Dr. Robert Paquet
27.06.2023
Der Sozialstaat ist ökonomisch vernünftig
Die Finanzierung von Kranken- und Pflegeversicherung steckt – für jeden sichtbar – in der Krise. Eine grundsätzliche Diskussion über die möglichen Lösungen wäre dringend erforderlich. Trotzdem hat sich die Ampel schon vor den eigentlichen Koalitionsverhandlungen zu diesem Thema einen Maulkorb verpasst. Dabei geht die Auseinandersetzung z.B. zur „Bürgerversicherung“ untergründig weiter. Andererseits wird das System der Umlagefinanzierung generell kritisiert.
Schlagworte wie Kapitaldeckungsverfahren, Generationengerechtigkeit, Umstellung auf eine generelle Steuerfinanzierung, Staatsfonds und Grundeinkommen etc. flattern durch die Debatte. Welche Alternativen sind realistisch? Das Buch von Hartmut Reiners[1] ordnet die Argumente und zeigt ihren …
26.06.2023
Chance zu einer nüchternen Aufarbeitung?
Die Wahlbeteiligung bei den Sozialwahlen, die mit Stichtag 31. Mai abgeschlossen wurden, ist insgesamt von knapp über 30 (im Jahr 2017) auf rund 22 Prozent gesunken. Die Wahlergebnisse wurden am 23. Juni in einer Pressekonferenz durch den Bundeswahlbeauftragten, Peter Weiß, offiziell bekannt gegeben. Dabei stellte Weiß die richtigen Fragen, die auch immer wieder von den Wahlberechtigten an ihn herangetragen worden seien. Was macht diese Selbstverwaltung eigentlich? Was sind das für Personen auf den Listen? Wie unterscheiden sich die Listen?
Ehrliche Antworten auf diese Fragen könnten für die Selbstverwalter und auch …
Wie im Koalitionsvertrag vorgesehen wurde im Mai 2022 die „Regierungskommission für eine moderne und bedarfsgerechte Krankenhausversorgung“ eingerichtet. Sie soll Empfehlungen vorlegen und Ziele für eine auf Leistungsgruppen und auf Versorgungsstufen basierende Krankenhausplanung formulieren. So heißt es auf der Website des Bundesministeriums für Gesundheit (BMG)[1]. Nach mehreren Veröffentlichungen der Kommission weiß man inzwischen nicht mehr so recht, was das für ein Gremium ist.
Hat es etwas zu beschließen? Wem ist es eigentlich verpflichtet? Gibt es eine Verbindlichkeit für die Mitglieder? Oder ist sie ein Expertenpool, den der Minister da und dort …
Das Pflegeunterstützungs- und -entlastungsgesetz (PUEG) ist auf den letzten Metern der Gesetzgebung und wird von fast allen Seiten kritisiert. Auch die Gesundheitspolitiker der Koalition gestehen ein, das die wesentlichen Versprechen des Koalitionsvertrages damit nicht umgesetzt werden. Diese Versprechungen waren jedoch schon im November 2021 unrealistisch, weil sich die Ampelparteien in entscheidenden Punkten selbst die Hände gebunden haben.
Die heute veränderten politischen Prioritäten schließen ihre Einlösung faktisch aus. Dabei hatte die Koalition auch die Entwicklung einer freiwilligen, paritätisch finanzierten Vollversicherung für die Pflege ins Auge gefasst. Zwei Veröffentlichungen zu diesem Thema …
01.03.2023
Was bleibt?
Der Sachverständigenrat Gesundheit (SVR) hat sich in seinem jüngsten Gutachten mit der „Resilienz im Gesundheitswesen“ beschäftigt[1]. Bei diesem etwas gesuchten Begriff geht es um krisenhafte Herausforderungen, denen das Gesundheitssystem durch Kriege, Naturkatastrophen und andere „disruptive“ Ereignisse ausgesetzt ist. Der zentrale Motor der Untersuchung ist die folgende Einsicht: „Gerade die Pandemie hat die Stärken und Schwächen unseres Gesundheitssystems besonders deutlich werden lassen, nicht zuletzt die mangelhafte Nutzung digitaler Möglichkeiten.“ (Z 1)[2]
Das Gutachten wurde am 19. Januar 2023 vorgestellt. Es hat jedoch bisher wenig öffentliche Resonanz gefunden. Das mag damit zu …
Die AfD wurde vor zehn Jahren in Oberursel gegründet (6. Februar). Im Jahr 2017 ist sie zum ersten Mal – und gleich als drittstärkste Fraktion – in den Bundestag eingezogen. Auch in der 20. Wahlperiode ist sie dort mit 78 Abgeordneten (als fünftstärkste Fraktion) vertreten. Zudem sitzt sie in 15 Landesparlamenten (außer Schleswig-Holstein). Nach über fünf Jahren im Bundestag kann eine Zwischenbilanz über ihre programmatische und parlamentarische Tätigkeit gezogen werden. Wir beschränken uns hier auf die Gesundheitspolitik und den Bundestag. Dabei wird an die Analyse von 2019 angeknüpft.[1]
Die Programmatik …
