Ein Abend beim PHAGRO mit Stoff fürs Kopfkino

Gut gelaunte und vor allem zahlreiche Gäste beim parlamentarischen Abend des PHAGRO
Kerem Inanc, stellvertretender Vorstandsvorsitzender des PHAGRO, fordert faire Rahmenbedingungen für den Großhandel.
PHAGRO-Vorstandsvorsitzender Marcus Freitag begrüßt die Gäste des parlamentarischen Abends.
Auftritt der künftigen ABDA-Hauptgeschäftsführerin Franziska Erdle (M.); hier mit Anja Klauke (BPI) (r.)
Was verspricht BMG-Staatssekretär Georg Kippels wohl dem Großhandel?
Kerem Inanc (PHAGRO), Kai Joachimsen (BPI) und Dorothée Bierbaum (Max Jenne) (v.l.n.r.)
Anke Rüdinger, Ina Lucas (beide ABDA) und Anja Klauke (BPI) (v.l.n.r.)
Obacht von Marcus Freitag (PHAGRO) (M.) an Thomas Preis (ABDA) (r.) mit BMG-Staatssekretär Georg Kippels (l.)
Patrick Neuss, Antje Saalfeld, Simon Pink (alle Sanacorp) (v.l.n.r.)
Oda Hagemeier (Eurocom), Anja Klauke (BPI), Dagmar Wald-Eßer (IQVIA) (v.l.n.r.)
Michael Dammann (PHAGRO) (r.) mit Nils Christen (Tack Design) (l.)
Marcus Freitag (PHAGRO) mit Simone Borchardt MdB (CDU)
Sebastian Schütze (BPI), Martin Jäger (Taylor Wessing), Thomas Porstner, Lukas Ostertag (beide PHAGRO) (v.l.n.r.)
Saxophonist Ilia Skibinsky mit DJ Mitch sorgen für Unterhaltung.


Es hat sich herumgesprochen: Der PHAGRO feiert schick. Die vollversorgenden pharmazeutischen Großhändler luden wieder ins LaFlor in Berlin. Eine Location, die auch als Kulisse für einen Szene-Club dienen könnte. Es ist eng und verwinkelt. Beide Geschäftsführer begrüßen jeden persönlich, schon bevor es richtig losgeht, sind fröhliche Gäste in lebhafte Gespräche vertieft. Infos zu Mitgliedern und Leistungen des PHAGRO hängen als unaufdringliche Deko verpackt im Raum und ein fliegendes Buffet sichert die Versorgung. Unternehmer können feiern.

Doch wie es sich für einen parlamentarischen Abend gehört, geht es nicht nur ums Feiern, sondern auch um Wettbewerb und Geld. Der PHAGRO leidet unter der Effizienz seiner Mitglieder. Gerade mal acht Unternehmen sichern die Versorgung der Apotheken im Bundesgebiet – zu jeder Jahreszeit mit wohltemperierten Arzneimitteln. Das läuft so gut, dass keiner etwas davon mitbekommt. Dazu kommt: Mit acht Leuten kann man schlecht auf die Straße gehen, um politische Forderungen unters Volk zu bringen. Die Folge: Dem pharmazeutischen Großhandel fehlt es an politischer Aufmerksamkeit. Der Ehrengast, BMG-Staatssekretär Dr. Georg Kippels, bietet später am Abend dazu erste Einblicke.

 

Drama am Tegernsee

Doch zunächst kommen die Gastgeber zu Wort. Zu Beginn erläutert Kerem Inanc als stellvertretender Vorsitzender des PHAGRO: Die Vergütung ist – wie bei den Apothekern – seit 13 Jahren eingefroren und muss dringend angepasst werden. Um den systemrelevanten Aufwand (Lagerhaltung, Logistik, Vorfinanzierung) zu erfüllen, braucht es faire Rahmenbedingungen. Soweit so gut.

Dann ergreift der Vorsitzende selbst das Wort. Marcus Freitag setzt die Botschaft: Arzneimittel im Versandhandel, so wie es in Deutschland täglich passiert, das geht gar nicht. Um das Problem auch allen schmackhaft zu machen, wählt Freitag ein Bild: Ein Arzneimittel wird aus Holland versandt und landet später bei 40 Grad Celsius vor einem Haus am Tegernsee in der Sonne. Das Bild verfängt. Man spürt geradezu den Untergang des Wirkstoffes, der erst vom Hersteller liebevoll in eine Pille gepackt, dann ohne Kühlung von DHL quer durch die Republik gekarrt wurde, um schließlich unter der bayerischen Sonne in schönstem Alpenpanorama den Geist aufzugeben. Kann das sein? Es kann.

