26.01.2024
Blaupause für aktuelle MVZ-Debatte
Labormedizin als mögliches Leitbild für die Weiterentwicklung des freien Arztberufs in der Anstellung
Dr. Michael Müller
Daniel Schaffer
Die seit dem Weihnachtsinterview des Bundesgesundheitsministers im Dezember 2022 geführte Diskussion um die Regulierung Medizinischer Versorgungszentren (MVZ) ebbt nicht ab. Mit dem „Memorandum zur Versorgung mit MVZ“ von Prof. Dr. Frank-Ulrich Fricke, Werner Köhler und Dr. Stephan Rau im Februar 2023 wurden gesundheitsökonomische, versorgungspolitische und juristische Aspekte der Debatte noch einmal zusammengefasst und beleuchtet.[1]
Prof. Dr. Martin Burgi führte im Mai 2023 im juristischen Gutachten zu den verfassungs- und europarechtlichen Grenzen einer weiteren MVZ-Regulierung die juristischen Hürden einer Regulierung entsprechend aus.[2] Der Kern der Debatte führt jedoch deutlich weiter: Es geht um das ärztliche Selbstverständnis und die gesellschaftlich sowie politische Wahrnehmung des ärztlichen Berufes. Die Entwicklung der Labormedizin seit den 1990er Jahren kann dabei aufzeigen, wie hier der vermeintliche „gordische Knoten“ gelöst werden kann.
1. Der Arztberuf als freier Beruf
In seiner Rede zum 127. Deutschen Ärztetag im Jahr 2023 ging der frühere Bundesverfassungsrichter Peter Müller auf die Grundlagen des Arztberufes als freien Beruf und das Zusammenspiel zwischen freiheitlicher ärztlicher Berufsausübung und ärztlicher Selbstverwaltung ein. Er unterstrich in seinem Vortrag, dass die Besonderheit von Ärztinnen und Ärzten als Inhaber eines freien Berufes nach Artikel 12 des Grundgesetzes (Freiheit der Berufsausübung) darin bestünde, dass diese über besondere Qualifikationen verfügten und dadurch besonders qualifizierte Leistungen erbringen würden: persönlich, eigenhändig und fachlich unabhängig. Die sich daraus ergebende „Asymmetrie des Wissens“ zwischen Arzt und Patient bedinge eine besondere Beziehung zwischen beiden. Besonderes Merkmal sei, dass diese in der Ausrichtung der Arbeit am individuellen bestmöglichen Patientenwohl und zugleich im Interesse der Allgemeinheit erfolge. Die Vertrauensbeziehung zwischen Arzt und Patienten sowie die bestehende Informationsasymmetrie führten dazu, dass der ärztliche Beruf nicht reinen marktwirtschaftlichen Prinzipien folgen könne. Die Ärzteschaft diene der Gesundheitsversorgung der Gesellschaft nach ethischen Prinzipien.
Wenn in der Gesundheitspolitik über die Ärzteschaft als freien Beruf gesprochen wird, so führt die Heranziehung der Legaldefinition des § 1 Abs. 2 S. 1 Partnerschaftsgesellschaftsgesetz[3] als Definitionsgrundlage zu einer sachlich nicht gerechtfertigten Verkürzung der Debatte. Denn die Leistungserbringung des Arztes erfolgt in der ambulanten wie stationären Versorgung eben nicht nur in eigenständiger vertragsärztlicher Niederlassung, sondern auch als in Anstellung in einer stationären oder ambulanten Einrichtung. In der Gesamtstatistik der Bundesärztekammer zum Stichtag 31.12.2022 sind 273.000 der 421.300 berufstätigen Ärztinnen und Ärzte angestellt tätig, was einem Anteil von 64,8 Prozent entspricht. Im ambulanten Bereich sind es 33,6 Prozent.[4]
Spätestens mit der Ermöglichung der Anstellung von Ärzten durch (andere) Vertragsärzte sowie der Schaffung der Möglichkeit einer gleichzeitigen Tätigkeit als Vertragsarzt sowie als angestellter Arzt in einem Krankenhaus im Rahmen des Vertragsarztrechtsänderungsgesetzes 2006 hat der Gesetzgeber die Möglichkeit untermauert, als Arzt den freien Beruf auch in Anstellung ausüben zu dürfen.[5] Bereits vor 2006 wurde gesellschaftlich nie in Frage gestellt, dass Spitzenmedizin an Universitätskliniken oder Spezialkliniken von dort angestellten Ärzten ausgeübt wird und dies nicht den reinen Marktprinzipien folgt oder reinen ökonomischen Zwängen unterliegt, sondern durchaus gemeinwohlorientiert ist.
