Die Warnsignale einer Systemüberlastung im Krankenhaus frühzeitig erkennen

USA-Studie: Eine Bettenbelegungsdichte von weniger als 93 % ist für ein Krankenhaus empfehlenswert für die optimale Versorgungsqualität



Um dem Kostendruck stand zu halten, sollte ein Krankenhaus möglichst viele Patienten mit dem vorhandenen Personal und den materiellen Ressourcen behandeln. Die Gesundheitspolitik zieht mit den Regulierungen aus der 19. Legislaturperiode die Zügel weiter an und erhöht damit die wirtschaftlichen Anforderungen für die Krankenhausversorgung (siehe Maßnahmenanalyse Observer Gesundheit ). Doch wie hoch sollte die Auslastung sein, um wirtschaftlich als Krankenhaus gut da zu stehen? Eine Studie [1] aus den USA zeigt auf, welche Auswirkungen eine steigende Arbeitsbelastung durch zunehmende Patientenzahlen auf die Krankenhausversorgungsqualität hat. Die komplette Bettenauslastung ist dabei nicht von Vorteil für die Klinik und für Patienten, die besonders behandlungsbedürftig sind.

Deutsche Krankenhäuser sind zunehmend mit einem erhöhten Kostendruck und steigenden Systemanforderungen konfrontiert. Um die Wirtschaftlichkeit von Krankenhäusern sicherzustellen, wird vermehrt die Anzahl an aufgestellten Betten reduziert, um eine möglichst hohe Belegungsdichte mit den verfügbaren Betten zu erzielen, wobei die Anzahl an stationären Fällen weiter zunimmt [2]. Eine hohe Belegungsdichte ist gegeben, wenn ein Großteil der verfügbaren Krankenhausbetten mit Patienten belegt ist. Im Anbetracht der gegenwärtigen Situation erscheint dieses Vorgehen als eine logische Schlussfolgerung. Mit einer hohen Belegungsdichte steigt auch die Auslastung von Krankenhausressourcen (z.B. Personal, aufgestellte Betten, Behandlungsräume). Die effiziente Nutzung der Kapazitäten der Krankenhausressourcen ist im Zuge der wirtschaftlichen und gesundheitspolitischen Rahmenbedingungen für ein Krankenhaus allgegenwärtig. Die Zielsetzung, möglichst viele Patienten mit den vorhandenen Krankenhausressourcen zu behandeln, ist jedoch für die Erhaltung der Versorgungsqualität nicht immer förderlich. Dies wird vor allem deutlich, wenn man sich vergangene Studienergebnisse anschaut, die den Zusammenhang zwischen einer hohen Belegungsdichte und der Verweildauer von Patienten im Krankenhaus untersuchen.

 

Der Überlastungseffekt: Zunehmende Belegungsdichte, längere Verweildauer

Eine Studie von Kuntz et al. [3] hat gezeigt, dass sich mit einer zunehmenden Belegungsdichte die Verweildauer von Patienten verlängert. Dies lässt sich mit dem so genannten „Überlastungseffekt“ begründen. Mit einer zunehmenden Belegungsdichte steigt auch die Arbeitsbelastung und damit die mentale Ermüdung des Krankenhauspersonals, die eine leistungsverlangsamende Wirkung haben kann. Die Arbeitsbelastung des Krankenhauspersonals, kombiniert mit zunehmenden Wartezeiten auf entsprechende Ressourcen (z.B. Arzt für Behandlung) im Zuge einer steigenden Belegungsdichte, verlängert den Krankenhausaufenthalt von Patienten.

 

Der Beschleunigungswendepunkt: Zunehmende Belegungsdichte, kürzere Verweildauer

Ferner haben Studien gezeigt: Wenn die Belegungsdichte mit dem Eintritt des Überlastungseffektes weiter ansteigt, ist ein sogenannter „Beschleunigungswendepunkt“ zu beobachten. Steigt die Belegungsdichte weiter an, so verkürzt sich die Verweildauer von Patienten (siehe z.B. [3-5]). Begründen lässt sich diese Entwicklung damit, dass das Krankenhauspersonal versucht, die steigende Arbeitsbelastung zu reduzieren, die aus einer zunehmenden Patientenanzahl resultiert. Eine Reduktion der Arbeitsbelastung entsteht bspw. durch eine Beschleunigung der Arbeitsprozesse, eine Vernachlässigung von Tätigkeiten oder eine Veränderung der Reihenfolge, nach der die anstehenden Tätigkeiten durchgeführt werden. Damit werden die Behandlungen von Patienten in dieser Phase der zunehmenden Belegungsdichte beschleunigt, was dazu führt, dass Patienten im Durchschnitt früher entlassen werden [6]. Dadurch schafft es ein Krankenhaus, dem Überlastungseffekt entgegenzuwirken. Mit diesem Vorgehen können unter einer weiter ansteigenden Belegungsdichte auch mehr Patienten behandelt werden, die eine stationäre Versorgung benötigen.

