Dialog statt Federstrich – ein Appell für mehr Behutsamkeit bei seltenen Erkrankungen und Hämophilie

Heidi Irschik-Hadjieff, MBA, Geschäftsführerin von Takeda und der akquirierten Shire in Deutschland

Die Bundesregierung hat einen Entwurf für ein „Gesetz für mehr Sicherheit in der Arzneimittelversorgung“ (GSAV) vorgelegt. Sie verspricht damit schnell verbesserte strukturelle Bedingungen zu schaffen. Das Gesetz ist im Bundesrat zustimmungspflichtig und soll Mitte des Jahres in Kraft treten.

Takeda begrüßt in seiner maßgeblichen Patientenzentrierung grundsätzlich die Zielsetzung des GSAV. Als stark werteorientiertes Unternehmen sehen wir Progression zur Erhöhung der Arzneimittelsicherheit zum Wohle der Patienten. Während das GSAV zunächst nach einem sinnvollen Vorstoß klingt, schafft es in der Regulierung in meinen Augen jedoch Risiken, die weitreichende Konsequenzen für Orphan Drugs sowie in der Hämophilieversorgung, die letztlich wiederum potenzielle Risiken für den Patienten selbst haben können. Ich schätze eine gewisse Geschwindigkeit für Entscheidungen, die ein Vorteil sein kann. Aber ich plädiere dafür, dass sie im Verhältnis zur Sache stets angemessen ist.

 

Stärkung der ZSE in Deutschland – spezialisierte Versorgung von Patienten

Ein Thema, das uns bei Takeda sehr am Herzen liegt, ist die Versorgung von Menschen mit komplexen und vor allem mit seltenen und ultra seltenen Erkrankungen in darauf spezialisierten Zentren. Im Bereich der seltenen Erkrankungen können Spezialzentren für die gute Versorgung von Patienten eine noch wichtigere Rolle spielen. Oft kann erst dort eine korrekte Diagnose gestellt werden. Zudem sind Behandlungspfade und Therapieschemata bei vielen seltenen Erkrankungen noch weniger klar beschrieben. Wer sich einmal selbst überzeugen konnte weiß, mit welcher Kraft und wie interdisziplinär um die bestmögliche Versorgung für Menschen mit seltenen Erkrankungen gerungen wird. Aus unserer Sicht können nur solche starken und etablierten Zentren diese Qualität erbringen und wir legen deshalb so große Hoffnung in diese Arbeit. Vor diesem Hintergrund sehen wir im Umgang der Politik mit Zentren für die Behandlung seltener Erkrankungen zwei Geschwindigkeiten, die wir beide für nicht angemessen halten.

Die Schaffung besserer Grundlagen für ‚Zentren für Seltene Erkrankungen‘ (ZSE) geht viel zu langsam voran. Das ‚Aktionsbündnis für Menschen mit Seltenen Erkrankungen‘ (NAMSE) hat diese Zentren 2013 in seinem Aktionsplan als Kern guter Versorgung herausgestellt und bereits 2015 konsentierte Kriterien-Kataloge veröffentlicht. Viele Zentren tragen sich allerdings bis heute meist vom Idealismus der Beteiligten und nicht von einer berechenbaren und langfristigen Finanzierung. Das Pflegepersonal-Stärkungsgesetz (PpSG) legte zwar Grundlagen für die Finanzierung, aber die Selbstverwaltung muss jetzt noch konkretisieren. Hier wünschen wir uns mehr Geschwindigkeit.

Auf der anderen Seite erscheinen uns die im GSAV entworfenen Veränderungen in Bezug auf die Hämophilieversorgung in einer über Jahrzehnte etablierten Zentrenstruktur als übereilt. Mit der Änderung des Vertriebswegs für Gerinnungsfaktorenzubereitungen für Bluter würde ohne Not die bewährte Direktabgabe durch Ärzte aufgegeben, durch die bis jetzt die umfangreichen Dokumentationspflichten bei der Hämophiliebehandlung sichergestellt sind. Mit einem Federstrich und mit einer in diesem Kontext sehr kurzen Übergangsfrist von einem Jahr soll diese Versorgung komplett umgekrempelt werden. Da passen die Geschwindigkeiten, die Möglichkeiten des Versorgungsapparates dieses umzusetzen, nicht zusammen.

