Die GRÜNEN vergleichen GKV und PKV

Dr. Robert Paquet

‚Auch die besten PKV-Tarife können der GKV das Wasser nicht reichen.‘ Das war als frohe Botschaft für den Jahreswechsel gedacht. In einer Studie wurden PKV und GKV nach über 100 „Mindestkriterien“ verglichen, die formal dem GKV-Leistungskatalog nachgebildet wurden. Dabei wird nicht nur suggeriert, alle diese Kriterien seien lebensnotwendig, sondern von der Soziotherapie bis hin zur stationären Versorgung gehen alle Leistungsbereiche ungewichtet mit dem gleichen Punktwert in die Bewertung ein. Bei diesem Hase-und-Igel-Spiel konnte die PKV nur verlieren. Das Fazit der GRÜNEN fällt jedoch bemerkenswert milde aus: Angepeilt wird ein evolutionäres Reformprogramm für die PKV.

Zum Jahreswechsel hat die Bundestagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen über eine Studie berichtet, in der die besten Tarife der 32 PKV-Unternehmen, die Vollversicherungsverträge anbieten, mit den Leistungen der GKV verglichen werden. Hintergrund ist naturgemäß die Absicht, die „Bürgerversicherung“ wieder ins politische Spiel zu bringen. Beauftragt wurde die PremiumCircle Deutschland GmbH (PCD), eine „Beratungs- und Informationsgesellschaft“, die (als Versicherungsmakler) eigentlich der PKV nahesteht, aber den unschätzbaren Vorteil hat, alle PKV-Tarife – aufbereitet in einer standardisierten Datenbank – ständig aktualisiert vorzuhalten. Auf dieser Informationsbasis wurde ein Vergleich in Bezug auf 103 „Mindest-Leistungskriterien“ (MLK) durchgeführt. Diese MLK wurden aus dem Leistungskatalog der GKV abgeleitet, so wie er sich aus dem Wortlaut des SGB V bzw. den entsprechenden Richtlinien des G-BA darstellt. Prämien- und Beitragsfragen ebenso wie Serviceaspekte etc. wurden nicht betrachtet.

Das Ergebnis sehen die GRÜNEN so: „Die gesetzliche Krankenversicherung bietet eine gute Versorgung – auch im Vergleich zu den besten Tarifen privater Krankenversicherer. … Die wiederkehrende Behauptung, die gesetzliche Krankenversicherung sei nur zweitklassig, wird mit dieser Untersuchung klar widerlegt. Etliche Anbieter privater Krankenversicherung können wiederum selbst in ihren leistungsstärksten und auch teuersten Tarifen nicht einmal elementare Leistungen vertraglich garantieren“, so heißt es in einer Pressemitteilung der Fraktion vom 28.12.2018 (Hervorhebungen des Autors).

Dass die PKV-Tarife „gravierende Lücken“ aufweisen bei „Kuren und Rehabilitationen, der Versorgung von Kindern mit Behinderungen, Entwicklungsstörungen, oder psychischen Erkrankungen, der häuslichen Krankenpflege, der Psychotherapie oder Krankentransporten“, dürfte für Branchenkenner allerdings nicht überraschend sein. Auch dass es „bedenklich“ ist, dass „die Mehrheit der PKV-Versicherten in deutlich leistungsschwächeren, günstigeren Tarifen versichert sind als sie in der Studie verglichen wurden“, ist eine bekannte Tatsache. Ebenfalls bekannt ist: „Augenfällig ist das starke Qualitätsgefälle innerhalb der leistungsstärksten Tarife der privaten Krankenversicherung.“ – Bemerkenswert ist allerdings, dass die GRÜNEN im Fazit zwar die Bürgerversicherung fordern, aber (realistisch) und konkret auf eine ganz andere Forderung zuspitzen: „Wir wollen Wahlfreiheit und Wechselmöglichkeiten auch für privat Versicherte. Alle Versicherten sollen jederzeit auch ihre Private Krankenversicherung wechseln können – ohne dabei ihre Altersrückstellung zu verlieren.“ Von einigen Medien (u.a. BILD, Spiegel online, Frankfurter Rundschau) wurde die Studie im Sinne der GRÜNEN aufgriffen (Lob der GKV; Kritik an den unzureichenden Leistungen der PKV).

