DiGA – gegen alle Widerstände erfolgreich

Pia Maier, Mitglied im Vorstand des Bundesverbandes Internetmedizin

Zum zweiten Mal legte der GKV-Spitzverband (GKV-SV) seinen Bericht zur Inanspruchnahme und Entwicklung der Versorgung mit digitalen Gesundheitsanwendungen (DiGA) vor.[1] Der GKV-SV nutzt seinen gesetzlichen Auftrag zur Präsentation von Verordnungszahlen auch in diesem Jahr für einige Polemik gegen DiGA. Dabei sind die Verordnungszahlen ermutigend – für den immer noch jungen Markt. Die besonders zahlreich verordneten DiGA werden hier genauer betrachtet – was macht sie erfolgreich? Auch der AOK-Bundesverband hat kürzlich aktuelle Zahlen vorgelegt, auf der Grundlage einer Befragung. Hier zeigen sich viele Nutzer:innen überzeugt von ihrer DiGA.

 

Was sind DiGA, und wie ist der aktuelle Stand?

Seit September 2020 haben gesetzlich Versicherte Anspruch auf die Versorgung mit digitalen Gesundheitsanwendungen, kurz DiGA, wenn sie von einer Krankheit betroffen sind, für die eine DiGA gelistet wurde. DiGA sind digitale Programme, Software, die als Medizinprodukt der Klasse I oder IIa anerkannt sein müssen, also auch die entsprechenden Prüfverfahren durchlaufen haben. Zudem werden sie vom Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) daraufhin geprüft, ob sie einen medizinischen Nutzen oder einen positiven Versorgungseffekt auf die patientenrelevanten Verfahren haben. Das müssen sie in medizinischen Studien nachweisen, bevor sie dauerhaft gelistet werden. Das Instrument der vorläufigen Listung gibt DiGA, die Aussicht auf einen Erfolgsnachweis haben, die Möglichkeit ihre Studien abzuschließen, während sie schon von den gesetzlichen Krankenkassen erstattet werden. Derzeit finden sich 40 DiGA im Verzeichnis[2], die verordnet werden können, fünf DiGA haben sich entweder selbst aus dem Verzeichnis gestrichen oder wurden gestrichen. Für einen neu entstandenen Bereich mit umfassenden technischen Voraussetzungen sind 45 Produkte in gut zwei Jahren, die über 200.000 Mal nachgefragt wurden, eine gute Bilanz. Der Berichtszeitraum des GKV-SV bis September 2022 umfasst insgesamt 33 DiGA.

 

Was ist über die Versorgung mit DiGA bekannt?

Laut GKV-SV-Bericht wurden 203.000 DiGA verordnet oder genehmigt[3] und 164.000 davon eingelöst. Die Zahl der Verordnungen dürfte jedoch tatsächlich höher liegen. Um diese Zahlen richtig einordnen zu können, braucht es einen Blick auf das Verfahren, mit dem Patient:innen vom Rezept zur DiGA kommen. In der Mehrzahl der Fälle (89 Prozent laut Bericht) wird die DiGA vom Arzt/von der Ärztin verordnet. Die/der Patient:in bekommt in diesem Fall ein rosa Papier-Rezept. Dieses Rezept muss bei der Krankenkasse geprüft werden, dazu schickt man es entweder per App/Online-Kommunikation, Brief oder geht in der Geschäftsstelle vorbei. Nach der Prüfung, ob der/die Versicherte tatsächlich Anspruch auf die Versorgung mit DiGA hat, gibt die Kasse einen Freischaltcode aus, mit dem die DiGA beim Hersteller bezogen werden kann. Wenn der GKV-SV von verordneten und genehmigten DiGA spricht, zählt er die Zahl der Freischaltcodes – die Zahl der von Ärzt:innen verordneten DIGA, die gar nicht erst den Weg zur Krankenkasse gefunden haben, ist nicht bekannt.