Weil der Risikostrukturausgleich (RSA) die Verteilung der finanziellen Zuweisungen an die einzelnen Kassen bestimmt, wird sein Mechanismus von allen Beteiligten mit Argusaugen beobachtet. Dabei ist dieser Mechanismus inzwischen überaus kompliziert geworden: Die hierarchisierten Morbiditätsgruppen haben anspruchsvolle medizinische Definitionen und Validitätskriterien. Für Krankengeld, Prävention und Verwaltungskosten gibt es Sonderregelungen. Durch das „Faire Kassenwahlgesetz“ (FKG) kamen der Regionalfaktor und die Manipulationsbremse sowie der Risikopool hinzu. Die besondere Berücksichtigung der Erwerbsminderungsrentner ist dagegen weggefallen. Dementsprechend hat jede Kasse und auch jede Kassenart besondere Wünsche und Vorstellungen, wie die Lenkung der Finanzströme verändert werden …
13.01.2023
„SELBSTverwalten!“
In diesem Jahr findet zum 12. Mal die Sozialwahl statt (Stichtag 31.5.2023). Sie trägt insoweit eine Besonderheit mit allgemeinpolitischer Bedeutung, als sie erstmals in Deutschland Online-Wahlen ermöglicht. In einem Modellprojekt, das nur Krankenkassen offenstand, haben Kassen, bei denen eine Urwahl stattfindet, dieses Verfahren vorbereitet. Beteiligt sind neben den sechs Ersatzkassen sechs Betriebskrankenkassen, eine Innungskrankenkasse (BIG direkt gesund) sowie zwei Ortskrankenkassen (AOK Hessen und AOK plus). Online-Wahlen sind dabei zunächst nur für die Versichertenseite vorgesehen (Seite 218). Zu diesem Anlass ist nun ein Buch[1] erschienen, in dem vor allem die …
11.11.2022
Wettbewerb in der Hilfsmittelversorgung
Das Bundesamt für Soziale Sicherung (BAS) hat die Qualität der Hilfsmittelversorgung in der gesetzlichen Krankenversicherung untersucht. Das Anliegen ist zweifellos richtig, da – wie das Amt betont – eine „qualitativ hochwertige“ Hilfsmittelversorgung für „viele Menschen Grundvoraussetzung für eine Teilhabe am gesellschaftlichen Leben“ sei und weil der entsprechende Markt vielfältig und unübersichtlich ist. Das BAS hat seine Erkenntnisse und Empfehlungen am 10.10.2022 in einem „Sonderbericht“ veröffentlicht[1] und – nach eigenen Angaben „systematisch“[2] – große Defizite in der Qualität der Hilfsmittelversorgung festgestellt.
Die im Zuständigkeitsbereich des BAS liegenden Kassen hätten keine ausreichende …
Am 13. Oktober fand die erste Lesung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung zum „Entwurf eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Infektionsschutzgesetzes“ statt[1]. Damit soll ein Beschluss des Bundesverfassungsgerichts von Dezember 2021 umgesetzt werden, der den Bundestag verpflichtet, wirksame Vorkehrungen gegen eine Benachteiligung von Behinderten in einer Triage-Situation gesetzlich zu regeln. Die Debatte zeigt: Ob Beschluss und Gesetz die Rechtslage tatsächlich verbessern, ist zweifelhaft.
Zu befürchten ist dagegen mindestens, dass das Gericht eine Regelungsdynamik in Gang gesetzt hat, die das Gesundheitswesen auf Jahre hinaus beschäftigen wird. Denn Diskriminierung kann im Medizinsystem ubiquitär …
29.08.2022
GKV-Finanzen: Diskussion dreht sich im Kreis
Gesundheitsminister Lauterbach hat versprochen, bis Ende März 2023 ein Konzept vorzulegen, wie die Finanzierung der GKV künftig abgesichert werden soll. Im Hinblick auf diesen Termin arbeiten die Verbände des Gesundheitswesens an Lösungsvorschlägen. Am 22. August hat des IKK e.V. ein Konzept vorgelegt. Es enthält erstmals Ansätze, die über die Standardforderungen der Kassen hinausgehen und eine gewisse Kreativität verraten. Leider sind sie im Ergebnis überwiegend untauglich und bleiben im Kern verzagt.
Gleichzeitig sucht das Finanzministerium händeringend nach Vorschlägen für Sparmaßnahmen und quantifizierbare Effizienzpotentiale. Sie sollen im Schätzerkreis den Forderungen der Kassen …
Vor rund vier Wochen hat der Sachverständigenausschusses nach § 5 Abs. 9 Infektionsschutzgesetzes (IfSG) seinen Bericht zur „Evaluation der Rechtsgrundlagen und Maßnahmen der Pandemiepolitik“ vorgelegt[1]. Über die spröden Botschaften des „Executive Summary“ hinaus wurde öffentlich daraus bisher wenig zur Kenntnis genommen. Dabei sind die Klagen der Evaluationskommission über eine unzureichende Datenlage beim Pandemie-Monitoring bzw. ihre Vorschläge zu einem besseren Datenmanagement weitgehend Konsens, jedenfalls unter Fachleuten. Ob die Politik daraus irgendwelche Konsequenzen zieht, ist dagegen offen; sie lässt sich bekanntlich ungern auf der Basis harter Daten „evaluieren“. Dann hat sich die …