21.09.2024
Das Registergesetz – ein großes Vorhaben mit Potenzial und Hürden
Dr. Simone Breitkopf, Ärztin und Beraterin
Europaweit sollen Gesundheitsdaten besser nutzbar gemacht werden. Es soll ein europäischer Raum für Gesundheitsdaten geschaffen werden, der European Health Data Space (EHDS). Die zugehörige EHDS-Verordnung tritt vsl. Anfang 2025 in Kraft. Um das zu realisieren, wurden auch in Deutschland neue Gesetze verabschiedet, allen voran das Gesundheitsdatennutzungsgesetz (GNDG). Ein Gesetz fehlt aber noch: das Registergesetz.
Bereits im Koalitionsvertrag von SPD, FDP und Grünen ist ein „Registergesetz“ vereinbart für „eine bessere wissenschaftliche Nutzung“ von Gesundheitsdaten („Mehr Fortschritt wagen“, 2021, S. 65). Auch die Selbstverwaltung drängt auf Register. So fordert Josef Hecken, Vorsitzender des G-BA, in der personalisierten Medizin die Daten aller Patienten automatisch in Registern zu speichern.
Was ist ein Register?
Ein Register ist eine Datensammlung, ein Verzeichnis, in dem Patientendaten aus der Versorgung gesammelt („registriert“) werden – und zwar aus der Versorgungs-Realität, der „Real World“. Registerdaten sind „Real World Data“. Es gibt keine Vorgaben, wie ein Patient behandelt wird, alles wird dokumentiert. Viele Forscher aus Wissenschaft und Industrie sind hier bereits aktiv. Hersteller von Medizinprodukten setzen eigene Register für ihre Produkte auf. Für Arzneimittel gibt es Datensammlungen, die als Register bezeichnet werden. Und es gibt staatliche, d.h. spezialgesetzlich geregelte, Krebsregister und ein Implantate-Register.Zusätzlich gibt es eine Vielzahl medizinischer Register zu einzelnen Erkrankungen, aufgesetzt von medizinischen Fachgesellschaften, Forschungsgruppen oder Patienteninitiativen – in recht unterschiedlichen Strukturen. Nur wenige dieser Register basieren auf gesetzlichen Grundlagen. Mit dem Registergesetz soll nun für alle eine breite rechtliche Basis geschaffen werden.
Datenschätze ohne Struktur
Wo liegt der Handlungsbedarf? Es geht um wertvolle Informationen, z.B. um die Dokumentation von Krankheits- und Behandlungsverläufen. Bisher dienen Registerdaten vor allem der unabhängigen wissenschaftlichen Forschung, insbesondere der Versorgungsforschung. Bisher landen sie nicht in der elektronischen Patientenakte (ePA) und damit auch nicht im FDZ Gesundheit beim BfArM. Das Potenzial von Registerdaten gehtaber weit über die bisherige Verwendung hinaus. Großes Interesse an den Daten besteht z.B. beim GBA – zu Fragen der Nutzenbewertung und Qualitätssicherung – und in der Industrie. Erste Projekte mit wissenschaftlichen Registern zur Bewertung von neuen Arzneimitteln laufen bereits. Im Gegensatz zu RCT (klinische Studien) werden sie AbD genannt, was für „Anwendungsbegleitende Datenerhebung“ steht. Diese Form der Datensammlung ist im Gesetz eigens verankert (§ 35a Abs. 3b SGB V). Und viele Register dienen als Datenquelle für Analysen zu Fragen der Arzneimittelsicherheit.
Ein Problem: Für die breite Masse der Versorgungs-Daten gibt es bisher kaum Vorgaben. Der Grund: Medizinische Daten, die sich für Register eignen, sind meist nicht vergütungsrelevant und unterliegen nicht der Arzneimittelgesetzgebung. Zwar gibt es bereits Register mit einem anspruchsvollen Registerprotokoll, bei denen die Daten elektronisch erhoben und über eine validierte Software mit den sonstigen Datensätzen zu einem Patienten verknüpft werden können. Es gibt aber auch Register, die Daten in Exceldateien sammeln, manchmal in unvollständigen Datensätzen – was für die Beantwortung bestimmter Forschungsfragen ausreicht. Für anspruchsvolle Analysen von GBA und Industrie, z.B. zum Vergleich einer neuen Therapie mit dem Goldstandard, reichen unstrukturierte Datensammlungen aber nicht. Hier braucht es höhere und vor allem einheitliche Standards, analog zu den Vorgaben in der klinischen Forschung. Das geht nur per Gesetz. Und das dauert.