Sichtbar an diesen Zahlen ist, dass 39.000 verordnete oder genehmigte DiGA nicht abgerufen wurden. Das dürfte auch am noch zu wenig bekannten Weg liegen, wie Versicherte die DiGA beziehen können (Webseite der Hersteller/in den Stores je nach Betriebssystem). Die Aufklärung darüber kann nicht nur in der Arztpraxis erfolgen, aber es wird dauern, bis der Weg der digitalen Einlösung genauso selbstverständlich wird, wie der Gang in die Apotheke. Elektronische Verordnungen werden das Verfahren hoffentlich einfacher machen, werden allerdings erst 2025 umgesetzt werden.

Interessant sind die soziodemographischen Daten, die veröffentlicht wurden: Der Anteil der Frauen unter den Nutzenden liegt mit 70 Prozent deutlich höher als der von Männern.[4] Das kann sowohl an der höheren Bereitschaft sich Hilfe zu suchen liegen, wie auch an höheren Prävalenz bei bestimmten Erkrankungen. Mit Brustkrebs, Endometriose und Vaginismus wenden sich derzeit insgesamt vier DiGA an spezielle Frauenerkrankungen, eine ausschließlich an Männer.

Beim Anteil der Genehmigung durch die Krankenkasse sticht die App gegen Impotenz heraus: Offenbar wählen mit 39 Prozent der Nutzenden überdurchschnittlich viele den Weg zur Krankenkasse, mit deutlichem Abstand folgen die onkologischen Erkrankungen mit 22 Prozent, Krankheiten des Nervensystems mit 15 Prozent.[5]

Die Altersgruppen, die DiGA am häufigsten nutzen, sind die zwischen 50 und 60 Jahren. Bei der Aufschlüsselung nach Indikationsgruppen sind die Krankheiten des Verdauungssystems ein Thema jüngerer Nutzenden – hier liegt das Durchschnittsalter bei 37.[6]

Die KV-Regionen unterscheiden sich erheblich bezüglich der Menge der Verordnungen: Zwischen 179 Verordnungen pro 100.000 Versicherten in Berlin und 97 im Saarland besteht ein erheblicher Unterschied. In der Gruppe der „Spitzenverordner“ liegen aber nicht nur die Stadtstaaten Hamburg und Berlin, denen man ein jüngeres und digital affineres Publikum zusprechen könnte – auch Schleswig-Holstein gehört zu den drei KV-Regionen mit den meisten Verordnungen pro 100.000 Versicherten.[7]

 

Was zeichnen die erfolgreichen DiGA aus?

Nach eingelösten Freischaltcodes liegen die DiGA zanadio (28.000), Vivira (27.000), Kalmeda (27.000), somnio (16.000), M-Sense (12.000) und deprexis (10.000) vorne, wobei alle Vergleiche hinken, denn die DiGA befinden sich unterschiedlich lang im Verzeichnis und adressieren unterschiedliche Indikationen mit verschiedenen Prävalenzen.[8] Dennoch scheinen diese DiGA einiges richtig zu machen.

Zanadio[9] ist eine DiGA zur Lebensstiländerung bei Adipositas, zunächst zur Erprobung aufgenommen, seit August 2022 dauerhaft gelistet, allerdings nur für Frauen. Die Erprobungsstudie konnte 149 Patient:innen einschließen, davon nur 13 Männer. Daher konnte der Nachweis für die Wirksamkeit nur bei Frauen erbracht werden – es waren schlicht nicht genug Männer eingeschlossen. Zanadio setzt auf dauerhafte Veränderungen und empfiehlt die Nutzung für mindestens 12 Monate. Ein erheblicher Anteil scheint dieser Empfehlung auch zu folgen – zanadio hat einen wesentlichen Anteil an Folgeverordnungen[10]. Die App schafft es also, Ärzt:innen und Patient:innen in zahlreichen Fällen vom Nutzen zu überzeugen und wiederverordnet zu werden. Der Preis von zanadio liegt bei 499,80 Euro pro Quartal (noch kein Vergütungsbetrag verhandelt). Das ist durchaus hoch, höher als vergleichbare Angebote im Selbstzahlermarkt, die jedoch den wissenschaftlichen Nachweis der Wirksamkeit nicht erbracht haben. Behandlungsalternativen, die den Lebensstilwandel dauerhaft begleiten, gibt es auf Kassenkosten nicht (Ernährungsberatung wirkt nur punktuell). Damit bedient zanadio eine echte Versorgungslücke – was sich in den Zahlen niederschlägt.

