Auslandsversicherte im Risikostrukturausgleich (RSA)

Gutachten bringt umsetzungsreifen Vorschlag

Dr. Robert Paquet

Die Auslandsversicherten nehmen im Risikostrukturausgleich (RSA) eine Sonderstellung ein. Die Bemessung der Zuweisungen für diese Personengruppe war seit Einführung des RSA umstritten. Das „normale“ prospektive Standardisierungsverfahren geht hier fehl, weil ihre Leistungskosten in fremden Gesundheitssystem entstehen, deren Strukturen und Preisgefüge sich erheblich von denen in Deutschland unterscheiden. Außerdem liegen nur bruchstückhafte Informationen zur ihrer Morbidität und den in Anspruch genommenen Leistungen vor. Das hat zu einer Reihe von Sonderregelungen im RSA für diese Versicherten geführt. Der Gesetzgeber hatte Datengrundlagen und Verfahren in einem ersten Gutachten noch einmal gründlich untersuchen lassen. In einem zweiten Gutachten wurde nun der damalige Lösungsvorschlag zur Umsetzungsreife weiterentwickelt: Die Gutachter empfehlen, das derzeit rein altersbasierte Zuweisungsverfahren (Kassen erhalten für ihre Auslandversicherten die durchschnittlichen Zuweisungen der Inlandsversicherten der gleichen Altersgruppe) auf ein rein länderbezogenes Zuweisungsverfahren (Kassen erhalten die durchschnittlichen Ausgaben der Versicherten des jeweiligen Landes als Zuweisung) gemäß Modellansatz 3 des Erstgutachtens umzustellen. Ein Ist-Ausgleich der Ausgaben der einzelnen Kassen wird nachdrücklich abgelehnt.

 

Vorgeschichte

Die Ausgangsproblematik wird bereits im Evaluationsbericht zum RSA 2009 beschrieben: „Bei den Auslandsversicherten geht es um Versicherte, die im Vorjahr ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt im Ausland hatten. Diese Zuordnung erfolgt, wenn sie an mehr als 183 Tagen im Vorjahr (2008) ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt außerhalb der Grenzen der Bundesrepublik Deutschland hatten. Für sie liegen der Krankenkasse in der Regel keine verwendbaren Morbiditätsinformationen (Diagnosen oder Verordnungen) vor. Bei der Einführung des Morbiditätsbezugs des RSA konnte daher eine Zuordnung zu den Morbiditätsgruppen nicht erfolgen. Der Verordnungsgeber hat aus diesem Grund im Laufe des Jahres 2009 das Verfahren dergestalt geändert, dass für Auslandsversicherte im Jahresausgleich 2009 die durchschnittlichen Zuweisungen eines alters- und geschlechtsgleichen Inlandsversicherten angerechnet werden (Gliederung nach AusAGGn)“ (Drösler et al. 2011, S. 74). Im Ergebnis kam es dadurch GKV-weit zu einer durchschnittlichen Überdeckung dieser Gruppe in Höhe von 173 %. Dahinter verbirgt sich jedoch „eine sehr inhomogene Situation auf Einzelkassenebene, bei der eine Reihe von Krankenkassen sogar Unterdeckungen aufweisen und einzelne Krankenkassen extreme Überdeckungen“. So die weitere Feststellung im Bericht (Drösler et al. 2011, S. 101). Als einen ersten Lösungsschritt empfahl der Wissenschaftliche Beirat damals, die Summe der Zuweisungen für Auslandsversicherte auf die Summe der von diesen verursachten Leistungsausgaben zu begrenzen.

