15.03.2025
Digital vor ambulant vor stationär
Für mehr Koordination in der ambulanten Versorgung
Dr. Jens Baas, Vorstandsvorsitzender der Techniker Krankenkasse (TK)
Fehlende Bedarfsgerechtigkeit in der Versorgung und mangelnde Kooperation zwischen den Gesundheitsberufen führen zu Effizienz- und Effektivitätsverlusten. Die Patientinnen und Patienten spüren dies vor allem durch die Schwierigkeit, zeitnah ambulante Termine zu bekommen. Ändern könnte das eine standardisierte digitale Ersteinschätzung des Behandlungsbedarfs, die zu einem schnelleren Zugang zur richtigen Versorgungsform beiträgt.
Dieser Weg sollte sich am medizinischen Bedarf orientieren und über eine digitale Terminplattform erfolgen, auf der Ärztinnen und Ärzte verschiedener Fachgruppen Terminkontingente zur Verfügung stellen. Dabei muss der Leitgedanke gelten: Termine sollen nicht der Vergütung, sondern dem Bedarf der Patientinnen und Patienten folgen.
Koordinationsbedarf nicht vernachlässigen
Die politische Lage ist gegenwärtig sehr dynamisch. Gleichzeitig steht die Politik vor allem beim Thema Gesundheit vor großen Aufgaben. Eine davon ist, für zeitgemäße Versorgungsstrukturen, besonders im ambulanten Sektor, zu sorgen. Denn aktuell ist die Versorgungslandschaft im deutschen Gesundheitswesen zu oft von historisch gewachsenen Strukturen geprägt. Behandlungspfade folgen nicht konsequent dem Motto „zur richtigen Zeit zum richtigen Arzt“, sondern historischen Mustern, Desorganisation, Vergütungsanreizen oder dem Zufallsprinzip.
Es besteht kein Zweifel: Wir brauchen gut koordinierte, effiziente wie auch effektive Angebots- und Vergütungsstrukturen. Wir müssen aber auch darüber sprechen, wie eine bedarfsgerechte Inanspruchnahme von Leistungen aussehen kann. Dabei gilt es, ein in der Gesundheitspolitik wiederkehrendes Handlungsmuster zu verhindern, nämlich Probleme mit viel Geld zuzuschütten, anstatt sie bei der Wurzel zu packen. Es muss endlich grundlegende Reformen im ambulanten Bereich geben.
Die Frage danach, wie Patientinnen und Patienten zielgerichteter durch das System geleitet werden können, ist zugegebenermaßen nicht neu. Heute stellt sie sich jedoch drängender als je zuvor. Mögliche Lösungsansätze und Konzepte dafür werden in der gesundheitspolitischen Debatte bisher noch – im Vergleich – wenig diskutiert. Dabei liegt auf der Hand, bereits vorhandene Ideen und Konzepte sinnvoll weiterzuentwickeln. Die leider gescheiterte Notfallreform der Ampel-Bundesregierung sah beispielsweise eine bessere Verzahnung von parallel existierenden Anlaufstellen vor, indem die telefonische ärztliche Leitstelle (116117) und die Rettungsleitstelle (112) verknüpft werden sollten.
