20.03.2025
Bei der Patientensteuerung kommt es auf das Wie an
Dr. Markus Beier, Bundesvorsitzender des Hausärztinnen- und Hausärzteverbandes
Die Beanspruchung unseres Gesundheitssystems muss in richtige Bahnen gelenkt werden. Das gilt für die stationäre Ebene, trifft aber längst auch auf die ambulante Versorgung zu. „Steuerung“ ist das Gebot der Stunde und der gemeinsame Nenner, auf den sich aktuell viele einigen können.
Wer allerdings Wie steuern soll, da scheiden sich die Geister und so finden sich seit einem Jahr unter dem Schlagwort „Patientensteuerung“ viele vage Modelle und Konzepte.
Steuerung – Kernelement der täglichen Arbeit
Patientensteuerung gehört seit jeher zur hausärztlichen Versorgung. Neben der Primärbehandlung sind wir Hausärztinnen und Hausärzte aus- und weitergebildet, Versorgung so zu koordinieren, dass unsere Patientinnen und Patienten zur rechten Zeit am rechten Ort sind. Steuerung ist ein Kernelement unserer täglichen Arbeit.
Auch der Gedanke, diese wichtige medizinische Leistung in Deutschland zu stärken, ist nicht neu. Den gesetzlichen Rahmen gibt es bereits seit über 15 Jahren. Damals hat die Politik mit dem § 73b SGB V ein freiwilliges Versorgungsmodell etabliert, in dem Patientensteuerung seither aktiv gelebt wird. Die Verträge zur Hausarztzentrierten Versorgung (HZV) sind mittlerweile flächendeckend verbreitet. Knapp zehn Millionen Menschen lassen sich bereits über sie steuern.
Was ist also neu an der aktuellen Diskussion? Sicherlich die Dringlichkeit und die Relevanz, die Politik, aber auch andere Gesundheitsakteure, dem Thema beimessen.
Lange Zeit waren wir die einzigen, die sich lautstark für eine Stärkung der Patientensteuerung im Rahmen der HZV eingesetzt haben. Die meisten anderen Akteure haben das Thema entweder ignoriert oder sich sogar widersetzt. Über so manchen Grund kann man nur mutmaßen – ein wesentlicher ist aber: Was simpel klingt, birgt in der Umsetzung beträchtliche Herausforderungen.
Fakt ist: Patientensteuerung ist weit mehr als eine Person am Tresen, die Patientinnen und Patienten von A nach B schickt. Ein wesentlicher Faktor wurde bereits genannt; Koordination ist Kerngebiet der hausärztlichen Versorgung und kann nur dort sichergestellt werden. Um eine umfassende Versorgung wie auch die Einordnung in die richtige Versorgungsebene zu gewährleisten, braucht es zudem entsprechende Qualitätsstandards sowie einen klar formulierten Versorgungsauftrag. Neben diesen strukturellen Voraussetzungen bedarf es entsprechender finanzieller Rahmenbedingungen, die es den Hausärztinnen und Hausärzten ermöglichen, diesen Verantwortungsbereich gerade in Zeiten wachsenden Versorgungsdrucks vollumfänglich tragen zu können.
Wie zentral diese Voraussetzungen sind, wissen wir aus der gemeinsamen Vertragsgestaltung mit unseren Partnern, den Krankenkassen. Dass die Versorgung in der HZV nachgewiesenermaßen nicht nur besser, sondern auch effizienter ist, liegt an den Rahmenbedingungen der Verträge und ist nur auf Grundlage des § 73b möglich. Denn der selektivvertragliche Rahmen erlaubt es uns Vertragspartnern, uns auf die Kernaufgaben der hausärztlichen Versorgung und das Ziel einer hochwertigen hausarztzentrierten Patientensteuerung zu fokussieren. Bestes Beispiel ist, dass unsere Verträge auf Pauschalen aufbauen, die eine hausärztliche Versorgung frei von den Zwängen der Einzelleistungen garantieren.
