01.08.2025
Fünf Schritte für nachhaltige Prävention
Was über den Erfolg des Lungenkrebsscreenings entscheidet
Dr. Niko Andre, Head Oncology AstraZeneca Deutschland
Mit seinem Beschluss, das Lungenkrebsscreening für Menschen mit hohem Risiko an Lungenkrebs zu erkranken als Kassenleistung einzuführen, hat der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) am 18. Juni nicht nur einen medizinisch überfälligen Schritt vollzogen, sondern auch mutige Weitsicht gezeigt: Evidenzbasierte Prävention wird zur Regelleistung, und Deutschland übernimmt eine Vorreiterrolle.
Was international vielerorts noch erprobt wird, ist in Deutschland nun mit klarer gesetzlicher Verankerung beschlossen. Auch wenn die flächendeckende Umsetzung laut G-BA erst ab April 2026 realistisch erscheint, wurde der Beschluss früher als erwartet gefasst – ein starkes Zeichen für den politischen Willen zur Präventionsstärkung.
Doch ein politischer Meilenstein allein reicht nicht – jetzt zählen die Details der Umsetzung. Fünf zentrale Handlungsfelder werden in den kommenden Jahren darüber entscheiden, ob das Lungenkrebsscreening in Deutschland tatsächlich erfolgreich wird: eine adäquate Vergütungsstruktur, rechtssichere Einladungssysteme, strukturiertes Adhärenzmanagement, begleitende Forschung und Evaluation sowie transparente Datenmechanismen. Das Zusammenspiel dieser Faktoren wird bestimmen, ob Prävention in Deutschland Fortschritt bringt oder im Symbolischen verharrt.
Globale Evidenz – und endlich nationale Daten
Dass LDCT-Screening in der Lungenkrebsprävention wirkt, ist längst evidenzbasierter Konsens. Die internationalen Studien NLST[1] (2011) und NELSON[2] (2020) haben in randomisierten Designs gezeigt: Bei klar definierten Hochrisikogruppen senkt LDCT-Screening die lungenkrebsbedingte Mortalität signifikant – um ca. 20%. Mit der HANSE-Studie[3][4] liegen nun erstmals robuste Daten aus dem deutschen Versorgungskontext vor. Als bislang größtes deutsches Früherkennungsprogramm mit über 12.000 Teilnehmenden hat der HANSE Lungen-Check den Wirksamkeitsnachweis unter praxisnahen Bedingungen erbracht. Die Studie hat zudem gezeigt, wie Menschen mit besonders hohem Lungenkrebsrisiko in Deutschland zuverlässig für das Screening identifiziert werden können. Damit ist die Evidenzbasis für die Einführung eines nationalen, risikobasierten Lungenkrebsscreenings nun auch im deutschen Kontext klar belegt.
Auch die ökonomische Seite ist geklärt: Mehrere gesundheitsökonomische Modelle belegen die Kosteneffektivität eines jährlichen LDCT-Screenings – nicht nur für Deutschland, sondern auch international[5]. Der wirtschaftliche Nutzen hängt dabei entscheidend von der gezielten Ansprache der Hochrisikogruppe, einer ausreichenden Teilnahmequote, dem Ausschluss ungeeigneter Personen, effizienten Screening-Intervallen und einem qualitätsgesicherten Befundmanagement ab. Damit ist das Screening nicht nur medizinisch, sondern auch gesundheitsökonomisch tragfähig begründet[6].
Vor diesem Hintergrund ist es konsequent, dass sich das Screening-Programm ausdrücklich an eine klar definierte Risikogruppe richtet: Menschen zwischen 50 und 75 Jahren mit signifikanter Rauchvergangenheit oder aktive, starke Raucher. Die Einschlusskriterien sind wissenschaftlich fundiert und klar geregelt[7]; das heißt, eingeladen werden gezielt diejenigen mit dem höchsten Risiko. Ein weiterer wichtiger Aspekt: Das Screening wird unbefristet in die Regelversorgung übernommen und durch verbindliche Vorgaben zu Evaluation und Monitoring flankiert – analog zu etablierten Früherkennungsprogrammen. Jetzt gilt es, diese Strukturen entschlossen und zeitnah umzusetzen.