Der Gesetzgeber ist dieser Empfehlung gefolgt und hat sie im neuen § 269 SGB V Abs. 2 im Gesetz zur Weiterentwicklung der Finanzstruktur und der Qualität in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV-FQWG), das im Sommer 2014 in Kraft trat, umgesetzt. Aber nicht nur das: In Absatz 3 hat er das Bundesversicherungsamt (BVA) beauftragt, ein Gutachten zur Entwicklung von Modellen „für eine zielgerichtetere Ermittlung der Zuweisungen“ für die Auslandsversicherten erstellen zu lassen. Dieser Auftrag ging an Prof. Jürgen Wasem; das Gutachten wurde zum Jahresanfang 2016 veröffentlicht (Wasem et al. 2016).

 

Um welche Personen geht es eigentlich?

Bevor wir auf dieses Gutachten eingehen, sollen die Auslandsversicherten etwas näher beschrieben werden. Im Wesentlichen gibt es drei unterschiedliche Gruppen:

  1. Versicherte (Mitglieder) bzw. Grenzgänger, die in Deutschland arbeiten und krankenversichert sind, aber im Ausland wohnen. Der Versicherte hat – ebenso wie seine im Ausland lebenden Familienangehörigen – einen Leistungsanspruch im Wohnstaat gemäß den dort gültigen Vorschriften.
  2. Rentner bzw. Rentenantragssteller, die ihren Wohnort bzw. ihren gewöhnlichen Aufenthaltsort ins Ausland verlagern und weiterhin Beiträge an eine gesetzliche Krankenkasse in Deutschland entrichten, haben (ebenso wie ihre Familienangehörigen) einen Anspruch auf Leistungsaushilfe im Ausland.
  3. Familienangehörige (mit Wohnsitz im Ausland und Leistungsinanspruchnahme im Ausland bzw. in Deutschland) haben einen Leistungsanspruch im Ausland bzw. in Deutschland gemäß den Vorschriften ihres Wohnstaates während das Mitglied weiterhin in Deutschland krankenversichert ist. (Wasem et al. 2016, 41).

Voraussetzung für die Inanspruchnahme von Sachleistungen ist allerdings die Einschreibung der jeweiligen Versicherten beim ausländischen Krankenversicherungsträger (Wasem et al. 2016, 34). Dabei geht es um die Mitgliedsstaaten der EU und die sog. Abkommensstaaten (mit entsprechenden Sozialversicherungsabkommen), u.a. Tunesien, Schweiz, Norwegen, Türkei und Serbien.

Im Jahr 2017 ging es um rund 450.000 Versicherte, die im Mittelwert etwas mehr als 300 Einschreibetage pro Jahr aufwiesen, also tatsächlich dauerhaft im Ausland wohnten (Wasem et al. 2019, S.39). Rund ein Fünftel davon waren „Grenzgänger“. Die höchsten Zahlen wiesen 2016 Frankreich (57 Tausend) und Polen (54.000) auf. Stark vertreten waren auch die Türkei (34.000), Tschechien (29.000) und Österreich (24.000).

Dabei unterscheidet sich die Zusammensetzung der Personengruppen; bei den unmittelbaren Nachbarländern dürfte es vor allem um die Grenzgänger und ihre Familienangehörigen gehen. Bei der Türkei und weiter entfernten Ländern vor allem um die dort ansässigen Familienangehörigen der in Deutschland arbeitenden GKV-Mitglieder. In Spanien (16.000 Personen) dürfte es einen hohen Rentneranteil geben (ebenda, S. 40). Dafür sprechen auch die erheblichen Unterschiede im Durchschnittsalter, das in Polen nur 34 Jahre, in Spanien jedoch knapp 73 Jahre beträgt (S. 43). Die Zahl der Auslandsversicherten nahm im Laufe der Jahre allmählich zu, was ein Zeichen der zunehmenden Europäisierung war und ist.