Auch die Einführung innovativer Versorgungsmodelle, wie beispielsweise das Teampraxis-Konzept HÄPPI (Hausärztliches Primärversorgungszentrum – Patientenversorgung Interprofessionell), ist im Rahmen der HZV deutlich einfacher und schneller möglich. Dieser Gestaltungsspielraum – abseits des Kollektivvertrags – ist essenziell, um die notwendigen vertraglichen Rahmenbedingungen für eine umfassende Patientenkoordination zu gestalten, zu sichern und umzusetzen.
Die Evaluationen, die die HZV seit jeher wissenschaftlich begleiten, zeigen klar und deutlich, was eine gute hausärztliche Versorgung mit hohen Qualitätsstandards alles leisten kann – wenn ihr im Selektivvertrag der Boden entsprechend bereitet ist.
Patientensteuerung nur im Selektivvertrag erfolgreich
Die Akteure im Kollektivvertrag haben diese Freiheiten, diesen Gestaltungsspielraum, faktisch nicht. Die Selbstverwaltung muss innerhalb extrem enger Grenzen und unterschiedlichster Interessenlagen agieren – und hat dabei oftmals lediglich veraltete Werkzeuge zur Hand. Bestes Beispiel ist der Einheitliche Bewertungsmaßstab (EBM). Ein überkomplexer Dinosaurier aus längst vergangenen Zeiten, für den jede Veränderung auf enormen Gegenwind stößt. Jeder Versuch, diesem etwa Steuerungselemente hinzuzufügen, zu denen die Hausärztinnen und Hausärzte fair und fachgerecht ihren Aufgaben nachgehen könnten, würde in einer Sackgasse enden.
Denn eines ist klar: Eine Gegenfinanzierung der hausärztlichen Steuerung in einem solchen System würde beträchtliche Anpassungen der hausärztlichen Vergütungssystematik erfordern. Diese wären im Kollektivvertrag entweder gegen erhebliche Widerstände der Krankenkassen oder im Falle von Umverteilungsideen gegen die Widerstände der Fachärztinnen und Fachärzte umzusetzen. Dieses Projekt wäre aussichtslos. Und das ist nur ein Faktor von vielen, die für ein Steuerungssystem im Kollektivvertrag erfüllt sein müssten.
Eine weitere Voraussetzung wäre etwa die Einführung von zusätzlichen Kontroll- und Dokumentationspflichten, um im KV-System sicherzustellen, dass die primärärztliche Versorgung nach angemessenen Standards erfolgt. Wer mit unserem KV-System auch nur ein bisschen vertraut ist, weiß, was für eine Mammutaufgabe der damit einhergehende Abstimmungsprozess bedeuten würde.
Es gibt daher nur einen einzigen Weg, wie Patientensteuerung jetzt und in Zukunft gelebt werden und in dem notwendigen Umsetzungstempo in die Versorgung gebracht werden kann: Und dieser führt einzig über die Hausarztzentrierte Versorgung. Die gute Nachricht ist: Der Weg ist bereits geebnet. Die HZV steht. Eine Frage, die aber bleibt, ist, wie wir das aktuelle Wachstum der Verträge beschleunigen können, um so der Dringlichkeit und Relevanz gerechter zu werden.
Enormes Potenzial mit der HZV
Bereits heute nehmen Millionen von Menschen an der HZV teil – und das nicht aufgrund finanzieller Anreize, sondern, weil sie und ihre Praxen vom Versorgungsmodell selbst überzeugt sind. Das Potenzial mit einer entsprechenden Förderung ist enorm. Hier gibt es unterschiedliche Wege, die beschritten werden können. Eine Idee ist beispielsweise, Anreize zu setzen für Krankenkassen, die einen gewissen Anteil ihrer Versicherten im Rahmen der HZV steuern lassen. Mit derartigen Maßnahmen könnte die Politik Patientensteuerung skalierbar und nachhaltig selektivvertraglich ausbauen – ohne das komplette Kollektivvertragssystem umbauen zu müssen und so auf die Zerreißprobe zu stellen.
Die Antwort auf die Frage, wie wir künftig Patientenversorgung gestalten wollen, ist längst gegeben. Nun gilt es, sie durch eine gezielte und kluge Förderung auszubauen!
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