Vivira[11] bietet Bewegungstherapie bei Rückenschmerzen, die angebotenen täglichen Übungen reagieren auf die Rückmeldungen und Bewegungstests der Nutzenden. Zunächst zur Erprobung aufgenommen war Vivira auch zur Behandlung von Knie- und Hüftschmerzen, die dauerhafte Aufnahme erfolgte nur für die Rückenschmerzen im Februar 2022. Die Erprobungsstudie wurde im Bereich Rückenschmerzen durchgeführt und konnte zeigen, dass Rückschmerzen in klinisch relevantem Ausmaß reduziert werden – stärker als bei der Kontrollgruppe, die Krankengymnastik erhielt.[12] Das BfArM hat die Ergebnisse nicht auf die Indikationen Knie- und Hüftschmerzen übertragen. Vivira ist eine Alternative zur klassischen Krankengymnastik und liegt mit 239,96 Euro/Quartal auf dem Niveau, das für analoge Physiotherapie (zweimal sechs Einheiten Manuelle Therapie ca. 260 Euro) mindestens auch investiert werden müsste. Zudem bietet vivira motivierten, digital affinen Nutzenden den ständigen Zugang zu den Übungen – es wird nicht nur beim Besuch in der Physiotherapiepraxis, sondern täglich zuhause geübt. Auch vivira wird wiederholt verordnet. Zusätzlich hat vivira eine ärztliche Vergütung für die Befund- und Verlaufskontrolle integriert – der/die Ärzt:in wird also für die Mitarbeit und Kontrolle zur Nutzung der DiGA zusätzlich vergütet. Zusammen mit guten Erfahrungen dürfte das die Bereitschaft zur Verordnung erhöhen. Verordnet wird vivira häufig von Orthopäd:innen.[13]

Kalmeda[14] bietet verhaltenstherapeutische Therapie bei Tinnitus. Die App wurde zunächst zur Erprobung aufgenommen und konnte im vorgesehenen Zeitraum überzeugende Ergebnisse für die dauerhafte Aufnahme vorlegen. Seit Dezember 2021 ist Kalmeda dauerhaft gelistet. Der Preis von Kalmeda lag zunächst bei 116 Euro, wurde nach dem erfolgreichen Abschluss der Studie auf 203 Euro erhöht und hat inzwischen einen Vergütungsbetrag von 189 Euro durch Schiedsverfahren. Kalmeda hat preislich das gemacht, was manche erwartet hatten: Günstig in der Erprobungsphase, nach erfolgreichem Abschluss dann aber eine Preiserhöhung auf einem Niveau, das annähernd von der Schiedsstelle bestätigt wurde. Der Nutzen von Kalmeda und der dafür zu zahlende Betrag liegt deutlich über dem Einstiegspreis. Trotzdem skandalisiert der GKV-SV Preiserhöhungen, ohne sie durch solche Zusatzinformationen ins Verhältnis zu setzen.[15]

Auch Kalmeda bietet eine schnell zugängliche Behandlungsalternative, die in der Regelversorgung nicht möglich ist. Der verhaltenstherapeutische Ansatz wäre mit Psychotherapie zu erreichen, diese ist jedoch mit Wartezeiten verbunden. Außerdem ist das Programm spezifisch auf Tinnitus zugeschnitten – was in der psychotherapeutischen Praxis vielleicht nicht der Fall wäre. Kalmeda wird fast ausschließlich von Praxen der Hals-, Nasen-, Ohrenheilkunde[16] verordnet, denn dorthin wenden sich die Betroffene. Die klare Zuordnung an ein Fachgebiet macht die Information der Fachkreise vermutlich deutlich leichter.

