Brustkrebs: verschärfte Versorgungssituation auch unabhängig von Corona?

Nicole Stelzner

Daniel Schaffer

Krebs ist die zweithäufigste Todesursache in Deutschland.  Bei Frauen ist Brustkrebs die mit Abstand am häufigsten diagnostizierte Krebsform.  Zugleich rücken spätestens seit Veröffentlichung der Stellungnahme des Corona-Expertenrats im Juni 2022  zu möglichen Pandemieszenarien im Herbst und Winter, wieder die Auswirkungen von Coronaschutzmaßnahmen auf die allgemeine gesundheitliche Versorgungssituation in den Fokus. Daraus resultiert mit Blick auf die Versorgung von Brustkrebs die Frage, ob die Coronapandemie zu einer Verschärfung einer eigentlich guten Versorgungssituation geführt hat? Oder existierten bereits vor der Pandemie Versorgungshürden, die zusätzlich verschärft wurden?

 

Versorgung von Brustkrebspatientinnen während der Coronapandemie

Repräsentative Daten großer Krankenkassen deuten darauf hin, dass aufgrund der Pandemie tausende Krebserkrankungen in Deutschland zu spät oder gar nicht entdeckt wurden: So lag nach Angaben der Krankenkasse Barmer die Zahl der Eingriffe zur Behandlung von Krebs von April bis Juni 2020 16,7 Prozent unter denen der Vergleichszeiträume der Jahre 2017 bis 2019. Unter anderem bei Brustkrebs – aber auch bei anderen Krebsarten – betrug das Minus sogar mehr als 20 Prozent! Nach Angaben der Barmer dürften damit allein in der ersten Corona-Welle ca. 1.600 Brustkrebsfälle unentdeckt geblieben sein. Die Gründe lagen u.a. in der Vermeidung von Vorsorgeuntersuchungen aus Angst vor einer Ansteckung mit COVID 19. Sie lagen aber – unter anderem in der ersten Corona-Welle  – auch daran, dass aufgrund der limitierten Kapazitäten auf Intensivstationen in vielen Kliniken planbare Operationen verschoben wurden.[1] Auch konnten diagnostizierte Patientinnen ihre Behandlung in den Krankenhäusern oft nur deutlich verzögert antreten.

Die Pandemie hat damit sicherlich zu einer Verschärfung der Situation für viele Patientinnen beigetragen. Für die Versorgungssituation von Patientinnen mit Brustkrebs gab es allerdings davon unabhängig bereits vor der Pandemie noch viel Optimierungspotenzial. Beispielhaft für Hürden in der Versorgung von Brustkrebspatientinnen kann das Triple Negative Breast Cancer (TNBC) dienen. Dabei handelt es sich um eine besonders aggressive Form des Brustkrebses, bei der besonders oft jüngere Frauen unter 40[2], darunter Mütter mit kleinen Kindern oder Frauen in der Familienplanung[3], betroffen sind. Aufgrund des hohen Rezidiv- und Metastasierungsrisiko haben Frauen mit der Diagnose TNBC eine schlechte Prognose.[4] Die Versorgungssituation von Patientinnen mit TNBC kann also beispielhaft dazu dienen, um Hürden der Versorgung bei Brustkrebs – insbesondere bei jüngeren Patientinnen – während, aber auch unabhängig der Coronapandemie aufzuzeigen.

 

Ist die Pandemie einziges Hindernis für gute Versorgung?

In internationalen Studien wird das deutsche Gesundheitswesen als eines der besten Gesundheitssysteme weltweit bewertet.[5] Dies darf jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass trotz eines allgemein betrachtet guten Zugangs zu Gesundheitsleistungen für den größten Teil der Bevölkerung, Hürden in der Versorgung bestehen. Ein Teil dieser Versorgungsdefizite ist struktureller Natur und damit unabhängig von der aktuellen pandemischen Situation. Beispielhaft soll dies an drei für die Versorgung von Brustkrebs – insbesondere TNBC – zentralen Punkten aufgezeigt werden.

