Corona-Krise: Die System-und Gesundheitsrelevanz von pflegenden Angehörigen

Kordula Schulz-Asche MdB, Sprecherin für Pflege- und Altenpolitik, Bündnis 90/Die Grünen

Die Fraktion von Bündnis 90/Die Grünen hat einen Antrag in den Deutschen Bundestag eingebracht, der mit umfassenden Forderungen und weitreichenden Zielsetzungen die Situation von pflegenden Angehörigen nachhaltig verbessert. Damit stellen die Grünen Forderungen auf, die über die im „Bevölkerungsschutz II“ (GEBT) enthaltenen Maßnahmen hinausgehen. Gleichzeitig wollen die Grünen die politische Vertretung pflegender Angehöriger unterstützen – auch im Kampf gegen die Einflussnahme von Populisten, die in diesem Versorgungssektor zu punkten versuchen. Die Grünen stellen fundierte Vorschläge dagegen, die konkrete Verbesserungen darstellen – für die Zeiten der Corona-Krise und darüber hinaus.

 

Drei von vier Pflegebedürftigen werden zu Hause gepflegt

Menschen, die einen pflegebedürftigen Menschen nicht erwerbsmäßig in seiner eigenen Häuslichkeit pflegen, werden im SGB XI als „Pflegepersonen“ bezeichnet, sind aber gemeinhin als pflegende Angehörige bekannt. Hierzu gehören auch Familien, welche ein Kind in ihrer häuslichen Umgebung pflegen. Schätzungen zufolge gibt es rund 4,7 Millionen Pflegepersonen in Deutschland. Auf die pflegebedürftigen Menschen in Deutschland zurückgerechnet heißt dies, dass drei von vier Pflegebedürftigen aktuell zu Hause durch Angehörige, Nachbarinnen und Nachbarn oder Freundinnen und Freunden versorgt werden, davon sogar zwei von drei gänzlich ohne Unterstützung durch professionelle Betreuung oder Pflegedienste.

 

Diese Zahlen zeigen, dass die pflegenden Angehörigen nicht nur system-, sondern auch gesundheitsrelevant sind. Würden die pflegenden Angehörigen nicht ihre Zeit und Arbeitskraft einsetzen, müssten deutlich mehr pflegebedürftige Menschen in (teil-)stationären Einrichtungen versorgt werden, wo bereits heute Plätze fehlen. Zudem ermöglicht eine Versorgung in der eigenen Häuslichkeit oft ein selbstbestimmteres Leben. Pflegende Angehörige leisten so einen unschätzbaren Dienst an unserer Gesellschaft, nicht nur für ihre direkten Angehörigen, sondern auch für das Funktionieren des Gesundheitssystems in Gänze.

 

Die spezifischen Herausforderungen in der Corona-Krise

Pflegende Angehörige sind der Corona-Pandemie und im Zuge der damit verbundenen Kontaktbeschränkungen besonders betroffen: Sie fürchten in Situationen, in denen soziale Kontakte unumgänglich sind, das Virus unbemerkt weiterzugeben, das Risiko einer Infektion zu erhöhen und so die Gesundheit oder gar das Leben des zu pflegenden Menschen zu gefährden. Deshalb fordern wir konkret, dass Maßnahmen ergriffen werden, mit denen der Infektionsschutz für pflegebedürftige Menschen und Pflegepersonen erhöht wird, wie zum Beispiel die Bereitstellung von geeigneter Schutzausrüstung, wie Masken, Schutzkleidung und Desinfektionsmittel – damit einhergehend auch eine substantielle Erhöhung der Pflegehilfsmittelpauschale. Genauso wie das professionelle Pflegepersonal sollten auch die pflegenden Angehörigen die Möglichkeit erhalten, sich regelmäßig auf Covid-19 testen zu lassen.

 

Bessere finanzielle Unterstützung der Pflegenden

Menschen, die sich um andere kümmern, sollten sich nicht in die Gefahr bringen müssen, in Armut abzurutschen. Die Corona-Krise verschärft mögliche Probleme noch einmal, denn sie erfordert mehr Arbeit und mehr Zeit. Wichtige Unterstützungsangebote fallen weg – beispielsweise bei der Tagespflege oder familienunterstützenden Diensten. Aus unserer Sicht ist es deshalb notwendig, das Pflegezeitgesetz und das Familienpflegezeitgesetz zu einem Gesetz für mehr Zeitsouveränität für Pflegepersonen neuzugestalten, um die Vereinbarkeit von Familie, Pflege und Beruf zu ermöglichen. Mit der „Pflegezeit Plus“ fordern wir eine bis zu dreimonatige Freistellung für Menschen, die Verantwortung für pflegebedürftige Angehörige, Nachbarn oder Freundinnen oder Freunde übernehmen. Mit einer steuerfinanzierten Lohnersatzleistung – ähnlich wie beim Elterngeld – sollen alle Erwerbstätigen finanziell abgesichert werden, wenn ihre Betreuungsmöglichkeit, wie etwa die Tagespflege, im Zuge der Corona-Krise oder einer anderen epidemischen Lage nationaler Tragweite entfällt.

 

Unterstützungsangebote in den Kommunen

Pflegende Angehörige fürchten, dass sie beispielsweise aufgrund ihrer Arbeit in einem systemrelevanten Beruf oder aufgrund einer Quarantäne-Situation die Versorgung und Betreuung ihrer zu pflegenden Angehörigen nicht mehr aufrechterhalten können. Für solche Fälle ist durch die Kommune eine Notbetreuung aufzubauen. Damit Menschen passende Angebote finden können, schlagen wir ein zentrales digitales Register für Unterstützungsangebote sowie eine bundesweit einheitliche und barrierefreie Notfall-Hotline vor.

Die Probleme des deutschen Gesundheitswesens sehen wir in aktuell wie unter einem Brennglas. Jetzt ist die Zeit gekommen, um die Arbeitsbedingungen in der Pflege und gerade auch im langevernachlässigten Bereich der häuslichen Pflege nachhaltig und zukunftssicher zu verbessern.


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