Somnio[17] bietet digitale Behandlung von Ein- und Durchschlafstörungen, die App wurde gleich dauerhaft aufgenommen. Der Herstellerpreis von 464 Euro wurde von einem Vergütungsbetrag von 224,99 Euro abgelöst. Für die Verordnung und Behandlung mit Somnio gibt es eine eigenständige Ziffer, die der/die Ärzt:in abrechnen kann. Leider gibt der Bericht des GKV-SV keine Auskunft darüber, ob die Preissenkung nach der Festlegung des Vergütungsbetrages Auswirkungen auf die Verordnungszahlen hatte. Die Schiedsstelle bemüht sich anhand der Kosten von Behandlungsalternativen und dem nachgewiesenen medizinischen Nutzen, einen Preis herzuleiten. Das „gefühlte“ Preis-Leistungs-Verhältnis könnte der DiGA mit dem geringeren Preis einen Aufschub gegeben haben. Aber auch Somnio bedient eine Versorgungslücke: Das Herangehen der App entspricht einem verhaltenstherapeutischen Ansatz, der so intensiv, spezifisch und schnell in der Regelversorgung nicht zugänglich ist.

Deprexis[18] ist ein onlinebasiertes Selbsthilfeprogramm zur Unterstützung von Patient:innen mit Depressionen, es wurde direkt dauerhaft aufgenommen. Deprexis hatte im Vorfeld einige Verträge der Integrierten Versorgung mit Kassen geschlossen und lag preislich im Vergleich zu anderen Apps, die ebenfalls Depressionen adressieren, relativ günstig. Der Herstellerpreis lag bei 297,50 Euro, der Vergütungsbetrag liegt bei 210 Euro und damit etwas niedriger als bei anderen bereits verhandelten DiGA der gleichen Indikationsgruppe. Die höheren Verordnungszahlen können verschiedene Gründe haben: längerer Verbleib im Verzeichnis, bestehende Beziehungen aus Integrationsverträgen, Kostengründe.

Insgesamt verordneten Hausärzt:innen am meisten DiGA, und sie bedienen ganz unterschiedliche Indikationsbereiche.[19] Eine Analyse wie viele Hausarztpraxen verschiedene DiGA verordnen, liegt leider nicht vor. Aus Sicht der Vermarktung ist der Zugang über eine Facharztgruppe vielleicht erfolgversprechender, sofern die Zielgruppe Zugang zu den Fachärzt:innen hat, als der Weg über die von vielen umworbenen Hausärzte.

 

Kritik am Erprobungszeitraum

Der GKV-SV spart in seinem Bericht nicht mit Hinweisen, dass die Kassen für „DiGA ohne Nutzen“ bezahlen müssten, wenn es um DiGA in der Erprobung geht. Dazu ist klar zu sagen, dass „(noch) ohne Nutzennachweis“ nicht gleich unnütz ist. Die Bewertungsentscheidungen des BfArM zeigen, mit welcher Präzision das Institut die positiven Entscheidungen begründet. Daraus kann auch auf die Probleme derer rückgeschlossen werden, die keinen Erfolg hatten. Die DiGA starteten mitten in der Coronapandemie, und die Zeit bis September 2022 zeigte in vielen Bereichen des Gesundheitswesens weiterhin eine veränderte In-Anspruchnahme – weniger Vorsorgeuntersuchungen, weniger elektive Eingriffe. Das wird auch Einfluss auf die Menge derer gehabt haben, die bereit waren, an medizinischen Studien teilzunehmen. Studien können daher – trotz Verlängerung – an zu wenig Teilnehmenden gescheitert sein.

