Finanzkrise hat Auswirkungen auf Krankenhausbehandlungen

USA-Studienergebnisse: Krankenhäuser mit hohen Verlusten wählen bei Herzinfarktpatienten profitablere Behandlungsalternativen



Corona-Krise und Ukraine-Krise. Gegenwärtig steht die Regierung vor der Herausforderung, eine Finanzkrise nach der Nächsten zu bewältigen bzw. ihr entgegenzuwirken. Aber auch schon in der Vergangenheit waren Finanzkrisen präsent. So z. B. jene im Jahr 2008, ausgelöst durch das Platzen der Immobilienblase in den USA. Eine Studie von Adelino et al. [1] untersucht, ob Krankenhäuser nach einer Finanzkrise profitablere Behandlungsoptionen vorziehen und konzentriert sich dabei auf freigemeinnützige US-Krankenhäuser, die von der Finanzkrise 2008 betroffen waren. 

Freigemeinnützige Krankenhäuser in den USA beziehen einen Großteil ihrer Einnahmen nicht aus der Patientenversorgung, sondern z.B. aus staatlichen Fördermitteln, Gebühren für Besucher (z.B. Parkgebühren) oder sogenannte Stiftungsfonds [2]. Für einen Stiftungsfonds erhält ein freigemeinnütziges Krankenhaus zunächst eine Dotation von einem Geldgeber. Das Geld wird für den Stiftungsfonds genutzt, der Wertpapiere enthält. Die Kapitalerträge aus diesem Stiftungsfonds darf das Krankenhaus beispielsweise für Unternehmensinvestitionen verwenden (z.B. für den Anbau oder die Renovierung eines Klinikgebäudes).

 

Abbildung 1: Funktionsweise eines Stiftungsfonds für freigemeinnützige Krankenhäuser

 

Quelle: eigene Darstellung

 

Die Finanzkrise im Jahr 2008 hat dazu geführt, dass die Kapitalerträge aus den Stiftungsfonds in den USA stark zurückgegangen sind, sodass auch die krankenhausindividuellen Einkommen sanken. Somit hatten freigemeinnützige Krankenhäuser weniger finanzielle Mittel zur Verfügung, um Investitionen (weiter) zu finanzieren. Die Finanzkrise im Jahr 2008 hat freigemeinnützige Krankenhäuser aber auch unter anderen Gesichtspunkten vor wirtschaftliche Probleme gestellt. So haben sich beispielsweise die Fremdkapitalkosten erhöht, da die Anleiherenditen gestiegen sind. Zudem wurde über die Patientenversorgung ein geringeres Einkommen erzielt, da viele Patienten ebenfalls finanzielle Einschränkungen durch die Krise erfahren haben und nicht die nötigen Mittel hatten, um eine Krankenhausbehandlung zu bezahlen.

Es stellt sich die Frage: Wie haben die Krankenhäuser auf die Finanzkrise reagiert, um die finanziellen Verluste auszugleichen? Die Antwort hierzu liefert die Studie von Adelino et al. [1]. Hier wurde untersucht, ob Krankenhäuser nach der Finanzkrise vermehrt profitablere Behandlungen bei Herzinfarktpatienten durchgeführt haben, um finanzielle Verluste auszugleichen.

 

Studiendesign

Für die statistische Analyse wurden unterschiedliche Datensätze aus den Jahren 2005 bis 2011 zusammengeführt. Der finale Datensatz gibt Aufschluss über die Finanzsituationen, die durchgeführten Patientenbehandlungen und die ärztlichen Beschäftigungsverhältnisse in freigemeinnützigen US-Krankenhäusern.

Krankenhäuser wurden in die Analyse einbezogen, wenn folgende Einschlusskriterien erfüllt waren:

  • Umsatz: mindestens $1 Millionen
  • Sachanlagevermögen: mindestens $1 Millionen
  • Angabe zum Kapitalertrag im Jahr 2008
  • Mindestens 50 Herzinfarktpatienten zwischen 2005 und 2011
  • Herzkatheter-Untersuchungsrate: Mindestens 2 %.

So erfüllten 179 freigemeinnützige Krankenhäuser mit insgesamt 513.146 Herzinfarkteinweisungen die Einschlusskriterien.

Bei Herzinfarktpatienten können Ärzte eine invasive oder nicht-invasive Behandlung einleiten. Die invasive Behandlung (z.B. eine Bypass-Operation oder Angioplastie) ist für Krankenhäuser profitabler als die nicht-invasive Behandlungsalternative (d.h. die medikamentöse Therapie). Bevor eine invasive Behandlung eingeleitet werden kann, ist eine Herzkatheter-Untersuchung erforderlich. Adelino et al. [1] vergleichen die Herzkatheter-Untersuchungsraten der einzelnen Krankenhäuser vor und nach der Finanzkrise, um zu beurteilen, ob die Anzahl der profitableren invasiven Behandlungen zunahm.