Die Ausübung des freien ärztlichen Berufes ist zudem rechtlich geschützt, unabhängig davon, in welcher Einrichtung der Arzt seine Tätigkeit ausübt. Das gilt auch für die ärztliche Berufsausübung in einem Medizinischen Versorgungszentrum (MVZ). Auch in dieser Versorgungsform, die aktuell wegen der Möglichkeit der Inhaberschaft durch nicht-ärztliche Kapitalgeber in der gesundheits- und berufspolitischen Diskussion ist, sorgen beispielsweise die (Muster-) Berufsordnung (MBO) für die in Deutschland tätigen Ärzte und die Zugehörigkeit der ärztlichen Leitung eines MVZ sowie aller angestellten Ärztinnen und Ärzte mit einer Zulassung zur vertragsärztlichen Tätigkeit zur KV maßgeblich dafür, dass die Stellung der Ärztinnen und Ärzte gegenüber medizinisch-fachlichen Weisungen oder Einflüssen aufgrund eines rein ökonomischen Interesses besonders gestärkt und rechtlich klar geregelt ist.
Der Begriff des „freien Berufes“ sollte folglich in der gesundheitspolitischen Debatte nicht auf die selbstständige Tätigkeit in einer eigenen Vertragsarztpraxis verkürzt werden, sondern hat sich viel mehr an den oben von Verfassungsrechtler Peter Müller skizzierten Prinzipien zu orientieren. Selbstständigkeit ist also eine unternehmerische Kategorie, Freiberuflichkeit hingegen ein berufsethischer Wert. Freiberuflichkeit beinhaltet, Rechte und Pflichten zu haben, die andere Berufsgruppen nicht genießen. Ärztliche Freiberuflichkeit bedeutet konkret insbesondere: Nur den Patienten, dem eigenen Gewissen und der Allgemeinheit verpflichtet zu sein, die Leistung persönlich zu erbringen, Wissen eigenverantwortlich anzuwenden und eigenständig Wissen zu schaffen.
Die Mehrheit der berufstätigen Ärztinnen und Ärzte in Deutschland übt ihren freien Beruf in angestellter ärztlicher Tätigkeit aus. Eine Verkürzung der Debatte würde den Großteil der Berufsgruppe ausblenden und damit auch die gegebenenfalls bestehenden Erfordernisse einer weiteren Stärkung der ärztlichen Tätigkeit als freien Beruf nicht ausreichend wahrnehmen.
2. Die Entwicklung der Labormedizin seit Einführung des MVZ als Rechtskonstrukt im SGB V – Labor als weiterhin ärztlich verantwortetes Fach in Deutschland
Ärztinnen und Ärzte in angestellter vertragsärztlicher Tätigkeit in Einzelpraxen, Berufsausübungsgemeinschaften (BAG) und MVZ gehören mittlerweile fest zum Bild der ambulanten Versorgung. Ende 2022 arbeiteten beispielsweise 73,8 % aller Ärztinnen und Ärzte als Angestellte, nach der KBV-Statistik 26,5 % als vertragsärztlich Tätige. So waren beispielsweise Ende 2022 17,6 % der Internistinnen und Internisten in einem MVZ angestellt, Tendenz steigend. Außerhalb der diagnostischen Fächer ist dies ein sehr hoher Anteil in einer Facharztgruppe. In diagnostischen Fächern ist die Ausübung der Tätigkeit weiterverbreitet. In der Labormedizin/Mikrobiologie ist die freiberufliche ärztliche Tätigkeit in Anstellung im MVZ heute eher regelhaft der Fall, der Anteil Angestellter lag in Facharztlaboren schon vor 10 Jahren über 65 %.[6] Somit hat die fachärztliche Labordiagnostik schon frühzeitig eine Entwicklung zu größeren Facharztlaboren und Verbundstrukturen genommen, für die es verschiedene Ursachen und Gründe gibt, die sich aktuell auch in anderen Facharztgruppen darstellen.
