Deutliche Erhöhung der GKV-Sätze im Bereich der Physiotherapie notwendig

Wirtschaftlichkeitsanalyse ambulanter Therapiepraxen (WAT-Gutachten) veröffentlicht

Ute Repschläger

Dr. Björn Pfadenhauer

Die Wirtschaftlichkeitsanalyse ambulanter Therapiepraxen (WAT-Gutachten) bringt das Dilemma deutlich zutage: Der Ertrag, den ein Praxisinhaber am Ende des Monats im Jahr 2018 durchschnittlich erzielte, lag weit unter einem angemessen Unternehmerlohn. Die Vergütung physiotherapeutischer Leistungen ermöglichte keine ausreichende, zweckmäßige und wirtschaftliche Leistungserbringung. Auf Basis des Gutachtens und unter Berücksichtigung der Vergütungs- und Kostenentwicklung der letzten Jahre fordert der Bundesverband selbstständiger Physiotherapeuten (IFK) deutliche Vergütungserhöhungen vom GKV-Spitzenverband. Die künftigen GKV-Preise müssen es möglich machen, sowohl den Ertrag der Praxisinhaber als auch das Gehalt der Angestellten auf ein leistungsgerechtes Niveau anzuheben.

Grundlage für diese Forderungen sind die Ergebnisse des WAT-Gutachtens, das vom unabhängigen Institut für Gesundheitsökonomik (IfG) durchgeführt wurde. Auftraggeber sind insgesamt elf maßgebliche Verbände aus den Heilmittelbereichen Ergotherapie, Logopädie/Sprachwissenschaften, Physiotherapie und Podologie, die sich zu diesem Zweck zusammengeschlossen haben. Das IfG hat nicht nur Mitglieder der teilnehmenden Verbände, sondern alle Inhaber von Heilmittelerbringerpraxen aus dem gesamten Bundesgebiet aufgerufen, sich an dem Gutachten zu beteiligen. So ergab sich eine Stichprobengröße von weit über 4.000 Praxisinhabern – das WAT-Gutachten ist somit die bislang größte, wissenschaftlich valide betriebswirtschaftliche Erhebung in diesem Bereich.

Das WAT-Gutachten kommt zu dem Ergebnis, dass im Bereich der Physiotherapie bereits im Jahr 2018 eine Preiserhöhung um rund 63 Prozent erforderlich war. Diese Zahl setzt sich aus drei Teilen zusammen.

 

I.

Laut WAT-Gutachten hat ein Inhaber einer Physiotherapiepraxis 2018 im Durchschnitt einen Überschuss von 68.563 Euro brutto erwirtschaftet. Um diesen Ertrag mit dem Gehalt eines Angestellten vergleichen zu können, müssen die Unterschiede zwischen beiden Beschäftigungsformen berücksichtigt werden. Das IfG hat daher Faktoren wie Sozialversicherungsbeiträge, Risikoprämie und Eigenkapital-Verzinsung in die Berechnung miteinfließen lassen und kam dann zu dem Ergebnis, dass die GKV-Preise aus dem Jahr 2018 um rund 24 Prozent steigen müssen, damit der Inhaber einer ambulanten Physiotherapiepraxis dem leitenden Angestellten im Krankenhaus gleichgestellt ist (siehe Tabelle 1).

 

Tabelle 1: Benötigte Steigerung des Gesamtumsatzes zum Angleich des Inhabereinkommens

1) Der voraussichtlich zum 01.08.2020 neu zu schließende Tarifvertrag im öffentlichen Dienst ist bislang noch nicht berücksichtigt.

2) Die Preissteigerungen 2019 und die damit verbundene Steigerung des Überschusses in 2019 sind hierbei ebenso noch nicht berücksichtigt wie die Steigerungen auf der Aufwandsseite von 2018 bis 2020.

3) Umfasst auch DGUV-Umsätze.

 

II.

In den meisten ambulanten Therapiepraxen gibt es nicht nur den Praxisinhaber, sondern auch Angestellte. Laut WAT-Gutachten haben Physiotherapiepraxen in Deutschland im Durchschnittswert 6,2 Mitarbeiter; davon 4,5 Therapeuten, 1,4 Verwaltungsmitarbeiter und 0,3 Freie Mitarbeiter. Die Personalkosten schlagen über alle Praxen hinweg betrachtet mit durchschnittlich 56 Prozent als größter Kostenpunkt zu Buche. Damit Praxisinhaber auch ihren Angestellten einen höheren Lohn bezahlen zu können, sind laut WAT-Gutachten weitere Erhöhungen der GKV-Preise erforderlich.

Während der durchschnittliche Angestellte in einer ambulanten Therapiepraxis laut Gutachten im Jahr 2018 jährlich 29.358 Euro verdiente, bekam ein angestellter Therapeut in der Entgeltgruppe 7 (Tarifvertrag des öffentlichen Dienstes – TVöD) im Durchschnitt 42.362 Euro. Damit Praxisinhaber ihren Therapeuten ebenfalls ein dem TVöD ähnliches Gehalt bezahlen können, ist laut IfG-Berechnung daher eine Steigerung der GKV-Preise um rund 23 Prozent erforderlich.

Um also sowohl den Ertrag des Inhabers als auch das Gehalt der Angestellten, wie beschrieben, erhöhen zu können, hätte die GKV-Vergütung 2018 um insgesamt 47 Prozent steigen müssen (siehe Tabelle 2).