 

Erstgutachten

Das damalige Gutachten, im Folgenden als „Erstgutachten“ bezeichnet (Wasem et al. 2016), zeigte erneut die unterschiedlichen Deckungsbeiträge zwischen den einzelnen Kassenarten und Kassen auf (S. 19ff.) und analysierte die Mängel der Datenbasis: Um eine „standardisierte und fehlerfreie Datenübermittlung und Datenerfassung“ zwischen der deutschen Verbindungsstelle (DVKA) und den Krankenkassen zu gewährleisten, „ist die Lösung aktuell noch bestehender Schnittstellen- bzw. Datenübertragungsprobleme sowohl im Datenfluss von den inländischen Krankenkassen zur DVKA als auch von der DVKA zu den inländischen Krankenkassen notwendig. Für Mitgliedsstaaten soll eine vollständige Umstellung auf eine elektronische Datenübermittlung bis Ende 2018 umgesetzt sein …“ (Wasem et al., S. 14).

Die entscheidende Empfehlung war damals: Es gebe „systematische Wettbewerbsverzerrungen auf Kassenebene“ durch „multifaktorielle Verzerrungen“ der Zuweisungen. Sie führen „vermutlich zu systematischen Über- und Unterdeckungen bei verschiedenen Subpopulationen von Auslandsversicherten in den unterschiedlichen Ländern“, die künftig vermieden werden sollten. Dazu „ist aus Sicht der Gutachter eine landesspezifische Differenzierung der bisherigen Zuweisungen für Auslandsversicherte sinnvoll und notwendig.“ (S. 15)

Zur empirischen Überprüfung dieser Gutachter-Vorschläge und zur damit erforderlichen Verbesserung der Datengrundlagen hat der Gesetzgeber im Heil- und Hilfsmittelversorgungsgesetz (HHVG) Neuregelungen nach § 269 Abs. 3a) bis d) SGB V und § 33a RSAV eingeführt. Dort „wird geregelt, dass auf der Grundlage des nach § 269 Abs. 3 SGB V erstellten Erstgutachtens sowie gegebenenfalls unter Hinzuziehung weiterer wissenschaftlicher Ergebnisse nunmehr ein Folgegutachten zu erstellen sei.“ Es sollte die „maßgeblichen Bestimmungsfaktoren“ des Erstgutachtens überprüfen und seine Vorschläge „zur Umsetzungsreife weiter entwickeln“ (S. 14). Für die Gutachtenerstellung standen Teile der Morbi-RSA-Datenmeldungen des Ausgleichsjahres 2017 sowie eine Sonderdatenerhebung (nach der o.g. Rechtsgrundlage) zu den Ausgaben und Länderkennzeichen der Auslandsversicherten zur Verfügung. Weiterhin wurden qualitative Informationen aus Expertengesprächen mit Krankenkassenvertretern und der DVKA ausgewertet.

Dieses Gutachten, im Folgenden „Folgegutachten“ genannt (Wasem et al. 2019), wurde an ein Konsortium aus der EsFoMed GmbH, Essen[1], dem Lehrstuhl für Medizinmanagement der Universität Duisburg-Essen (Prof. Dr. Jürgen Wasem) und der WIG2 GmbH, Leipzig vergeben. Grundlage war ein sehr technisch und umsetzungspraktisch angelegter Fragenkatalog des BVA. Das Gutachten wurde im Dezember 2019 fertiggestellt und Anfang April 2020 vom Bundesamt für Soziale Sicherung (BAS) veröffentlicht.

 

Wieviel Geld und welche Wettbewerbsverzerrungen sind im Spiel?

Insgesamt ging es im Jahr 2017 um die Verteilung von 633 Mio. Euro (S. 54[2]). Dabei ergaben sich erhebliche Unterschiede bei den Deckungsbeiträgen nach Ländern. „Die Wertebereiche der landesspezifischen Deckungsbeiträge liegen bei 8,04 bis minus 22,30 € je Versichertentag und die der Deckungsquoten bei 25% bis 1.800%. Sie unterstreichen somit die im Erstgutachten herausgearbeitete Notwendigkeit landesspezifischer Zuweisungen für Auslandsversicherte.“ (S. 3 und 63). Daraus folgt: „Die Deckungsquoten und Deckungsbeiträge auf Einzelkassenebene schwanken erheblich. Krankenkassen mit höheren Anteilen von Auslandsversicherten in Abkommensstaaten bzw. in Mitgliedsstaaten mit unterdurchschnittlichem Ausgabenniveau weisen tendenziell Überdeckungen auf und besitzen somit systematische Wettbewerbsvorteile et vice versa.“ (S. 5). Bei diesen Quoten muss allerdings berücksichtigt werden, dass einige Kassen nur sehr geringe Zahlen von Auslandsversicherten aufweisen.