Erste Tendenzen hierfür zeichneten sich in der Labormedizin bereits in den 1990er und frühen 2000er Jahren ab: Neben dem Generationenwechsel von der ersten Gründergeneration der Facharztlabore zur nächsten Generation führte auch enormer ökonomischer und regulatorischer Druck (z.B. durch die EBM-Laborreform im Jahr 1999) in der deutschen Labormedizin dazu, dass Inhaber-Vertragsärzte ihre Labore in größere Strukturen überführten bzw. einbrachten. Die dynamische Entwicklung des Fachgebietes mit Entwicklung von immer mehr medizinisch-diagnostisch wichtigen Laboruntersuchungen und die rasante Etablierung zunehmend automatisierter analytischer Prozesse zur Erleichterung der Arbeit des medizinisch-technischen Assistenzpersonals forderten schon aus fachlichen Gründen den Zusammenschluss und die Etablierung größerer Labore, wodurch auch eine Steigerung der Effizienz erfolgte, die weiterhin eine wirtschaftliche Leistungserbringung zu guter Qualität ermöglichte.
Die bereits skizzierten Entwicklungen bezüglich der Steigerungen der ärztlichen Tätigkeit in Anstellung sowie der Schaffung größerer Strukturen in der vertragsärztlichen labormedizinischen Versorgung gehen dennoch einher mit einer Steigerung der Facharztzahlen im Labor in ihrer Gesamtheit.[7] Dies unterstreicht die Bedeutung der ärztlichen Tätigkeit für die labordiagnostische Patientenversorgung. Labormedizin war, ist und bleibt eine ärztlich verantwortete Leistung, denn die Medizin von heute ist mehr denn je interdisziplinär ausgerichtet und erfordert immer häufiger ein gutes Zusammenspiel verschiedener Facharztgruppen in Diagnostik und Therapie.
Die Entwicklung in Deutschland steht in einem gewissen Kontrast zur Entwicklung in manchen europäischen Nachbarländern und anderen westlichen Staaten, wo die Laborversorgung eher als eine reine „industrielle“ Leistung verstanden und erbracht wird und nicht mehr der alleinigen ärztlichen Verantwortung eines labordiagnostischen Facharztes untersteht. In diesen Ländern hat die Verlagerung von der ärztlich verantworteten zur mehr gewerblich-industriell erbrachten Leistung auch Konsequenzen für Patienten und andere Leistungserbringer: Beispielsweise in Polen können wir beobachten, dass die Tendenz, den Patienten zusätzliche Selbstzahlerleistungen anzubieten, deutlich höher ist. In den USA wiederum können wir beobachten, dass bei Routineuntersuchungen die Befundungen im Labor nicht zeitnah, sondern aus Kosteneffizienzgründen gebündelt über Nacht erfolgen, sodass der Befund den einsendenden Leistungserbringern mit einem zeitlichen Verzug vorliegt.
In Deutschland dagegen liegen die überwiegende Mehrzahl aller laborfachärztlichen Befunde flächendeckend und wohnortnah am Tag der Überweisung und spätestens am nächsten Werktag vor, was einer deutlichen Verkürzung der Diagnose- und Behandlungszeit entspricht und somit auch ein Faktor für die außerordentlich hohe Qualität der ambulanten Versorgung der Bevölkerung in Deutschland darstellt. Das wird trotz oder möglicherweise gerade aufgrund der Bündelung der ärztlichen Verantwortung und Tätigkeit in größeren Strukturen die Labormedizin weiterhin sichergestellt. Die Organisation in größeren Strukturen garantiert eine nahezu perfekte Erreich- und Verfügbarkeit labordiagnostischer Leistungen in der Versorgung mithilfe einer breiten regionalen und überregionalen Logistik für den Probentransport – häufig rund um die Uhr an sieben Tagen in der Woche. Auch die flächendeckende, wohnortnahe Versorgung in ländlichen und strukturschwachen Räumen wird dadurch abgesichert. Sogar die Verfahren der Spezialdiagnostik sind deutschlandweit verfügbar und garantieren somit einen zielgerichteten medizinischen Prozess in der Versorgung.
Laboruntersuchungen sind in Deutschland weitestgehend eine Auftragsleistung durch den Einsender (Vertragsarzt oder andere Einrichtungen), die dann zu Lasten der GKV erbracht wird. Durch die Einbettung in die vertragsärztliche Versorgung stehen zudem der Selbstverwaltung sämtliche Instrumente zur Regulierung/Überprüfung zur Verfügung: Auf Grundlage von § 106d SGB V (Abrechnungsprüfung) sowie anderer Regularien können die KVen bereits heute bei allen Akteuren in der ambulanten Versorgung gegen fehlerhafte Leistungserbringung bzw. Abrechnungen vorgehen. So können Plausibilitätsprüfungen vorgenommen werden, dazu gehören die arztbezogene sowie praxisbezogene Prüfung. Daneben existiert mit der sachlich-rechnerischen Richtigkeitsprüfung der KV ein weiteres Instrument zur Abrechnungskontrolle.
