Regeln zur Interaktion zwischen Ärzten und Pflegepersonal. Durch die weitreichende Funktion der Erwartungen und Verhaltensweisen von Führungskräften auf die Einstellung sowie das Verhalten der Mitarbeiter lässt sich ein positiver Zusammenhang zwischen einer gemeinsamen Co-Leadership-Zielsetzung und den kooperativen Normen der Stationsmitarbeiter herleiten, welcher durch eine weitere Regressionsanalyse von Kuntz et al. [5] nachgewiesen werden konnte.

 

Beeinflussen die Team-Normen zur berufsübergreifenden Kooperation unter Mitarbeitern das Sicherheitsklima?

Kooperative Normen & Sicherheitsklima (Hypothese 3):

In der Studie wird die begründete Annahme getroffen, dass die Patientensicherheit durch die Kooperation zwischen Ärzten und Pflegepersonal beeinflusst wird. Zudem tragen die in diesem Kontext relevanten kooperativen Normen zu einem wertschätzenden Austausch zwischen den beiden beteiligten Berufsgruppen bei, der die Effektivität aller Stationsmitarbeiter unterstützt. Dadurch, dass kooperative Normen einen übergreifenden Informationsaustausch fördern, kann von einem sicherheitsorientierten Verhalten unter den Stationsmitarbeitern ausgegangen werden. Dass kooperative Normen einen positiven Einfluss auf das Sicherheitsklima haben, konnte in den Studienergebnissen durch ein weiteres Regressionsmodell festgestellt werden.

 

Ist der positive Zusammenhang zwischen einer gemeinsamen Co-Leadership-Zielsetzung und dem stationsbasierten Sicherheitsklima unter anderem mit den kooperativen Normen der Mitarbeiter zu erklären?

Vermittlungseffekt durch Kooperative Normen (Hypothese 4):

Im letzten Schritt untersucht die Studie, inwieweit der positive Zusammenhang zwischen einer gemeinsamen Co-Leadership-Zielsetzung und dem Sicherheitsklima durch kooperative Normen der Mitarbeiter bedingt ist. Kuntz et al. gehen jedoch nur von einer anteiligen Beeinträchtigung durch kooperative Normen (auch: partieller Vermittlungseffekt) aus, da Führungskräfte neben ihrem Einfluss auf kooperative Normen auch mit anderen Elementen das Sicherheitsklima nachweislich stärken können, z.B. durch Sicherheitsschulungen und durch Optimierung von Umgebungsbedingungen [10]. Von einem partiellen Vermittlungseffekt kann ausgegangen werden, wenn der Einschluss der Vermittlungsvariable (hier: Kooperative Normen) in das Regressionsmodell zur Hypothese 1 eine nachweisbare Reduktion des direkten ursprünglichen Effektes (hier: Gemeinsame Co-Leadership-Zielsetzung & Sicherheitsklima) hervorruft. Das Regressionsmodell zur Hypothese 3 stellt eine Erweiterung des Regressionsmodells der Hypothese 1 durch das Hinzufügen der Vermittlungsvariable „Kooperative Normen“ dar. Unter anderem konnte mit einem Vergleich der beiden Regressionsmodelle der angenommene partielle Vermittlungseffekt von kooperativen Normen nachgewiesen werden, d.h. eine signifikante Modelanpassung und Veränderung der Koeffizienten zur gemeinsamen Zielsetzung.

 

Was bedeuten die Studienergebnisse für die Praxis?

Ziel der Studie war es, die Funktion einer gemeinsamen Co-Leadership Zielsetzung auf kooperative Normen und das Sicherheitsklima von Intensivstationsmitarbeitern der Neonatologie zu untersuchen. Ein positiver Zusammenhang zwischen einer gemeinsamen Zielsetzung auf Co-Führungsebene und dem Sicherheitsklima konnte festgestellt werden (siehe Hypothese 1). Außerdem konnte die Variable „Kooperative Normen“ teilweise als Erklärung für die nachgewiesene Beziehung zwischen der Führungskraft und dem Sicherheitsklima identifiziert werden (siehe Hypothese 4). Die Erkenntnisse aus der Studie sowie dessen Implikationen sind auch für Krankenhäuser außerhalb Deutschlands von Interesse.

