18.04.2018
Apothekenvergütung kontrovers
BMWi-Gutachten zur AMPreisV
Dr. Robert Paquet
Am 21. Dezember hat das Bundeswirtschaftsministerium (BMWi) das Gutachten der Mainzer Research- und Consulting-Agentur „2HM & Associates GmbH“ zur Apothekenvergütung veröffentlicht (http://www.bmwi.de/Redaktion/DE/Publikationen/Studien/ermittlung-der-erforderlichkeit-und-des-ausmasses-von-aenderungen-der-in-der-arzneimittelpreisverordnung.html). Der exakte Titel deutet an, worum es geht: „Ermittlung der Erforderlichkeit und des Ausmaßes von Änderungen der in der Arzneimittelpreisverordnung (AMPreisV) geregelten Preise“. Das BMWi, das für diese Verordnung zuständig ist, braucht eine empirische Basis für die Regelanpassung der einzelnen Beträge, bei der die Verordnung „Kostendeckung“ vorsieht.
Dabei kommt das Gutachten zu zwei auf den ersten Blick widersprüchlichen Befunden: Einerseits sind bereits heute 7.600 Apotheken-Unternehmen wirtschaftlich gefährdet. Andererseits erhalten sie nach den Berechnungen des Gutachtens zurzeit rund eine Milliarde Euro zu viel als Vergütung von GKV und PKV. Naturgemäß haben diese Ergebnisse in der Apothekerschaft helle Empörung ausgelöst.
Eine ernsthafte öffentliche Auseinandersetzung mit dem Bericht findet jedoch bisher nicht statt. Gerade die Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände e.V. (ABDA) scheint dieser Diskussion auszuweichen und hofft, dass das Gutachten von der neuen Leitung des Wirtschaftsministeriums ignoriert und in die unterste Schublade vergraben wird. Auch die SPD wird wohl nicht mehr so gerne daran erinnert, weil damit ihr Einknicken in Sachen Versandhandelsverbot beim Koalitionsvertrag peinlich in Erinnerung gerufen wird. (Das BMWi hatte den Gutachtenauftrag – auch aus erkennbar parteipolitischen Motiven gegen Ex-Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe – nachträglich mit der Frage nach den Auswirkungen des europäischen Versandhandels mit Arzneimitteln auf die flächendeckende Apotheken-Versorgung aufgestockt.)
Die Krankenkassen sollten aber weiter an den Ergebnissen interessiert sein und den Apothekern und dem Großhandel das Totschweigen nicht durchgehen lassen. Auch die Fraktion Bündnis 90 / Die Grünen lässt nicht locker: In einer Kleinen Anfrage (BT-Drs. 19/1127) sollte die Bundesregierung Auskunft geben, ob bei einem europarechtswidrigen Versandhandelsverbot ein Staatshaftungsrisiko besteht. In ihrer Antwort (BT-Drs. 19/1414) erklärt die Regierung, der „Meinungsbildungsprozess über die Umsetzung der Koalitionsvereinbarung“ sei „zu diesem Punkt noch nicht abgeschlossen“. Zur Frage der Staathaftung wird abgewiegelt: „Der unionsrechtliche Staatshaftungsanspruch setzt voraus, dass ein Mitgliedstaat die Grenzen seines Handlungsermessens offenkundig und erheblich überschritten hat. … Die Bundesregierung wird die Möglichkeiten ihres mitgliedstaatlichen Handlungsermessens beachten.“
Die Vorgeschichte
Im Jahr 2004 wurde die Apothekenvergütung von einer prozentualen Honorierung (orientiert am Umsatz) im Wesentlichen auf ein Festzuschusssystem umgestellt (GKV-Modernisierungsgesetz). Die Frage der Anpassung der Festbeträge wurde dabei weitgehend offen gelassen. Entsprechende Probleme blieben nicht aus:
- Die erste Vorgeschichte dreht sich um die Festlegung des GKV-Rabatts (z.Z. 1,77 Euro), dessen Anpassung bis zu seiner gesetzlichen Festlegung in § 130 Abs. 1 SGB V (im AMNOG) zwischen den Kassen und den Apothekern verhandelt wurde. Dahinter stand die Idee, durch eine allmähliche Reduktion des Rabatts der Kostenentwicklung in den Apotheken Rechnung zu tragen. Darüber kam es für das Jahr 2009 zum Streit. Die Entscheidung der damaligen Schiedsperson, des früheren Präsidenten des Bundesversicherungsamtes Rainer Daubenbüchel, sollte zur Absenkung von 2,05 auf 1,75 Euro führen; sie zeigte aber auch, dass es für eine kostenbezogene Anpassung keine valide bzw. konsensfähige Datenbasis gab. Im Ergebnis löste der Gesetzgeber das Problem, indem er den Rabattbetrag explizit im Gesetz festgeschrieben hat. Das generelle Anpassungsproblem wurde damit aber nicht gelöst.