Das beste Beispiel für die qualitativ hochwertige, ärztlich verantwortete labormedizinische Versorgung hierzulange zeigte uns die Hochphase der Coronapandemie: Der ALM e.V. und seine Mitglieder setzten sich in der gesamten Pandemie für einen bedarfsgerechten und ressourcenschonenden Einsatz der SARS-CoV-2-PCR ein („Testen, testen, testen … aber gezielt“) und stellten in Krisenzeiten flächendeckend die labormedizinische Versorgung der Bevölkerung zum Facharztstandard sicher.
3. Labormedizin als „Blaupause“ für die aktuelle MVZ-Debatte!
Die Tendenz zur Schaffung größerer Verbünde bzw. MVZ-Strukturen mit einer großen Anzahl an freiberuflich angestellten Ärztinnen und Ärzten hat im Labor weder zu einer Verringerung der Zahl der dort tätigen Ärzte, noch zu Qualitätseinbußen in der Versorgung geführt. Gerade in den vergangenen mehr als 20 Jahren wurden durch wiederkehrende Honorarreformen erhebliche Finanzmittel aus der Finanzierung der laborfachärztlichen Versorgung in der Größenordnung von ca. 20 Prozent herausgenommen. Gleichzeitig hat das Fachgebiet eine enorme Innovationskraft. Die Anzahl an neu entwickelten Biomarkern ermöglicht die Etablierung und Weiterentwicklung der Companion Diagnostics, also der von Diagnostik begleiteten individualisierten Medizin. Das erfordert eine intensivere Kommunikation zwischen primär behandelnden Ärztinnen und Ärzten und den Fachärztinnen und Fachärzten im Labor zur Indikationsstellung, Probenauswahl sowie Befundinterpretation und Differentialdiagnostik.
Die Einhaltung der geltenden regulativen Rahmenbedingungen wird durch die Selbstverwaltung überprüft. Die Entwicklung der Labormedizin in Deutschland ist in gewisser Weise auch ein Positiv- oder gar Paradebeispiel für den Erhalt der freien Ausübung des Arztberufes nach den eingangs von Verfassungsrechtler Peter Müller dargestellten Kriterien – niedergelassen sowie in Anstellung in einem sehr dynamischen und von technischen Entwicklungen geprägten fachärztlichen Gebiet. Fachärztinnen und Fachärzte sorgen hier dafür, dass die Innovationen bestmöglich in der Versorgung etabliert und für die Patientenversorgung flächendeckend, zeit- und wohnortnah verfügbar gemacht werden, sobald diese in den Einheitlichen Bewertungsmaßstab (EBM) aufgenommen worden sind. Geschützt vor den reinen ökonomischen Interessen einer etwaigen Betreibergesellschaft ist der freie Arztberuf dabei durch die einschlägigen Regularien der bereits dargestellten ärztlichen Musterberufsordnung sowie des SGB V.
Welche Ableitungen können nun also daraus für die laufende Debatte um die mögliche Regulierung von MVZ erfolgen? Manche Funktionäre der (zahn-)ärztlichen Selbstverwaltung sind geeint in der Sorge vor „großen (MVZ-)Strukturen“ und ihrer Angst vor Oligopol- und Monopolbildungen, einhergehend mit dem Vorwurf überhöhter Abrechnung und qualitativ minderwertiger Leistungserbringung durch angestellte Ärzte, die sich den ökonomischen Interessen der Betreibergesellschaften unterordnen müssen. Gerade diese Befürchtungen lassen sich mit Blick auf die Tendenz zur Bildung größerer Strukturen seit den 1990er Jahren und die Entwicklung der MVZ-Verbünde in der Labormedizin seit Einführung des MVZ als Rechtsform im Jahre 2004 nicht bestätigen.