Für die Einschätzung zur finanziellen Performance der Krankenhäuser im Jahr 2008 wurde sich auf die Kapitalerträge aus finanziellen Investitionen (z.B. Stiftungsfonds) konzentriert (siehe Abbildung 1). Um eine vergleichbare Kennzahl zwischen den eingeschlossenen Krankenhäusern zu schaffen, wurde berechnet, wie hoch der prozentuale Anteil der Kapitalerträge am Sachanlagevermögen war. Adelino et al. [1] bezeichnen die Kennzahl als finanzielle Investmentrendite. Je höher die Investmentrendite, umso höher ist der Erfolg durch finanzielle Investitionen.

 

Abbildung 2: Behandlungsentscheidungen bei Herzinfarktpatienten vor und nach der Finanzkrise 2008  

 

Quelle: vereinfachte Darstellung in Anlehnung an Adelino et al. [1] S. 13 (Hinweis: Minimale Abweichungen der Werte sind möglich.)

 

Ergebnis 1: Krankenhäuser, die durch eine Finanzkrise hohe Verluste erleiden, verzeichnen bei Herzinfarktpatienten vermehrt profitablere Behandlungsentscheidungen.

Abbildung 2 zeigt die zentralen Studienergebnisse zu den ärztlichen Behandlungsentscheidungen bei Herzinfarktpatienten. Zunächst wurden Krankenhäuser in 3 Gruppen eingeteilt. Hierbei wurde unterschieden, ob Krankenhäuser im Jahr 2005, also vor dem Ausbruch der Finanzkrise, eine niedrige (Gruppe 1), mittlere (Gruppe 2) oder hohe (Gruppe 3) Herzkatheter-Untersuchungsrate hatten.

Um den Einfluss der Finanzkrise zu beurteilen, wurde für jede Gruppe bestimmt, ob Krankenhäuser im Finanzkrisenjahr 2008 eine hohe oder niedrige Investmentrendite hatten. Ein Krankenhaus hatte eine hohe Investmentrendite, wenn es zu den 33 % der Krankenhäuser mit den höchsten Investmentrenditen im Jahr 2008 zählte. Adelino et al. [1] berichten, dass die durchschnittliche Investmentrendite 2008 bei 0,5 % lag. Im Vergleich dazu lag die Investmentrendite der Krankenhäuser in den 3 Jahren vor (2005-2007) und nach (2009-2011) der Krise bei durchschnittlich 3,1 %.

Betrachtet man die Krankenhäuser nun differenziert nach dem Umfang der Herzkatheter-Untersuchungsraten in 2005 und der Höhe der Investmentrendite in 2008 (siehe Abbildung 2), werden Unterschiede in der zeitlichen Entwicklung erkennbar. Krankenhäuser mit einer niedrigen Herzkatheter-Untersuchungsrate in 2005 erhöhten diese verstärkt nach der Finanzkrise, sofern sie eine niedrige Investmentrendite in 2008 hatten (siehe Abbildung 2a). Ein gegensätzlicher Effekt zeigt sich für Krankenhäuser mit einer hohen Herzkatheter-Untersuchungsrate in 2005 und einer niedrigen Investmentrendite in 2008. Hier ging die Herzkatheter-Untersuchungsrate nach 2008 verstärkt zurück (siehe Abbildung 2c). Für Krankenhäuser mit einer mittleren Herzkatheter-Untersuchungsrate zeigt sich keine nachweisbare Veränderung, die als eine Reaktion auf die Finanzkrise im Jahr 2008 interpretiert werden könnte (siehe Abbildung 2b).

Die Ergebnisse zeigen, dass ausgewählte Krankenhäuser vermehrt profitablere Behandlungen nach der Finanzkrise durchführten. Diese Beobachtung gilt jedoch nur für Krankenhäuser mit einer niedrigen Herzkatheter-Untersuchungsrate (in 2005) und einer niedrigen Investmentrendite (in 2008) (siehe Abbildung 2a).

Adelino et al. [1] gehen davon aus, dass die Steigerung von profitableren Behandlungsentscheidungen in bestimmten Fällen einen schädigenden Effekt für die Patienten bedeuten kann. Dies wäre z.B. gegeben, wenn das Krankenhaus nicht in der Lage ist, die Behandlungsqualität bei zunehmender Intensivierung von invasiven Behandlungen aufrechtzuerhalten. Dieses Risiko wird jedoch basierend auf den Studienergebnissen als gering eingestuft.

In der Studie wurde zusätzlich eine ähnliche Analyse für Entbindungspatientinnen durchgeführt (d.h. vaginale Geburt vs. Kaiserschnitt). Diese Untersuchung zeigt jedoch keine nachweisbaren Effekte zwischen der Finanzkrise und den Behandlungsentscheidungen.

 

Ergebnis 2: Mehr profitablere Behandlungsentscheidungen nach der Finanzkrise, wenn der Anteil an angestellten Ärzten hoch war.