 

Awareness, schnelle Diagnose und Behandlung in Zentren

Brustkrebs wird leider zu häufig mit älteren Frauen in Verbindung gebracht. Nur wenigen ist bewusst, dass diese Diagnose genauso jüngere Frauen treffen kann – wie insbesondere im Falle von TNBC. Neben einer Steigerung der Awareness bei medizinischem Personal sollte vor diesem Hintergrund diskutiert werden, ob die Erstattungsfähigkeit des Mammographie-Screenings in der GKV-Regelversorgung nicht früher beginnen müsste. Aktuell ist es so, dass das Screening auf Patientinnen im Alter zwischen 50 und 69 beschränkt ist bzw. in anderen Altersgruppen nur an konkrete Beschwerden oder einen konkreten Verdacht gekoppelt wird.[6]

Eine rasche Diagnose sowie ein schnelles Einsetzen der Therapie sind bei Brustkrebs besonders wichtig. Leider kommt es im oft hektischen Praxisalltag zu langwierigen Verdachtsabklärungen, wichtige Überweisungen der Patientinnen an spezialisierte und zugleich zertifizierte Brustkrebszentren zur differenzierten Diagnostik dauern leider häufig zu lange bzw. erfolgen dann – unabhängig von der aufgrund von Corona angespannten Situation – im Gesundheitssystem zu spät. Erschwerend kommt hinzu, dass der Zugang zu solchen Zentren regional sehr unterschiedlich ist und somit einen zeitnahen Therapiebeginn zusätzlich verzögern kann. Dabei liegt der Vorteil einer Überweisung an entsprechende Zentren auf der Hand: Eine Studie auf Basis von bundesweiten Abrechnungsdaten der AOK sowie von Daten aus vier regionalen klinischen Krebsregistern zeigte einen enormen Überlebensvorteil für Patientinnen, die in zertifizierten Zentren behandelt wurden. Die Studie, die sich mit der Versorgung verschiedener Krebsarten befasste, zeigte u.a. für Brustkrebs einen erhöhten Überlebensvorteil durch die Behandlung in zertifizierten Zentren auf: Bei Brustkrebs betrug die Sterblichkeit minus 11,7 Prozent.[7]

Sollte die Versorgung außerhalb spezialisierter und zertifizierter Zentren erfolgen, muss sichergestellt werden, dass die behandelnden Leistungserbringer eine leitliniengetreue und fachgruppenübergreifende Versorgung sicherstellen können, indem sie in eine entsprechende Netzwerkstruktur eingebunden sind (z.B. Einbindung in Tumorkonferenzen[8]). Sofern eine Metastasierung vorliegt, müssen Patientinnen zudem Zugang zur spezialisierten ambulanten Palliativversorgung (SAPV) erhalten. Bislang sind diese Angebote jedoch nicht ausreichend vorhanden und kaum auf die jüngere Patientinnengruppe zugeschnitten.

 

Krebsregister und Big Data

Neben der Optimierung der Behandlung ist es wichtig, das Potential der klinischen Krebsregister in Deutschland weiter auszuschöpfen und zugleich die Datenqualität zu erhöhen.[9]  Mit Blick auf Krebsindikationen ist daher die von der „Ampelkoalition“ geplante Initiative im Bereich Register und Gesundheitsdaten ein zentraler Ansatz, um mit Big Data die Versorgung deutlich zu verbessern.[10] Diese politische Initiative könnte somit eine zentrale Rolle zur Verbesserung der Versorgungssituation von Patientinnen und Patienten mit Krebs und damit insbesondere bei Brustkrebs spielen.

Deutschland nimmt hinsichtlich der Nutzung medizinischer Daten im europäischen Vergleich einen der hinteren Plätze ein. Zwar wurden in jüngster Vergangenheit wichtige Schritte zur Digitalisierung des Gesundheitswesens angegangen. Eine zentrale Rolle spielt hier u.a. die geplante Einrichtung eines Forschungsdatenzentrums, das einem engen Kreis nutzungsberechtigter Antragsstellender den Zugang zu Gesundheitsdaten verschaffen soll. Allerdings gehört die industrielle Forschung nicht zum Kreis der berechtigten Antragssteller und kann somit diese Daten nicht nutzen, obwohl beispielsweise die pharmazeutischen Hersteller als eine der forschungsintensivsten Industrien[11], diese überproportional für die Entwicklung neuer Therapieansätze nutzen könnte.[12]