Das Screening wurde bislang auf Basis von § 25 SGB V als Kassenleistung etabliert, jedoch mit ärztlicher Zuweisung als Voraussetzung. In der Versorgung zeigt sich jedoch, dass der Raucherstatus vieler Patient:innen nicht systematisch dokumentiert wird – zumal (Ex-)Raucher:innen häufig erst bei Symptomen den Kontakt zum Gesundheitssystem suchen. Die Identifikation der Zielgruppe und das Aufklärungsgespräch liegen damit bei Haus- und Fachärzt:innen, was erheblichen zeitlichen und beratenden Aufwand bedeutet und nur mit einer adäquaten Vergütungsstruktur realistisch zu stemmen ist.
Gleichzeitig stellen sowohl die radiologische Befundung als auch die Ergebnisvermittlung im Rahmen eines Low-Dose-CT komplexe und verantwortungsvolle Leistungen dar, die einer angemessenen Honorierung bedürfen. Ohne frühzeitige und nachvollziehbare Vergütungsregelungen für alle beteiligten Akteur:innen ist eine flächendeckende und zügige Umsetzung gefährdet – ebenso wie die nachhaltige Akzeptanz des Programms. Prävention bleibt eine leere Formel, wenn ökonomische Rahmenbedingungen und praktikable Strukturen fehlen.
Erfolgreiche Umsetzung entscheidend
Die gesellschaftliche Stigmatisierung von Raucher:innen ist Realität – verbunden mit Schuldzuweisungen, Scham und der Annahme, Prävention sei lediglich eine Frage der Eigenverantwortung. Der OECD[8]-Krebsbericht 2025 belegt: Deutschland liegt beim Tabakkonsum noch immer über dem EU-Durchschnitt. Prävention muss Zugang schaffen, nicht bewerten. Früherkennung ist kein Bonus für Risikoverhalten, sondern Voraussetzung für Chancengleichheit in einer solidarischen Gesundheitsversorgung.
Besonders langjährige Raucher:innen sind klassische Präventionsverlierer: Sie meiden Vorsorgeangebote und suchen den Kontakt zum Gesundheitssystem oft erst bei fortgeschrittener Erkrankung. Klassische Überweisungswege reichen nicht aus. Gezielte Ansprache entscheidet – wie die HANSE-Studie zeigt: 40 % der Teilnehmenden wurden durch ein persönliches Anschreiben aktiviert. Auch internationale Programme – etwa in Dänemark[9] und Großbritannien[10] – zeigen deutlich: Nur eine bundesweit koordinierte Einladung sichert die notwendige Reichweite, insbesondere auch für sozial benachteiligte Gruppen.
Das Kölner Pilotprojekt[11] knüpft hier an und prüft verschiedene Rekrutierungswege im deutschen Versorgungskontext – etwa die Kombination aus Online-Terminvergabe, risikobasierter Auswahl und standardisierter Ablauforganisation. Konsequenz: Ohne ein rechtlich verbindliches, zentral organisiertes Einladungssystem bleibt Prävention Stückwerk. Wer Reichweite und Wirkung will, muss diesen Baustein jetzt entschlossen verankern.
Im Folgenden die fünf Handlungsfelder, in denen sich jetzt entscheidet, ob das Lungenkrebsscreening in Deutschland erfolgreich wird:
- Adäquate Vergütung für Zuweiser:innen: Wer den Raucherstatus erhebt, die medizinische Eignung prüft und die Beratung bzw. Aufklärung übernimmt, benötigt eine angemessene und nachvollziehbare Honorarstruktur. Nur so kann der Einschluss geeigneter Patient:innen in diese Vorsorgemaßnahme nachhaltig sichergestellt werden.
- Frühzeitige Überführung in den § 25a SGB V: Nur dort lassen sich Einladungssysteme auf Kassenebene rechtssicher und flächendeckend etablieren. Das ist die Grundvoraussetzung für Reichweite und Gerechtigkeit.
- Strukturiertes Adhärenzmanagement & barrierearme Kommunikation: Regelmäßige, verständliche Ansprache sorgt dafür, dass die Teilnahme nicht einmalig bleibt, sondern langfristig gelingt.
- Begleitforschung und sozioökonomische Evaluation: Die systematische Nutzung und Auswertung der Erkenntnisse aus Pilotprojekten wie in Köln, aber auch aus Studien wie HANSE, ist essenziell, um das Lungenkrebsscreening zielgerichtet und wirksam weiterzuentwickeln.
- Transparente Datenmechanismen und Infrastruktur: Steuerung braucht Daten. Rücklaufquoten, Prozesskennzahlen und Compliance müssen messbar und auswertbar sein, um gezielt nachsteuern zu können.
Nur wenn diese Punkte konsequent umgesetzt werden, kann das Lungenkrebsscreening in Deutschland sein volles Potenzial entfalten – und vom gutgemeinten Angebot zum echten Fortschrittsmotor für Prävention und Überlebensverbesserung werden.