 

Patientenversorgung sichern – gemeinsamer kontinuierlicher Prozess

Takeda mit dem Hämophilie-Portfolio der Shire Deutschland GmbH (seit 8. Januar 2019 Teil der Takeda Group) hat damit als führendes Unternehmen im Bereich der Hämophiliebehandlung einen Diskussionsvorschlag eingebracht, der einen 36-monatigen Dialogprozess mit allen an der Hämophilieversorgung beteiligten Interessenparteien vorsieht. Ziel ist es, eine wegen neuer und kommender Behandlungsverfahren wie der Gentherapie möglicherweise sinnvolle Anpassung der Vertriebswege in der Hämophilie bewusster und auf Erfahrungen und Dialog basierend umzusetzen. Weitere Ziele des Gesetzentwurfes wie z.B. die Erhöhung von Transparenz können in diesem Rahmen mit den bereits dafür entwickelten Instrumenten wie z.B. neuen Vertragsmodellen, wie dem vdek Vertrag erreicht werden.

Das GSAV sieht weiterhin die verpflichtende Beauflagung von Registerstudien bei neu zugelassenen Orphan Drugs vor. Takeda begrüßt ausdrücklich den Grundgedanken, Evidenz aus dem Versorgungsalltag systematisch zu generieren und in die Zusatznutzenbewertung von Arzneimitteln einfließen zu lassen. Takeda setzt sich bereits heute dafür ein, Daten aus dem Versorgungsalltag zu generieren.

Den im GSAV enthaltenen Regulierungsvorschlägen stehen jedoch Bedenken entgegen. So ist die Umsetzung in weiten Punkten noch unklar. So sind durch die Koppelung von Teilnahme an der Datenerhebung und „Verordnungserlaubnis“ Patienten von nichtteilnehmenden Ärzten oder Krankenhäusern von einer (zumindest wohnortnahen) Behandlung mit dem Arzneimittel faktisch ausgeschlossen, obgleich das zugelassene Arzneimittel nach den Feststellungen der Zulassungsbehörde sicher ist und dringend benötigt wird. Eine „Teilnahme-Garantie“ der Behandler an der Datenerhebung gibt es nicht. Der Patientenzugang zu dringend benötigten Arzneimitteln wird somit aus nicht-medizinischen, organisatorischen Umständen faktisch ausgeschlossen werden. Dies kann zu einer Unterversorgung dringend benötigter Arzneimittel gerade in ländlichen Gebieten führen.

Der Ansatz, nach Markteinführung Evidenz aus dem Versorgungsalltag zu generieren, entspricht dem von Takeda bereits gelebten Handeln. Die anwendungsbegleitende Datenerhebung kann aufgrund ihrer Ergebnissicherheit aber nur in Einzelfällen Evidenzlücken vollständig füllen. Evidenzlücken werden regelmäßig durch Auflagen zur Vorlage weiterer Evidenz durch die Zulassungsbehörde gefüllt. Der G-BA kann dies ebenfalls vorsehen. Es ist daher verfehlt, an das Instrument der Datenerhebung die Rechtsfolge der Neuverhandlung des Preises mit obligatorischer Absenkung zu knüpfen.

 

Appell für differenzierte Lösungen im Sinne der Patienten

Der Entwurf des GSAV wirft diese Fragen in der Hämophilieversorgung, für ZSEs in Deutschland und Evidenzgenerierung bei Orphan Drugs auf. Wir begrüßen im Dialog zum GSAV Antworten, damit die Patientenversorgung und -sicherheit gewährleistet sind. Mein Appell an die beteiligten Akteure und Entscheider ist, sich diesen berechtigten Diskussionen zum GSAV zu öffnen und Anregungen und Lösungen im Sinne der Patienten in ihre Entscheidungen mit aufzunehmen.


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