Auffällig ist, dass die GRÜNEN (und auch PCD) die Studie selbst nicht veröffentlicht haben. Dafür gibt es gute Gründe. Einige zeigen sich bei PCD in ihren „wichtigen Hinweisen vorab.“ Berücksichtigt werden in den PKV-Tarifen nur die in den Tarifbedingungen explizit (und ohne Einschränkungen) als versichert geltenden Leistungen („garantierte Leistungen“); PKV-Leistungen, die nur nach vorheriger Genehmigung oder als Kulanzleistungen erbracht werden, gelten als nicht-versichert. Der Leistungsumfang der GKV ist umgekehrt sehr „komplex und fortlaufend von Entscheidungen des Gesetzgebers und des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) abhängig. Überdies gibt es immer wieder Berichte, z.B. von der Unabhängigen Patientenberatung (UPD), wonach Versicherte Probleme haben, gesetzliche Leistungen in der Praxis auch tatsächlich zu erhalten. Ebenso gestaltet sich oftmals der zeitnahe Zugang zu Fachärzten deutlich schwieriger als in der PKV. Diese Einflussfaktoren, sowie die individuelle Leistungseinschätzungen durch den Medizinischen Dienst der Krankenkassen (MDK), machen insgesamt eine präzise vergleichende Bewertung analytisch nicht möglich.“ (S. 2) Und weiter: „Hinzu kommt, dass die Leistungen der GKV in einigen Leistungskriterien qualitativ und quantitativ nicht mit denen der PKV vergleichbar sind. Um den teilweise erheblichen Mehrleistungen der PKV gegenüber der GKV gerecht zu werden, wurden diese – im Fall vertraglich garantierter Erfüllung – ergänzend abgebildet.“ (S. 4, Hervorhebungen des Autors) Diese Mehrleistungen sind jedoch in die Gesamtbewertung nicht eingegangen.

 In der Zusammenfassung von PCD wird weiter darauf hingewiesen:

  • „Im Durchschnittwurden von den 103 MLK 42 % übererfüllt, 30 % erfüllt, 1 % teilweise erfüllt und 27 % nicht erfüllt.
  •  Der additiv leistungsstärkste Tarif hat dabei 55 % übererfüllt, 41 % erfüllt und 4 % nicht erfüllt.
  •  Der additiv leistungsschwächste Tarif hat dabei 16 % übererfüllt, 15 % erfüllt, 2 % teilweise erfüllt und 68 % nicht erfüllt.“ (S. 110)

Über- und Nichterfüllung konzentrieren sich auf bestimmte Leistungsbereiche: Im Durchschnitt gab es die höchsten Erfüllungsquoten mit 100 % Übererfüllung bei der „Honorarerstattung ärztlicher Leistungen“, mit 87 % Übererfüllung bei den „Hilfsmitteln“ sowie mit 79 % bei „Arzneimittel und künstliche Ernährung“. Umgekehrt wurden bei der „Familienplanung“ mit 63 %, bei der „Anschlussheilbehandlung, Reha und Kur“ mit 49 % sowie bei der „häuslichen Krankenpflege und Palliativversorgung“ mit 42 % die höchste Nichterfüllung erzielt. (S. 110)

Dabei geht die Übererfüllung vor allem auf die in der PKV fehlenden Beschränkungen für die Wahl der Leistungserbringer (bei den Ärzte nicht nur die mit KV-Zulassung; z.B. auch Zugang zur ambulanten Behandlung durch Krankenhausärzte etc.) bzw. fehlende quantitative und qualitative Einschränkungen der Behandlungsdauer und -Häufigkeit zurück. Außerdem wird grundsätzlich darauf hingewiesen, dass die PKV-Tarife ursprünglich nach individuellen Bedürfnissen gewählt wurden und lebenslang garantiert sind, es in der GKV aber nur wenige Wahlmöglichkeiten und weitere Einschränkungen gibt:

  • „Aufgrund gesetzlicher Vorgaben nur marginale Leistungsdifferenzierungen innerhalb der gesetzlichen Krankenversicherung. Wettbewerb der Kassen untereinander lediglich über Beitragshöhe und wirtschaftlich unbedeutende Satzungsleistungen. Es gibt keine nennenswerten Wahlmöglichkeiten zur Leistungsausgestaltung und keinen garantierten Leistungsumfang.
  • Grundsätzliche Leistungsbeschreibung: ausreichende, zweckmäßige und wirtschaftliche Leistungen.
  • Oftmals längere Wartezeiten für Termine bei Fachärzten durch ökonomische Fehlanreize
  • Kein uneingeschränkter Zugang zu nichtärztlichen Heilbehandlern.
  • Hilfs-und Heilmittelversorgung im Vergleich zu den analysierten PKV-Tarifen oftmals nur Grundversorgung.
  • Zahnersatzleistungen im Vergleich zur PKV stark eingeschränkt.
  • Stark eingeschränkter internationaler Schutz
  • Teilweise individuelle Leistungsentscheidungen der Kassen bei einigen Leistungen erst nach individueller Begutachtung durch den Medizinischen Dienst der Krankenkassen MDK.“ (S. 111, Hervorhebungen des Autors)

Ausdrücklich hingewiesen wird dabei auf das „durch die Leistungserbringer mit den Krankenkassen ausgehandelten budgetierten Verteilungssystem“, das das „Leistungsgefüge für Versicherte nicht nachhaltig kalkulierbar“ mache.