Im Folgegutachten werden außerdem div. Faktoren empirisch überprüft, die eventuell eine erklärende Rolle im Zuweisungsmodell spielen könnten (wie Alter der Versicherten, Kassengröße etc.). Aus den empirischen Untersuchungen ergeben sich daraus jedoch keine nachdrücklichen Hinweise auf Wettbewerbsrelevanz. So gilt z.B. für die Kassengröße: Während die Deckungsquote über alle Krankenkassen bei 111,1 % liegt, ist die Überdeckung bei kleinen Krankenkassen mit 142,8 % deutlich höher als bei großen Krankenkassen (110,3 %). Es besteht also ein negativer Zusammenhang zwischen Kassengröße und Deckungsquote (S. 72). Das hat aber vor allem mit der länderspezifischen Zusammensetzung der jeweiligen Versichertenklientele zu tun.

Im Folgegutachten wird auch nicht mehr nach Kassenarten differenziert, was wahrscheinlich politisch motiviert ist. Das war im Erstgutachten noch anders. Die Ergebnisse (Status quo) von damals dürften auch heute noch in der Tendenz zutreffen und die Richtung zeigen, welche Typen von Kassen begünstigt oder belastet werden. „Für die Allgemeinen Ortskrankenkassen (AOKn) und die Innungskrankenkassen (IKKn) bewegt sich die Deckungsquote durchgängig in einem deutlich positiven Bereich. Die Deckungsquote der Ersatzkassen weist hingegen eine durchgängige Unterdeckung von Auslandsversicherten auf.“ (Wasem et al. 2016, S. 19). Dabei geht es durchaus um Unterschiede, die im Wettbewerb spürbar sind (im Jahr 2019 entsprachen im Durchschnitt ca. 22 Euro Über- bzw. Unterdeckung 0,1 Prozentpunkten beim Zusatzbeitrag). Bei einem durchschnittlichen Anteil der Auslandsversicherten an den Gesamtzuweisungen von 0,3 Prozent ist der Unterschied zwischen 0,5 % (AOK mit 122 % Deckungsquote) und 0,2 % (Ersatzkassen mit 61 % Deckungsquote) nicht zu vernachlässigen (ebenda S. 21f.).

 

Ergebnisse und Empfehlungen des „Folgegutachtens“

Angesichts der personellen Zusammensetzung der Beteiligten ist das Ergebnis der Folge-Gutachter nicht erstaunlich. Sie empfehlen ein prospektives Zuweisungsmodell mit landesbezogenen Rechnungssummen, das im Erstgutachten präferierte „Modell 3“ (S. 6). Das wird insbesondere mit der schnellen Umsetzbarkeit begründet: Erstens sind die notwendigen zusätzlichen Datenerhebungen mit der Sondererhebung im Wesentlichen bereits definiert. Zweitens wird die Problematik eines mehrjährigen Zeitversatzes (zw. Leistungsaushilfe im Ausland und dem Zeitpunkt des Rechnungseingangs) durch die empfohlene Umstellung auf das Abflussprinzip umgangen. (Die im Zeitverlauf stärkeren Schwankungen dürften sich im Zeitverlauf ausgleichen; es sei „nicht zu erwarten, dass sich dieser Effekt ceteris paribus für einzelne Krankenkassen in systematischen Verzerrungen widerspiegelt“ (S. 67)). Es geht also um eine einheitliche landesbezogene Zuweisung pro Kopf; die einzelnen Kassen haben die ggf. tatsächlich höheren oder niedrigeren Kosten zu tragen.

