Eine Täuschung der Patienten

Zum Entwurf des Gesetzes zur Reform der Psychotherapeutenausbildung

Dr. med. Christian Messer, Vorsitzender des Ausschusses für Psychotherapie in den Fachgebieten, Spitzenverband Fachärzte Deutschlands (SpiFa)

Der Spitzenverband Fachärzte Deutschlands e.V. (SpiFa) beschäftigt sich bereits seit 2015 ausführlich mit der Reform der Psychotherapeutenausbildung. Kritisch wird zur Kenntnis genommen, dass der Gesetzgeber und die Psychologie als Wissenschaft die notwendige Reform dazu nutzen, um ein eigenständiges psychologisches Berufsbild unter der für Patienten und die Ärzteschaft irreführenden Bezeichnung „Psychotherapeut“ aufzusetzen. Das Reformvorhaben ist durch den Koalitionsvertrag der Bundesregierung in mehrfacher Hinsicht nicht gedeckt: weder als Strukturreform, noch als Ausbildungsreform mit dem Ziel einer sogenannten „Direktausbildung“. Die geplante zweistufige Ausbildung ist weder eine Direktausbildung, noch ist sie mit einem Direktstudium zum Arzt vergleichbar; die Ausbildung führt zu keiner seriösen Approbation oder gar einer Ausbildung zur Psychotherapeutin oder zum Psychotherapeuten.

Psychotherapie nach heutiger Definition ist kein Fach und kein Gebiet, sondern lediglich eine Behandlungsmethode. Grundlage für das neue Berufsbild „Psychotherapeut“ ist dabei explizit nicht mehr das Studium der Psychologie mit anschließendem Erlernen der verfahrensgebundenen Psychotherapie. Vielmehr soll die Approbation des „Psychotherapeuten“ auf ein polyvalentes Bachelor-Psychologie- und ein anschließendes Master-Studium der klinischen Psychologie abgesenkt werden. Es wird jedoch für keinen Patienten mehr erkennbar sein, dass ein zukünftig approbierter „Psychotherapeut“ keine verfahrensgebundene Psychotherapie beherrscht, und dass dessen Herkunft die Psychologie ist. Der künftige Heilberuf „Psychotherapeut“ hat nach jetziger Planung keine Psychotherapie erlernt. Dies führt zu einer massiven Irreführung und Täuschung der Patienten, und gleichzeitig wird dabei der Schutz der Patienten gravierend gefährdet.

 

Substitution ärztlicher Kernkompetenzen

Die Herausforderung für die Ärzteschaft entsteht durch die Anlage eines eigenständigen psychologischen Versorgungssystems, das sich damit strukturell autonom und getrennt von der Medizin entwickeln wird. Davon ist die Medizin in hohem Maße getroffen, da ärztliche Kernzuständigkeiten für das Psychische und Psychosomatische nun zusätzlich auch auf den neuen Heilberuf übergehen sollen. Der zunehmende Wunsch des Gesetzgebers nach Substitution ärztlicher Kernkompetenzen als Antwort auf den Ärztemangel wird hier allzu deutlich. Und zwar ohne, dass dies dem Bürger und den Versicherten näher erläutert und begründet wird.

 

Approbierte klinische Psychologen

Die Neuformulierung der Berufsbezeichnung sieht eine Unterscheidung des neu geschaffenen Berufsbildes des Psychotherapeuten und dem der ärztlichen Psychotherapeuten vor. Der SpiFa schlägt vor, die nach dem jetzt vorliegenden Vorschlag des Gesetzgebers Ausgebildeten und Approbierten als approbierte klinische Psychologen zu bezeichnen, da diese einen polyvalenten Psychologie-Bachelor- und anschließend einen speziellen Master-Abschluss in klinischer Psychologie abgelegt haben, der auch Grundlagen der Psychotherapie vermitteln soll, sowie dann zusätzlich eine Approbationsprüfung.

Die Bezeichnung als „Psychotherapeut“ legt dem Wortsinn folgend die Fähigkeit der Ausgebildeten und Approbierten zur psychotherapeutischen Tätigkeit nahe, was hier jedoch unzutreffend ist. Es fehlt die wesentliche Information, dass er im Grundsatz zwei Psychologie-Studiengänge abgeschlossen hat.

 

„Sprechende Medizin“

Das neue Berufsbild eines Heilberufes „Psychotherapeut“ suggeriert in unzulässiger Weise, dass das heilberufliche „Sprechen“ mit einem Patienten ausschließlich bei einem neu zu etablierenden Heilberuf „Psychotherapeut“ erfolgen wird. Anders als der fundiert in den komplexen Zusammenhängen des gesamten menschlichen Organismus ausgebildete Arzt, der entsprechend weitergebildet ebenfalls die Bezeichnung Psychotherapeut trägt, ist der „Psychotherapeut“ hier nicht kundig. Psychotherapie ist ein Behandlungsansatz, kein Fach, kein Gebiet und kein Versorgungsystem mit den hier genannten allumfänglichen Ansprüchen. Richtigerweise können das Sprechen und heilberufliches ärztliches Wirken in der Humanmedizin nicht voneinander abgegrenzt und getrennt werden. Der SpiFa lehnt die Ausgrenzung des Sprechens auf einen neuen Heilberuf „Psychotherapeut“ vollumfänglich ab.

 

Kassenpsychologische Vereinigungen

Die im Regierungsentwurf zur Reform der Psychotherapeutenausbildung angelegte Eigenständigkeit der Entwicklung eines neuen Heilberufes und die damit einhergehende Entkoppelung von der Medizin bedingt insbesondere die Bildung von entsprechenden Kassenpsychologischen Vereinigungen (KPVen) und einer Kassenpsychologischen Bundesvereinigung (KPBV), nachdem sich die Ausbildung eines eigenen Kammersystems bereits jahrelang bewährt hat. Eine gemeinsame Interessensvertretung innerhalb einer Körperschaft wird den angestrebten Aufgaben überhaupt nicht mehr gerecht. Welche Auswirkungen die geplante Entwicklung auf das System der kassenärztlichen Selbstverwaltung haben wird, ist derzeit völlig unklar.

Der vorliegende Regierungsentwurf bedarf einer qualifizierten Auseinandersetzung mit der ärztlichen Selbstverwaltung, insbesondere den Bundes- und Landesärztekammern, welche bisher nicht stattgefunden hat. Die SpiFa rät dringend dazu, den Gesetzgebungsprozess auszusetzen und den Entwurf grundlegend zum Schutz der Patienten zu überarbeiten. Eine offenkundige Irreführung und Täuschung der Bürger, Versicherten und Patienten in Deutschland ist aus ärztlicher Sicht abzulehnen und zu verhindern.


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