Erfolgreichen Patientenzugang zu Einmaltherapien umsetzbar gestalten

Ein ergänzender Vorschlag zum Kommentar von Dr. Anja Tebinka-Olbrich, GKV-Spitzenverband

Stefan Neudörfer, Head Market Access & Pricing Europe bei CSL Behring

Der Trend zu Einmaltherapien kommt nicht von ungefähr. Er folgt nicht nur einer medizinischen Notwendigkeit, sondern auch den patientenindividuellen Bedürfnissen. Intensive Investitionen in klinische Forschung und die Entwicklung neuer technischer Verfahren waren die Voraussetzung dafür, Krankheiten zunehmend ursächlich zu behandeln oder sogar zu heilen und nicht nur deren Symptome zu therapieren. Einmaltherapien – heute noch eher auf Einzelfälle zur Behandlung seltener Erkrankungen beschränkt – werden daher stark an Bedeutung zunehmen.

Wie auch Anja Tebinka-Olbrich vom GKV-Spitzenverband (GKV-SV) in ihrem Beitrag am 26. Mai 2023 im Observer Gesundheit betont, führt dies zur Notwendigkeit der Schaffung alternativer Vergütungsmodelle, um eine nachhaltige Finanzierung sicherzustellen und damit zu gewährleisten, dass Innovationen frühzeitig bei Patient:innen ankommen, Kostenträger nicht überlastet werden und gleichzeitig ein attraktives, nachhaltiges Umfeld für Investitionen geschaffen wird. CSL Behring hat deshalb einen Vorschlag erarbeitet, der rechtssicher und schnell umsetzbar wäre, dabei Risiken wirkungsvoll von der GKV abwendet – die im Observer Gesundheit geäußerten Vermutungen sollen daher konkretisiert werden.

Die Zulassung zweier Gentherapien für schwere Hämophilie Roctavian® und Hemgenix® hat eine breite und konstruktive Debatte über die Herausforderungen für die Preisbildung und Erstattung von Einmaltherapien und Lösungen dafür in Gang gesetzt.

 

Zentrale Herausforderungen bei der Bildung eines Einmalpreises einer Gentherapie

Der Charakter der Einmaltherapie bedingt, dass zum Zeitpunkt der Markteinführung nur klinische Daten mit einer begrenzten Studiendauer vorliegen. Diese Situation wirft naturgemäß die Fragen auf, wie lange der klinische Effekt über die gezeigte Studiendauer hinaus anhält und wie mit Therapieversagen umgegangen werden soll.

Derzeitige Vertragsmodelle sehen die Erstattung von Einmaltherapien in der Regel mit Einmalpreisen, wahlweise mit Rückzahlung, Ratenzahlung, oder mit einem sich prospektiv anpassenden Erstattungsbetrag vor. Dabei haben Ratenzahlungsmodelle aufgrund der Einführung des Risikopools keine Bedeutung erlangt. Das Modell des sich prospektiv anpassenden Erstattungsbetrags dagegen wurde aus diversen Gründen bislang nicht in der Praxis umgesetzt. Allen diesen Modellen wohnen jedoch zwei zentrale Herausforderungen inne:

  • Die Finanzierbarkeit bei einer hohen Anzahl zukünftiger Einmaltherapien und den daraus resultierenden hohen finanziellen Belastungen und Kostenspitzen für das Gesundheitssystem.
  • Die Notwendigkeit der Vereinbarung eines erfolgsangemessenen Einmalpreises bei begrenzter Studiendauer, da die Frage der tatsächlichen Wirksamkeitsdauer zum Zeitpunkt der Markteinführung noch nicht beantwortet werden kann. Sie ist, wie im Falle der oben genannten Gentherapien, die eine bestehende Dauertherapie ersetzen, ein besonderes Konfliktthema bei der Preisbildung. Sie steht in direktem Zusammenhang mit der für die Preisfindung bedeutenden Frage wie lange und somit in welcher Höhe die Kosten der bestehenden Dauertherapie ersetzt werden können. Aufgrund begrenzter Länge klinischer Daten können dem zu verhandelnden Erstattungsbetrag nur Annahmen (insbesondere zur Wirksamkeitsdauer) zugrunde liegen, die auf Seiten der Verhandlungspartner (GKV und Unternehmen) i.d.R. zu Konflikten in Bezug auf Unter- oder Überschätzung dieses Effektes führen.

