Die verlorene Legislaturperiode?

Bilanz des BMG nach sieben Monaten: geprägt überwiegend von Pech und Pannen

Maximilian Gerade

Es läuft nicht rund im Bundesgesundheitsministerium (BMG). Besser: Es läuft zu wenig. Der von Ideen und Gesetzesvorhaben nur so strotzende Koalitionsvertrag im Kapitel Pflege und Gesundheit hat viele hoffnungsvolle Erwartungen geweckt, selbst als entscheidende Finanzierungsoptionen mit der letzten Fassung einkassiert wurden.

Und die Bilanz des BMG bzw. des Gesundheitsministers nach den ersten sieben Monaten – in der Mehrzahl Pech und Pannen:

  • mehrere, durchgesickerte, zu früh verkündete und wieder einkassierte Gesetzentwürfe
  • die unvergessene Rücknahmeerklärung zur Corona-Quarantäne nachts bei Markus Lanz
  • peinliche Auftritte wie bei der PKV-Jahrestagung
  • Fehlentscheidungen zum Impfstoffeinkauf
  • der Eierlauf hin zu einer Corona-Strategie im Herbst
  • der dauerhaft von Christian Lindner implantierte Nasenring, zuletzt genutzt bei der GKV-Finanzierung
  • eine inkomplette Führungsmannschaft
  • Ankündigungen und Eckpunkte, die nicht gehalten werden
  • ein Minister, der eine ihn beratenden Expertenrunde mitberät (die Idee, die Regierungskommission Krankenhaus selbst zu leiten, wurde ihm wohl in letzter Minute noch ausgeredet)
  • immer neue Fachkommissionen, von denen der Minister wohl mehr erwartet als aus seinem eigenen Haus.

Lichtblicke wie eine exzellente Besetzung der Abteilungsleitungsebene sollen im Übrigen nicht durch den Minister ausgesucht, sondern durch wohlmeinendes SPD-Führungspersonal von außen initiiert worden sein. Und warum muss ein CDU-Staatssekretär, der nur allzu gerne abtreten würde, weiter gute Miene zum bösen Spiel machen? Weil fast jeder in Berlin jemand kennt, dem das Amt angetragen wurde, aber keine/r wollte es in dieser Lage des BMG haben.

 

Orientierungslos im BMG

So weiß manchmal niemand im Haus, nicht einmal der engste Führungskreis, wo der Minister gerade weilt. Die Fachebene besucht eifrig öffentliche Auftritte des Ministers, um zu lernen, was sie zu tun hat. Interne Entscheidungs-Vermerke kommen zum Teil erst nach Monaten zurück oder landen allzu oft im Nirvana. Wenn es stimmt, dass mangels klarer Aufträge die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen des BMG Überstunden abfeiern oder sich in nicht kleiner Zahl auf andere Stellen bewerben, dann lässt sich nichts Gutes für die Arbeitsmoral im Haus erahnen.

Dabei ist es doch jedem politischen Beobachter klar, dass jetzt die einzige Zeit für die berühmte „Quick-and-dirty-Gesetzgebung“ wäre, mit der eigene Akzente und neue Linien gesetzt werden könnten. Davon ist nicht viel zu sehen. Glaubt man der vorgelegten Kabinetts-Planung, findet Gesundheit am Kabinettstisch in der nächsten Zeit fast gar nicht statt.

 

Abhängigkeit von Lindner wird größer

Mit dem Referentenentwurf zum GKV-Finanzstabilisierungsgesetz ist auch kein Befreiungs-, sondern eher ein Wasserschlag erreicht worden. Die vollmundige Äußerung des Ministers, er habe erreicht, was er wolle, wurde 48 Stunden später durch die FDP zur Makulatur. Selbst wenn es noch gelingt, die fehlenden 17 Milliarden zusammenzubringen, verschafft das dem Minister nur Luft für ein Jahr. Glaubt irgendjemand, dass es 2024 wirklich einfacher werden wird, das (angewachsene?) Defizit abzudecken? Mit diesem Gesetz hat Herr Lauterbach seine Abhängigkeit von Herrn Lindner für die kommenden Jahre vergrößert.

Und was ist eigentlich mit der Pflegeversicherung, zu der der Finanzminister bereits erklärt hat, dass sie keinen weiteren Zuschuss erhalten wird? Aber vielleicht gibt es ja bei der nächsten Verhandlungsrunde im Finanzministerium auf Leitungsebene eine neue fachkundige und geschickte beamtete StaatssekretärIn.