Zusammenspiel von Akteuren erforderlich
Das Fundament für ein wirksames Lungenkrebsscreening ist gelegt – jetzt entscheidet sich, ob aus einer politischen Entscheidung auch tatsächlicher Fortschritt in der Versorgung wird. Die wissenschaftliche Evidenz, die gesetzlichen Weichen und das Innovationspotenzial sind vorhanden. Damit dieser Aufbruch Bestand hat, müssen die fünf zentralen Schritte jetzt gemeinsam und mit Nachdruck angegangen werden. Es braucht das Zusammenspiel von Politik, Kassen, Ärzteschaft, Industrie und Betroffenen – klar, transparent und zielorientiert. Wer Verantwortung für Prävention übernehmen will, kommt um diese zentralen Maßnahmen nicht herum.
[1] National Lung Screening Trial Research Team, Aberle DR, Adams AM, Berg CD, Black WC, Clapp JD, Fagerstrom RM, Gareen IF, Gatsonis C, Marcus PM, Sicks JD. Reduced lung-cancer mortality with low-dose computed tomographic screening. N Engl J Med. 2011 Aug;365(5):395-409. doi: 10.1056/nejmoa1102873. PMID: 21714641; PMCID: PMC4356534.
[2] de Koning HJ, van der Aalst CM, de Jong PA, et al. Reduced Lung-Cancer Mortality with Volume CT Screening in a Randomized Trial. N Engl J Med. 2020;382(6):503-513. doi:10.1056/NEJMoa1911793
[3] Vogel-Claussen J, Lasch F, Bollmann B-A, et al. Design and Rationale of the HANSE Study: A Holistic German Lung Cancer Screening Trial Using Low-Dose Computed Tomography. Rofo 2022; 194: 1333–1345. doi:10.1055/a-1853-8291
[4] Vogel-Claussen J et al., WCLC 2023, Singapur and WCLC 2024, San Diego
| Effectiveness of NELSON versus PLCOm2012 lung cancer screening eligibility criteria: final analysis of the prospective German HANSE study
[5] Wait S, Alvarez-Rosete A, Osama T, et al. Implementing Lung Cancer Screening in Europe: Taking a Systems Approach. JTO Clin Res Rep. 2022;3(5):100329. Published 2022 Apr 22. doi:10.1016/j.jtocrr.2022.100329
[6] Bundesamt für Strahlenschutz (BfS). Wissenschaftliche Bewertung zur Strahlenexposition und zum Nutzen-Risiko-Verhältnis des LDCT-Screenings für Lungenkrebs. 2021/2022. https://www.bfs.de/DE/bfs/wissenschaft-forschung/medizin/abgeschlossen/lungenkrebs-screening.html
[7] Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften (AWMF), Deutsche Gesellschaft für Pneumologie und Beatmungsmedizin (DGP), Deutsche Krebsgesellschaft (DKG), et al. S3-Leitlinie Prävention, Diagnostik, Therapie und Nachsorge des Lungenkarzinoms – Kapitel: Lungenkrebsfrüherkennung. AWMF-Registernummer 020-007OL, Version 2.3, 08/2023. Verfügbar unter: https://register.awmf.org/de/leitlinien/detail/020-007OL
[8] OECD/European Union. Cancer Care: Lung Cancer – Country Profile Germany. In: OECD Cancer Country Profiles 2025. https://www.oecd.org/content/dam/oecd/en/publications/reports/2025/02/eu-country-cancer-profile-germany-2025_5a805dca/f3a3cfcf-en.pdf
[9] Pedersen JH, Ashraf H, Dirksen A, et al. The Danish randomized lung cancer CT screening trial–overall design and results of the prevalence round. J Thorac Oncol. 2009;4(5):608-614. doi:10.1097/JTO.0b013e3181a0d98f
[10] Field JK, Duffy SW, Baldwin DR, et al. The UK Lung Cancer Screening Trial: a pilot randomised controlled trial of low-dose computed tomography screening for the early detection of lung cancer. Health Technol Assess. 2016;20(40):1-146. doi:10.3310/hta20400
[11] Klinken der Stadt Köln gGmbH. Lungenklinik Merheim. Neue Studie: Schon jetzt ist ein Lungenkrebs-Screening von Raucher*innen in der Lungenklinik im Krankenhaus Merheim möglich; zuletzt aktualisiert am 15.07.2025. https://www.kliniken-koeln.de/Service_PressemitteilungLungenkrebsscreening.htm
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