Angesichts des bisher praktizierten Verfahrens mit AusAGGs drängt sich allerdings die Frage einer Altersdifferenzierung noch einmal auf: „Vor dem Hintergrund der aus Gutachtersicht nur mäßigen Verbesserung“ der Gütekriterien für die Kassen „durch zusätzliche Altersklassendifferenzierungen“ empfehlen die Gutachter jedoch „das Modell 3 ohne Altersklassendifferenzierung.“ (S. 7).

Bereits im Erstgutachten wurde auch die Frage diskutiert, ob die Kassen bei den Kosten der Auslandsversicherten ausreichende wettbewerbliche Handlungsmöglichkeiten haben. Von vielen Kassenexperten wurde und wird das verneint. Die Erstgutachter kamen jedoch zu anderen Schlüssen: „Eine detaillierte Analyse zeigt allerdings, dass Möglichkeiten der Einflussnahme/Steuerung der Ausgaben für Auslandsversicherte bestehen, zu denen bei einem Ausgabenausgleich und gleichzeitigem Verbleib der Aufgaben bei den Krankenkassen die Anreize verringert würden. Ein Ausgabenausgleich erscheint daher trotz administrativer Vorteile und der Behebung der aktuell bestehenden Verzerrungen im Zuweisungsverfahren für Auslandsversicherte in einer summarischen Betrachtung eher nicht wünschenswert.“ (Wasem et al. 2016, S. 17). Auch im Folgegutachten wird kein vollständiger Ist-Ausgleich empfohlen. Allerdings wird – auch weil einige Länder mit Pauschalen abrechnen – ein partieller Ist-Ausgleich in Höhe von 80 % erwogen (S. 7); für die verbleibenden 20 % soll dabei ein Standardisierungsverfahren stattfinden. Nach weiteren Modellrechnungen kommen die Gutachter jedoch zu dem Schluss, dass sich der Mehraufwand des Verfahrens nicht lohnt. „Zusätzlich werten die Gutachter die negativen Effizienzanreize durch den teilweisen Ist-Ausgaben-Ausgleich höher als die mit ihm bewirkbare größere Zielgenauigkeit.“ (S. 9).

Dazu muss kritisch festgestellt werden, dass sich das Folgegutachten nicht mehr mit den Handlungsmöglichkeiten der Kassen auseinandersetzt (das war auch nicht mehr Gegenstand der BVA-„Forschungsfragen“). Hier wird nur auf das Erstgutachten verwiesen. Aber schon seinerzeit war die Argumentation nicht überzeugend. Die dort „identifizierten Einflussfaktoren“ beziehen sich vor allem auf Fragen der Datenprüfung und -qualität, die sich inzwischen überwiegend durch allgemeine Verbesserungen bei der DVKA etc. erledigt haben (Wasem et al. 2016, S. 73 ff.). Als weitergehende und letztlich entscheidende Handlungsmöglichkeiten wurden genannt:

  • die Prüfung des Versicherungsverhältnisses,
  • die Beeinflussung planbarer Behandlungen,
  • die Prüfung der eingehenden Abrechnungen und
  • die „theoretische Möglichkeit der Beeinflussung von Leistungsausgaben“ durch „individuelle Versorgungverträge“ (ebenda S. 85f.).

Der Abschluss von Versorgungsverträgen im Ausland wird jedoch vom BVA regelmäßig verboten; das verhindert faktisch auch die Beeinflussung von „geplanten Behandlungen“. Ob und wieweit die Prüfung des Versicherungsverhältnisses und die Suche nach Rechenfehlern hier den „Wettbewerb“ rechtfertigen kann, blieb dem Autor schon beim Erstgutachten rätselhaft.