Bekannt ist bisher nur von einem Fall, der an fehlendem medizinischen Nachweis gescheitert ist: M-Sense zur Behandlung von Migräne konnte den gewünschten medizinischen Endpunkt nicht erreichen. Die App hatte dennoch hohe Verordnungszahlen, was für gute Erfahrungen im Versorgungsalltag spricht. In Studien ist allerdings nicht immer nachzuweisen, was in der Praxis für viele Menschen funktioniert. Zwei weitere Rückzüge aus dem Verzeichnis werden mit fehlender Zeit begründet: Mika erklärt dies selbst[20], Esysta erhielt im BfArM-Verzeichnis den Hinweis, dass die Studie nicht im Erprobungszeitraum abgeschlossen werden konnte.[21]

Sieht man sich parallel dazu noch die Ergebnisse der Befragung von DiGA-Nutzer:innen durch den AOK-Bundesverband an, kommt der Nutzen der DiGA gut an: Für 58 Prozent war die DiGA eine sinnvolle Ergänzung zur Therapie (voll und ganz und eher zutreffend), für weitere 19 Prozent immerhin teils-teils. 70 Prozent schätzen die freie Zeiteinteilung, nur 29 Prozent meinen, dass sie nicht oder eher nicht helfe die Krankheit in den Griff zu bekommen.[22]

Auch der AOK-Bundesverband setzt die Überschriften seiner Befragung mit politischer Absicht. Die Nutzungsdauer wird überschrieben mit „Rund ein Vierteil der Befragten nutzt die DiGA kürzer als empfohlen.“[23] Mitgerechnet wurden hier aber auch die 21 Prozent, die die Nutzungsdauer noch gar nicht erreicht haben. „75 Prozent nutzen die DiGA mindestens so lange wie empfohlen“ wäre genauso richtig. Bei der Frage nach der Nutzungsdauer antworten 74 Prozent mit bis zu drei Monaten oder 3 Monate und länger – was der jeweiligen Nutzungsdauer weitgehend entspricht.[24] Nur 3 Prozent nutzen nur wenige Tage, zwei Prozent bis zu einer Woche, 8 Prozent bis zu einem Monat – es sind also nur 13 Prozent, die definitiv unter der empfohlenen Dauer bleiben. Die Anteile bei den digital Affinen sind sogar noch höher.

 

Kritik an der Preisgestaltung

Der Hinweis, dass die Preise insgesamt zu hoch seien und die vorhandenen Instrumente nicht ausreichen würden, erfolgt an einigen Stellen im Bericht des GKV-SV.[25] Die bisher öffentlichen Vergütungsbeträge wurden fast alle von der Schiedsstelle festgelegt, eine Einigung zwischen Kassen und Herstellern war also nicht möglich. Unabhängig von den jeweiligen unternehmerischen Entscheidungen den Preis im ersten Jahr zu setzen – wer viel fordert, muss auch mit hohen Preisen rechnen. Die Anforderungen an DiGA sind komplex und aufwändig und sie erfordern ständiges Weiterarbeiten an der DiGA, um alle Sicherheitsanforderungen und den notwendigen Support dauerhaft sicherzustellen. Die Preise spiegeln diese Anforderungen wider. Außerdem sind sie angesichts der regulatorischen Rahmenbedingungen gewählt: Wer in eine Verhandlung muss, startet mit Sicherheitspolster, erst recht solang noch Vergleichspreise fehlen. Wer über den Nutzennachweis gehen muss, muss die Kosten dafür auf den Preis umlegen – in Abhängigkeit von der zu erwartenden Nutzerzahl. Daher sind DiGA in kleinen Indikationen wie Multiple Sklerose so teuer: Sie können nicht auf die gleichen Nutzerzahlen kommen wie Apps in Bereichen mit hoher Prävalenz.[26]

