GDAG: klare Rollenverteilung statt Mikromanagement

Dr. Jens Baas, Vorsitzender des Vorstands der Techniker Krankenkasse (TK)

Ein gutes Jahr vor Ende der Legislaturperiode bleiben von A wie Ambulantisierung bis Z wie „Zuschuss dynamisieren“ noch viele gesundheitspolitische Baustellen offen. Eine positive Ausnahme ist der Bereich Digitalisierung, denn hier ist tatsächlich einiges passiert: Mit dem Gesetz zur Schaffung einer Digitalagentur Gesundheit (GDAG) geht bereits das dritte BMG-Gesetz mit digitalem Schwerpunkt an den Start. Sein Ziel ist, die Kompetenzen in der digitalen Infrastruktur zur bündeln.

Das ist schon allein wegen des Fortschreitens der Digitalisierung – von E-Rezept bis elektronischen Patientenakte (ePA) für alle – sinnvoll. Jedoch gilt es, bei diesem Umbau mit erheblicher Erweiterung der Kompetenzen der neuen Digitalagentur Gesundheit (bisher Gematik) genau hinzuschauen. Zum einen, weil der erfolgreiche Auf- und Ausbau der Infrastruktur das Tempo und die Qualität der Digitalisierung entscheidend mitbestimmt. Zum anderen, weil gut gemeint eben nicht automatisch gleich gut gemacht ist.

 

Eindeutige Rollendefinition für Digitalagentur erforderlich

Das gilt vor allem für das Herzstück des Gesetzes, die neue Rollendefinition der designierten Digitalagentur selbst. Diese muss ebenso sinnvoll wie eindeutig sein. Letzteres ist im aktuellen Entwurf nicht der Fall, denn hier finden sich unterschiedliche Kompetenzzuweisungen – je nachdem, ob man die Einführung oder den Gesetzestext selbst liest. Sinnvoll bedeutet, dass die Aufgabenteilung zwischen den an der Digitalisierung im Gesundheitswesen beteiligten Akteuren stimmt, sich also jeder auf seine jeweiligen Kernkompetenzen konzentriert und diese klar voneinander abgegrenzt sind. Die Kernaufgabe der Digitalagentur ist dabei, die Infrastruktur auszubauen und zu modernisieren und Krankenkassen und Leistungserbringern als Dienstleister zur Seite zu stehen.

Dazu gehört etwa die TI-Anbindung über Konnektoren zu gewährleisten, Zulassungen zu prüfen und zu erteilen oder die Messengerdienste KIM und TIM flächendeckend auf die Beine zu stellen. Die Leistungsfähigkeit dieser Infrastruktur ist entscheidend für den Fortschritt der Digitalisierung. Nicht zu den Aufgaben der Digitalagentur gehört hingegen eindeutig, mit selbstentwickelten Endkundenangeboten Neuland zu betreten.

 

Wettbewerb um Innovation und Service

Diese Aufgabe muss bei denjenigen verbleiben, für die es zum Tagesgeschäft gehört, sich um Kundenbelange zu kümmern und Kundenbedürfnisse zu antizipieren. Sprich: bei den Teilnehmern im Wettbewerb, deren Aufgabe das ist. Dahinter steht die grundsätzliche Überzeugung, dass das Gesundheitswesen dann am besten aufgestellt ist, wenn die Akteure den Ansporn haben, ihren Kundinnen und Kunden mehr zu bieten als andere. Das ist eine wichtige Grundlage für Innovationsgeist und Serviceorientierung – beides zentrale Erfolgskriterien für digitale Anwendungen.

Erfreulich ist, dass der Gesetzentwurf auch die wichtige Rolle von Praxisverwaltungssystemen (PVS) in den Blick nimmt. Denn die können zum Hemmschuh der Digitalisierung in den Praxen werden, wenn sie die Nutzung digitaler Anwendungen kompliziert machen oder einschränken, also die Nutzerfreundlichkeit fehlt. Allerdings gilt auch hier: Hinschauen, wo etwas – an klaren Indikatoren gemessen – nicht funktioniert, und dort zielgenau Abhilfe schaffen. Die Digitalagentur darf aber nicht zum Mikromanager für Endprodukte werden, indem sie beispielsweise kleinteilig Herstellern erklärt, wie Nutzerfreundlichkeit geht. Entscheidend ist die grundsätzliche Ausrichtung: Wo es um die Endkunden geht, gilt es, auf den Wettbewerb um das beste Produkt zu setzen. Dort wo dieser nicht funktioniert, muss gehandelt werden. Wie bei PVS-Systemen: Bis dato sind Wechsel für Praxen extrem aufwändig und daher äußerst selten. Entsprechend gering ist der Anreiz für Hersteller, volle Energie in die schnelle und nutzerfreundliche Einbindung digitaler Neuerungen zu stecken. Hier stellt der aktuelle Entwurf Motivationshilfen in Aussicht, indem er Anreize bzw. Pflichten für einfachere Wechsel setzt, zum Beispiel über Verpflichtungen zu interoperablen Datenformaten, und diesen durch mögliche Sanktionen Nachdruck verleiht.

 

Finanzierungsmodell nicht zukunftsweisend

Weniger zukunftsweisend ist das im Entwurf geplante Finanzierungsmodell für die Digitalagentur: Das Prinzip, die Beitragszahlerinnen und -zahler finanzieren Staatsaufgaben, ohne im Gegenzug wenigstens mitbestimmen zu dürfen, ist ein bedenklicher Trend, der sich nun auch im GDAG-Entwurf zeigt. Anstatt einer in Hinsicht auf eine faire Finanzierung sauberen Überführung in eine Bundesanstalt, sollen auch in der zukünftigen Digitalagentur genuin staatliche Hoheitsaufgaben durch Beitragsgelder finanziert werden, wobei bei Entscheidungen das BMG die Mehrheit hat. Das ist umso enttäuschender, als dass der Koalitionsvertrag der Ampelparteien ein staatlich finanziertes Modell vorsieht.

Worauf kommt es jetzt also an? Damit aus der Digitalagentur ein Erfolg wird, braucht es eine klare Rollendefinition mit einer klaren Aufgabenteilung: Die Digitalagentur kümmert sich um Auf- und Ausbau der Infrastruktur. Dort wo es um Entwicklungen für Endkunden geht, übernimmt der Wettbewerb. Die neue Agentur darf als Expertin für Grundsatzfragen nicht ins Mikromanagement abrutschen, indem sie eigene Angebote entwickelt oder kleinteilige Vorgaben für Wettbewerbsteilnehmer erstellt, wie deren Produkte für deren Kundinnen und Kunden am besten funktionieren. Dieser klare Rollenzuschnitt darf im anstehenden parlamentarischen Verfahren nicht aus dem Fokus geraten. Zielrichtung des GDAG muss sein, die besten Rahmenbedingungen für ein optimales Zusammenspiel zwischen den Akteuren zu schaffen, an den richtigen Stellen Impulse zu geben und die Stärken des Wettbewerbs zu nutzen, wo dies möglich und sinnvoll ist.


Observer Gesundheit Copyright
Alle Kommentare ansehen