Die Auffassungen von Co-Leaderships sollte als ein entscheidender Faktor für das Management zur berufsgruppenübergreifenden Kooperation betrachtet werden. Ferner sollten Krankenhäuser, welche die Einführung eines Sicherheitsklimas anstreben, eine Wahrnehmung zwischen der ärztlichen und pflegerischen Leitung gestalten, die ein gemeinsames Verständnis sowie Vision umfasst. Eine Möglichkeit hierfür stellen bspw. Team-Leadership-Trainings dar. Die fehlenden Pflegekräfte sowie steigende Fallzahlen im deutschen Gesundheitswesen sorgen für eine Überlastungssituation unter den Ärzten und Pflegepersonal, was ein Risiko für die Patientensicherheit darstellt. Unter diesen Aspekt ist es nochmals entscheidend, eine gemeinsame Co-Leadership-Zielsetzung anzustreben, da diese die Kooperation zwischen den beteiligten Berufsgruppen stärkt und somit Behandlungsfehler resultierend aus mangelnden berufsgruppenübergreifenden Interaktionen vermieden werden können. Es bleibt abzuwarten, welchen Effekt die ab dem 1. Januar in Kraft getretene Personaluntergrenzen-Verordnung (PpUGV) auf die Versorgungsqualität haben wird. Weiterhin sollte jedoch die Stärkung der Patientensicherheit durch eine Förderung einer gemeinsamen Co-Leadership-Zielsetzung angestrebt werden.

Die ärztlichen und pflegerischen Leitungen auf Intensivstationen der Neonatologie sollen ihre fundamentale Rolle in der Beeinträchtigung von Normen der Mitarbeiter anerkennen, da die Einigkeit bzw. Uneinigkeit über eine gemeinsame Zielsetzung einen maßgeblichen Einfluss auf die berufsgruppenübergreifende Kooperation hat und damit auch auf die Patientensicherheit.

 

  1. Weller, J., M. Boyd, and D. Cumin, Teams, tribes and patient safety: overcoming barriers to effective teamwork in healthcare. Postgrad Med J, 2014. 90(1061): p. 149-54.
  2. Manser, T., Teamwork and patient safety in dynamic domains of healthcare: a review of the literature. Acta Anaesthesiol Scand, 2009. 53(2): p. 143-51.
  3. Singer, S., S. Lin, A. Falwell, D. Gaba, and L. Baker, Relationship of safety climate and safety performance in hospitals. Health Serv Res, 2009. 44(2 Pt 1): p. 399-421.
  4. Garman, A.N., D.C. Leach, and N. Spector, Worldviews in collision: Conflict and collaboration across professional lines. Journal of Organizational Behavior, 2006. 27(7): p. 829-849.
  5. Kuntz, L., N. Scholten, H. Wilhelm, M. Wittland, and H.A. Hillen, The benefits of agreeing on what matters most: Team cooperative norms mediate the effect of co-leaders‘ shared goals on safety climate in neonatal intensive care units. Health Care Manage Rev, 2018.
  6. Chow, W.S. and L.S. Chan, Social network, social trust and shared goals in organizational knowledge sharing. Information & Management, 2008. 45(7): p. 458-465.
  7. Hackman, J.R., Group influences on individuals in organizations, in Handbook of industrial and organizational psychology, M.D. Dunnette, & Hough, L. M., Editor. 1992, Consulting Psychologists Press: Paolo Alto, CA. p. 199-267.
  8. Feldman, D.C., The Development and Enforcement of Group Norms. Academy of Management Review, 1984. 9(1): p. 47-53.
  9. Taggar, S. and R. Ellis, The role of leaders in shaping formal team nonns. Leadership Quarterly, 2007. 18(2): p. 105-120.
  10. DeJoy, D.M., B.S. Schaffer, M.G. Wilson, R.J. Vandenberg, and M.M. Butts, Creating safer workplaces: assessing the determinants and role of safety climate. Journal of Safety Research, 2004. 35(1): p. 81-90.

 

Redaktion / Ines Niehaus

 


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