04.06.2024
Comeback der deutschen Pharmaindustrie
Die richtigen Impulse sind gesetzt
Dr. Jasmina Kirchhoff, Institut der deutschen Wirtschaft Köln e.V.
Deutschland fällt als pharmazeutischer Forschungs- und Entwicklungsstandort seit Jahren gegenüber anderen Ländern zurück. Für einen Pharmastandort, der sich auf die Erforschung, Entwicklung und Produktion innovativer, technisch komplexer Präparate spezialisiert hat, ist dies mehr als ernüchternd. Die Pharmastrategie der Bundesregierung soll nun die Trendumkehr bringen.
Hierzulande galt die Pharmaindustrie lange vor allem als Kostentreiber im Gesundheitswesen, Erstattungspreise sowohl generischer als auch patentgeschützter Arzneimittel wurden über zahlreiche Kostendämpfungsmaßnahmen immer weiter gedrückt. Die Auswirkungen dieser Eingriffe zeigen sich nicht zuletzt in den Lieferengpässen bei gängigen Medikamenten wie Hustensaft und Antibiotika. Zunehmend komplexer werdende regulatorische und bürokratische Anforderungen sowie die schleppende Digitalisierung im Gesundheitswesen erschweren pharmazeutische Forschung, klinische Studien und Markteinführungen innovativer Arzneimittel zusätzlich. Dagegen stärken andere Länder ihre Pharmaindustrie. Ihr Antrieb: Eine starke Arzneimittelentwicklung kann den Wohlstand erhöhen und zur Versorgungssicherheit beitragen.
Die Forschungsaktivitäten der deutschen Pharmaindustrie entwickeln sich im internationalen Vergleich mittelmäßig, Patentanmeldungen stagnieren und als klinischer Studienstandort verliert Deutschland seit Jahren an Boden [1]. Ein Abgesang auf die deutsche Pharmaforschung scheint jedoch verfehlt, auch weil die Politik aktuell richtige Impulse setzt [2]. Pharmazeutische Unternehmen schätzen den Standort nach wie vor, bietet dieser doch gut ausgebildete Fachkräfte und eine international bedeutende akademische Forschungslandschaft – wie zahlreiche unternehmerische Investitionen belegen [3].
Nationale Pharmastrategie setzt an den richtigen Punkten an …
China, Südkorea und Belgien steigern ihre Forschungsaufwendungen seit Jahren überdurchschnittlich, die USA bauen ihre Position als global führender pharmazeutischer Forschungsstandort aus – Deutschland hingegen fällt zurück [1]. Was machen diese Länder besser? Es geht nicht nur um Subventionen. Vielmehr stärkten diese Länder die Forschungsbedingungen für pharmazeutische Unternehmen, weiteten die steuerliche Forschungsförderung aus oder bieten einen attraktiven Wagniskapitalmarkt. Auf seinem Weg vom Nachahmer zum globalen Innovationsmotor baut China seit Jahren die wissenschaftliche Infrastruktur aus [4]. Für Deutschland ergibt sich die Aufgabe, hiesige Standortbedingungen grundlegend zu verbessern, um im internationalen Wettbewerb bestehen zu können. Die in der Pharmastrategie avisierten Ziele, mehr Kapital für Forschung und Innovation über eine Ausweitung der Forschungszulage und eine Förderung der Forschung durch einen erweiterten Verlustabzug zu mobilisieren sowie das Wagniskapitalangebot für Start-ups zu verbessern, sind also nicht neu, aber für die Wettbewerbsfähigkeit des Pharmastandorts essenziell [2].
Die Verfügbarkeit digitaler Gesundheitsdaten ist für die Pharmaforschung unverzichtbar geworden. Auch hier sind uns viele Länder voraus: Frankreich baut seit 2019 ein zentrales Forschungsdatenzentrum für die akademische und private Forschung aus, das Vereinigte Königreich treibt seit Jahren zentralisierte Datenplattformen voran [5]. Mit der Ausweitung des Zugangs zu digitalen Gesundheitsdaten für private Akteure, ebenso wie mit der Harmonisierung der Datenschutzaufsicht für bundesländerübergreifende Forschungsvorhaben sind nun wichtige Maßnahmen in der Pharmastrategie verankert [2].