 

Umsetzungsperspektive

Den Schluss des Gutachtens bilden Hinweise zur rechtlichen Umsetzung (S. 156ff.). Veränderungen der Vorschriften der §§ 266 bis 268 SGB V seien für das abschließend ausgewählte Modell nicht erforderlich. In § 269 müsste jedoch die Rechtsgrundlage für die Datenerhebungen für Auslandsversicherte (§ 269 Abs. 3c Satz 4) in das RSA-Routineverfahren überführt werden (Auslandskennzeichen etc.). Außerdem sind entsprechende Anpassungen der RSAV erforderlich. Die von den Gutachtern vorgeschlagene Umsetzung bereits für das Jahr 2022 (S. 156) erscheint allerdings sehr optimistisch. Sie erfordert zwar nur relativ geringen gesetzgeberischen Aufwand. Aber das BAS ist mit der Umsetzung der RSA-Reform des FKG hinreichend ausgelastet. Und ob sich BMG und Deutscher Bundestag in Zeiten von Corona-Krise noch in diesem Jahr mit einer Kleinstreform des RSA auseinandersetzen wollen, ist ziemlich unwahrscheinlich. Eine Regelung im Jahr 2021 käme wohl für das technische Verfahren ohnehin zu spät und würde im Vorfeld des Bundestagswahlkampfs kaum gelingen.

Bei einer Umsetzung der vorgeschlagenen Reform dürften die AOKen im Ergebnis etwas verlieren, was insbesondere die AOK Rheinland/Hamburg besonders treffen könnte. Sie hat einen besonders hohen Anteil Auslandsversicherter, weil in ihr die ehemalige AOK Bonn aufgegangen ist. Diese war früher allein für die Auslandsversicherten aller AOKn zuständig (Wasem et al. 2016, S. 21). Außerdem dürfte sich die Situation bei den Kassen in Grenzregionen wegen der Berufspendler besonders darstellen. Die Ersatzkassen könnten dagegen Gewinner der Reform sein, wobei die Kassenart bekanntlich in sich recht heterogen ist. Ihre „Gewinne“ bei den Auslandsversicherten könnten jedoch (nach der Größenordnung) ihre „Verluste“ bei einer Umsetzung des Reformvorschlags zum Krankengeld nicht ausgleichen.

 

[1] Ein Spin-off des Lehrstuhls von Prof. Dr. Jürgen Wasem an der Universität Duisburg-Essen.

[2] Seitenzahlen ohne nähere Angaben beziehen sich immer auf das „Folgegutachten“ (Wasem et al. 2019).

 

Literatur

Drösler S, Hasford J, Kurth B-M, Schaefer M, Wasem J & Wille E (2011): Evaluationsbericht zum Jahresausgleich 2009 im Risikostrukturausgleich. Als pdf bei: https://www.bundesamtsozialesicherung.de/de/themen/risikostrukturausgleich/wissenschaftlicher-beirat/ [Abruf am: 06.05.2020].

Wasem J, Lux G, Schillo S (2016): „Gutachten zu Zuweisungen für Auslandsversicherte nach § 269 Abs. 3 SGB V i. V. m. § 33 Abs. 4 RSAV – Endbericht“, vorgelegt vom Stiftungslehrstuhl für Medizinmanagement der

Universität Duisburg-Essen am 25.01.2016. Als pdf bei: https://www.bundesamtsozialesicherung.de/de/themen/risikostrukturausgleich/weiterentwicklung/ [Abruf am 06.05.2020]

Wasem et al. (2019): „Gutachten zu Zuweisungen für Auslandsversicherte nach § 269 Abs. 3c SGB V i. V. m. § 33a Abs. 4 RSAV – Endbericht“, vorgelegt von der EsFoMed GmbH, dem Lehrstuhl für Medizinmanagement der Universität Duisburg-Essen und der WIG2 GmbH, Stand am 29.11.2019. Als pdf bei: https://www.bundesamtsozialesicherung.de/de/themen/risikostrukturausgleich/weiterentwicklung/ [Abruf am 06.05.2020]


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