Die Pflege zukunftsfest machen

Pflegeunterstützungs- und -entlastungsgesetz (PUEG) lässt drängendste Probleme der Altenpflege außen vor

Diana Stöcker MdB, CDU/CSU, Mitglied im Gesundheitsausschuss des Bundestages

Das Leben von Frau B. aus meinem Wahlkreis Lörrach-Müllheim hat sich vor sieben Jahren radikal verändert: Ihr Vater erlitt eine Serie massiver Schlaganfälle und entwickelte eine vaskuläre Demenz. Er wurde zu einem bettlägerigen Pflegefall mit Pflegegrad 5. Nicht nur die Erkrankung und die häusliche Pflege machten Frau B. das Leben schwer: „Jedes Hilfsmittel, das ich bei der Krankenkasse beantragt habe, wurde zuerst einmal abgelehnt.“ Ein endloser Schriftverkehr mit aktenweisen Kopien und Anträgen belasten Frau B. als pflegende Angehörige zusätzlich. Sie musste ihren geliebten Beruf als Drogistin aufgeben, da sie sich die Pflege mit niemandem teilen konnte, und wurde arbeitslos.

Vaskuläre Demenz bedeutet manch schlaflose Nacht: Der Vater war Dachdecker, mitten in der Nacht wird Frau B. von Schreien geweckt: „Gib mir den Hammer, ich muss aufs Dach.“ Ihr Vater ist dann in einer anderen Welt. In dieser Welt kann er auch wieder laufen. Das bedeutet, dass Frau B. einen 1 Meter 90 großen Mann bändigen muss, damit er nicht aus dem Bett fällt. Sie versucht dann, ihn mit Musik, Singen und Streicheln zu beruhigen.

Auch das eigene soziale Umfeld pflegender Angehöriger kann massiv unter der neuen Situation leiden: „Freundschaften werden auf eine harte Probe gestellt, weil ich keine Zeit mehr habe. Partnerschaft lernt man von einer neuen Seite kennen und viele zerbrechen daran“, so Frau B.

 

Pflegende Angehörige leisten unersetzliche Arbeit

Frau B. aus meinem Wahlkreis Lörrach-Müllheim ist eine von fünf Millionen pflegenden Angehörigen in Deutschland. Rund 80 % der Pflegebedürftigen werden hierzulande in ihrer gewohnten häuslichen Umgebung gepflegt und betreut. Diese Angehörigen leisten unersetzliche Arbeit. Jeder kann sich ausmalen, was passiert, würden all diese Menschen ihre Angehörigen in ein Pflegeheim geben. Daher muss die Unterstützung pflegender Angehöriger eine hohe Priorität haben!

In der vergangenen Woche wurde das von der Regierungskoalition eingebrachte Pflegeunterstützungs- und -entlastungsgesetz (PUEG) in erster Lesung im Bundestag beraten. Die heftigen Reaktionen selbst aus den Reihen von Grünen und SPD zeigen, dass der mittlerweile stark gekürzte Entwurf von Gesundheitsminister Karl Lauterbach nicht einmal den Ansprüchen des eigenen Koalitionsvertrags gerecht wird. Es ist weder eine ernsthafte Stärkung der häuslichen Pflege noch eine substanzielle Entlastung pflegender Angehöriger erkennbar.

Es werden weder bürokratische Hürden bei der Beantragung von Leistungen gesenkt, noch werden Kurzzeit-, Tages- und Nachtpflegeangebote zu einem Entlastungsbudget weiterentwickelt. Besonders pflegende Angehörige brauchen dringend mehr Entlastung und mehr Flexibilität bei der Inanspruchnahme von Leistungen der Pflegeversicherung. Dazu gehört auch die Möglichkeit, Verhinderungspflege einfacher und flexibler nutzen zu können.

 

Nachhaltige Finanzierung auf den Weg bringen

Als CDU/CSU-Gesundheitspolitikerin fordere ich daher, die Pflege durch eine entsprechende Reform tatsächlich zukunftsfest zu machen. Gerade vor dem Hintergrund des demografischen Wandels und der stetig wachsenden Bedürfnisse einer alternden Gesellschaft, in der immer mehr Menschen ein besonders hohes Alter erreichen, muss die Ampelkoalition der Realität „ins Auge blicken“, sich den besonderen Anforderungen an die Pflege stellen sowie den geeigneten Rahmen schaffen.

