Digitalisierung – Fortschritt mit Sicherheit

Dr. Jens Baas, Vorstandsvorsitzender der Techniker Krankenkasse (TK)

Über 90 Mal fällt im Koalitionsvertrag der neuen Regierung das Wort „Digitalisierung“. Politik, Industrie und Gesellschaft haben durch sie in den vergangenen Jahrzehnten einen grundlegenden Strukturwandel erlebt. Dennoch gibt es in Deutschland auf diesem Feld großen Nachholbedarf. Oftmals ersetzen Phrasen konkrete Taten.

Im Gesundheitsbereich hängt die Entwicklung der digitalen Möglichkeiten besonders weit hinterher. Das hat auch Gesundheitsminister Jens Spahn erkannt und will sich diesem Thema vorrangig widmen. Fakt ist: Daten verändern die Welt. Und zwar auch in der Gesundheitsversorgung. TK-Versicherte können schon heute vieles digital erledigen, etwa durch die Übermittlung von Krankmeldungen, Nachrichten und Dokumenten über die TK-App. Aber die Digitalisierung kann viel mehr, als nur die Kommunikation zwischen Versicherten und Krankenkassen zu vereinfachen.

 

Patient Empowerment: die elektronische Gesundheitsakte

Noch in diesem Jahr werden wir unseren Versicherten eine elektronische Gesundheitsakte (eGA) anbieten. Die eGA führt die Daten von Versicherten, Krankenkassen, Praxen und Krankenhäusern zusammen, bildet also das Krankheits- und Behandlungsgeschehen ab. Dadurch entsteht eine wertvolle Datenbasis für eine noch bessere Behandlung von Krankheiten. So können zum Beispiel Doppeluntersuchungen und Wechselwirkungen zwischen Medikamenten vermieden werden. Dabei ist die Hoheit über die eigenen Daten von zentraler Bedeutung: Nur der Versicherte entscheidet, wer Zugriff auf seine Daten erhält. Auch die TK wird als Krankenkasse nur mit Zustimmung des Versicherten Zugriff bekommen und auf Wunsch die Leistungsdaten zur Verfügung stellen.

Wir sind überzeugt, dass unsere elektronische Gesundheitsakte einen erheblichen Mehrwert für die Versicherten darstellt. Wir müssen uns jedoch schnell auf die neuen Möglichkeiten durch die Digitalisierung einstellen, um die immensen Vorteile der Digitalisierung nutzen zu können. Große börsennotierte Digital-Konzerne aus den USA investieren enorme Summen in digitale Gesundheitsanwendungen. Um anschlussfähig zu sein, müssen wir uns vor allem auch für eine neue Kultur, eine neue Denkweise öffnen. Stichwort Transparenz: Eine digitale Gesundheitsakte bedeutet auch, dass das System sehr viel einsehbarer wird als es heute der Fall ist. Das gefällt nicht unbedingt jedem. Gerade deshalb brauchen wir von der Politik klare Vorgaben und Rahmenbedingungen. Sie muss dafür sorgen, dass es keine Insellösungen gibt, sondern jede Krankenkasse ihren Versicherten solch eine Akte anbieten muss.

 

Veraltete Denkmuster über Bord werfen

Eine weitere Auswirkung der Digitalisierung, die wir schon heute sehr deutlich sehen: Kleine Unternehmen drängen mit innovativen Apps auf den Markt. Die Startup-Szene ist in Deutschland jedoch mit ganz anderen Hürden konfrontiert als in vielen anderen Ländern. Hier muss uns der Spagat gelingen, solche Anwendungen schneller auf den Markt zu lassen und gleichzeitig einen Standard zu etablieren, der den im Gesundheitsbereich notwendigen hohen Qualitätsanforderungen entspricht.

Als „Die Techniker“ unter den Krankenkassen wollen wir auch auf diesem Gebiet unserer Rolle gerecht werden und selbst innovative Smart-Health-Versorgungskonzepte entwickeln. Dafür bauen wir derzeit das TKlab auf, ein digitales Kreativ-Labor, in dem sich Gesundheits- und IT-Experten agil mit der Weiterentwicklung unserer digitalen Produkte und neuen Innovationen beschäftigen. Hier gilt es für uns als Krankenkasse auch, veraltete Denkmuster über Bord zu werfen.

Als Innovationsführer stellen wir uns den Herausforderungen der Digitalisierung nicht nur, wir gestalten sie aktiv mit. Das deutsche Gesundheitssystem ist streng reguliert, was grundsätzlich nichts Schlechtes ist. Es führt aber auch dazu, dass Revolutionen wie die Digitalisierung es besonders schwer haben, sich durchzusetzen. Hier sind alle Akteure gefragt, mutig voranzugehen. Nur so kann sich im digitalen Zeitalter die Versorgungslandschaft zum Vorteil für die Versicherten weiterentwickeln.

 


Observer Gesundheit Copyright
Alle Kommentare ansehen