Mit Blick auf die drängenden strukturellen Herausforderungen in der medizinischen Versorgung ist ein patientenzentrierter und qualitätsorientierter Wettbewerb mit einer größtmöglichen Vielzahl an Versorgungsformen, Trägern und Kapitalgebern sinnvoll, sachgerecht und aus der Patientenperspektive auch notwendig. Das schließt das MVZ sowie nichtärztliche, private Kapitalgeber in Inhaberstrukturen uneingeschränkt mit ein: Unternehmerisches Handeln und die Notwendigkeit der Erwirtschaftung von Erträgen sind Merkmale aller Inhaber und Betreiber von Versorgungseinrichtungen in unserem Gesundheitssystem. Bereits vorhandene rechtliche Rahmenbedingungen und die Überwachung ihrer Einhaltung durch die Selbstverwaltung kanalisieren die wirtschaftlichen Interessen zum Nutzen einer qualitätsorientierten Patientenversorgung und garantieren somit, dass Leistungen gemäß des Wirtschaftlichkeitsgebotes nach § 12 SGB V ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich sein müssen. Mithilfe rechtlicher Rahmenbedingungen lassen sich einrichtungs- und trägerunabhängig die Versorgungsqualität weiter verbessern und notwendige Investitionen fördern. Das Beispiel Labor kann eine Blaupause für die Entwicklung und Regulierung im MVZ-Bereich darstellen, für die sich folgender Rahmen anbietet:
- Transparenz fördern: Insgesamt unstrittig ist die Notwendigkeit, die Transparenz der Inhaber- und Trägerschaft von Leistungserbringerstrukturen deutlich zu verbessern. Hierfür ist eine entsprechende Regulierung notwendig. Es gibt bereits gesetzliche Regelungen zur Prüfung der Einhaltung des Versorgungsumfanges sowie der Abrechnung, die für alle vertragsärztlich zugelassenen Einzel- und Gemeinschaftspraxen oder MVZ gelten, z.B. Prüfung der Einhaltung der dem Arzt/MVZ übertragenen Versorgungaufträge (§ 95 Abs. 3 Satz 4 SGB V) durch die Kassenärztlichen Vereinigungen sowie die Übermittlung der Ergebnisse und einer Übersicht über die gegebenenfalls getroffenen Maßnahmen nach § 95 Abs. 3 Satz 5 SGB V an die Landes- und Zulassungsausschüsse sowie die für die Kassenärztlichen Vereinigungen zuständigen Aufsichtsbehörde jeweils zum 30. Juni des Jahres. Weiterhin zu beachten sind die Regularien zu Wirtschaftlichkeitsprüfungen, insbesondere nach § 106a SGB V, § 106b SGB V sowie § 106d SGB V.
In den veröffentlichen Honorar- und Qualitätsberichten sind keine Auffälligkeiten zu finden, insbesondere nicht in Bezug zur vertragsärztlichen Tätigkeit von MVZ. Auch ist nicht bekannt, ob die jeweiligen Aufsichtsbehörden in den ihnen gem. § 95 übermittelten Daten Auffälligkeiten feststellen können. KVen und Krankenkassen sind daher zur Abgabe einer Erläuterung hinsichtlich der Erfüllung ihrer gesetzlichen Aufgaben zur Versorgungsauftragsumfangs- und -inhaltsprüfung sowie zur Abrechnungs- und Wirtschaftlichkeitsprüfung einschließlich daraus abgeleiteter Maßnahmen und deren Wirksamkeitskontrollen aufzufordern. Zur Verbesserung künftiger Berichte ist die Herstellung einer vollständigen Transparenz über die Inhaber- und Trägerschaft aller ambulanten ärztlich geleiteten Versorgungseinrichtungen herzustellen (Einzelpraxis, BAG oder MVZ). Das dient insbesondere der Förderung des „Patient Empowerment“.