- Die zweite Entwicklung betrifft die grundsätzliche Frage der Anpassung selbst, nämlich der in der AMPreisV genannten Vergütungsbeträge. Natürlich streben die Apotheker nach einer höheren Vergütung und verweisen auf ihre steigenden Kosten. Daher verfolgte das BMWi mit dem Gutachten-Auftrag zwei Ziele: Einerseits suchte es einen Regelmechanismus, wie man diese Anpassungen in Zukunft mehr oder weniger automatisch vollziehen kann (wie z.B. bei der Beitragsbemessungsgrenze oder der Bezugsgröße etc.)[1]. Andererseits wollte man eine Datenbasis schaffen bzw. identifizieren, die man dieser Fortschreibung zugrunde legen kann. Nicht zuletzt sah das BMWi darin die Möglichkeit, sich gesundheitspolitisch gegenüber dem unter Minister Gröhe sehr apothekerfreundlichen BMG zu profilieren.
Dabei ist auf einen grundsätzlichen Zusammenhang hinzuweisen: Unser Gesundheitswesen funktioniert mit vielen privaten bzw. privatwirtschaftlich ausgerichteten Akteuren: Ärzte, Apotheken, die Pharmaindustrie und auch die einzelnen Krankenhäuser handeln unternehmerisch. Die Regelungen zu unserem System sind jedoch vielfach von dem Gedanken der Daseinsfürsorge geprägt und orientieren sich am Selbstkostendeckungsprinzip. Das taucht auch im SGB V immer an den Stellen auf, wo die mehr oder weniger regelmäßige Vergütungsanpassung auf die Berücksichtigung der Kostenentwicklung bei den jeweiligen Leistungserbringern abstellt (z.B. auch bei Ärzten und Zahnärzten). Das ist bei der AMPreisV nicht anders. Dass Wettbewerb und Markt die Verhältnisse regulieren könnten, ist den Gesundheitspolitikern meistens fremd. Auch der aktuelle Koalitionsvertrag markiert eine weitere und ganz entschiedene Abkehr von den verbliebenen Marktelementen aus der Ära von Ex-Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt. Die Frage der „Wirtschaftlichkeit“ und Effizienz der Versorgung wird dabei selten gestellt, und wenn, dann ist dieses Ziel völlig „aufgesetzt“. Es wird postuliert, ohne dass klar wäre, wie sich das Motiv zur Produktivitätssteigerung aus den Leistungsprozessen der Akteure selbst entwickeln soll.
