Finanzielle Flexibilität rettet Leben in Pflegeheimen

Studie: Finanzhilfen senken Sterblichkeit in hochverschuldeten Heimen



Bedeutet eine hohe finanzielle Verschuldung eines Pflegeheimes in Krisenzeiten, dass Sterbefälle durch schlechter werdende Pflegequalität ansteigen? Eine neue Studie von Morris et al. [1] zeigt, dass sich diese Frage nicht so einfach bejahen lässt. Die Studie analysiert mit neuen Perspektiven auf Unternehmensstruktur und Leasingverträgen, welche Auswirkungen eine finanzielle Verschuldung von Pflegeheimen tatsächlich auf die Entwicklung von Sterbefällen in Krisensituationen hat und kommt dadurch zu neuen Erkenntnissen.

Dass (finanzielle) Krisensituationen eine schlechtere Versorgungsqualität verursachen, wurde bereits in unterschiedlichen Settings wissenschaftlich untersucht [z.B. 2, 3]. Während der COVID-19-Pandemie waren Pflegeheime der Corona-Hotspot. Zu Beginn der Pandemie waren in Deutschland 50 bis 60 Prozent der mit COVID-19 Verstorbenen stationär Pflegebedürftige. Aber nicht nur die Entwicklung der Sterbefälle war von Bedeutung. Pflegeheime wurden vor enorme finanzielle und teilweise existenzbedrohende Herausforderungen gestellt, bedingt durch Mehrausgaben für Sachmittel und Personal sowie durch unbesetzte Heimplätze. [4]

 

Hintergrund und Ziel

Die COVID-19-Pandemie hat die Wirtschaft vor große Herausforderungen gestellt. Vor allem das Gesundheitswesen hatte unter den erschwerten Krisenbedingungen zu kämpfen – darunter auch Pflegeheime. In Deutschland waren zu Pandemiebeginn 50 bis 60 Prozent der mit COVID-19 Verstorbenen stationär Pflegebedürftige [1]. Die hohe finanzielle Herausforderung von Pflegeheimen könnte dabei eine Rolle gespielt haben, bedingt durch Mehrausgaben für Sachmittel und Personal sowie durch unbesetzte Heimplätze. Denn ökonomische Schocks können eine schlechtere Versorgungsqualität verursachen [z.B. 2, 3] und damit auch mehr Sterbefälle hervorrufen. Aber gilt das tatsächlich auch für (alle) Pflegeheime?

Die Studie von Morris et al. [1] untersucht den Zusammenhang zwischen Verschuldung von Pflegeheimen und der COVID-19-Sterbefallentwicklung. Die Autoren machen deutlich, dass zur Beantwortung der Fragestellung vor allem die Unternehmensgruppenstruktur und die Art der Verschuldung relevant sind.

 

Methodik

Für die Studie wurden Pflegeheime aus England betrachtet. Im Gegensatz zu anderen Ländern ist es hier möglich, eine Einsicht in die einzelnen Vermögenswerte und Schulden der Einrichtungen zu erhalten. Daraus lässt sich der Verschuldungsgrad bzw. die „einfache Schuldenquote“ eines Unternehmens berechnen (Formel: einfache Schuldenquote = Schulden/Vermögen). Ein höherer Wert bei dieser Kennzahl deutet auf eine stärkere Verschuldung hin.

Um detaillierte Aussagen treffen zu können, wurden in der Studie die Trägerschaften der betrachteten Pflegheime einbezogen (d.h. freigemeinnützig, öffentlich, privat). Bei Pflegeheimen mit privater Trägerschaft wurden weitere Unterkategorien gebildet: Private-Equity-Unternehmen, Familienunternehmen, andere For-Profit-Unternehmen.

Morris et al. [4] haben für die Analyse zwei zentrale Anpassungen in der Begriffsbestimmung vorgenommen, um die Relevanz von Unternehmensstruktur und Art der Verschuldung in den Studienergebnissen berücksichtigen zu können.

 

Anpassung 1: Unternehmensgruppe statt einzelne Pflegeheime

In England gehören viele Pflegeheime oft zu einer Unternehmensgruppe, bei der die Betreiber beispielsweise eine gemeinsame Muttergesellschaft haben. Diese Gruppenzugehörigkeit ist auch entscheidend für die Beurteilung der finanziellen Situation eines einzelnen Pflegeheimes, da es von der Finanzstabilität der Unternehmensgruppe abhängig ist. Aus diesem Grund wurde, wenn möglich, bei der Bewertung der Verschuldung die Gewinn- und Verlustrechnung (GuV) der Unternehmensgruppe eines Pflegeheimes einbezogen.

