Digital Health: Norwegen zeigt, wie es besser geht

Dr. Cornelius Maas, Partner bei SHS Capital

Als Healthcare-Investor haben wir einen guten Überblick über die innovativen Entwicklungen im Gesundheitssektor. Deutschland ist zwar einer der größten Gesundheitsmärkte in Europa, doch damit noch lange nicht Vorreiter – leider.  Ein Beispiel für ein gelungenes Zusammenwirken im Bereich des digitalen Gesundheitsmarktes ist Norwegen.

Die norwegische Regierung veröffentlichte bereits Anfang der 2000er Jahre das eNorway-Papier. Darin wurde die Telemedizin schon damals nicht als Option, sondern als Notwendigkeit dargestellt. Das Gesetz für Gesundheitspersonal §2, 6, 16 regelt die Telemedizin liberal: Die behandelnden Ärzt:innen können frei wählen, ob sie ihre medizinischen Beratungen digital oder analog durchführen möchten. So überrascht es kaum, dass 2021 mehr als jede vierte Hausarztbehandlung online stattfand. Auch beim Thema E-Rezept ist uns Norwegen weit voraus: Ärzt:innen können dank des elektronischen Patienten-Journal-Systems Medikamente problemlos per E-Rezept verschreiben. In Deutschland ist es noch ein langer Weg, bis das E-Rezept flächendeckend genutzt wird – darauf lassen zumindest aktuelle Zahlen schließen.

 

Mut zur Innovation

Wie gut Politik, Behörden und Krankenkassen zusammenarbeiten, wissen wir spätestens seit der Corona-Krise. Während von da an hierzulande vorwiegend Schwächen entlarvt wurden, sieht es in Norwegen anders aus: Zur Bewältigung der Krise arbeitete die Regierung eng mit jungen und dynamischen Healthcare-Unternehmen zusammen. Ein Beispiel ist Dr.Dropin: So hat die norwegische digital-analoge Healthcare Plattform das offizielle Mandat für das Corona-Testing am Osloer Flughafen erhalten – und nicht etwa ein etablierter Akteur. Ein Wagnis, das sich in Norwegen lohnte: Mittlerweile hat Dr.Dropin schon über eine Million Reisende getestet. Ähnliches lässt sich auch in Großbritannien beobachten: So arbeitet der National Health Service (NHS) eng mit Digital-Pionieren wie beispielsweise Cera Care zusammen, um gemeinsam nach digitalen Lösungen zu suchen. Auch die Care Quality Commission (CQC) sucht pragmatische Lösungen, die regulatorische Compliance und ökonomische Anreize für Innovationstreiber ermöglichen. Daraus resultieren spannende Geschäftsmodelle, wie zum Beispiel asynchrone ärztliche Konsultationen, deren Aufschwung ich persönlich mit großem Interesse verfolge.

Hierzulande sieht es anders aus: Aufstrebende Telemedizin-Unternehmen wie Zava oder Kry mussten schon ihre Geschäftsaktivitäten einstellen. Grund dafür ist eine nationale Regelung, die Telemedizin auf maximal 30 % begrenzt. Und das, obwohl eine Studie der Verbraucherzentrale Bundesverband (vzbv) zeigt: Mehr als die Hälfte aller Befragten wünschen die Videosprechstunde als Standardangebot. Darüber hinaus hindert zum einen das Werbeverbot – in § 9 des Heilmittelwerbegesetzes (HWG) verankert – und zum anderen das Erstattungs-Regime in Deutschland die digitale Durchführung ärztlicher Leistungen. Gerade letzteres sorgt für bis zu 30 % an Abschlägen. Da ist es nachvollziehbar, dass Ärzt:innen immer noch überwiegend analog behandeln.

Letzten Endes ist in Deutschland vieles gegeben: Initiativen wie DiGa und DiPa oder die erst kürzlich veröffentlichte Digitalisierungsstrategie für das Gesundheitswesen und die Pflege machen uns mancherorts sogar zum Vorreiter in der digitalen Gesundheitswirtschaft. Doch als Beobachter erscheint mir das Zusammenspiel eher als ein Gegeneinander, als ein Miteinander. Bei Gesprächen mit DiGa-Gründer:innen kommen oft inkonsistente Vorgaben von involvierten Behörden zur Sprache – angesichts der langfristig angelegten und teuren Studien-Konzepten ist das besonders schade. Unabhängig davon muss auch klar hinterfragt werden, weshalb die Themen E-Rezept und Gematik-Infrastruktur nur so langsam vorankommen. Vor diesem Hintergrund ist auch die jüngste Forderung von Gesundheitsminister Lauterbach interessant, die Praxis-Investoren zu verbieten.

 

Gemeinsames Ziel in Sicht – Hindernisse bleiben

Eigentlich verfolgen wir alle dasselbe Ziel: Wir möchten jene Innovationen fördern, welche die Gesundheitsversorgung in Deutschland nachhaltig verbessern können. So ist es für mich besonders schade, wenn wachsende Healthcare-Unternehmen mit innovativen Ansätzen den deutschen Markt erstmal meiden. Als wir bei Dr.Dropin über eine mögliche Expansion nach Deutschland sprachen, war mein ernüchterndes Votum als hier ansässiger Investor: „Guys, I wouldn‘t advise you to go to Germany, there are other, more innovation-friendly countries.” Sie möchten sich nun erstmal auf andere Gesundheitsmärkte in Europa fokussieren. Und zwar auf jene mit ähnlichen regulatorischen Bedingungen wie in Norwegen.


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