Die Ergebnisse des Gutachtens
Die zentrale Feststellung des Gutachtens ist: „Die bisherige Berechnung, dass durch rezeptpflichtige Fertigarzneimittel 75 % aller Kosten in der Apotheke durch die Vergütung rezeptpflichtiger Fertigarzneimittel zu decken sind, ist nicht haltbar.“ (Die bisherige Methode beruht u.a. auf der von der ABDA vertretenen „hälftigen Absatz-Umsatz-Methode“, bei der stark zu Buche schlägt, dass die Rx-Präparate rund 80 Prozent des Apothekenumsatzes ausmachen.) Die Rx-Fertigarzneimittel machen jedoch tatsächlich nur 39,7 Prozent der in der Apotheke abgegebenen Packungen aus. Zugleich habe die Diskussion im Projektbeirat ergeben, dass sich der Beratungsaufwand pro Packung bei Rx- und OTC-Produkten nicht wesentlich unterscheidet. „Ebenfalls gibt es keinen Anhaltspunkt, den Verkauf von weiteren Produkten mit Gesundheitsbezug, also das Ergänzungssortiment und die Freiwahlprodukte, als durchschnittlich mit geringerem Aufwand verbunden anzusehen.“ (S. 6f.) Nach den Berechnungen der Gutachter wäre danach nur ein Festzuschlag in Höhe von 5,82 Euro gerechtfertigt.
Auf Grundlage der Primärerhebung zu den Arbeitsaufwänden kommen die Gutachter gleichzeitig zu der Feststellung, dass Nacht- und Notdienst, Rezepturherstellung, die Abgabe umzufüllender Stoffe und die BtM-Abgabe bisher nicht kostendeckend vergütet werden und aufgestockt werden müssen. Dagegen werden „parenterale Zubereitungen … aktuell deutlich höher vergütet, als es der Arbeitsaufwand rechtfertigt.“ Diese besonderen Verrichtungen machen jedoch in der normalen Vor-Ort-Apotheke nur durchschnittlich zehn Prozent des Gesamtaufwandes aus. Der weit überwiegende Anteil der Tätigkeiten und des Kostenaufwands entfällt auf die Abgabe von „Packungen“ der drei genannten Kategorien.
Einige Besonderheiten bei den Rx-Präparaten werden berücksichtigt (etwa die Kosten der Abrechnungszentren). Nach diesen und weiteren Einzelheiten soll die bestehende „Quersubventionierung der OTC- und Freiwahl-Bereiche durch Rx auf(ge)hoben“ werden. Daraus ergibt sich, dass – trotz der angesprochenen notwendigen Vergütungs-Erhöhungen – GKV, PKV, Beihilfe und Selbstzahler bei Rx im Jahr 2015 insgesamt ca. 1,24 Milliarden Euro zu viel bezahlt haben (einschließlich einer Reduktion der Vergütung des pharmazeutischen Großhandels um ca. 210 Millionen Euro).
Grundlage dieser Berechnungen sind Umfrageergebnisse von den Apothekern. Damit wurden Häufigkeit und Zeitaufwand für die Standardaktivitäten in der Apotheke (Abgabe von verschreibungspflichtigen Medikamenten, Betäubungsmittelverordnungen, Rezepturen, parenteralen Zubereitungen etc.) erhoben. Die Zeitaufwände wurden mit den tariflichen Stundensätzen von pharmazeutisch-technischen Assistenten und angestellten Apothekern bewertet. Referenzmaßstab für den „Unternehmerlohn“ war schließlich (ähnlich wie bei der Berechnung des „Arztlohnes“ im EBM das Gehalt eines Oberarztes) das Gehalt eines angestellten (leitenden) Krankenhausapothekers (in Höhe von rund 100.000 Euro p.a. nach Tarif).