Ersteinschätzung und zentrale Terminplattform
Wie erhalten Patientinnen und Patienten einen schnelleren und gerechteren Zugang zur vertragsärztlichen Versorgung? Nach dem Prinzip „digital vor ambulant vor stationär“ führt ein Weg über eine qualitätsgesicherte digitale Ersteinschätzung und eine zentrale Terminplattform, durch die Hilfesuchende die richtige Versorgungsebene schnell erreichen. Drei Elemente sind dafür zentral:
Neue Behandlungsfälle digital einschätzen: Wer ein gesundheitliches Problem hat, soll durch ein bundesweit einheitliches, standardisiertes Ersteinschätzungsverfahren auf den geeigneten Behandlungspfad kommen – je nach empfohlener medizinischer Dringlichkeit. Für leichte Fälle, wie Erkältungskrankheiten, kann das eine digitale Selbstversorgung sein, zum Beispiel durch Krankenkassen-Apps, telemedizinische Chats oder Videogespräche. Für wen eine ärztliche Betreuung notwendig ist, wird ein Haus- oder Facharzttermin vermittelt. Was dabei wichtig ist: Dieses Ersteinschätzungsverfahren muss unabhängig vom Einsatzort – ob online, am Praxistresen oder im neu zu schaffenden Integrierten Versorgungszentrum (INZ) – standardisiert ablaufen. Nur durch eine einheitliche Anwendung kann „Ersteinschätzungshopping“ vermieden werden. Um ein solches System aufzusetzen, ist die medizinische Expertise der Ärztinnen und Ärzte unerlässlich. Grundlage dafür können auch bereits existierende Verfahren sein, etwa die Einschätzung von SmED, die für den Patientenservice 116117 der Kassenärztlichen Vereinigung im Einsatz ist. Wichtig sind gemeinsame Standards, die die Selbstverwaltung definiert.
Termine digital über eine Plattform vermitteln: Es muss eine zentrale Terminplattform geben, auf der Vertragsärztinnen und -ärzte tagesaktuell einen bestimmten Prozentsatz ihrer Termine bereitstellen. Grundlage dafür, wer wie schnell einen Termin erhält, muss stets die medizinische Dringlichkeit einer Behandlung sein. Die gemeinsame Selbstverwaltung aus Ärzteschaft und Krankenkassen sollten diese Terminplattform (auf Basis von § 370a SGB V) weiterentwickeln. Das beinhaltet die Normierung des Verfahrens ebenso wie die Definition der hiervon betroffenen Neupatientinnen und -patienten und der Terminkontingente. Wichtig dabei ist, dass sowohl die Ersteinschätzung als auch die Terminplattform manipulationsresistent und diskriminierungsfrei ausgestaltet werden. Für eine effiziente Datenweiterleitung und nahtlose Versorgung muss die Terminplattform an die Telematikinfrastruktur (TI) und Praxisverwaltungssysteme (PVS) angeschlossen werden.
Versorgungsmanagement der Patientinnen und Patienten aktiver gestalten: Diese Ideen bedeuten auch, dass Krankenkassen zukünftig eine aktivere Rolle bei der Begleitung, Beratung und Empfehlung zum Terminmanagement ihrer Versicherten einnehmen können. Dafür müssen Krankenkassen auch an die Terminplattform angebunden werden, um dem Anspruch der Versicherten auf ein Versorgungsmanagement besser als bisher gerecht werden zu können. Dies bedeutet zugleich, dass die Leistungen der Terminserviceplattform (digital) kassenindividuell ausspielbar sein müssen. Erst so können Kassen ihre Versicherten bei der Terminfindung optimal unterstützen.
Termine dem Bedarf anpassen
Bei einer Reform muss der Leitgedanke gelten: Termine sollen dem Bedarf der Versicherten folgen. Wichtig ist, Hilfesuchende effizient in die geeignete Versorgungsstufe zu koordinieren und dadurch auch Kapazitäten im Gesundheitswesen besser und effizienter nutzbar zu machen.
Für Patientinnen und Patienten aber auch die Ärzteschaft bietet das strukturierte Modell deutliche Mehrwerte: Die digitale Ersteinschätzung gibt Hilfesuchenden eine schnelle Einordnung ihres gesundheitlichen Anliegens, nimmt Unsicherheiten und führt sie schneller in die richtige Versorgungsebene. Gleichzeitig entfallen durch digitale Angebote und effizientere Terminvergabe unnötige Wartezeiten in und Wege zu Arztpraxen. Eine digitale Selbstversorgung der leichteren Fälle, effizientere Abläufe und eine bessere Ressourcenverteilung kann die Ärzteschaft entlasten und ihnen mehr Zeit für komplexe Fälle verschaffen. Mit Blick auf das Gesamtsystem wird dadurch die Versorgungsqualität gesteigert, zudem besteht die Chance, Kosten in der Versorgung zu dämpfen.
_observer.jpg)
Alle Kommentare ansehen