- Träger- und einrichtungsunabhängige Qualitätssicherung: Die fachärztliche Labordiagnostik ist durch das Medizinprodukterecht und die sich hieraus ableitende Richtlinie der Bundesärztekammer zur Qualitätssicherung laboratoriumsmedizinischer Untersuchungen und die in der vertragsärztlichen Versorgung geltenden Regelungen im Bundesmantelvertrag Ärzte (BMV-Ä, hier § 25) sowie aus der Vereinbarung von Qualitätssicherungsmaßnahmen nach § 135 SGB V zur Erbringung von speziellen Untersuchungen der Laboratoriumsmedizin (Anlage 3 zum BMV-Ä) bereits umfassend geregelt. Die Honorarzahlungen sind gemäß § 25 Abs. 7 BMV-Ä vom Nachweis der erfolgreichen Teilnahme an der externen Qualitätssicherung abhängig. In diesem Zusammenhang sind auch die Regelungen zur Förderung der Qualität durch die Kassenärztlichen Vereinigungen (§ 135b SGB V) zu sehen. Die KVen sind zur Prüfung der Qualität der in der vertragsärztlichen Versorgung erbrachten Leistungen im Einzelfall durch Stichproben verpflichtet (§ 135b Abs. 2 Satz 1). Die Grundlage dafür schafft die Richtlinie des G-BA zu Auswahl, Umfang und Verfahren bei Qualitätsprüfungen im Einzelfall. Ausbau und Anwendung von Richtlinien zur Verbesserung der Qualitätssicherung in der vertragsärztlichen Versorgung sind daher zwingend notwendig und müssen daher trägerübergreifend Teil einer patienten- und qualitätsorientierten Regulierung sein. Die Qualität der Versorgung wird transparenter, kann dann besser erfasst und evidenzbasiert bewertet werden.
- Gründungsbeschränkungen für MVZ aufheben: Die seit 2012 eingeführten Beschränkungen für die Gründung von MVZ (§ 95 Abs. 1a SGB V) haben dazu geführt, dass aufgrund der dadurch künstlich erhöhten Investitionshürden für die Teilnahme an der vertragsärztlichen Versorgung vor allem große Kapitalgeberstrukturen bevorzugt wurden. Das bewirkte eine Verzerrung des Wettbewerbs, insbesondere auch zugunsten größerer Krankenhausketten. Diese aus der Sicht der Qualität und Sicherheit der Patientenversorgung weder notwendigen noch zielführenden und ebenso nicht sachgerechten Hürden gilt es wirksam abzubauen. Die verfügbaren Finanzmittel sollten stattdessen primär zum Wohle der Qualität und Sicherheit der Patientenversorgung eingesetzt werden. Dies würde auch vor allem kleineren, eher regional verankerten Strukturen eine bessere Teilnahme an der Patientenversorgung ermöglichen. Daher ist der Rechtsrahmen zur Gründungsberechtigung von MVZ auf den Stand von 2004 zurückzuführen.
- Prüfauftrag an Selbstverwaltung zu den Auswirkungen von § 95 Abs. 1b SGB V: Aus wettbewerbstheoretischer Sicht sowie im Sinne des Patientenschutzes sind Konzentrationen sowohl auf der Nachfrage- als auch auf der Angebotsseite problematisch und grundsätzlich Gegenstand des Wettbewerbs- bzw. des Kartellrechts. Empirisch lassen sich aber wohl keine Anhaltspunkte in der ambulanten ärztlichen Versorgung finden, die für eine Anbieterkonzentration oder gar eine Monopolisierung des Angebots zu Gunsten von MVZ sprechen.[8] Im Sinne einer patientenorientierten Regulierung ist es daher, dass die Selbstverwaltung mittels Datenerhebung die Auswirkungen der Regelung in § 95 Abs. 1b SGB V auf die zahnmedizinische Versorgung mit besonderem Augenmerk auf die Qualität der Patientenversorgung prüft. Hierzu sollte ein Prüfauftrag an die Selbstverwaltung erfolgen.
- Ärztliche Leitung eines MVZ: Eine weitere Stärkung der Position der ärztlichen Leitung kann beinhalten, dass die Leitung durch mehrere Ärztinnen bzw. Ärzte wahrgenommen werden darf, sie eine ausreichende Kontroll- und Aufsichtsbefugnis und wirtschaftliche Entscheidungskompetenz erhält, zeitlich auskömmlich im MVZ beschäftigt ist und ausreichende Kenntnisse und Erfahrungen in der ärztlichen Versorgung nachweisen muss. Forderungen nach einem erweiterten Kündigungsschutz sind aus arbeitsrechtlicher Sicht kritisch zu sehen und führen eher zu Fehlanreizen in Beschäftigungsverhältnissen. Generell obliegt der ärztlichen Selbstverwaltung auch die eigenverantwortliche Überwachung der Einhaltung der eigenen Berufsordnung und die Sanktionierung von Fehlverhalten. Der Gesetzgeber hat sich auf die Gestaltung der hierfür geltenden Rahmenbedingungen zu beschränken. Es kann daher auf weitergehende gesetzliche Regelungen im SGB V zur freiberuflichen ärztlichen Tätigkeit verzichtet werden. Eine mögliche Stärkung der ärztlichen Leitung in MVZ kann durch Aufnahme der genannten Aspekte in den § 95 Abs. 1 SGB V bei Bedarf erfolgen.