 

Tabelle 2: Kalkulationsschema Variante 1: TVöD

1) Der voraussichtlich zum 01.08.2020 neu zu schließende Tarifvertrag im öffentlichen Dienst ist bislang noch nicht berücksichtigt.

2) Die Preissteigerungen 2019 und die damit verbundene Steigerung des Überschusses in 2019 sind hierbei ebenso noch nicht berücksichtigt wie die Steigerungen auf der Aufwandsseite von 2018 bis 2020.

3) Umfasst auch DGUV-Umsätze.

 

III.

Nun ist es jedoch so, dass ambulante Therapiepraxen nicht nur mit Krankenhäusern um gut ausgebildete Physiotherapeuten buhlen. Das Problem beginnt schon weit vorher: Seit vielen Jahren wird die Physiotherapie von einem eklatanten Fachkräftemangel geplagt. Laut Bundesagentur für Arbeit dauerte es im Jahr 2019 durchschnittlich 189 Tage bis eine freie Stelle neu besetzt werden konnte. Das sind 52,5 Tage mehr als im Durchschnitt aller Berufe.

Ein Grund, der mutmaßlich viele von einem Berufseinstieg in die Physiotherapie abhält, ist das geringe erwartbare Gehalt. Damit sich wieder mehr Schulabsolventen für eine Ausbildung oder ein Studium zum Physiotherapeuten entscheiden, müssen die Verdienstaussichten deutlich verbessert werden und auch mit anderen Berufszweigen mithalten können.

Das IfG hat daher noch eine zweite Variante berechnet, in dem es das Gehalt angestellter Physiotherapeuten in ambulanten Therapiepraxen mit dem durchschnittlichen Entgelt von Arbeitnehmern verglichen hat, die als „Spezialist“ angestellt sind. Das sind laut Entgeltatlas der Bundesagentur für Arbeit Angestellte, die über Spezialkenntnisse und -fertigkeiten verfügen, Fach- und Führungsaufgaben sowie Planungs- und Kontrolltätigkeiten ausführen.

Spezialisten verdienten 2018 im Durchschnitt 51.852 Euro jährlich, also 22.494 Euro mehr als angestellte Physiotherapeuten in ambulanten Therapiepraxen laut WAT-Gutachten. Um das Gehalt Letzterer an das der Spezialisten angleichen zu können, hätten die GKV-Preise um rund 39 Prozent steigen müssen. Um – wie in der vorherigen Berechnungsmethode – zusätzlich auch den Ertrag der Praxisinhaber angemessen erhöhen zu können, wäre eine Steigerung um insgesamt rund 63 Prozent erforderlich gewesen (siehe Tabelle 3).

 

Tabelle 3: Kalkulationsschema Variante 2: Spezialist

1) Der voraussichtlich zum 01.08.2020 neu zu schließende Tarifvertrag im öffentlichen Dienst ist bislang noch nicht berücksichtigt.

2) Die Preissteigerungen 2019 und die damit verbundene Steigerung des Überschusses in 2019 sind hierbei ebenso noch nicht berücksichtigt wie die Steigerungen auf der Aufwandsseite von 2018 bis 2020.

3) Umfasst auch DGUV-Umsätze.

 

Fazit

Auf der Grundlage dieser Ergebnisse des WAT-Gutachtens sind die Physiotherapieverbände gemeinsam in die Vergütungsverhandlungen mit dem GKV-Spitzenverband eingetreten. Dabei geht es jedoch nicht nur um die prozentuale Erhöhung aller Leistungen, sondern auch um Fragen wie die fixierten Regelleistungszeiten und die unvergüteten Dokumentationstätigkeiten. Die Verwaltungstätigkeiten summierten sich laut WAT-Gutachten im Jahr 2018 auf 13,1 Minuten je Behandlungseinheit, was durchschnittlich 54 Wochenarbeitsstunden pro Praxis entsprach. Die Berufsverbände möchten hier durch Bürokratieabbau deutliche Erleichterungen durchsetzen. Und auch der hohe Zeitaufwand bei Hausbesuchen soll angemessen berücksichtigt werden.

Ohne eine Anhebung der Entgelte ist es laut WAT-Gutachten gerade für kleine Praxen nicht möglich, betriebswirtschaftlich zu arbeiten. Doch auch die kleinen Praxen sind enorm wichtig, um zukünftig weiterhin eine flächendeckende Versorgung mit physiotherapeutischen Leistungen zu gewährleisten – denn 60 Prozent der Bevölkerung in Deutschland lebt in Orten mit bis zu 50.000 Einwohnern, in denen kleinere Praxen häufig zu finden sind.

Es gibt also noch einiges zu tun, damit die Physiotherapie auf zukunftsfähige Beine gestellt wird und sich die Systemrelevanz des Berufstands auch in einer entsprechend angemessenen Bezahlung und in besseren Rahmenbedingungen für die Therapeuten widerspiegelt.

 

Ute Repschläger

Vorstandsvorsitzende des Bundesverbandes selbstständiger Physiotherapeuten — IFK e. V.

 

Dr. Björn Pfadenhauer

Geschäftsführer des Bundesverbandes selbstständiger Physiotherapeuten — IFK e. V.


Observer Gesundheit Copyright
Alle Beiträge Management/Trends ansehen