Vorarbeiten zum Gesetzentwurf
Auf die Umsetzung dieses politischen Vorhabens warten wir bereits längere Zeit. Das Registergesetz sollte in Deutschland schon im vergangenen Jahr verabschiedet werden; bisher haben wir nicht einmal einen Referentenentwurf. Daher lohnt ein Blick auf die laufendenVorarbeiten. In 2021 wurde vom BMG ein Gutachten veröffentlicht. Darin wurde die aktuelle Registerlandschaft in Deutschland dargestellt, bewertet und es wurden Empfehlungen für eine Weiterentwicklung gegeben. Die zentralen Themen sind die Qualität der Register und ihrer Daten sowie die Verknüpfung („linkage“) mit weiteren Datenquellen im Rahmen der Digitalisierungsstrategie im Gesundheitswesen. Bei einem der Gutachter, dem Institut für Qualität & Patientensicherheit GmbH (bqs), wurde eine öffentlich zugängliche Datenbank für alle nationalen Register etabliert; aktuell finden sich dort 415 Register.
Ein weiterer Gutachter ist die Technologie- und Methodenplattform für die vernetzte medizinische Forschung e. V. (TMF), die Dachorganisation für die medizinische Verbundforschung in Deutschland. Als Hauptakteur zu Registern in Deutschland koordiniert die TMF den Dialog zwischen BMG und den beteiligten Experten. Anfang 2023 wurde von der TMF eine offizielle Register-Arbeitsgruppe gegründet, die TMF AG REG. Viele Registerbetreibende und auch medizinische Fachgesellschaften sind dort Mitglied. Die Ergebnisse ihrer Vorbereitungen und Diskussionen gehen direkt an die zuständige Abteilung im BMG. Die TMF richtet jährlich in Berlin die sogenannten „Registertage“ aus. In 2023 hat das BMG dort die ersten konzeptionellen Überlegungen für das Registergesetz präsentiert:Neben der Einrichtung einer Zentralstelle für medizinische Register (ZMR) und einer freiwilligen Auditierung von Registern sollen bundesweit einheitliche Rechtsgrundlagen für die Datenverarbeitung geschaffen werden sowie Grundlagen zur Erleichterung einer direkten Daten–Verknüpfung („data-linkage“). Den Registern soll es dazu ausdrücklich erlaubt sein, die Krankenversichertennummer (KVNR) eines Patienten zu erheben und in einer noch einzurichtenden Vertrauensstelle zu speichern. In 2023 gab es dazu ein White Paper unter dem Titel: „Verbesserung des Record Linkage für die Gesundheitsforschung in Deutschland“.
Die Pläne des BMG
Auf den diesjährigen Registertagen im Mai gab es dann ein Update: Das BMG sieht das Registergesetz als einen wichtigen Baustein in der Digitalisierungsstrategie der Bundesregierung. Laut BMG ist das Gesetz notwendig, damit – im Zusammenspiel mit anderen Gesetzen – ein „vernetztes Gesundheitsdatenökosystem“ entstehen kann. Dazu soll das Registergesetz eine Rechtsgrundlage schaffen für die Register, die bisher nicht spezialgesetzlich geregelt sind. Diese sollen u.a. die Möglichkeit erhalten, sich für eine erleichterte Datenverarbeitung zu qualifizieren. Es gibt bereits einen Entwurf des BMG fürdie Anforderungen an ein Register, der Prozess der Qualifizierung wird gerade von den Akteuren entwickelt.
