Das Recht auf Selbstbestimmung sollte maßgeblich sein

Antrag der FDP-Fraktion für ein faires und schnelles Verfahren zur Erlaubniserteilung und Ausgabe von Suizidmedikamenten

Katrin Helling-Plahr MdB (FDP), Mitglied des Ausschusses für Gesundheit sowie des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz

108 schwerstkranke Menschen haben in den vergangenen Monaten die Erlaubnis zum Kauf von Natrium-Pentobarbital beantragt. Der Stoff gehört zur Gruppe der Barbiturate und wurde einst als Beruhigungs- und Schlafmittel eingesetzt. Eine Überdosis führt zu Atem- und Herzstillstand und damit zum Tod. Vielleicht ist es schwer vorstellbar, dass sich Menschen aus freiem Entschluss dieses Stoffs bedienen möchten, um ihre Suizidabsicht zu verwirklichen. Wenn ein Mensch aber nach langer und reiflicher Überlegung, unter Abwägung allen Für und Wider, einen solchen Entschluss trifft, dann gilt es, diese Entscheidung zu respektieren.

Das verfassungsrechtliche Selbstbestimmungsrecht gewährt die Freiheit, eigenverantwortliche Entscheidungen bis zum Lebensende zu treffen – das schließt auch die Entscheidung über die Art des Lebensendes ein. Zugegeben: Gesetzgeber und Gesellschaft befinden sich in dieser Frage in einem moralisch und ethisch höchst komplexen Spannungsfeld. Dass in diesem Spannungsfeld aber die Schutzpflicht des Staates überwiegen und ihm erlauben soll, sich über jegliche Absichten des Freitods zu stellen, kann verfassungsrechtlich nur schwerlich angenommen werden.

 

Urteil im Sinne der Mütter und Väter des Grundgesetzes

Mit jenem Spannungsfeld hat sich im März 2017 auch das Bundesverwaltungsgericht beschäftigen müssen, als ein Ehemann das Recht seiner inzwischen verstorbenen Ehefrau auf Erwerb von Natrium-Pentobarbital feststellen lassen wollte. Das Urteil liest sich wie ein Plädoyer für Freiheit und Selbstbestimmung des Einzelnen. Das Gericht hat eine nachvollziehbare Abwägung widerstreitender Grundrechte vorgenommen und bei seiner Entscheidung ein modernes und liberales Verfassungsverständnis zu Grunde gelegt. Letztlich ganz im Sinne der Mütter und Väter des Grundgesetzes hat es festgestellt, dass der Ehefrau der Erwerb eines todbringenden Medikaments nicht versagt werden darf.

Trotz aller Liberalität hat das Gericht einer Erlaubniserteilung in Folgefällen jedoch enge Grenzen gesteckt. Das ist in Anbetracht der Sensibilität des Themas und der Verantwortung des Staates auch mehr als geboten und sollte nicht verkannt werden. So bedarf es zunächst einer extremen Notlage: Der oder die Betroffene muss durch die Krankheit so starke Schmerzen haben, dass sie zu einem untragbaren Leidensdruck führen. Zweitens darf keine andere zumutbare Möglichkeit bestehen, den Freitod herbeizuführen. Drittens – und vielleicht am wichtigsten – muss der Entschluss für den Freitod in entscheidungsfähigem Zustand sowie frei und ernsthaft entstanden sein.

 

Keine nachvollziehbaren Gründe für Erlaubnisversagung

Wenn diese drei Voraussetzungen vorliegen, gibt es auch in meinen Augen keine nachvollziehbaren Gründe für die Versagung der Erlaubnis. Der Staatssekretär im Bundesgesundheitsministerium Lutz Stroppe geht darum auch fehl, wenn er schreibt: „Es kann nicht Aufgabe des Staates sein, Selbsttötungshandlungen durch die behördliche, verwaltungsaktmäßige Erteilung von Erlaubnissen zum Erwerb des konkreten Suizidmittels aktiv zu unterstützen.“ Es wird ja von der Exekutive keineswegs verlangt, bei der Herbeiführung des Freitods zu helfen. Vielmehr soll der Staat jene Begehren lediglich nicht behindern. Dies ist der kleine, aber entscheidende Unterschied zwischen einem liberalen Rechtsstaat und einem Rechtsstaat, der sich in unverhältnismäßig moralisierender Weise in die Belange seiner Bürger einmischt und damit die Grundwerte unserer Verfassung mit Füßen tritt.

 

Betroffenen den Rechtsweg ersparen

Dennoch verfügte Bundesgesundheitsminister Jens Spahn in Reaktion auf das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts, dass alle beim Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte anhängigen Anträge auf Erwerb von Suizidmedikamenten pauschal abgelehnt werden sollen. Das ist genau die bemängelte Ignoranz gegenüber den Betroffenen und unseren Grundwerten. Anstatt das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts zu ignorieren, sollten sich Gesundheitsminister und Gesetzgeber dazu entschließen, die vernünftigen Erwägungen des Gerichts in legislative Kraft umzusetzen. Einen entsprechenden Antrag hat die Fraktion der Freien Demokraten im Deutschen Bundestag bereits eingebracht. Ein faires und schnelles Verfahren zur Erlaubniserteilung und Ausgabe von Suizidmedikamenten muss das Ziel sein – nicht zuletzt auch, um den Betroffenen den nun erst einmal wieder nötigen Rechtsweg zu ersparen.

 

Vorschriften des assistierten Suizids grundlegend überdenken

Außerdem müssen über kurz oder lang die maßregelnden Vorschriften des assistierten Suizids grundlegend überdacht werden. Die als Novelle gedachte Reform aus dem Jahr 2015 hat die Situation für Patienten, Angehörige und Ärzte an vielen Stellen nur noch weiter verschlimmert. Sowohl beim autonomen als auch beim assistierten Suizid handelt es sich aber um Fragen eines höchstpersönlichen Bereichs, in dem der Gesetzgeber nicht pauschalisiert für den Bürger Entscheidungen treffen sollte – und schon gar nicht der lediglich exekutiv handelnde Minister aufgrund persönlicher Überzeugungen. Stattdessen sollte – wie so häufig – das Recht auf Selbstbestimmung das Maß der Dinge sein.


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