Das Problem: Der (temperierte) Versandhandel mit Arzneimitteln ist in Deutschland ausreichend geregelt. Die Kontrolle übernehmen die Bezirksregierungen – bei den deutschen Versendern vor Ort. Was direkt aus dem Ausland kommt, bleibt unkontrolliert. Dasselbe gilt für verbotene Preisnachlässe auf verschreibungspflichtige Arzneimittel. Mit schöner Regelmäßigkeit wirbt ein in Ehren ergrauter Fernsehmoderator zur besten Sendezeit im öffentlich-rechtlichen Rundfunk für Rabatte bis zu 20 Euro – beim App-gestützten Versandhandel. Ein beworbener Rechtsbruch, der Freitag zurecht empört. Er fordert ein Eingreifen der Bundesregierung: „Wo ein Wille ist, ist auch ein Weg.“

 

Staatssekretär Kippels mit Ideen – für die anderen

Das kann Georg Kippels als Vertreter der Bundesregierung natürlich nicht auf sich sitzen lassen. Bei seinem Grußwort berichtet er, die Bezirksregierungen würden dazu immer sagen: Sie wüssten gar nicht genau, was im Versandhandel vor Ort so passiert. Seine Idee: die Bezirksregierungen könnten Testkäufe beim Versandhandel tätigen und die Temperatur der gelieferten Arzneimittel notariell beglaubigen lassen. Ein interessanter Vorschlag, der allerdings einen Haken hat: Mit diesem Beweis müsste die Bundesregierung in Holland vorstellig werden und die dortigen Behörden nötigen, beim holländischen Versender die deutschen Vorgaben durchzusetzen. Das wirkt nun aber wie das ganz große Rad. Dafür bräuchte es Führung durch das BMG. Kippels kommentiert vielsagend: „Wir müssen nur wollen.“ Aber will er das?

Die Mischung aus föderaler Verantwortungslosigkeit und hitzebedingtem Therapieversagen regt im Laufe des Abends das Kopfkino des Betrachters an. Wie wäre es, wenn sich acht vollversorgende Großhändler für die nächste Hitzewelle verabreden. Sie tätigen selbst konspirative Testkäufe und lassen sich die Temperatur der Arzneimittel von den Notaren ihres Vertrauens bestätigen. Ist das Ergebnis – wie erwartet – gegen alle Regeln, gibt es nächsten Herbst im LaFlor einen Höhepunkt: den Einzug der Notare. Die an den Messungen beteiligten Notare übergeben Georg Kippels die Ergebnisse ihrer Messungen und wünschen ihm für seine exekutiven Bemühungen auf internationalem Parkett viel Erfolg. Politische Aufmerksamkeit muss manchmal auch erzwungen werden, und Verbandspolitik darf auch mal Spaß machen – zumindest in Gedanken. Doch zurück zum LaFlor.

 

Der Sprechzettel war es

Dass es um die Aufmerksamkeit nicht gut bestellt ist, zeigt der Staatssekretär schließlich selbst. In seinem Grußwort spricht Kippels viel von den Apothekern und spricht diese sogar direkt an. Trotz großer Beliebtheit und zahlreichen Demos seien ihre Positionen in der Politik noch nicht ganz angekommen. Er ruft aus: „Sie sind Sklaven ihres Verantwortungsbewusstseins.“  Kurz fragt man sich: Ist er auf der richtigen Party? Doch dann gibt er selbst die Auflösung. Kippels erwähnt gleich zweimal seinen Sprechzettel. Da ist der Schuldige klar: Der Sprechzettel wars, wahrscheinlich war es schlicht der falsche. Der Gastgeber PHAGRO wird von Kippels letztlich eingemeindet: „Wir brauchen die Apotheken vor Ort und korrespondierend damit den pharmazeutischen Großhandel.“ Na wenigstens „korrespondierend“; das ist doch besser als nix.

Den pharmazeutischen Großhändlern bleibt nach diesem Abend die Erkenntnis: Es ist schwer, mit ihren Anliegen durchzudringen. Sie laufen offensichtlich unter dem politischen Radar – vielleicht auch bei der nächsten Sparrunde. Da könnte noch so mancher neidisch werden. Wir drücken die Daumen.

 

Sebastian Hofmann


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