Die Studie ist wegen der detaillierten Informations-Aufbereitung an der Wettbewerbslinie von GKV und PKV zweifellos interessant und wertvoll. Dabei dürften die Autoren der PCD über die Vermarktung durch die GRÜNEN jedoch alles andere als erfreut sein. Das Ergebnis war allerdings programmiert. Wer den Leistungskatalog der GKV in seiner zunächst erfreulichen „Papierform“ als „Mindeststandard“ definiert, und daran die PKV-Tarife misst, muss die GKV zwangsläufig als „Gewinner“ durchs Ziel gehen lassen. Dass dieser (u.a. durch diverse sozial- und familienpolitische Leistungen) aufgeblähte Katalog völlig unkritisch übernommen wird, ist an sich schon fragwürdig. Völlig irreführend wird es jedoch, wenn Themen wie z.B. Prävention, Soziotherapie und Haushaltshilfe etc. ungewichtet mit der ärztlichen und stationären Versorgung und der Arzneimitteltherapie in die abschließende Punkte-Bewertung eingehen. Ganz abgesehen davon, dass die PKV-Versicherten ihre Tarife bedarfsgerecht gewählt haben und ggf. für die nicht-versicherten Leistungsbereiche andere (in diesem Vergleich nicht erkennbare) Absicherungen haben (z.B. Beihilfe, andere Versicherungen, etwa für ein Krankentagegeld etc.).

Man mag in der Sache davon halten, was man will, aber dass typische PKV-Mehrleistungen, wie die professionelle Zahnreinigung, Ostheopathie, div. alternative Heilmethoden, der Zugang zu Heilpraktikern und Originalarzneimitteln oder die Inanspruchnahme von IgeL-Leistungen beim Vergleich völlig außen vor gelassen werden, ist aus der Sicht der Auftraggeber zwar verständlich, verzerrt aber das Ergebnis. Die Einschränkung solcher Leistungen mag im Rahmen der GKV gerechtfertigt sein; in der PKV zahlen die Versicherten jedoch mit ihren Prämien dafür selbst. Das sollte in einer freiheitlichen Gesellschaft nicht nur akzeptiert werden, sondern sollte bei einem ernsthaften Vergleich der Versicherungssysteme auch Berücksichtigung finden.

In diesem Zusammenhang ist schließlich auf einen „politischen“ Widerspruch hinzuweisen: Gerade die Sympathisanten und Wähler der GRÜNEN dürften [erst recht soweit sie (überproportional) PKV-versichert sind] eine hohe Affinität zu jenen Leistungen zeigen, die von der PKV meist gezahlt werden, aber in der GKV vom scharfen Schwert der evidenzbasierten Medizin abgeschnitten worden sind. Der Angriff der GRÜNEN gegen die PKV, der (natürlich nicht nur) mit dieser Studie gefahren wird, dürfte daher – bei Lichte besehen – einem guten Teil ihrer eigenen Basis nicht gefallen.

Vielleicht auch aus diesem Grund wird die Wucht der Forderung nach einer Bürgerversicherung im Ergebnis doch ziemlich stark gedämpft. Sie bleibt zwar als „langfristige“ Forderung erhalten. Auf absehbare Zeit werden jedoch der PKV diverse Qualitätsversbesserungen und mehr Wettbewerb durch Wechselmöglichkeiten verordnet. In einer (allerdings internen) „politischen“ Auswertung der Studie werden die folgenden „ergänzenden Forderungen“ erhoben:

  • Die PKV-Unternehmen sollen für mehr Transparenz gesetzlich verpflichtet werden, ihre Versicherten von sich aus regelmäßig und detailliert über mindestens ebenbürtige und zugleich preisgünstigere Tarife im gleichen Unternehmen zu informieren.
  • Auch in der GKV sind mehr Qualität und Transparenz nötig. Die Versicherten müssen schnell erkennen können, bei welcher Krankenversicherung sie gut versorgt werden. Statt eines reinen Beitragssatzwettbewerbs muss der Wettbewerb um eine qualitativ gute Versorgung ausgebaut werden.
  • Wir wollen auch der PKV mehr Möglichkeiten in die Hand geben, die Versorgung ihrer Versicherten durch Verträge mit Leistungserbringern zu gestalten und zu verbessern.
  • Der Verbraucherschutz in der PKV muss ausgebaut werden. Dazu wollen wir insbesondere die Unabhängigkeit und Neutralität des PKV-Ombudsmanns stärken. Dieser Ombudsmann hilft bei der außergerichtlichen Streitbeilegung. Ähnlich wie der Ombudsmann für Versicherungen muss auch der für die PKV an einen eigenen Verein angebunden sein und das Recht zu verbindlichen Entscheidungen bis zu einer bestimmten Streitsumme haben. Er sollte durch einen Beirat beraten werden, in dem Verbraucherorganisationen, Verbände der Versicherungsvermittler und der PKV-Unternehmen, Aufsichtsbehörden sowie die Politik und die Wissenschaft vertreten sind.“  (Hervorhebungen des Autors)

Die harsche Kritik an der PKV wandelt sich in der Konkretisierung zu einem evolutionären Reformprogramm für dieses System. Der politische Lernprozess der Grünen zielt damit weiterhin auf Koalitionsfähigkeit mit der Union.


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