 

Anpassung 2: Verschuldung unter Berücksichtigung von Leasingverträgen

Betreiber von Pflegeheimen können diese besitzen oder mieten. Bei Letzterem handelt es sich um Leasingverträge, die ein Pflegeheimbetreiber mit einer dritten Partei abschließt. Diese Leasingverträge werden manchmal als „außerbilanzielle Verbindlichkeiten“ bezeichnet, da sie einer Verbindlichkeit/Schuld ähneln, jedoch oft nicht in der Bilanz ausgewiesen werden müssen. Durch entsprechende Kalkulationen haben die Autoren diese bislang „unsichtbaren“ Schulden in die Berechnung der Verschuldung erstmalig einfließen lassen und damit die Schuldenquote teilweise nach oben korrigiert. 21 % der betrachteten Unternehmensgruppen haben entsprechende Leasingverträge. Es sind aber vor allem die Unternehmensgruppen mit 1.000 oder mehr Betten, die solche Verträge besitzen. Besonders oft handelt es sich dabei um ein Private-Equity-Unternehmen.

Um die Auswirkungen von Verschuldungen in Krisensituationen gemessen an den COVID-19-Sterbefällen zu berechnen, wurde für die Studie die COVID-19-Pandemie als Zeitraum das Jahr 2020 gewählt. In der ersten Welle erhielten die Pflegeheime keine staatliche Unterstützung. Staatliche Finanzhilfen erhielten sie erst in der zweiten Welle (siehe Abbildung). Die Autoren vermuten, dass in der ersten Welle mehr COVID-19-Todesfälle bei hochverschuldeten Pflegeheimen auftreten als bei geringverschuldeten Pflegeheimen, weil bei einer hohen Verschuldung im Zusammenhang mit einem ökonomischen Schock mehr Kosten gesenkt werden müssen (z.B. bei Personal, Sicherheitsausrüstung), welche die Pflegequalität negativ beeinflussen und damit auch die Entwicklung der COVID-19-Sterbefälle.

 

Studienergebnisse

In die Hauptanalyse wurden insgesamt 3.356 Pflegeheime mit 178.000 Betten betrachtet, die von 1.045 Betreibern mit einer konsolidierten und geprüften Gewinn- und Verlustrechnung geführt werden. Die zentralen Studienergebnisse sind in der Abbildung dargestellt und werden im Folgenden erläutert.

 

Abbildung: Zentrale Studienergebnisse zur Auswirkung von Verschuldung in Krisensituationen bei Pflegeheimen

Quelle: vereinfachte Darstellung in Anlehnung an Morris et al. [4].

 

Ergebnis 1: Hohe Verschuldung vor allem bei Private-Equity-Unternehmen und hoher Bettenanzahl

Es wird deutlich, dass die Höhe der Verschuldung vor allem mit der Bettenzahl zusammenhängt. Je größer das Pflegeheim, desto höher sind i.d.R. auch die Schulden. Unternehmensgruppen mit weniger als 100 Betten haben eine Schuldenquote von 20 %. Bei Unternehmensgruppen, die 5.000 Betten oder mehr betreiben, liegt die Schuldenquote bei 70 %.

Bei der Trägerschaft wird schnell deutlich, dass Private-Equity-Unternehmen (oft mit hoher Bettenanzahl) die höchste Schuldenquote haben (Durchschnitt: 89 %). Bei freigemeinnützigen Unternehmensgruppen liegt die Schuldenquote nur bei durchschnittlich 10 %.

 

Ergebnis 2: Hohe COVID-19-Sterbefälle in der ersten Welle vor allem bei großen Pflegeheimen mit hoher Versschuldung 

In der ersten COVID-19-Welle sind die COVID-19-Sterbefälle bei allen Pflegeheimen angestiegen. Bei Private-Equity-Pflegheimen lag die Sterberate mit 5,5 % in der ersten Welle jedoch höher als im Vergleich zu Pflegeheimen mit anderen Trägerschaften (z.B. Sterberate bei freigemeinnützigen Pflegeheimen: 3,8 %). Auch zwischen der ersten und der zweiten Welle haben die Private-Equity-Pflegeheime die höchste Sterberate mit 1,46 %. Interessanterweise haben Private-Equity-Pflegeheime in der zweiten Welle die geringste Sterberate mit 3,25 % im Vergleich zu anderen Trägerschaften.

Ein weiterer Analyse-Schritt zeigt, dass vor allem die Größe von Pflegeheimen der entscheidende Faktor bei der Entwicklung der COVID-19-Sterbefälle ist. Die Trägerschaft spielt nach einer statistischen Analyse keine Rolle. Pflegeheime mit einer hohen Bettenzahl verzeichnen mehr COVID-19-Sterbefälle als kleinere Pflegeheime. Der Zusammenhang zwischen Verschuldung und COVID-19-Sterbefällen ist am stärksten bei großen Pflegeheimen und nur signifikant in der ersten Welle.

Der Grund, warum die Verschuldung bei großen Pflegeheimen eine größere Rolle spielt, könnte nach Ansicht der Autoren daran liegen, dass größere Pflegeheime bedingt durch die Bettenanzahl stärker von der Pandemie mit dem Infektionsgeschehen betroffen sind. Hochverschuldete Pflegeheime (darunter häufig große Private-Equity-Unternehmen) haben eine zweimal so hohe Sterberate in der ersten Welle als gering verschuldete (kleine) Pflegeheime. Zwischen der ersten und zweiten Welle sowie in der zweiten Welle war der Effekt nicht so groß (siehe die Abbildung).