Und worüber könnte man sich noch wundern oder vielleicht doch eher weinen? Die Corona-Strategie, die unverändert blind und datenfrei die ministeriellen apokalyptischen Befürchtungen einerseits und freiheitsliebenden Liberalen anderseits nicht zur Deckung bringen kann? Warum toleriert ein wissenschaftsgetriebener Minister eigentlich unverändert ein RKI, das trotz aller hochwertigsten Warnungen es auch im dritten Winter nicht vermag, eine repräsentative Studie für verlässliche Inzidenzzahlen aufzulegen?

 

Trauerspiel Krankenhausstrukturreform

Oder das Trauerspiel der allseitig als notwendig und zwingend bezeichneten Krankenhausstrukturreform: Hier soll die Regierungskommission die Erkenntnisse liefern, die seit Jahrzehnten bekannt sind – man lese doch mal die Gutachten des Sachverständigenrates. Und mitnichten wird eine Gesamtreform erfragt. Die Vorschläge sollen häppchenweise erarbeitet werden – wohl deshalb, weil alles mit gar nichts zusammenhängt.

Das erste Beispiel (Pädiatrie/Geburtshilfe) der Kommission ist nun wirklich kein Beweis für das Gelingen, mündet es doch in der phantasievollen Aussage: „Mehr Geld ins System“. Dafür ist es aber gerade ein ganz schlechtes Timing. Spätestens als der Minister jüngst bei der GMK eine Bund-Länder-Arbeitsgruppe im Anschluss an die Regierungskommission ankündigte, die die politische Abstimmung der jeweiligen einzelnen Bruchstücke vornehmen soll, war klar, dass dieses Vorhaben falsch aufgesetzt ist. Jeder, der sich mit nicht streitfreien Kommissionsergebnissen auskennt bzw. die Arbeit von Bund-Länder-Arbeitsgruppen in der letzten Legislaturperiode beobachtet hat, kennt die zeitlichen Prozesse bis zu einer Veröffentlichung im Bundesgesetzblatt.

Eine solche große Reformgesetzgebung, wie sie im Krankenhauswesen ansteht, wird mit einem solchen Verfahren in dieser Legislaturperiode kaum noch zu schaffen sein. Und um das Unmögliche noch unmöglicher zu machen, werden andere Dickschiffe wie die Notfallstrukturreform oder die Hybrid-DRGs zusätzlich an das gedoppelte Vorhaben angedockt und sollen „bei Wege“ mit erledigt werden.

 

Regionalisierung – weder Verfahren noch Zeitplan bekannt

Was ist eigentlich die Strategie für die Umsetzung der geforderten regionalisierten sektorenübergreifenden Versorgung? Bis auf die Ankündigung von Gesundheitskiosken ist weder ein Verfahren noch ein Zeitplan bekannt, von den vielen anderen Baustellen des Kollektionsvertrages ganz zu schweigen.

Es sieht nicht ermutigend aus: Vielmehr mehren sich die Stimmen, dass der Koalitionsvertrag im Gegensatz zu den letzten beiden Legislaturperioden mit dieser Aufstellung nicht substanziell umgesetzt werden kann.

Aber vielleicht bekommen wir die erneute Option, wegen einer Pandemie, einer Rezession oder anderer externer Gründe die Schwerpunkte neu in der Politik setzen zu müssen und so den Mantel der Sachzwänge über die notwendigen Reformvorhaben im Gesundheitswesen zu legen. Aber das ist kein guter Wunsch.

 

Kabinettsumbildung zu spät?

Oder soll man darauf hoffen, dass der Kanzler ein Einsehen mit der von ihm ungewollten tragischen Figur des Gesundheitsministers hat und das Zappeln-lassen beendet? Da eine Kabinettsumbildung aus optischen Gründen nicht mehr in diesem Jahr erfolgen kann, ist es eigentlich auch egal – selbst die beste Nachfolgelösung hätte wohl nicht mehr genügend Zeit, die wichtigen Reformvorhaben im Gesundheitswesen abschließend umzusetzen. So bitter das klingen mag: Bereiten wir lieber den nächsten Anlauf für die dann nicht mehr aufschiebbaren Reformen in der nächsten Legislaturperiode vor. Dafür könnten dann sogar viele Expertenkommissionen nicht stören.


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