Bis vor wenigen Jahren war Deutschland nach den USA der zweitgrößte Studienstandort der Welt – diesen Titel hält jetzt China [6]. Der Bedeutungsverlust Deutschlands resultiert in weiten Teilen aus bürokratischen Hürden. Nicht nur uneinheitliche Anforderungen und Bewertungskriterien der Ethikkommissionen verlangsamen Genehmigungsverfahren. Hierzu tragen auch die in den Bundesländern uneinheitlichen Datenschutzregelungen bei. Während in Deutschland noch Verträge für die Studiendurchführung ausgehandelt werden, können Unternehmen in anderen Ländern bereits mit der Patientenrekrutierung beginnen. Spanien als größter Studienstandort Europas zeigt, wie eine erfolgreiche Förderung pharmazeutischer Entwicklungen gelingen kann: Mit dem Ziel, einer der weltweit führenden Studienstandorte zu werden, implementierte das Land unter anderem verbindliche Mustervertragsklauseln und harmonisierte landesweit die Anforderungen für die Studiendurchführung [5]. Deutschland möchte diesem Beispiel folgen: Eine harmonisierte Datenschutzaufsicht, behördliche Verfahrensbeschleunigungen, die Veröffentlichung von Mustervertragsklauseln und eine Bundes-Ethik-Kommission sollen die Durchführung klinischer Studien beschleunigen [2].
… doch reicht das für den Turnaround?
Die Stärkung pharmazeutischer Forschung und Produktion rückt auf der politischen Agenda nach oben. Die Pharmastrategie ist ein wichtiges, positives Signal an die Branche. Doch sie ist noch kein echter „Gamechanger“. Das Maßnahmenbündel setzt auf die Schaffung von Rahmenbedingungen, die der Pharmaindustrie in anderen Ländern bereits geboten werden. Das hilft zwar, international nicht weiter den Anschluss zu verlieren. Um jedoch wieder ganz oben mitspielen zu können, braucht es zwei Dinge: Die Maßnahmen der Pharmastrategie sind schnell, konsequent und verlässlich umzusetzen. Diese stehen bislang unter Finanzierungsvorbehalt und sind zum Teil nicht konkret ausformuliert. Darüber hinaus müssen wir weiterdenken und weitere Hemmnisse abbauen. Mit dem GKV-Finanzstabilisierungsgesetz gilt der Grundsatz, dass ein besseres Produkt einen höheren Preis erzielt, nicht mehr uneingeschränkt – das gefährdet nicht nur die zukünftige Versorgung. Lohnt sich der Absatz innovativer Arzneimittel am Standort immer weniger, steigt die Gefahr, dass klinische Studien und unternehmerische Investitionen am Forschungsstandort zunehmend zur Disposition stehen. Und: Innovative Präparate werden in der Regel dort produziert, wo sie erforscht, entwickelt und in klinischen Studien getestet werden. Eingriffe, die Erstattungsbedingungen für innovative Therapien verschlechtern, bremsen den Forschungs- und Produktionsstandort und damit die volle Durchschlagskraft der Pharmastrategie.
[1] Hönig, Tillman / Kirchhoff, Jasmina / Zink, Benita, 2024, Gesundheitsstandort Deutschland: Entwicklungen und Potenziale – Die Rolle der Pharmaindustrie für Wirtschaft und Gesellschaft. Studie im Auftrag von Pfizer Pharma GmbH, Köln PFIZER_IW_Studie_Gesundheitsstandort-Deutschland_Studie.pdf
[2] Verbesserung der Rahmenbedingungen für den Pharmabereich in Deutschland: Handlungskonzepte für den Forschungs- und Produktionsstandort,
Strategiepapier der Bundesregierung, 13. Dezember 2023
[3] z. B. WirtschaftsWoche, 09.04.204, Standort Deutschland: Darum investieren Lilly, Roche, Biontech & Co Milliarden (wiwo.de)
[4] Francas, David / Kirchhoff, Jasmina, 2023, Wer Reshoring möchte, muss Offshoring vermeiden. Gutachten im Auftrag von Pro Generika e.V., Köln
[5] Philipp, Marc P. / Kürzdörfer, Pia / Müller, Seraina, 2023, Pharma-Innovationsstandort Deutschland: Wie Spitzenforschung ermöglicht, neue Therapieoptionen gesichert und Deutschlands internationale Wettbewerbsposition gestärkt werden können. Gemeinsame Studie von vfa und Kearney zur Stärkung der pharmazeutischen Forschung und Entwicklung in Deutschland, Berlin
[6] vfa – Verband forschender Arzneimittelhersteller e. V., 2024, Deutschland verliert bei klinischen Studien weiter an Boden.
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