In der Pflegeversicherung stehen immer mehr Pflegebedürftige immer weniger Beitragszahlern gegenüber. Umso wichtiger ist es, sie mit einem neuen Modell für uns alle nachhaltig zu finanzieren. Eine qualitativ hochwertige und verlässliche Pflege und eine gute Bezahlung der Pflegekräfte mit stabilen und verlässlichen Dienstplänen haben jedoch ihren Preis. Um diesen Preis zahlen zu können, muss die Pflegeversicherung auf verschiedene Säulen gestellt werden: Beiträge zur gesetzlichen und privaten Pflegeversicherung sollten durch Eigenvorsorge, betriebliche Finanzierung sowie Finanzierung aus Steuermitteln ergänzt werden. Insbesondere die junge Generation kann bereits jetzt durch geringe Beträge ein Pflegerisiko im Alter finanziell absichern. Es kommt also auch auf die Stärkung der Eigenverantwortung jeder und jedes Einzelnen in unserer Gesellschaft an.

Steigende Sozialversicherungsbeiträge belasten Bürgerinnen und Bürger und schaden dem durch die aktuelle Wirtschaftslage sowieso schon „gebeutelten“ Standort Deutschland. Die Sozialgarantie sieht eine Begrenzung der Sozialversicherungsbeiträge auf 40 Prozent vor. Zu dieser müssen wir dauerhaft zurückkehren. Eventuelle Beitragserhöhungen dürfen – entgegen den Plänen der Koalition, einseitig die Bundesregierung zu ermächtigen, den Beitragssatz künftig bei Bedarf durch Rechtsverordnung festzusetzen – nicht ohne Zustimmung des Parlaments auf den Weg gebracht werden.

 

Verbesserung der Rahmenbedingungen in häuslicher Pflege erforderlich

Es darf nicht als selbstverständlich erachtet werden, dass Angehörige die aufwändige Pflege von Familienmitgliedern – so wie Frau B. aus meinem Wahlkreis – übernehmen. Vielmehr müssen von der Politik Anreize geschaffen werden, damit sich Menschen dieser Aufgabe stellen. Dies gilt insbesondere in Zeiten des Fachkräftemangels und verstärkter Abwanderung aus dem Pflegeberuf, in denen die Bereitschaft zu häuslicher Pflege umso wichtiger ist. Die Gesellschaft darf sich nicht weiterhin auf die intrinsische Motivation pflegender Angehöriger verlassen. Ich zitiere erneut Frau B: „Ich nehme die massiven persönlichen Einschnitte in Kauf, weil ich meine Eltern und Großeltern über alles liebe, und ich mir sicher bin, dass Angehörige durch den nahen Bezug und ihre Liebe eine gute und intensive Pflege leisten können“. Mit dieser höchsten Respekt verdienenden Einstellung ist sie Teil fünf Millionen pflegender Privatpersonen und insofern der größten Gruppe an Pflegekräften. Diese dürfen in ihrer Tätigkeit von Politik und Gesellschaft nicht weiter alleingelassen werden.

Pflegende Angehörige müssen durch eine drastische Verbesserung der Rahmenbedingungen für die Pflege zu Hause unbedingt unterstützt werden. Hier kommen gerade die von der Regierungskoalition im Entwurf des PUEG vernachlässigten Möglichkeiten zur Verbesserung der Situation pflegender Angehöriger ins Spiel: eine echte angemessene Honorierung der Pflege zu Hause, flexible und bürokratiearme Leistungen, eine Weiterentwicklung von Kurzzeit-, Tages- und Nachtpflegeangeboten sowie bessere Nutzungsmöglichkeiten von Verhinderungspflege. Die im aktuellen Entwurf angekündigten, dringend notwendigen Leistungsausweitungen wie die Erhöhung des Pflegegeldes oder der ambulanten Pflegesachleistungen gleichen die gestiegene Inflationsrate bei weitem nicht aus und entwerten die Pflegeleistungen somit weiter schleichend.

Neben einer besseren finanziellen Unterstützung ist auch eine bessere fachliche Unterstützung, etwa durch wohnortnahe Hilfe und Pflegeberater nötig. Dazu gehört, die Einführung der Quartierspflege zu erproben. Kommunen brauchen hier mehr Kompetenzen.

Wir als CDU/CSU-Fraktion sehen diesen umfassenden und dringenden Änderungsbedarf im aktuellen Entwurf des PUEG und werden uns für eine Änderung im Sinne der pflegenden Angehörigen stark machen!


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