 

Verbesserung der psychoonkologischen Versorgung und Einbindung in Lotsensysteme

Die Betreuung von Patientinnen und Patienten mit Krebserkrankungen kann nicht auf die reine onkologische Akutbehandlung reduziert werden. Insbesondere bei jungen Patientinnen und Patienten ist eine psychoonkologische Behandlung – mit auf die jeweilige familiäre Situation zugeschnittenen – Unterstützungsangeboten wichtig. So spielt die weitere Förderung psychoonkologischer Angebote eine zentrale Rolle: Insbesondere gilt das natürlich für TNBC, da hier überdurchschnittlich häufig jüngere Patientinnen betroffen sind.[13] Zudem haben sich Lotsensysteme in der Versorgung von Patientinnen und Patienten mit Krebs bewährt und ihre Situation deutlich verbessert.[14] Eine Förderung entsprechender Angebote wäre demnach hilfreich. Eine umfassende und zugleich leitliniengerechte Betreuung der Patientinnen kann zudem im Rahmen von Versorgungsmanagementprogrammen der Krankenversicherer gefördert werden (z.B. auf Grundlage von Verträgen zur besonderen Versorgung nach § 140a SGB V). Solche Initiativen gilt es auch von gesundheitspolitischer Seite aus weiter zu unterstützen.

 

Fazit

Wie dargestellt, hat die Coronapandemie die Versorgungssituation von Patientinnen mit Brustkrebs – sowie bei anderen Krebsarten – verschlechtert. Dies galt insbesondere für die erste Welle der Coronapandemie. Die Gründe waren vielseitig, lagen aber unter anderem am Aufschub planbarer Behandlungen sowie auch an der Angst der Patientinnen, sich in medizinischen Einrichtungen mit Corona zu infizieren. Insofern waren die Bemühungen mancher Akteure des Gesundheitswesens nur richtig, mit entsprechenden Kampagnen die Inanspruchnahme von Arztterminen seitens der Patientinnen und Patienten fördern zu wollen.[15] Sollten sich die politischen Entscheidungsträger angesichts steigender Coronafallzahlen im Herbst und Winter zu einer Verschärfung der Coronaschutzmaßnahmen entschließen, dann müssen gleichzeitig Bemühungen seitens der Politik sowie aller Akteure des Gesundheitssystems intensiviert werden, um eine Situation wie beschrieben, zu  verhindern.

Unabhängig von der Coronapandemie und der damit einhergehenden Schutzmaßnahmen, existieren dennoch weitere Hürden in der Versorgung von Patientinnen mit Brustkrebs, die teilweise in der Struktur unseres Gesundheitssystems, aber auch in der öffentlichen Wahrnehmung der Erkrankung begründet liegen.

Zu letzteren gehört vor allem die Awareness der Ärzteschaft. Dies gilt insbesondere für TNBC, einer Form des Brustkrebses, die sehr häufig jüngere Frauen betrifft. Dies gilt im Übrigen ebenso für die verhältnismäßig seltenen, aber dennoch auftretenden Fälle von Brustkrebs bei männlichen Patienten. Die Betroffenheit jüngerer Frauen von einer solchen Erkrankung zieht weitere soziale Folgen nach sich durch z.B. den Einbruch der beruflichen Karriere sowie Belastungen für das Leben junger Familien. Dies kann zu erheblichen psychischen Auswirkungen führen, weswegen hier eine gute psychoonkologische Betreuung für die Patientinnen und eine entsprechende soziale Betreuung der Familie besonders wichtig sind.