Weiterhin soll das Registergesetz mit dem Gesundheitsdatennutzungsgesetz (GDNG)verknüpft werden. Ziel ist eine Verknüpfung der Registerdaten mit den pseudonymisierten GKV-Routinedaten, die bereits an das FDZ Gesundheit am BfArM geliefert werden. Daraus ergeben sich ganz neue Dimensionen der Forschung, z.B. wenn im Idealfall die Abrechnungsdaten eines Patienten mit Daten aus einem Register und allen weiteren, elektronisch gespeicherten Daten, zum Beispiel aus einer Klinik, verknüpft werden. Dann erhält man einen umfassenden Datensatz, aus dem sich sehr schnell wertvolle Erkenntnisse gewinnen lassen. Das ist der Vorteil von Registerdaten gegenüber einer klinischen Studie (RCT). Einer RCT ist es grundsätzlich verwehrt, Daten mit der Krankenversichertennummer (KVNR) zu speichern. Register dagegen sollen die KVNR nutzen dürfen, damit persönliche Daten pseudonymisiert verknüpft werden können. Erst damit wird eine Gesamtschau möglich.
Aber auch dieses große Ziel ist nur ein Zwischenschritt. Der Blick auf die europäische Ebenezeigt, dass die Verknüpfung von Daten ungeahnte Dimensionen eröffnet. Perspektivisch sollen die verknüpften Gesundheitsdaten aus Deutschland mit dem EHDS, dem europäischen Gesundheitsdatenraum, verschmelzen. Eines der größten Projekte im EHDS ist DARWIN EU, das „Data Analysis and Real World Interrogation Network“. Dahinter steht die EMA, die Europäische Arzneimittelbehörde. DARWIN EU soll praxisnahe Real World–Erkenntnisse aus ganz Europa zur Verfügung stellen, zu Krankheiten, Patienten, Behandlungsverläufen und natürlich auch zur Anwendung von Arzneimitteln. Die EMA und mit ihr die nationalen europäischen Arzneimittelbehörden wollen diese Daten analysieren, um Erkenntnisse zu gewinnen, überwiegend über den Lebenszyklus von Arzneimitteln. Dazu braucht es Interoperabilität auf allen Ebenen.
Europäische Harmonisierung
Für Deutschland hat dieses Engagement der EMA einen Vorteil: Das Register muss nicht neu erfunden werden. Seit mehr als 10 Jahren hat die EMA sogenannte „Patient Registries“ im Fokus. Zunächst noch als mögliche Datenquelle für die Arzneimittelsicherheit, dann aber zunehmend auch für die klinische Entwicklung von Arzneimitteln und weitere regulatorische Fragestellungen. Die EMA hat dazu Leitlinien veröffentlicht, über die Kriterien, die ein Register charakterisieren und auch über die Durchführung von Registerstudien (Analysen, die mit den Daten aus einem oder auch mehreren Registern durchgeführt werden). Die EMA akzeptiert zwei Arten von Registern als vollwertig: Krankheitsregister (darunter fallen neben Krebsregistern auch Missbildungsregister, Schwangerschaftsregister und ähnliche) und Populationsregister, wie sie in den nordischen Ländern üblich sind. Die dritte Art, die Produktregister, sieht die EMA (wie übrigens auch der G-BA und das BfArM) eher schon als Studie, weniger als wissenschaftliche Datenquelle.
Bei Produktregistern steht i.d.R. die Analyse zu regulatorischen Zwecken für ein Produkt im Vordergrund. Hier geht es um Wirkung und Sicherheit des jeweiligen Produkts unter Alltagsbedingungen. Das gilt nicht als wissenschaftliche Frage. Daher macht es Sinn, wissenschaftliche Datensammlungen zu Krankheiten von den Datenanalysen für regulatorische Zwecke sehr genau zu trennen. Schließlich geht es hier um unterschiedliche Zwecke, für die das Register aufgesetzt wird. Relevant ist auch, wer die Daten wozu nutzen möchte. Daten zu Arzneimitteln oder Medizinprodukten eignen sich natürlich für Projekte mit der Industrie, die für die bereitgestellten Daten bezahlt. Und Data Science-Projekte sind eine wichtige Einnahmequelle, um die Register am Laufen zu halten. Wie der Economist schon 2017 feststellte: Daten sind das neue Öl, wenn man sie zu Geld machen kann.