4. Fazit
Labormedizin ist bei allen erfolgten Entwicklungen und wahrnehmbaren Tendenzen zur Bildung größerer und überregionaler Verbundstrukturen seit den 1990er Jahren in Deutschland ein ärztlich verantwortetes Fach. Heute arbeiten in fachärztlichen Laboren deutlich mehr Fachärztinnen und Fachärzte aus den labordiagnostischen Fächern als noch vor 10 oder 20 Jahren. In akkreditierten Laboren tätige Ärztinnen und Ärzte üben ihren freien Beruf in Verantwortung gegenüber der Gesellschaft und ihren Patientinnen und Patienten aus, unabhängig davon, ob sie selbstständig oder angestellt tätig sind. Die hohe Qualität und zugleich Wirtschaftlichkeit labormedizinischer Versorgung in Deutschland wurde nicht zuletzt während der Hochphase der Coronapandemie unter Beweis gestellt. Zugleich zeugt das Beispiel der Labormedizin davon, dass pauschale – eher auf anekdotischer Evidenz beruhende und wissenschaftlich nicht gestützte – Befürchtungen vor qualitativ minderwertiger Leistungserbringung zu überhöhten Preisen durch größere Verbundstrukturen im MVZ-Sektor keine Berechtigung haben: Die Einbindung labormedizinischer Leistungen in das System der vertragsärztlichen Versorgung sorgt dafür, dass labormedizinische Leistungen ärztlich verantwortet bleiben und die Leistungserbringung zugleich für das Gesamtsystem wirtschaftlich ist.
Durch eine patientenzentrierte und qualitätsorientierte Regulierung, die für alle an der ambulanten Versorgung beteiligten Akteure (unabhängig von der Trägerstruktur und davon, ob es sich um eine Einzelpraxis, eine BAG oder ein MVZ handelt) gelten muss und sich nicht nach Diskussionen um „gutes“ oder „schlechtes“ Geld richtet, kann der Ordnungsrahmen zu Gunsten der Versorgung der Patientinnen und Patienten weiterentwickelt werden. Darüber hinaus werden auch große Teile der stationären Versorgung von Patientinnen und Patienten mit fachärztlicher Laborversorgung durch niedergelassene vertragsärztliche Facharztlabore sichergestellt. Die Anzahl an labordiagnostisch tätigen Ärztinnen und Ärzten ist in den ambulanten Facharztlaboren um ein Mehrfaches höher, auch das Leistungsspektrum ist in diesen Facharztlaboren breiter und tiefer. Die Sektorengrenzen haben die Facharztlabore bereits vor einigen Jahren überwunden zugunsten einer engen und guten Vernetzung der Strukturen – ambulant wie stationär.
[1] Vgl. https://www.alm-ev.de/wp-content/uploads/2023/02/230215-MVZ-Memorandum-ALM-BBMV.pdf
[2] Vgl. https://www.bbmv.de/positionen/rechtsgutachten-mvz-regulierung/
[3] Vgl. https://www.gesetze-im-internet.de/partgg/__1.html
[4] Vgl. https://www.bundesaerztekammer.de/baek/ueber-uns/aerztestatistik/2022
[5] Vgl. https://www.aerztezeitung.de/Politik/Vertragsarztrechtsaenderungsgesetz-eroeffnete-neue-Moeglichkeiten-fuer-Aerzte-422406.html
[6] Vgl. https://www.kbv.de/html/bundesarztregister.php.
[7] Vgl. ebd.
[8] Vgl. https://www.bundesgesundheitsministerium.de/fileadmin/Dateien/5_Publikationen/Ministerium/Berichte/Stand_und_Weiterentwicklung_der_gesetzlichen_Regelungen_zu_MVZ.pdf
Dr. Michael Müller
1. Vorstandsvorsitzender, Akkreditierte Labore in der Medizin (ALM)
Daniel Schaffer
Geschäftsführer, Akkreditierte Labore in der Medizin (ALM)
Lesen Sie zu diesem Thema auch:
„Investorenunterstützte MVZ: Das Kind nicht mit dem Bade ausschütten!“, Observer Gesundheit, 19. Januar 2023.
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