Es besteht ansonsten – auch unabhängig der Coronapandemie – genügend Handlungsbedarf für eine Optimierung der Versorgung von Patientinnen mit Brustkrebs auf systemischer Ebene, für die die Coronapandemie wie ein Katalysator gewirkt hat:

  • Es dauert oft zu lange, bis Patientinnen richtig diagnostiziert und in spezialisierten und zugleich zertifizierten Zentren leitliniengerecht behandelt werden.
  • Die Therapieentscheidung bei Patientinnen im metastasierten Stadium wird nicht regelhaft im Rahmen eines interdisziplinären Tumorboards getroffen.
  • Die Behandlung findet oft nicht dauer- und regelhaft in spezialisierten, zertifizierten Brustkrebszentren statt.
  • Häufig fehlt es an ausreichend psychoonkologischer Versorgung sowie maßgeschneiderten Unterstützungsangeboten. Auch müssen Lotsensysteme und Versorgungsmanagement- und Zweitmeinungsprogramme von Kostenträgern weiter gefördert werden.
  • Die Krebsregister in Deutschland bieten enormes Potential. Dieses muss jedoch noch besser ausgeschöpft werden. Die Potenziale von Big Data besser genutzt werden.
  • Die sozioökonomischen Folgen einer Erkrankung vor allem bei jüngeren Patientinnen liegen weitgehend im Dunklen, sie müssen besser verstanden werden, um entsprechende Maßnahmen zur Verbesserung ergreifen zu können.

Diese Herausforderungen können erfolgreich nur in Kooperation mit allen beteiligten Akteuren im Gesundheitssystem angegangen werden.

 

[1] Vgl. https://www.barmer.de/presse/presseinformationen/pressearchiv/krebsfaelle-wegen-corona-unentdeckt-1059392

[2] Vgl. https://www.cancer.org/cancer/breast-cancer/about/types-of-breast-cancer/triple-negative.html

[3] Statistisch hat mindestens jede zweite Frau zwischen 30 und 40 Jahren mindestens ein Kind (https://www.bpb.de/kurz-knapp/zahlen-und-fakten/soziale-situation-in-deutschland/61553/kinderlosigkeit-und-kinderzahl/).

[4] Schneeweiss A. et al. Geburtshilfe Frauenheilkd. 2019 Jun; 79(6): 605–617.

[5] Vgl. z.B. Commonwealth Fund: https://www.commonwealthfund.org/publications/fund-reports/2021/aug/mirror-mirror-2021-reflecting-poorly#access

[6] Vgl. https://www.bundesgesundheitsministerium.de/service/begriffe-von-a-z/m/mammographie-screening.html

[7] Vgl. https://aok-bv.de/presse/pressemitteilungen/2022/index_25508.html

[8] Tumorkonferenzen/Tumorboards sind Plattformen zur Behandlungsplanung bei onkologischen Erkrankungen, in die verschiedene, spezialisierte Facharztrichtungen eingebunden werden und die dadurch interdisziplinär zu einer Optimierung der Behandlungsstrategie führen sollen.

[9] Vgl. https://www.gkv-spitzenverband.de/gkv_spitzenverband/presse/pressemitteilungen_und_statements/pressemitteilung_1085440.jsp

[10] Vgl. Koalitionsvertrag der „Ampelkoalition: https://www.spd.de/fileadmin/Dokumente/Koalitionsvertrag/Koalitionsvertrag_2021-2025.pdf

[11] Alleine in Deutschland investieren forschende Pharmaunternehmen jährlich mehr als 7 Mrd. Euro in die Arzneimittelforschung. Vgl. hierzu vfa: https://www.vfa.de/de/arzneimittel-forschung/forschungsstandort-deutschland

[12] Vgl. https://www.vfa.de/de/wirtschaft-politik/pharma-digital/zukunft-und-debatte/zukunftsmedizin-braucht-gesundheitsdaten

[13] https://www.awmf.org/uploads/tx_szleitlinien/032-051OLp_S3_Psychoonkologie_2018-08.pdf

[14]https://www.onkolotse.de/tl_files/content/aktuelles/dateien%20aktuelles/Refresher%20November%202021/210727%20-%20Onkolotse%20Newsletter_v4%202.pdf

[15] Vgl. zum Beispiel Kampagne des PKV-Verbandes „Bitte Arzt-Termine wahrnehmen“: https://www.pkv.de/positionen/bitte-arzttermine-wahrnehmen-die-social-media-kampagne-des-pkv-verbands/

 

Nicole Stelzner

Senior Director Government Affairs, Gilead Sciences GmbH

Daniel Schaffer

Senior Manager Government Affairs, Gilead Sciences GmbH

 


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