06.06.2025
Die Zeit ist reif für ein Sondervermögen Gesundheit
Johannes Wagner MdB, Bündnis 90/Die Grünen, Mitglied im Gesundheitsausschuss
Die neue Gesundheitsministerin Nina Warken hat keine Schonzeit: Der Reformbedarf im Gesundheitssystem ist riesig und so drängend wie vielleicht nie. An allererster Stelle steht die Finanzstabilisierung der Kranken- und Pflegeversicherung; alle wissen, das sind die ganz dicken Bretter.
Aber die Koalition lässt sich erstmal Zeit. Statt schnell Maßnahmen vorzuschlagen, die durch Strukturreformen die Ausgabendynamik bremsen würden, und verbindlich für eine faire Finanzierung der Krankenkassenleistungen zu sorgen, wird das Thema in eine Kommission verschoben, die erst 2027 Ergebnisse liefern soll. Zurecht wird befürchtet, dass die Beitragsbelastung für die gesetzlich Versicherten in den nächsten Jahren weiter steigt.
Schon Mitte letzten Monats, also gleich zu Beginn der Amtszeit von Nina Warken, musste der Bund der Liquiditätsreserve der gesetzlichen Krankenversicherungen 800 Millionen Euro zuschießen. Und bei der Krankenhausreform, um die Bund und Länder in der letzten Wahlperiode mühsam gerungen haben, steht zu befürchten, dass sie jetzt doch wieder ausgehöhlt wird. Dabei waren sich alle einig, es braucht diese Reform dringend, um ein großes Kliniksterben – vor allem bei kleineren Krankenhäusern auf dem Land – zu verhindern und ihnen Planungssicherheit zu geben.
An den Ursachen ansetzen: Prävention in den Mittelpunkt stellen
Dass wir in der Gesundheitspolitik umsteuern müssen, zeigt sich auch daran, dass Deutschland im internationalen Vergleich sehr viel Geld für Gesundheit ausgibt, aber nur unterdurchschnittliche Ergebnisse bei der Lebenserwartung erzielt. Wir müssen raus aus der Symptombekämpfung und ran an die Ursachen. Das sage ich als Mediziner und als Politiker. Gesundheitspolitische Entscheidungen müssen deshalb insgesamt stärker auf Prävention ausgerichtet werden. Das spart Kosten und verbessert gleichzeitig den Gesundheitszustand der Menschen. Und sie müssen im Sinne von Verhältnisprävention die Ungleichheiten von Menschen adressieren. Eins der größten Gesundheitsrisiken etwa ist Armut.
Das Verhältnis der CDU/CSU zu Prävention kann man jedoch im besten Fall als bigott bezeichnen. Cem Özdemirs Gesetzesvorhaben zum besseren Kinderschutz, nämlich Werbebeschränkungen für ungesunde Lebensmittel und eine Zuckersteuer, hatte die Union – im Schulterschluss mit der Lebensmittelindustrie – erbittert bekämpft. Seit sie nun für das Gesundheitsressort zuständig ist, wird Prävention in jeder Unionsrede im Deutschen Bundestag als der Schlüssel benannt, aber wenn es konkret wird, wird nur herumlaviert. Der Koalitionsvertrag klammert Gesundheitsförderung und Prävention praktisch aus. Und auch Nina Warken hat auf die jüngsten Forderungen der Bundesärztekammer nach einer Abgabe auf Zucker genauso wie auf Tabak und Alkohol, die zusätzliche Einnahmen für das Gesundheitssystem generieren könnten, sehr zurückhaltend reagiert.
Und dann ist da ja noch die Klimakrise, die trotz ihrer dramatischen Zuspitzung seltsam stiefmütterlich behandelt wird: Sie ist auch längst eine Gesundheitskrise. Allein im Jahr 2018 sind in Deutschland 8.700 Menschen infolge extremer Hitze gestorben. Angesichts der immer häufigeren Hitzewarnungen, wie sie auch für dieses Jahr schon wieder ausgesprochen wurden, muss der Hitzeschutz eine klare Priorität der Bundesregierung sein. Dafür sollte sie zum Beispiel das Monitoring von Hitzetoten und hitzebedingten Erkrankungen weiter ausbauen, Hitzeschutz im Arbeitsschutz sowie in der Aus- und Weiterbildung von Gesundheitsberufen verankern, den von der Ampel eingeführten nationalen Hitzeschutzplan fortführen und weiterentwickeln. Insbesondere müssen dafür ausreichend Mittel zur Verfügung gestellt werden. Der beste Gesundheitsschutz ist aber auch hier der, der an den Ursachen ansetzt: beim Klimaschutz selbst.
Für mehr Utopie in der Gesundheitspolitik
Die Erfolge der Bundesregierung im Gesundheitsbereich werden sich daran messen lassen müssen, ob unser Gesundheitssystem weiterhin finanzierbar bleibt und wir die Qualität und Effizienz der Versorgung spürbar verbessern können. Das erfordert mutige Schritte: Ein Sondervermögen Gesundheit, das in die Gesundheitsinfrastruktur und Digitalisierung investiert, könnte zeigen, dass die Herausforderungen auch ambitioniert angepackt werden sollen. Für Kulturkämpfe um die Frage, wer wem auf den Teller regiert, haben wir weder Zeit noch Ressourcen.
Es ist viel mehr die Frage, ob wir es ernst meinen mit mehr Prävention, tatsächlichen Strukturreformen, gezielten Maßnahmen zum Schutz von besonders benachteiligten Gruppen. Ein Blick nach Frankreich, wo jetzt das Rauchen an Orten eingeschränkt wird, an denen sich auch Kinder aufhalten, zeigt, was möglich ist. Darin könnte man jetzt das Verbot sehen und dagegen Stimmung machen oder man sieht darin die Chance, die erste rauchfreie Generation zu sein. Und damit die Chance auf ein gesünderes und selbstbestimmtes Leben. Ich bin überzeugt, dass diese Utopie es wert ist, für sie mit aller Kraft einzutreten.
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