Aber wie lange kann ein Krankenhaus den Überlastungseffekt mit einer Beschleunigung von Krankenhausaufenthalten kompensieren? Jaeker und Tucker [1] untersuchen erstmalig in der vorliegenden Studie, wie sich die Verweildauer von Patienten entwickelt, wenn das Maximum der leistbaren Belegungsdichte erreicht ist und ergänzen damit die Erkenntnisse der oben genannten Studien.

 

Studiendesign

Für die Studie wurden Patientendaten aus 203 US-Krankenhäusern über einen Zeitraum von zwei Jahren untersucht (Dezember 2007 bis Dezember 2009). Für die Untersuchung wurden die Patienten anhand ausgewählter Diagnosen in medizinische  (z.B. Lungenentzündung) oder operative Fälle (z.B. Blinddarmentfernung) unterteilt.

Die Belegungsdichte wurde auf Tagesbasis für medizinische und operative Fälle separat berechnet.

Eine erwartete Verweildauer wurde für jede eingeschlossene Diagnose bestimmt, um später festzustellen zu können, ob sich die tatsächliche Verweildauer der Patienten bei einer steigenden Belegungsdichte an den Erwartungswert annähert (d.h. kürzerer Krankenhausaufenthalt) oder stark davon abweicht (d.h. längerer Krankenhausaufenthalt). Es wurden nur ungeplante Patientenaufnahmen in die Untersuchungen einbezogen, weil geplante bei einer hohen Arbeitsbelastung zeitlich verschoben werden können und damit das Studienergebnis verfälschen würden.

Bei einer Unterschreitung der erwarteten diagnosespezifischen Verweildauer wurden die Fälle aus der Analyse ausgeschlossen, weil davon ausgegangen wurde, dass der Grund für eine verfrühte Entlassung unter dem Erwartungswert nicht mit der Belegungsdichte zusammenhängt. Das hat zur Folge, dass beispielsweise Patienten mit einer Lungenentzündung nur in die Analyse eingeschlossen werden, sofern sie eine Verweildauer aufweisen, die mindestens dem Erwartungswert von 5 Tagen entspricht. Nach Anwendung aller Ein- und Ausschlusskriterien umfasste der finale Datensatz 241.198 Patienten.

 

Ergebnisse

Abbildung 1 stellt die zentralen Studienergebnisse von Jaeker und Tucker [1] dar. Hierbei wurden anhand der vorliegenden Krankenhausdaten der Zusammenhang zwischen der Belegungsdichte und der Verweildauer von Patienten untersucht. Die einzelnen Elemente aus der Abbildung 1 mit deren Kernergebnissen werden im Folgenden näher erläutert.

 

Abbildung 1: Der Zusammenhang zwischen der Verweildauer in Tagen und der Bettenbelegungsdichte in Prozent.

 

 

Quelle: In Anlehnung an Jaeker und Tucker [1], 2017, S. 1047.

 

Im Rahmen der Studie konnte der Überlastungseffekt nachgewiesen werden. Der Abbildung 1 ist zu entnehmen, dass sich die Verweildauer verlängert, bis die Belegungsdichte einen Wert von maximal 87 % erreicht.

Ab einer Belegungsdichte von 87 % ist eine Verkürzung der Verweildauer zu beobachten. Hierbei handelt es sich um den bereits oben genannten Beschleunigungswendepunkt: Ein Krankenhaus versucht, die Patientenaufenthalte zu verkürzen, um dem Überlastungseffekt entgegenzuwirken.

Jeaker und Tucker konnten im Rahmen ihrer Untersuchungen einen zweiten Wendepunkt identifizieren. Ab einer Belegungsdichte von 93 % erhöht sich die Verweildauer von Patienten wieder zunehmend. Dabei handelt es sich um den sogenannten Sättigungswendepunkt. Der Grund für eine verlängerte Verweildauer liegt unter anderem darin, dass sich ab einer Belegungsdichte von 93 % vermehrt Patienten mit sehr behandlungsintensiven Erkrankungen im Krankenhaus befinden, deren Behandlungen nicht beschleunigt werden können. Der Anteil an Patienten, bei denen ein kürzerer Krankenhausaufenthalt möglich ist, fällt im Umkehrschluss geringer aus, da diese Patienten bereits ab einer Belegungsdichte von 87% durch beschleunigte Krankenhausbehandlungen schneller entlassen wurden. Weil der Anteil an schwerkranken Patienten ab einer 93-prozentigen Belegungsdichte viel höher ist als im Vergleich zu einer geringeren Belegungsdichte, steigt auch die Arbeitsbelastung des Krankenhauspersonals, was die Verweildauer verlängert und die Versorgungsqualität weiter beeinträchtigen kann.