Für einen Arzt gibt es unterschiedliche Möglichkeiten, Leistungen in einem Krankenhaus zu erbringen. Neben der klassischen Arbeitgeber-Arbeitnehmer-Beziehung sind vertragliche Vereinbarungen eine weitere Option. Hierbei werden Ärzte dazu befähigt, z.B. Operationen an ihren Patienten aus der eigenen Praxis im Krankenhaus durchzuführen.

Adelino et al. [1] stellen fest, dass der Trend zu profitableren Behandlungsentscheidungen nach der Finanzkrise mit dem ärztlichen Beschäftigungsverhältnis zusammenhängt. Krankenhäuser, die einen höheren Anteil an festeingestellten Ärzten aufwiesen (d.h. Arbeitnehmerverhältnis), hatten kurz nach der Finanzkrise einen verstärkten Zuwachs an profitableren Behandlungsentscheidungen bei Herzinfarktpatienten zu verzeichnen.

Die Ergebnisse werden damit begründet, dass Ärzte in einem Arbeitnehmerverhältnis stärker an der finanziellen Situation eines Krankenhauses interessiert sind und daher profitablere Behandlungsentscheidungen in finanziellen Notsituationen vorziehen. Ärzte, die z.B. über vertragliche Vereinbarungen OP-Leistungen im Krankenhaus erbringen und aufgrund der eigenen Praxis unabhängig sind, haben dagegen weniger Anreize, auf die finanziellen Verluste eines Krankenhauses zu reagieren.

 

Bedeutung der Studienergebnisse für deutsche Krankenhäuser in Corona-Krise 

Nicht alle Krankenhäuser reagieren nach einer Finanzkrise mit einer Steigerung von profitableren Behandlungen. Die Reaktion ist abhängig von der finanziellen Performance und der vorherigen Intensität von profitablen Behandlungen. Die Studie konnte nachweisbare Effekte für den Zusammenhang zwischen der Finanzkrise und den Behandlungsentscheidungen herausarbeiten. Dies gilt allerdings nur für Herzinfarktpatienten. Bei Entbindungspatientinnen zeigten sich hingegen keine nachweisbaren Effekte. Ob sich bei anderen Krankheitsbildern Ergebnisse zeigen, die mit denen der Herzinfarktpatienten vergleichbar sind, sollte in der Zukunft überprüft werden. Da die Studie ausschließlich freigemeinnützige Krankenhäuser betrachtet hat, sollte ebenfalls analysiert werden, ob Krankenhäuser mit einer privaten und öffentlichen Trägerschaft vergleichbare Verhaltensweisen nach einem Finanzschock aufweisen.

In Deutschland wurden Krankenhäuser durch die Corona-Krise erneut vor eine Vielzahl an finanziell belastenden Herausforderungen gestellt. Unter anderem durch OP-Verschiebungen und die damit verbundene Freihaltung von Bettenkapazitäten entstanden finanzielle Einbußen. Maßnahmen, wie das Krankenhausentlastungsgesetz, sollten dazu beitragen, die entstandenen finanziellen Verluste der Krankenhäuser auszugleichen. Angesichts der eingeleiteten gesundheitspolitischen Maßnahmen sowie der vorherrschenden regulatorischen Anreiz- und Kontrollstrukturen in der stationären Versorgung, sind die US-Studienergebnisse von Adelino et al. [1] schwierig auf das deutsche Gesundheitswesen zu übertragen. Die Studie enthält Anzeichen dafür, dass Krankenhäuser bzw. Ärzte bei einem finanziellen Schock ihr Verhalten ändern. In Krisenzeiten ist die Risikoabsicherung der Krankenhäuser entscheidend, damit sich keine unerwünschten Patientenverschiebungen ergeben. Für Deutschland sollte daher untersucht werden, ob die Corona-Krise Krankenhäuser dazu bewegt hat, die Umstrukturierung der stationären Versorgung weiter voranzutreiben.

Ein Finanzschock bewegt Krankenhäuser dazu, ihr Verhalten zu ändern. Freigemeinnützige US-Krankenhäuser, die durch eine Finanzkrise hohe Verluste erlitten, wählten bei Herzinfarktpatienten vermehrt profitablere Behandlungsalternativen. Dies gilt jedoch nur für Krankenhäuser, die vor der Finanzkrise eine niedrige Intensität an profitablen Behandlungen aufwiesen. Die Übertragbarkeit der Studienergebnisse auf Deutschland ist angesichts der vorherrschenden Regulierungen erschwert.

 

  1. Adelino, M., Lewellen, K., and McCartney, W.B., Hospital Financial Health and Clinical Choices: Evidence from the Financial Crisis. Management Science, 2022. 68(3): p. 2098-2119.
  2. Schuhmann, T.M., Can net income from non-patient-care activities continue to save hospitals? Healthcare Financial Management, 2010. 64: p. 74-80.

 

Redaktion / Ines Niehaus


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