 

Neuer Lösungsansatz für die Erstattung von Einmaltherapien, die Dauertherapien ersetzen

CSL Behring hat einen Lösungsvorschlag in die Diskussion eingebracht, der mindestens für die Gruppe der Einmaltherapien, die eine bestehende Dauertherapie ersetzen, die oben genannten Herausforderungen effektiv adressieren kann. Die Erstattung soll durch jährliche, adaptive Zahlungen erfolgen, orientiert an der jeweiligen Höhe der aktuellen, jährlichen Kosten der alternativen Dauertherapie (angepasst auf der Grundlage des G-BA Beschlusses und der Vorgaben des §130b SGB V), nur bei jährlichem Nachweis des Therapieerfolgs und längstens zu einem zu vereinbarenden Maximalzeitraum.

 

Warum ist dies ein gänzlich neuer Ansatz? Welche Vorteile bietet er?
Einmaltherapien müssen nicht mehr vorab mit einem Einmalpreis bezahlt werden, auch nicht als Rate. Ratenzahlungsmodellen wohnt inne, dass immer ein Einmalpreis zugrunde liegt, der auf bestimmte Jahre umgelegt wird. Der neue Ansatz fokussiert die Erstattung jeweils auf ein gegebenes Jahr, analog zur Erstattung der bisherigen Dauertherapie. Die Vermeidung eines Einmalpreises vermeidet somit eine Vorfinanzierung und damit Kostenspitzen für die GKV. Dies trägt somit direkt zu einer nachhaltigen Finanzierbarkeit von Einmaltherapien durch die GKV bei.

Zum anderen macht das vom Hersteller CSL Behring vorgeschlagene Modell das konfliktreiche Aushandeln von Annahmen zur Wirksamkeitsdauer in der Preisbildung obsolet: Bestehenden Unsicherheiten hinsichtlich der Wirksamkeitsdauer wird dadurch begegnet, dass jährliche Zahlungen nur bei nachgewiesenem Therapieerfolg geleistet werden und nur solange dieser fortbesteht. Ein im Rahmen der Verhandlungen mit dem GKV-Spitzenverband zu vereinbarender maximaler Erstattungszeitraum ermöglicht sogar eine weitergehende Ersparnis für die Solidargemeinschaft, wenn die Einmaltherapie über diesen maximalen Zeitraum hinauswirkt. Zum Vergleich: Die bisherige Dauertherapie kostet zwischen 230.000 und 350.000 Euro jährlich und wird ein Leben lang erstattet. Die Erstattung des Präparates ist somit einerseits quantitativ (Erstattungszeitraum), andererseits qualitativ (Wirksamkeit) begrenzt, ohne Vorfinanzierung durch die GKV.

Dabei soll sich die Höhe der Jahreszahlungen im Modell von CSL Behring auf Grundlage des G-BA Beschlusses an den Kosten der bestehenden Jahrestherapiekosten der Dauertherapie orientieren, um die Kostenträger auch diesbezüglich von finanziellen Risiken zu befreien und eine wirtschaftliche Verordnung des Präparates sicherzustellen.

 

Vereinbarkeit mit dem bestehenden normativen und regulatorischen Rahmen

Der vorgeschlagene Erstattungsansatz eines adaptiven, jährlichen Erfolgsvertrags ist vollständig kompatibel mit dem bestehenden Verfahren der frühen Nutzenbewertung nach §35a SGB V und der in diesem Zusammenhang notwendigen Evidenzgenerierung (z.B. der anwendungsbegleitenden Datenerhebung). Es bewegt sich auch im Übrigen im bestehenden normativen und regulatorischen Rahmen:

  • Das vorgestellte Modell kann im Rahmen des bestehenden „AMNOG-Verfahrens“ zur Erstattungsbetragsverhandlung gem. §130b SGB V inklusive der Rahmenbedingungen und aller relevanten Parameter (z.B. dem Therapiemisserfolgskriterium) rechtsverbindlich, umfassend und bundeseinheitlich für alle gesetzlichen Krankenkassen, der PKV und Selbstzahler geregelt werden.
  • Die operative Umsetzung der Vereinbarung nach §130b SGB V, insbesondere die Therapieerfolgs-Überprüfung, erfolgt durch die Einzelkassen anhand bereits heute schon erhobener, patientenspezifischer Routinedaten.
  • Eine zwingende Koppelung der Vereinbarung nach §130b SGB V und der Möglichkeit des Abschlusses einer selektivvertraglichen Vereinbarung nach §130c SGB V ist nicht vorgesehen und nicht notwendig. Darüber hinaus ggf. vereinbarte, optionale Rabatte nach §130c SGB V bleiben allein Sache des Herstellers und der individuellen Krankenkasse.
  • Aufgrund der Listung des Jahrespreises in der LAUER-Taxe ist die Berechnungsbasis für Handelsaufschläge rechtssicher gewährleistet.
  • Den Anforderungen einer wirtschaftlichen Verordnungsweise wird Rechnung getragen, da sich der Erstattungsbetrag an den Kosten der bisherigen Dauertherapie orientiert.

 

Jährliche Refinanzierung der Krankenkassen gewährleistet, aber kurzfristiger Handlungsbedarf

Derzeit erhalten Krankenkassen jährliche Zuweisungen aus dem Risikopool und dem Morbi-RSA, wenn bestimmte Kriterien erfüllt sind. Entscheidend ist, dass das Jahreszahlungsmodell im Morbi-RSA wie die bisherige Faktorprophylaxe behandelt werden kann und sollte. Die jährliche Abrechnung kann revisionssicher und ohne Anpassung der Risikostrukturausgleichsverordnung (RSAV) durch quartalsweise Rechnungstellung an die Krankenkassen durchgeführt werden. Die notwendigen Anpassungen wären allesamt technisch umsetzbar.
Allerdings wird eine Anpassung der Morbi-RSA Aufgreifkriterien als sog. Sonderregel in den Festlegungen des Klassifikationsmodelles des Bundesamtes für Soziale Sicherung (BAS) zum Ausgleichsjahr 2024 benötigt. Denn eine Gentherapie erhält in der Regel eine definierte Tagesdosis (DDD), wirkt aber 365 Tage im Jahr. Daher wäre eine DDD hier als Dauertherapie zu behandeln.

 

Fazit

Das vom Hersteller CSL Behring vorgeschlagene Erstattungsmodell beschreitet einen neuen Weg für Einmaltherapien, die eine bestehende Dauertherapie ersetzen. Es unterscheidet sich wesentlich von bisherigen Modellen: Zum einen durch eine Vermeidung eines Einmalpreises, wodurch eine Vorfinanzierung und damit Kostenspitzen für die GKV vermieden werden. Dies trägt somit direkt zu einer nachhaltigen Finanzierbarkeit von Einmaltherapien bei.

Zum anderen macht das vorgeschlagene Modell das konfliktreiche Aushandeln von Annahmen zur Wirksamkeitsdauer in der Preisbildung obsolet. Bestehenden Unsicherheiten hinsichtlich der Wirksamkeitsdauer wird dadurch begegnet, dass jährliche Zahlungen nur bei nachgewiesenem Therapieerfolg geleistet werden und nur solange dieser fortbesteht. Ein im Rahmen der Verhandlungen mit dem GKV-Spitzenverband zu vereinbarender maximaler Erstattungszeitraum ermöglicht sogar eine weitergehende Ersparnis für die Solidargemeinschaft, wenn die Einmaltherapie über diesen maximalen Zeitraum hinauswirkt.

Das vorgeschlagene Preis- und Erstattungsmodell, das

  • zentrale Forderungen der GKV adressiert
  • rechtssicher, bundeseinheitlich und
  • kurzfristig umsetzbar ist,

adressiert damit wirkungsvoll zentrale Herausforderungen der Erstattung und Preisbildung für Einmaltherapien, die eine Dauertherapie ersetzen. Handlungsbedarf besteht gleichwohl im Hinblick auf die Adaptierung des Modells im Rahmen der Morbi-RSA Systematik, um eine zeitnahe Umsetzung zu ermöglichen.

 

Lesen Sie zum Thema:

Dr. Anja Tebinka-Olbrich: „Erfolgsabhängige Erstattungsmodelle für Einmaltherapien in der Hämophilie umsetzbar gestalten“, Observer Gesundheit, 26. Mai 2023.

 


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