 

Was bedeuten die Ergebnisse für die Praxis?

Die Versorgungsqualität im Krankenhaus wird nachweislich durch eine zunehmende Arbeitsbelastung beeinträchtigt. Steigt die Anzahl an Patienten und damit die Belegungsdichte, erhöht sich auch die psychische Belastung des Krankenhauspersonals und die Wartezeit auf behandlungsrelevante Ressourcen (z.B. Arzt für Behandlung). Die langfristigen Folgen einer steigenden Belegungsdichte sind neben einer hohen Arbeitsbelastung des Krankenhauspersonals unter anderem ein erhöhtes Sterbe- und Wiedereinweisungsrisiko für die betroffenen Patienten. [6, 7]

Die Studie von Jaeker und Tucker [1] untersucht zwar nicht direkt den Zusammenhang zwischen einer hohen Belegungsdichte und Versorgungsqualität. Sie zeigt aber, dass vor allem schwerkranke Patienten mit behandlungsintensiven Erkrankungen die meisten negativen Konsequenzen aus einer Systemüberlastung bedingt durch eine hohe Belegungsdichte zu tragen haben.

Die Studienergebnisse sprechen dafür, dass eine Belegungsdichte von weniger als 93 % für ein Krankenhaus vorteilhaft ist, um die stationäre Versorgungsqualität nicht zu gefährden und um effiziente Arbeitsprozesse aufrechtzuerhalten.

Die Autoren empfehlen Krankenhausmanagern, die Belegungsdichte des Krankenhauses im Blick zu behalten und spätestens ab einer Belegungsdichte von 90 % zusätzliches flexibles Personal einzustellen, um die negativen Effekte des Sättigungswendepunktes zu vermeiden. Auf diese Weise kann ein Krankenhaus sogar Kosten in Höhe von ca. $ 350.000 pro Jahr einsparen, die ansonsten durch durchschnittlich längere Verweildauern von Patienten entstanden wären.

Langfristig ist die Beschleunigung des Krankenhausaufenthaltes keine geeignete Lösung, um einer zunehmenden Belegungsdichte entgegenzuwirken. Ab einer Belegungsdichte von 93 % steigt die Arbeitsbelastung des Krankenhauspersonals weiter an, und die Verweildauer von Patienten verlängert sich. Daraus entstehen negative Konsequenzen für die Versorgungsqualität, die vor allem schwerkranke und behandlungsintensive Patienten zu tragen haben. Um die hohen Kosten, die durch verlängerte Krankenhausaufenthalte entstehen und um eine hohe Arbeitsbelastung mit negativen Folgen für die Versorgungsqualität zu vermeiden, sollten Krankenhäuser ab einer Belegungsdichte von 90 % zusätzliches flexibles Personal einstellen. Dies ist in Zeiten des medizinischen Fachkräftemangels sicherlich keine leichte Aufgabe und unterstreicht nochmals die Dringlichkeit des Handelns seitens der Gesundheitspolitik.

 

Redaktion / Ines Niehaus

 

  1. Jaeker, J.A.B. and Tucker, A.L., Past the Point of Speeding Up: The Negative Effects of Workload Saturation on Efficiency and Patient Severity. Management Science, 2017. 63(4): p. 1042-1062.
  2. StatistischesBundesamt. Krankenhausstatistik. 2018; Available from: https://www.destatis.de/DE/Themen/Gesellschaft-Umwelt/Gesundheit/Krankenhaeuser/_inhalt.html#sprg229152.
  3. Kuntz, L., Mennicken, R., and Scholtes, S., Stress on the Ward: An Empirical Study of theNonlinear Relationship Between Organizational Workload and Service Quality. Ruhr-Universitaet Bochum, 2011.
  4. KC, D., Does multitasking improve performance? Evidence from the emergency department. Manufacturing Service Oper., 2014. 16(2): p. 168–183.
  5. Anderson, D., Price, C., Golden, B., Jank, W., and Wasil, E., Examining the discharge practices of surgeons at a large medical center. Health Care Management Science, 2011. 14(4): p. 338-347.
  6. Anderson, D., Golden, B., Jank, W., and Wasil, E., The impact of hospital utilization on patient readmission rate. Health Care Management Science, 2012. 15(1): p. 29-36.
  7. Kuntz, L., Mennicken, R., and Scholtes, S., Stress on the Ward: Evidence of Safety Tipping Points in Hospitals. Management Science, 2015. 61(4): p. 754-771.

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