Die Abgrenzung nach dem Fokus (wissenschaftliche Frage vs. Produkt) hat konkrete Auswirkungen. Es gibt eine neue Datenbank zu allen „Datenquellen“, die Real World Daten sammeln: Die „HMA-EMA Catalogues of real-world data sources and studies“ weist die unterschiedlichen Arten der Datensammlung fein säuberlich getrennt aus. Von den insgesamt 4074 enthaltenen Projekten gibt es genau drei (akzeptierte) Produktregister, alle staatlich, wie das Dänische Health Registry, in dem neben vielen anderen Informationen auch Daten zu Arzneimitteln gesammelt werden. Dann gibt es dort noch 70 Krankheitsregister, 17 Krebsregister, und Biobanken. Neben diesen Datenquellen finden sich dort zahlreiche Real World–Studien, davon 2805 Non-interventional Studies, viele davon von der Industrie, nur 29 davon wurden oder werden von der EMA selbst durchgeführt. Diese Klassifizierung zeigt:Viele Projekte, die früher als Register bezeichnet wurden, entsprechen nicht mehr den Kriterien der EMA für Register und gelten jetzt als Studien. Das gilt auch für einige der 415 Einträge in der Deutschen Registerdatenbank – selbst, wenn sie dort als Register bezeichnet werden. Eine (verbindliche) europäische Definition mit einem einheitlichen Wording wäre hier sicher hilfreich.
Bedenken und Entscheidungsbedarf
Angesichts der geplanten Verschmelzung mit dem EHDS erhält auch die Diskussion um den Datenschutz eine neue Dimension. Die pseudonymisierte Verknüpfung der Registerdaten mit einer persönlichen Nummer (in Deutschland: KVNR) ist der technische Schlüssel, um das Potenzial zu heben. Die bange Frage „wo landen meine Daten?“ erhält damit eine europäische Dimension. Man fragt sich: In welcher Form landen die Daten, die ein Patient für ein deutsches Register zur Verfügung stellt, um die Forschung zu unterstützen, am Ende irgendwo in Europa? Und wie behalten wir bei den ganzen Verknüpfungen von Datenquellen noch den Überblick? Sind diese Systeme störanfällig? Manipulierbar? Bei aller Begeisterung für die Forschung, fühle ich mich selbst manchmal erinnert an den Film „Das Netz“ von 1995. Trotz dieser europäischen Dimension dürfte die Frage „Opt in oder Opt out“ mit dem Registergesetz wohl nicht neu aufgeworfen werden. Die Ampelfraktionen hatten bei der Verabschiedung der Digitalreform stets darauf verwiesen, die deutschen Gesetze (DigiG, GDNG) seien EHDS-kompatibel. Das sollte dann auch für die Grundsatzentscheidung für ein Opt out gelten.
Dabei stellt die europäische Harmonisierung der Datenräume den deutschen Gesetzgeber vor eine weitere Herausforderung. Deutsche Register werden im Konzert der Wissenschaft nur mitspielen, wenn sie die strikten Anforderungen der EMA erfüllen. Ein nach deutschen Vorgaben qualifiziertes Register wäre dann ein Gütekriterium für Transparenz und pan-europäische Harmonisierung. Was das allerdings für alle Datensammlungen bedeutet, die nach den EMA-Kriterien nicht als Register gelten (sondern als Studien), ist bisher unklar. Für den Referentenentwurf muss das BMG sich entscheiden: Hält es an dem Ziel der europäischen Harmonisierung fest – zu Lasten der zahlreichen Produktregister? Das könnte erbitterten Widerstand auslösen. Vielleicht ist das ein Grund, warum wir so lange auf dieses Gesetz warten müssen. Die zahlreichen, teilweise gut organisierten Akteure machen ihren Einfluss geltend. Es geht letztlich um ein neues Fundament für die Forschung mit Real World Data. Man darf gespannt sein, ob und wann es in dieser Legislaturperiode einen Referentenentwurf geben wird.
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