Kritisiert wurde von den Apothekern das Stichprobenkonzept der Gutachter. Von den ca. 20.000 Apotheken im Jahr 2016 (eigentlich „Betriebsstätten“, d.h. auch ca. 3.500 Filialen sind dabei) wurden rund 16.600 „Hauptapotheken“ (also Apotheken-Unternehmen) per E-Mail angeschrieben. 14.700 Mails waren zustellbar. Bei der geschichteten Online-Befragung gab es rund 2.300 Rückantworten (Rücklaufquote 16 Prozent). Die Beantwortung des anspruchsvollen Fragebogens war durchaus zeitaufwändig. „Da nicht alle Fragen an alle Apotheken gestellt wurden, um die Befragungslänge für die einzelne Apotheke in zumutbaren Grenzen zu halten, sind die Stichprobengrößen der einzelnen Fragestellungen für die Belastbarkeit der Aussagen relevant.“ (S. 120) Nach Angaben der Gutachter sind die Ergebnisse für die Arbeitszeit-Berechnungen jedoch belastbar. Die Zeitwerte für die einzelnen Tätigkeiten liegen sehr eng beieinander (spitze Gipfel in der Verteilung; geringe Streuung) und seien daher glaubwürdig. (Aus den Angaben zur Gesamtzeit bestimmter Tätigkeiten und den erfragten Detailzeiten wurden Durchschnittwerte gebildet. (S. 122)). Außerdem seien alle Schätzungen möglichst „zugunsten“ der Apotheker durchgeführt worden. Schließlich kann davon ausgegangen werden, dass die Antwortenden – in Kenntnis der Zielsetzung der Untersuchung – ihren Aufwand sicher nicht ‚unterschätzt‘ haben.
In einem zweiten großen Fragenkomplex sollte das Gutachten klären, wie es um die „flächendeckende Versorgung mit rezeptpflichtigen Arzneimitteln“ bestellt ist. „Statt eines vielfach genannten Apothekensterbens lassen die Daten zunächst eine Konsolidierung feststellen, die sich in der seit Jahren entgegen der Schließungen von Apotheken steigenden Anzahl an Beschäftigten in Apotheken zeigt.“ (S. 11). Für „flächendeckende Versorgung“ gäbe es keine Legaldefinition. Wenn man sich empirisch orientieren wolle, müsse man eine „aktuelle Analyse der Erreichbarkeit vor dem Hintergrund der Lebenswirklichkeit der Bevölkerung“ durchführen (ebenda). Der Rückgang der Zahl der Betriebsstätten könne mit den Versandapotheken nichts zu tun haben, denn er habe auch schon bis 2015 stattgefunden und sei durch das EuGH-Urteil nicht beschleunigt worden. „Der europäische Versandhandel kann daher rein zeitlich nicht für die wirtschaftlich schwierige Lage vieler Apotheken verantwortlich gemacht werden.“ (S. 13)
Bereits 2015 seien 7.600 Apotheken wirtschaftlich „gefährdet“ gewesen, weil sie den Referenz-Unternehmerlohn von rund 100.000 Euro pro Jahr nicht erwirtschaftet hätten. Dahinter stehe jedoch kein spezielles Problem der Apothekenversorgung auf dem Lande. Gefährdet seien 5.300 Apotheken (Betriebsstätten) in städtischen oder großstädtischen Räumen und 2.300 in ländlichen Kreisen. „Von diesen 7.600 Apotheken ging es ca. 2.600 Apotheken-Unternehmen dabei im Jahr 2015 bereits sehr schlecht, davon 1.900 in städtischen, ca. 700 in ländlichen Kreisen. Sie realisierten ein durchschnittliches Brutto-Betriebsergebnis von ca. 30.000 Euro.“ (S. 12). Die Gutachter erklären, die Apotheken lieferten sich vor allem in den Städten einen „ruinösen Wettbewerb“ (S. 13). „Die weitere räumliche Analyse des vorliegenden Gutachtens zeigt, dass Apotheken in ländlichen Räumen grundsätzlich wirtschaftlich nicht schlechter dastehen als Apotheken in städtischen Räumen. Die Brutto-Betriebsergebnisse in ländlichen Kreisen liegen durchschnittlich sogar ca. 20.000 Euro über den Brutto-Betriebsergebnissen der großstädtischen Apotheken-Unternehmen sowie 40.000 Euro über den durchschnittlichen Brutto-Betriebsergebnissen in städtischen Kreisen. Es ist daher nicht so, dass die Vergütung der AMPreisV den ländlichen Raum benachteiligt …“ (S. 13). Basis dieser Analysen sind Sonderauswertungen des Statistischen Bundesamtes.