Ob die Vergütungsbeträge auf Dauer auskömmlich sein werden, damit gute Produkte auch weiterhin auf dem Markt bleiben, werden wir erst in einigen Jahren wissen. Der DiGA-Markt startete ohne gewachsene Strukturen wie bei ärztlicher Vergütung und im Arzneimittelmarkt, wo die Regulierung in einem laufenden System einsetzte. Die Orientierung an den Kosten für Behandlungsalternativen funktioniert vielleicht nur in bestimmten Bereichen. Dort wo die Behandlungsalternativen nicht vorhanden sind oder niedrigpreisige Generika sind, gehen uns vielleicht digitale Alternativen verloren, weil sie kein suffizientes Geschäftsmodell aufbauen können. Dass der Bereich der Herzerkrankungen bisher nicht von einer DiGA adressiert wird, mag daran liegen.

 

Ausblick

Die inzwischen vorhandenen Vergütungsbeträge – zwischen rund 190 und 250 Euro im Quartal – stellen eine Orientierung dar, mit der künftige Anbieter besser kalkulieren können: Kann der Aufwand der Entwicklung und des dauerhaften Betriebes der DiGA zu diesen Preisen geleistet werden? Reichen die Verordnungszahlen? Wie komplex können die Angebote für diese Preisstruktur gestaltet sein? In Feldern mit ausreichend hohen Patientenzahlen und digital affinem Publikum können auf dieser Basis sicherlich Geschäftsmodelle entstehen. Trotz Ausnahmeklauseln für seltene Erkrankungen sind die Modelle bei geringen Fallzahlen vermutlich eher nicht tragfähig.

Hohe Weiterempfehlungsraten und gute Zufriedenheit bei der Nutzung in der Befragung des AOK-Bundesverbandes zeigen zudem, dass es geeignete Patient:innen und Konstellationen gibt, in denen die digitale Behandlungsalternative klare Vorteile hat. Das gilt nicht für jede und jeden und nicht zu jeder Zeit – DiGA sind eine weitere Option, für die eine mehr, für den anderen weniger geeignet.

Die gesetzliche Konstruktion der DiGA verlangt derzeit, dass es reine Softwareprodukte sein sollen, die keine wesentlichen menschlichen Anteile enthalten. Damit hat der Gesetzgeber klug integrierte digitale Produkte, die den analogen Behandlungsprozess begleiten, von vornherein ausgeschlossen. Dies zu verändern ist ein dringendes Anliegen: Im Sinne von multimodalen Therapieansätzen könnten digitale Produkte gerade im Zusammenwirken mit der menschlichen Therapie noch weitere Potenziale entfalten.

Die bisherige Erfahrung zeigt aber auch: DiGA laufen im Markt nicht von allein. Ärzt:innen wollen gut informiert werden, und das bedeutet Investment in Marketing, in Präsenz auf Fachtagungen, in einen Außendienst/Support, der für Nachfragen zur Verfügung steht.

 

[1] Bericht des GKV-Spitzenverbandes über die Inanspruchnahme und Entwicklung der Versorgung mit digitalen Gesundheitsanwendungen (DiGA-Bericht) gemäß § 33a Absatz 6 SGB V. Berichtszeitraum 01.09.2020 – 30.09.2022.
Herausgegeben vom GKV-Spitzenverband am 01.01.2023. https://www.gkv-spitzenverband.de/media/dokumente/krankenversicherung_1/telematik/digitales/2022_DiGA_Bericht_BMG.pdf

[2] https://diga.bfarm.de/de/verzeichnis, Stand am 12.01.2023

[3] DiGA können auch von der Krankenkasse genehmigt werden, der Anteil liegt laut GKV-SV-Bericht bei 11 Prozent. Der folgende Abschnitt bezieht sich der Einfachheit halber auf die mehrheitlich übliche Art der Verordnung durch Ärzt:innen. Bezug: GKV-Spitzenverband, DiGA-Bericht 2022, Seite 16

[4] GKV-Spitzenverband: DiGA-Bericht 2022, Seite 20

[5] GKV-Spitzenverband: DiGA-Bericht 2022, Tabelle 4: Merkmale von DIGA nach Indikationsgebiet, Seite 22