 

Was bedeuten die Ergebnisse für die Praxis?

Dass eine hohe Verschuldung von Pflegeheimen bei einem ökonomischen Schock (erste Welle) zu höheren Sterberaten führt, mag auf den ersten Blick logisch erscheinen. Morris et al. [4] machen in ihrer Studie jedoch deutlich, dass diese pauschale Annahme nicht greift. Es ist wichtig, die finanzielle Situation der Unternehmensgruppe und „außer-bilanziellen“ Verbindlichkeiten (d.h. z.B. Leasingverträge) einzubeziehen, um die Aussage zu bestätigen (siehe Methodik). Denn die Berechnung der Schuldenquote basierend auf der GuV eines einzelnen Pflegeheimes hätte statistisch keine entsprechende Bestätigung geliefert.

Hochverschuldete Pflegeheime (d.h. Schuldenquote über 50 %) mit einer hohen Bettenanzahl hatten in der ersten Welle eine höhere Sterberate und in der zweiten Welle die geringste Sterberate im Vergleich zu anderen Pflegeheimen. Die Autoren gehen davon aus, dass die hochverschuldeten Pflegeheime von der staatlichen Förderung in der zweiten Welle profitiert haben. Den in der ersten Welle haben hochverschuldete Pflegeheime die Betriebsausgaben (z.B. Personal) und Liquiditätsreserven nachweislich reduziert und damit die Pflegequalität gesenkt. Dadurch steigt das Risiko für zunehmende COVID-Sterbefälle in Krisensituationen. Durch die staatlichen Finanzhilfen mussten hochverschuldete Pflegeheime keine Einsparungen vornehmen und hatten deshalb auch weniger COVID-19-Sterbefälle in der zweiten Welle. Dieser Sachverhalt erklärt ebenfalls, weshalb die Verschuldung in der zweiten Welle kein erklärender Faktor für die Sterbefallentwicklung ist.

Schlussfolgerung ist, dass Verschuldung nicht direkt COVID-19-Sterbefälle verursacht. Es ist vielmehr ein indirekter Effekt. Denn durch eine hohe Verschuldung entsteht eine geringe finanzielle Flexibilität, um in Krisensituationen adäquat zu reagieren.

Die Trägerschaft hat bei der Entwicklung von COVID-19-Sterbefällen statistisch keinen nachweisbaren Effekt. Jedoch sind es oft Private-Equity-Pflegeheime, die eine hohen Bettenzahl aufweisen und hochverschuldet sind (z.B. durch Leasingverträge). Umso mehr Private-Equity-Pflegeheime in den Markt kommen, desto mehr Schulden und damit Probleme in Krisensituationen werden generiert. Bei erneuten Krisensituationen mit ökonomischem Schock ist es für Entscheidungsträger relevant, genau zu prüfen, welche Pflegeheime Finanzhilfen benötigen, um Sterbefälle zu vermeiden (u.a. basierend auf Unternehmensstruktur und Leasingverträgen).

Eine Zusatzanalyse ergab, dass die Studienergebnisse von Morris et al. [4] stabil bleiben, wenn man alle Arten von Sterbefällen berücksichtigt (also nicht nur COVID-19-Sterbefälle).

In der COVID-19-Pandemie wurden vor allem hochverschuldete Pflegeheime vor große finanzielle Herausforderungen gestellt. Diese konnten bedingt durch finanzielle Instabilität Mehrausgaben für Schutzausrüstung und Personal nicht leisten, was zu einer erhöhten COVID-19-Sterberate in der ersten Welle geführt hat. Die Studie von Morris et al. [4] zeigt, dass staatliche Finanzhilfen vor allem bei großen und hochverschuldeten Pflegeheimen förderlich sind, um Sterbefälle zu vermeiden. Bei der Beurteilung der Schulden ist es jedoch wichtig, einen Blick auf die gesamte Unternehmensstruktur und „außer-bilanziellen“ Verbindlichkeiten zu werfen. Basierend auf den Erkenntnissen können Entscheidungsträger im Falle eines erneuten ökonomischen Schocks in Krisenzeiten adäquat mit finanziellen Hilfen reagieren. Der Anstieg von Private-Equity-Pflegeheimen im Markt sollte in diesem Zusammenhang regulatorisch überdacht werden, da diese durch Größe und Verschuldungsgrad besonders anfällig für Probleme in Krisensituationen sind.

 

Literatur

[1] Peter Morris, Ludovic Phalippou, Betty Wu (2025) How Deadly Is Financial Leverage? Evidence from Care Homes During the COVID-19 Crisis. Management Science 0(0). https://doi.org/10.1287/mnsc.2023.02923

[2] Aghamolla C, Karaca-Mandic P, Li X, Thakor RT (2024) Merchants of death: The effect of credit supply shocks on hospital out comes. Amer. Econom. Rev. 114(11):3623–3668.

[3] Adelino M, Lewellen K, McCartney WB (2022) Hospital financial health and clinical choices: Evidence from the financial crisis. Management Sci. 68(3):2098–2119.

[4] BARMER Pflegereport 2022

 

Dr. Ines Niehaus


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