Die Kontroverse
Die zentrale Kontroverse zum Gutachten dreht sich um die Zielsetzung des Apothekenrechts. Die Apothekerschaft argumentiert, es gehe (insbesondere nach dem Apothekengesetz) um die Sicherstellung einer flächendeckenden Arzneimittelversorgung durch die Apotheken. Dabei ist der Maßstab zur Erfüllung dieser Aufgabe gesetzlich nicht definiert. Seit 1958 gilt Niederlassungsfreiheit für die Apotheker; die Apothekendichte hat sich seitdem verdoppelt (S. 197).
Aus dem „Sicherstellungsauftrag“ leiten die Apotheker aber auch Ansprüche für die Vergütungsgestaltung ab. Sie verlangen, dass der Festzuschlag für die Rx-Arzneimittel einen größeren Anteil der Kosten des Apothekenbetriebes decken soll, als der Anteil dieser Mittel an den verkauften Packungen insgesamt ausmacht. Das zu diesem Zweck präferierte Verfahren ist die von den Gutachtern kritisierte „hälftige Absatz-Umsatz-Methode“. Sie besteht darin, „den Mittelwert aus dem Rx-Anteil am Umsatz und dem Rx-Anteil am Packungsabsatz zu bilden. Dieser Mittelwert in Prozent wird dann auf Kosten, Roherträge oder Betriebsergebnisse pauschal angewendet. Ist z. B. der Absatzanteil von Rx 50 Prozent und der Umsatzanteil von Rx 70 Prozent (Mittelwert: 60 Prozent), ergibt sich rechnerisch z. B. ein Kostenanteil von Rx i.H. von 60 Prozent. Unklar bleibt in diesem Zusammenhang, welche Umsatz- und Absatzanteile die Vergleichsgröße, also die insgesamt 100 Prozent bilden: Sind nur die OTC und freiverkäuflichen Arzneimittel in Relation zu Rx gesetzt worden oder auch das apothekenübliche Ergänzungssortiment?“ (S. 74) Diese Anpassungsrechnung wurde vom BMWi auch bei der letzten Erhöhung des Festzuschlags im Jahr 2012 angewandt.
Nun wurde mit der Umstellung der Apothekenvergütung im Jahr 2004 explizit auf eine kostenbezogene Vergütung abgestellt. Der umsatzbezogene dreiprozentige Aufschlag dient nur der Warenbewirtschaftung und deckt die Kapitalbindung durch den Vorratsbestand der Apotheke. Der Festzuschlag – so die Gutachter – dürfe daher keinen (weiteren) Umsatzbezug (mehr) haben. Genau dies finde jedoch bei der „hälftigen Absatz-Umsatz-Methode“ statt. Die AMPreisV wolle mit dem Festzuschlag – so die Gutachter nach einer umfangreichen Diskussion auch der damaligen Begründung der Neuregelung – die Beratungsleistung des Apothekers vergüten. Dabei seien deren Kosten bezogen auf die jeweilige Packung gemeint (vgl. S.67ff.). Die Berücksichtigung des Umsatzes des jeweiligen Arzneimittels werde durch die AMPreisV gerade ausgeschlossen. „Zusammenfassend besteht die Herausforderung der Vergütung der AMPreisV in der angemessenen Vergütung der rezeptpflichtigen Teilleistung von Apotheken, die den kaufmännischen und heilberuflichen Ansprüchen der Apotheken gerecht werden muss. Diese Vergütung muss kostenbedingt angepasst werden.“ (S. 18; eigene Hervorhebung).