[6] GKV-Spitzenverband: DiGA-Bericht 2022, Abbildungen 9 und 10, Seite 21/23

[7] GKV-Spitzenverband: DiGA-Bericht 2022, Abbildung 11: Inanspruchnahme pro 100.000 Versicherte nach KV-Region, Seite 24

[8] GKV-Spitzenverband: DiGA-Bericht 2022, Tabelle 3 Verordnungen je DiGA, Seite 18

[9] https://zanadio.de/, https://diga.bfarm.de/de/verzeichnis/00294

[10] GKV-Spitzenverband, DiGA Bericht 2022, Abbildung 13: Folgeverordnungen nach DiGA, Bericht… Seite 27

[11] https://diga.bfarm.de/de/verzeichnis/00387

[12] https://www.vivira.com/, https://www.vivira.com/studien/

[13] GKV-Spitzenverband, DiGA Bericht 2022, Abbildung 12: Verteilung der Verordnungen nach DiGA und Arztgruppe, Seite 26

[14] https://www.kalmeda.de/, https://diga.bfarm.de/de/verzeichnis/00350

[15] GKV-Spitzenverband, DiGA Bericht 2022, Abbildung 5: Preiserhöhungen von Erprobungs-DiGA, Seite 15

[16] GKV-Spitzenverband, DiGA Bericht 2022, Abbildung 12: Verteilung der Verordnungen nach DiGA und Arztgruppe, Seite 26

[17] https://somn.io/,  https://diga.bfarm.de/de/verzeichnis/00508

[18] https://de.deprexis.com/, https://diga.bfarm.de/de/verzeichnis/00450

[19] GKV-Spitzenverband: DiGA-Bericht 2022, Abildung12: Verteilung der Verordnungen nach DiGA und Arztgruppe, Seite 26

[20] Mika kündigt am 20.03.2022 an mit den Studienergebnissen später die dauerhafte Aufnahme zu beantragen:
https://uploads-ssl.webflow.com/5eea2d3bbb1a6d45283bb3f5/6242b17b77120723c24387ff_22_28_03_PM_DiGA%20Status.pdf

[21] https://diga.bfarm.de/de/verzeichnis/00939, im Vergleich dazu Rehappy: der medizinische Nutzen konnte nicht nachgewiseen werden: https://diga.bfarm.de/de/verzeichnis/00691

[22] AOK-Bundesverband: Kurzbericht Nutzerbefragung DiGA, Januar 2023, Folie 18 https://aok-bv.de/imperia/md/aokbv/presse/pressemitteilungen/archiv/kurzbericht_diga-befragung_2023.pdf

[23] AOK-Bundesverband, Kurzbericht, Folie 8

[24] AOK-Bundesverband, Kurzbericht, Folie 7

[25] GKV-Spitzenverband, DiGA Bericht 2022, Vorwort, Executive Summary (II, VII), Seite 14ff,

[26] Ob die Kosten von über 2.000 Euro für kognitive Verhaltenstherapie für Patient:innen mit Multipler Sklerose zur Verbesserung der Lebensqualität gerechtfertigt sind, kann an dieser Stelle nicht eingeschätzt werden. https://diga.bfarm.de/de/verzeichnis/00752

 

 

Weitere Beiträge von Pia Maier zum Thema im Observer Gesundheit: 

Höchstbetrag und Schwellenwert für DiGA entschieden, Observer Gesundheit, 13. Juli 2022,

Höchstbeträge für DiGA, Observer Gesundheit, 23. Dezember 2021,

Verhandeln mit der Rahmenvereinbarung, Observer Gesundheit, 16. April 2021,

Droht das Aus vor dem Durchstarten?, Observer Gesundheit, 15. Dezember 2020,

Was dürfen DIGA kosten?, Observer Gesundheit, 2. Oktober 2020,

Digitale Gesundheitsanwendungen – Chance für das Gesundheitswesen, Observer Gesundheit, 24. Januar 2020.


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