23.11.2022
Erster Berliner Abend der Hochschulmedizin in der bayerischen Landesvertretung
Zum ersten Berliner Abend der Hochschulmedizin in die bayerische Landesvertretung kommen sie zahlreich: Dekane, Aufsichtsratsvorsitzende, Professoren aus deutschen Universitätsklinika, aber auch Gesundheitspolitiker des Bundestages sowie Mitglieder von Verbänden und weiteren Institutionen. Geladen hat der Verband der Universitätskliniken (VUD) sowie der Medizinische Fakultätentag (MFT). Das bestimmende Thema der Gäste – vor allem Herren – ist klar: die Reform der Krankenhäuser und eine Neubewertung der Leistungen der Universitätsklinika.
Professor Jens Scholz – ja, der jüngere Bruder des Bundeskanzlers –, Vorstandsvorsitzender des Universitätsklinikums Schleswig-Holstein und Vorsitzender des VUD, bewertet den Abend als besonders „in einer besonderen Zeit“.
Die Krisen würden auch vor der Universitätsmedizin nicht haltmachen. Zwei Jahre Pandemie heißt für sie und alle Krankenhäuser massive Preissteigerungen: Energie, Medizintechnik, Dienstleistungen. In allen Krankenhäusern sei die Situation sehr angespannt, Leidtragende seien die Patienten, wie auch die Mitarbeiter. Würde man nicht über die Gesundheit der Patienten reden, eine andere Branche sein, müsste man die Arbeit einstellen, weil es sich nicht mehr lohne, mahnt Scholz.
Selbstkritik der Krankenhäuser erforderlich
In der Pandemie hätten alle Krankenhäuser Ausgleichszahlungen erhalten – und zwar den gleichen Betrag – egal, ob sie Corona-Patienten behandelt haben oder nicht. Scholz könne sich nicht erinnern, dass ein Krankenhaus das Geld zu Unrecht bekommen hätte und es wieder zurückgegeben habe, betont er kritisch. Deshalb müssten sich für den anstehenden Reformprozess alle Krankenhäuser selbstkritisch fragen: „Was sind meine Leistungen, welche Rolle spiele ich in der Versorgung?“ Das könne zu schmerzhaften Erkenntnissen, aber auch zu sinnvollen Einsichten führen. Wer den Krankenhäusern Geld aus der Gießkanne gebe, deren Bedarfsnotwendigkeit fraglich sei, schädige die Häuser, deren Bedarf notwendig sei – und zwar dauerhaft, appelliert Scholz Richtung Politik.
Zukunftsfeste Reformen fordert er denn auch hinsichtlich der Digitalisierung. Der Datenschutz sei das Dilemma. In anderen Ländern, wie Lettland oder Estland, würden Dinge funktionieren, die hier nicht möglich seien. Reformen seien auch hier erforderlich.
Zum Thema Versorgung weist Scholz auf das Positionspapier der Unimedizin und gleichzeitig auf den Vorschlag des VUD eines Stufenkonzepts der Versorgung. Das DRG-System müsse mit einer Krankenhausreform dabei nicht abgeschafft, sondern weiterentwickelt werden – den Bundesgesundheitsminister wird das nicht freuen, der das System am Ende sieht.
Die Länder müssten sich dann laut Scholz genau anschauen, welche Häuser am Netz bleiben oder nicht und „müssten sich ehrlich machen“. Interessant auch, dass nach Aussage des Professors es im internationalen Vergleich eine überdurchschnittliche Quote an medizinischen Fachkräften gebe. Die würden aber überwiegend nicht da arbeiten, wo sie gebraucht würden. Ihren optimalen Einsatz verlangt denn Scholz.
Versorgungssteuerung heißt für die Uniklinika, die Dirigentenrolle zu übernehmen im Netzwerk. In der Pandemie hätten sie die Steuerung übernommen, wie in Berlin, Hessen und Sachsen. 75 Prozent der Covid-Patienten sei in Uniklinika betreut worden. Eine Aufforderung an die Politik.
Forderung nach Exzellenz-Initiative für Unimedizin
Markus Blume, bayerischer Staatsminister für Wissenschaft und Kunst, findet denn auch nur lobende Worte für die Unimedizin. Sie sei „schon etwas ganz Besonderes“ mit wissenschaftlicher Expertise für den Dienst am Menschen, wie Blume es formuliert. Sechs Uniklinika gibt es in Bayern, das ist Verpflichtung per se.
Die Unimedizin sei von zwei Seiten in der Zange, sagt Blume; auf der Erlösseite, die streng reguliert würde, und auf der Seite der Kosten. Das sei ein Sandwich. Der Staat müsse helfen. Die Unimedizin sei ein Härtefall. Und außerdem würden finanzielle Probleme „am Ende sowieso bei den Ländern landen“. Dann mache es also Sinn, proaktiv zu helfen, als später die Scherben zusammenzufegen. Sein Vorschlag: eine Exzellenz-Initiative der Unimedizin mit „tatkräftiger Unterstützung des Bundes“, versteht sich. Die Zeit sei reif.
Die Digitalisierungsoffensive müsse endlich gestartet werden. Deutschland sei Weltmeister in der Erhebung von Daten, aber „wir sind absolutes Entwicklungsland hinsichtlich der Nutzung“.
Die bauliche Infrastruktur sei ein weiteres Thema. Tolle Planungen gebe es – zwei Jahre vergehen, die Kosten explodieren. Der Teufelskreis müsse durchbrochen werden – bei Regularien, Vorgaben des staatlichen Bauens. Die Approbationsordnung müsse endlich kommen. Und dann geht es wieder Richtung Bund. Finanziell müsse man sich engagieren – gemeinsam mit den Ländern. Allein stemmen gehe nicht.
Universitätsmedizin für die kommenden zehn Jahre neu denken, sagt Blume. „Dann packen wir die Versorgungsstufen und die Vergütung an.“
Mehr Vernetzung und Austausch
Professor Mathias Frosch, Dekan der Medizinischen Fakultät Würzburg und Präsident des MFT, hört es gern. Das Potenzial der Uniklinika könnte erheblich gesteigert werden mit Vernetzung und Austausch – auch Richtung Datenaustausch. Eine Interoperabilität über alle Standorte müsse sichergestellt werden. Viel Stoff für die anschließenden Gespräche bei Wein aus Würzburg, wie Frosch in seiner Rede noch einmal betont, und wohlschmeckendem Essen.
Fina Geschonneck
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