Abgesehen von diesem zentralen Argument kritisieren die Autoren, dass in der hälftigen Absatz-Umsatz-Methode im Umsatz bereits der Rohertrag, d.h. Gewinnanteile, in wenig nachvollziehbarer Weise berücksichtigt würden. Da sich die AMPreisV auf die Rx-Arzneimittel beziehe, dürften jedoch nur die entsprechenden Teilkosten berücksichtigt werden. Außerdem habe der Gesetzgeber die Preise für die OTC-Präparate freigegeben. Der Apotheker könne demnach für dieses Umsatzsegment ebenso wenig eine staatlich garantierte Vergütung beanspruchen wie für das Freisortiment. Hier lägen die Kosten und demnach auch seine Preiskalkulation ausschließlich in seinem unternehmerischen Risiko. Konsequenterweise empfehlen die Gutachter daher: „Die Reduzierung des absoluten Festzuschlags für rezeptpflichtige Arzneimittel könnte z. B. durch eine 10-prozentige Preissteigerung bei OTC- und Freiwahl ausgeglichen werden, was ungefähr dem aktuell auf diese Artikel durchschnittlich gewährten Rabatt entspricht.“ (S. 10).
Prüfung der Datengrundlagen
Nach ersten Berichten des Branchenportals „Apotheke Adhoc“ (vgl. „Ärzte Zeitung“ vom 14.11.2017) zur angeblich massiven Über-Vergütung der Apotheken – die Rede war von 1,7 bis 2 Mrd. Euro – hat das BMWi das Statistische Bundesamt mit einer Prüfung des Gutachtens beauftragt. Gegenüber der vertraulichen Vorfassung von November hat die veröffentlichte Fassung einige zig Seiten zugelegt und einen erweiterten Anhang (u.a. mit den Detailergebnissen der Primärerhebung), ist tiefer gegliedert, und die Inhalte sind übersichtlicher nach Kapiteln eingeteilt worden (z.B. werden jetzt die Fragen zum Pharma-Großhandel, auf die wir hier nicht eingehen, jeweils extra behandelt).
Die Ergebnisse wurden umsortiert, aber nichts Wesentliches wurde zurückgenommen. Die Gutachter sprechen sich nicht mehr direkt gegen das Verbot des Arzneimittel-Versandhandels aus, sondern erklären, zur Diskussion dieser Frage empirisches Material zu präsentieren („Gutachten enthält keine Empfehlung“, S. 12). Das Statistische Bundesamt hat offenbar bei seiner Prüfung der empirischen Vorgehensweise der Gutachter (auch bei der Apotheker-Befragung) keine schwerwiegenden Einwände erhoben.
Diskussion und Bewertung
Das Gutachten von 2HM ist im Großen und Ganzen nachvollziehbar, selbst wenn man verschiedenen Einwänden Rechnung trüge: Auch wenn man einen höheren „Referenzlohn“ für den Apotheken-Unternehmer in Rechnung stellen würde, was der tatsächlichen Vergütung der Leiter von Klinik-Apotheken wohl besser entspräche. Auch wenn man eine zusätzliche Komponente für das unternehmerische Risiko des Apothekenbetriebs einbeziehen würde (deren Fehlen z.B. kritisiert wird). Auch wenn man die Kosten bestimmter Anforderungen aus der Apothekenbetriebsordnung (z.B. die Verpflichtung ein Labor vorzuhalten) ausschließlich den Rx-Präparaten zurechnen würde etc. – Das alles würde die von 2HM entwickelte Methodik nicht grundsätzlich in Frage stellen, sondern die Ergebnisse nur modifizieren.
