Biotechnologische Innovationen „Made in Germany“ fördern

Dr. Gitte Neubauer, Gründerin von Cellzome (GSK) und Vorstandsvorsitzende von BioRN

Für Deutschland als Innovations- und Forschungsstandort ist die medizinische Biotechnologie unverzichtbar. Attraktivere Rahmenbedingungen für die biotechnologische Forschung sind nötig, damit therapeutische Innovationen „Made in Germany“ auch weiterhin möglich sind. Der Schlüssel dafür ist ein gesundes Innovationsökosystem.

Forschung ist die Grundlage für Fortschritt in der medizinischen Versorgung. Erfolgreich ist Innovation dann, wenn der Brückenschlag zwischen Akademia und Industrie gelingt – und wenn exzellente Rahmenbedingungen dafür vorherrschen. Damit der Standort Deutschland wettbewerbsfähig und attraktiv bleibt für Forschungsinvestitionen, brauchen wir eine langfristig ausgerichtete Strategie für die Förderung und Vernetzung von Akteuren aus Wissenschaft, Wirtschaft und Versorgung in einem gesunden Innovationsökosystem. Das Land Baden-Württemberg weist unter den Bundesländern den höchsten Wertschöpfungs- und Erwerbstätigenanteil in der Gesundheitswirtschaft auf und hat attraktive Rahmenbedingungen für die hiesige Life Science Forschung geschaffen. Das kommt auch dem (ehemaligen) Biotechnologie-Startup Cellzome, das ich gemeinsam mit Partnern vor über 20 Jahren als Spin-Off aus dem Europäischen Laboratorium für Molekularbiologie (EMBL) in Heidelberg gegründet habe, zugute. Der britische Biopharmakonzern GSK hat uns, Cellzome, in 2012 akquiriert und in das globale GSK-Forschungsnetzwerk integriert. In den letzten Jahren konnten wir die Zahl unserer Mitarbeitenden auf 100 verdoppeln und exzellente Wissenschaftler*innen aus 25 Nationen zu uns holen. Das liegt natürlich auch an der Attraktivität des Forschungsstandorts Heidelberg. Doch damit wir die hervorragende Forschungslandschaft tatsächlich in Innovation durch Industriekooperationen oder Ausgründungen umwandeln, brauchen wir einen Kulturwandel vom ‚Wollen‘ zum ‚Machen‘, mit Rahmenbedingungen, die dieses Machen unterstützen und nicht verhindern.

 

Kooperationen wirken als Katalysator

Bei Cellzome profitieren wir sehr von der Eingliederung in ein großes Pharmaunternehmen – damit können unsere Ergebnisse effizienter für die Entwicklung neuer Medikamente genutzt werden. Gleichzeitig können wir die Kooperationen mit akademischen Partnern nutzen, um gemeinsam an neuen innovativen Ansätzen zur Behandlung von schweren Erkrankungen zu arbeiten. Unser Standort auf dem EMBL-Campus in Heidelberg beflügelt diese Zusammenarbeit enorm. Genauso wie die Mitgliedschaft im Life-Science Cluster rund um Heidelberg (BioRN). BioRN zählt mittlerweile mehr als 150 Mitglieder (darunter Forschungsinstitute, Kliniken, KMUs, Großunternehmen und die öffentliche Hand) und setzt sich dafür ein, dass Initiativen nicht auf Forschungsseite verharren, sondern in Innovation münden. Beispielsweise war BioRN in engem Schulterschluss mit der Stadt Heidelberg maßgeblich an der Ansiedlung des ersten europäischen BioLabs Inkubators beteiligt, das Start-ups Laborinfrastruktur und einen leichteren Zugang zu Investor*innen und Branchenexpert*innen ermöglicht. Maßnahmen wie diese tragen dazu bei, ein weltweit sichtbares Innovationsökosystem in den Lebenswissenschaften in Heidelberg zu schaffen. Davon brauchen wir mehr – deutschlandweit!

Ein weiteres Beispiel: Auch das Land Baden-Württemberg fördert mehr Translation und Transfer zwischen Akademie und Industrie. Die 2021 gegründete „Health & Life Science Alliance“ schafft eine Struktur, bei der sieben führende Life-Science Institutionen in Heidelberg und Mannheim zusammenarbeiten und forschen. Sie bilden den Nukleus des Innovationscampus, der im nächsten Schritt den Technologie-Transfer durch Industriekooperationen und Ausgründungen befördern soll. Auch hat die Landesregierung gezielt Strukturen geschaffen, die Forschung und Innovationen im Medizinbereich begünstigen: Mit dem bereits 2018 ins Leben gerufenen „Forum Gesundheitsstandort Baden-Württemberg“ sollen Kooperationen über Sektoren-, Unternehmens- und Institutsgrenzen hinweg ermöglicht werden, damit innovative Diagnostika und Therapeutika in die Versorgung gelangen.

 

Rahmenbedingungen und politische Strategie als Grundlage

Die Gesundheitswirtschaft ist eine Wachstumsbranche, und die Corona-Krise hat gezeigt, wie wichtig Innovation in diesem Bereich ist – auch Innovation „Made in Germany“, wie wir an BioNTech sehen konnten. Wir haben in Deutschland, vor allem in der Rhein-Neckar Region, die besten Voraussetzungen für mehr Innovation: Die Dichte an exzellenten akademischen Einrichtungen im Life-Science Bereich kann sich europaweit und sogar weltweit sehen lassen.

Es ist aus meiner Sicht sicherlich der richtige Schritt auf bestehender Exzellenz aufzubauen, allerdings braucht es mehr, um ein florierendes Ökosystem zu schaffen. Wir stehen im europäischen Wettbewerb für Forschung und Entwicklung und benötigen politische Unterstützung wie sie bereits in anderen europäischen Ländern vorhanden ist. Wir brauchen eine ganzheitliche Strategie, die die industrielle Gesundheitswirtschaft als Leitindustrie versteht. Eine Strategie, die von allen involvierten Ministerien – Gesundheit, Wirtschaft, Wissenschaft und Finanzen – gemeinsam koordiniert wird. Sie sollte Erkenntnisse aus der Forschung, Technik und Digitalisierung aufgreifen, Chancen und Risiken abwägen und daraus gezielte Maßnahmen für eine gesunde Industriepolitik für den deutschen Biotechnologie- und Pharmastandort ableiten. Verlässliche und stabile Rahmenbedingungen sind für den Forschungs-, Produktions- und Innovationsstandort unerlässlich, kurzfristig wirksame, regulatorische Eingriffe für den Pharmastandort Deutschland sind kontraproduktiv. Wir brauchen insbesondere eine sichere Datennutzung statt Datenverschluss, schnellere Genehmigungsverfahren, weniger Bürokratie, mehr Privatkapital für diese risikoreiche Branche und eine funktionierende Infrastruktur – vor allem in der Digitalisierung.

Vernetzung und Kooperation sind essentiell für die Erforschung und Entwicklung neuer Therapieformen. Den optimalen Nährboden hierfür bildet ein gesundes, innovatives Ökosystem, das öffentliche und private Forschung zusammenbringt, um Ideen aus dem Reagenzglas in die Versorgung zu bringen. Die Bundesregierung hat in ihrem Koalitionsvertrag den Anspruch formuliert, einen Aufbruch für Innovationen und Investitionen in Deutschland zu gewährleisten. Es wird Zeit, dass dafür die richtigen Weichenstellungen getroffen werden.


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