Der KV-App-Radar des Zi sollte Schule machen

Neues Portal mit Überblick zu Gesundheits-Apps

Dr. Dominik von Stillfried, Vorstandsvorsitzender des Zentralinstitutes für die Kassenärztliche Versorgung (Zi)

„Soll ich etwas verordnen?“ Diese Frage gehört zum täglichen Brot aller klinisch tätigen Mediziner und hat nun eine völlig neue Komponente: Digitale Gesundheitsanwendungen. Während zurecht noch über Nutzenbewertung und Erstattung von DiGA in der GKV debattiert wird, braucht die Ärzteschaft schnell ein praxistaugliches Tool, um die neuen therapeutischen Möglichkeiten (be-)greifbar zu machen und das ständig wachsende Angebot im Überblick zu behalten. In dieser Verantwortung haben wir mit Blick auf die klinische Praxis ein neues Portal entwickelt und dabei gelernt: Der Bedarf ist groß und die Aufgabe ambitioniert. Wir wünschen uns, dass das Thema in allen Versorgungsbereichen proaktiv angegangen wird. Denn: Wer handlungsfähig bleiben will, benötigt Überblick.

Das neue Zi-Infoportal (www.kvappradar.de) richtet sich an Vertragsärztinnen und Vertragsärzte sowie an Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten. Es soll ihnen die Möglichkeit bieten, sich über Gesundheits-Apps zu informieren und Erfahrungen auszutauschen. Derzeit sind bereits über 3.300 Anwendungen in der Datenbank katalogisiert. Den Apps sind über 60 Themen, von A wie ADHS bis Z wie Zähne, zugeordnet. Eine Suchfunktion ermöglicht das leichte Auffinden verfügbarer Gesundheitsanwendungen. Durch eine Kommentar- und Bewertungsfunktion können Profis die Gesundheitsanwendungen beurteilen und Erfahrungen austauschen. Diese subjektiven Einschätzungen aus der Praxis werden auf Wunsch der registrierten Nutzenden durch wissenschaftliche Gutachten des Zi ergänzt. Das Informationsportal wird kostenfrei zur Verfügung gestellt. Es steht noch nicht fest, ob und wann weitere Nutzergruppen zugelassen werden.

 

Begutachtungen der Apps schrittweise vertiefen

Nach derzeitigem Stand ist nicht absehbar, wie viele der im Markt befindlichen und in der Versorgung potenziell einzusetzenden digitalen Gesundheitsanwendungen eine Zertifizierung durch das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) anstreben werden. Vertragsärzte und Psychotherapeuten sind aber in ihrer Arbeit mit allen am Markt befindlichen Lösungen konfrontiert. Das Zi strebt an, Begutachtungen der Gesundheits-Apps schrittweise zu vertiefen. Sie können in einer Empfehlung zur Eignung der App münden. Zu Themenbereichen, in denen ein möglicher Interessenskonflikt des Zi vorliegen könnte, wird das Zi keine Gutachten erstellen oder beauftragen. Derzeit betrifft diese Einschränkung die Themenbereiche Kodierhilfen und Triage-Verfahren.

Digitale Gesundheitsanwendungen durchlaufen für die Aufnahme in das DiGA-Verzeichnis offenbar einen auf die übermittelten Unterlagen bezogenen Prüfprozess. Nach Einreichung aller erforderlichen Unterlagen durch die Entwickler hat das BfArM drei Monate Zeit, um über die Erfüllung aller Anforderungen an Sicherheit, Funktionstauglichkeit, Qualität, Datenschutz und Datensicherheit sowie den/die positive(n) Versorgungseffekt(e) zu beraten und eine Entscheidung zur Aufnahme zu treffen. Wie im Falle von Sicherheitsmängeln bei Velibra bereits kurz nach der Veröffentlichung des Verzeichnisses bekannt wurde, beschränkte sich das BfArM auf eine Plausibilitätsprüfung der Herstellerunterlagen. Eine unabhängige technische Überprüfung des Datenschutzes und der Datensicherheit ist offenbar nicht vorgesehen. Auch das Prüfverfahren auf Plausibilität der Angaben scheint nicht alle Inkonsistenzen zu erfassen. Ein Beispiel liefert die DiGA „somnio“: Unter dem Punkt „Weitere Informationen / Angaben zur Qualität der medizinischen Inhalte“ steht sowohl, dass Prozesse etabliert wurden, um Gesundheitsinformationen aktuell zu halten, als auch, dass überhaupt keine Gesundheitsinformationen durch die DiGA angeboten werden. Letztere Aussage verwirrt zusätzlich, da ein Modul der App explizit auf die Vermittlung von Schlafwissen (Psychoedukation) abzielt und damit eigentlich unter angebotene Gesundheitsinformation fallen müsste.

Das Zi strebt eine unabhängige Bewertung der wissenschaftlichen Evidenz der im DiGA-Verzeichnis gelisteten Angebote an. Es wird im Rahmen von Gutachten analysiert, ob die Indikationen und Kontraindikationen medizinisch sinnvoll und evidenzbasiert sind und wie der durch die Anbieter gesetzte Preis zu bewerten ist. Bei Bedarf könnte auch eine externe technisch-datenschutzrechtliche Evaluation beauftragt werden. Im Hinblick auf die relevante Zahl der verordnungsberechtigten Personen führt das Zi Analysen der bundesweiten vertragsärztlichen Abrechnungsdaten durch. Die Möglichkeit der Kommentierung von DiGAs im Portal durch Verordner kann darüber hinaus zusätzliche Hinweise auf relevante Prüffragen geben.

 

Ziel: mehr Transparenz über Stärken und Schwächen

Angesichts eines unaufhaltsamen Anstiegs digitaler Ergänzungsangebote zur medizinischen Versorgung ist es Ziel des KV-App-Radars, einen innerärztlichen Erfahrungsaustausch hierzu zu unterstützen und mehr Transparenz über Stärken und Schwächen dieser Angebote zu schaffen. Das Zi unterstützt dies mit neutralen Bewertungen. Dies gilt insbesondere für die Digitalen Gesundheitsanwendungen (DiGAs) des BfArM-Registers. Das Zi steht einer Nutzung digitaler Behandlungsmöglichkeiten grundsätzlich positiv gegenüber, wenn dadurch Arbeitsprozesse erleichtert und Versorgungsergebnisse verbessert werden können. Bei den DiGAs sehen wir kritisch, dass die positiven Versorgungsnachweise derzeit überwiegend im Vergleich mit Placebo abgeleitet werden. Richtig wäre, die Leistungsfähigkeit und Effizienz gegenüber einer zweckmäßigen Vergleichstherapie zu bewerten. Der Bewertungsprozess sollte aus dem AMNOG-Verfahren lernen, insbesondere da Tagestherapiekosten von über 10 Euro aufgerufen werden. Es spricht wenig dagegen, dass AMNOG Verfahren auch auf DiGAS zu übertragen, und zwar unabhängig davon, ob das im G-BA oder im BfArM erfolgt. Mindestens jedoch wäre eine entsprechende Anpassung von § 10 der DiGA-Verordnung erforderlich.

 

Ausblick

Das Potenzial der Digitalisierung liegt in der Skalierung guter Lösungen, die Gefahr in der Verbreitung schlechter Alternativen. Wir sind uns bewusst, dass die Weiterentwicklung des KV-App-Radars künftig auch Auswirkungen auf die „digitale Versorgung“ haben kann. Angesichts dieser Verantwortung wollen wir einen breiten Diskurs der Versorger im Gesundheitswesen zur Relevanz digitaler Angebote unterstützen.


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