Gravierender sind die Einwände der Apothekerschaft gegen die Datenbasis, die das Statistische Bundesamt (DESTATIS) zur Verfügung gestellt hat, und gegen die Methodik, alle Kosten gleichmäßig auf alle „Packungen“ aufzuteilen. Das Datenkonzept des DESTATIS gehe – im Gegensatz etwa zur Treuhand GmbH, die die meisten Apotheker in Steuerfragen berät, – vom „Inhaberkonzept“ aus, das nicht allein den Apothekenbetrieb, sondern auch andere apothekenfremde Umsätze und Einkünfte der Apotheker berücksichtige (z.B. aus einem Reformhausbetrieb). Neben diesen Defiziten sei wesentlich, dass DESTATIS aus Gründen der EU-Vergleichbarkeit Investitionen, Abschreibungen und Eigenkapitalverzinsung der Apotheker nicht berücksichtige. Methodisch sei verzerrend, dass im Ergänzungs- bzw. Freisortiment die Zählweise der „Packungen“ umgestellt worden sei; entscheidend sei, dass nicht mehr ganze Pakete z.B. bei Hilfsmitteln und Praxisbedarf gezählt würden, sondern die Inhaltsbestandteile (etwa bei Einmal-Handschuhen) in die Zahlen eingingen. Dadurch gebe es eine künstliche Aufblähung dieses Sortiment-Anteils zu Lasten der Rx-Präparate. Tabelle 6 auf Seite 114 zeigt allerdings ein seit 2013 recht stabiles Verhältnis der Packungszahlen in den drei Sortimentsbereichen.
Irritierend ist allerdings, dass sich die ABDA im Beirat des Projekts von vornherein wenig kooperativ verhalten hat und auch die – angeblich viel besseren – Daten der Treuhand GmbH nicht zur Verfügung gestellt wurden. Auch nach Vorlage des Gutachtens werden die angesprochenen Kritikpunkte von Seiten der Apotheker nicht weiter substantiiert. Stattdessen wird auf einen „ganzheitlichen Versorgungauftrag“ abgestellt. Dieser wird aus einem allgemeinen Programmsatz des Apothekengesetzes abgeleitet, der aber in Bezug auf die Honorierung durch den Wortlaut der AMPreisV nicht gedeckt ist. Die Gutachter von 2HM nehmen jedoch genau diese Vorschrift beim Wort. Das kann man ihnen nicht vorwerfen.
Ob die finanzielle Sicherstellung eines „Gesamtversorgungsauftrags“ der Apotheken durch eine öffentliche Honorarordnung sinnvoll wäre, kann hier nicht näher diskutiert werden. Das wäre jedenfalls eine normative Frage, die weit über die Fortschreibung der aktuell geltenden AMPreisV hinausgeht. Ebenso wenig ergibt sich aus der einmaligen Anpassung der Beträge durch das BMWi nach der „hälftigen Absatz-Umsatz-Methode“ ein ‚Gewohnheitsrecht‘ – erst recht, wenn sich herausstellt, dass die Einbeziehung des Umsatzes dem Text der AMPreisV nicht entspricht.
Schließlich ist der Befund nach wie vor verblüffend, dass ein großer Teil der Apotheken an der Armutsgrenze operieren soll. Die Apotheker und ihre Mitarbeiter sind im Allgemeinen nicht als Berufsgruppe bekannt, die sich im Interesse der gesundheitlichen Versorgung der Bevölkerung in Selbstausbeutung und größter Bescheidenheit übt. Hier bleiben viele Fragen offen.
Insgesamt ist jedoch verständlich, dass sich der GKV-Spitzenverband hinter das Gutachten stellt und erklärt: „Zur wirtschaftlichen Ausgangslage der niedergelassenen Apotheken konstatieren die Gutachter, dass Apotheken in ländlichen Räumen nicht grundsätzlich wirtschaftlich schlechter aufgestellt sind. … Ein Zusammenhang der wirtschaftlichen Lage der niedergelassenen Apotheken mit der Konkurrenz durch ausländische Versandapotheken besteht laut Gutachten nicht. … Die Ergebnisse bestätigen aus Sicht des GKV-Spitzenverbandes, dass eine Neuordnung der Vergütung von Apotheken überfällig ist.“[2]
Die Alternative für das BMWi kann daher nur sein, entweder die Empfehlungen des 2HM-Gutachtens umzusetzen oder – ggf. mit Unterstützung der Apothekerschaft – für ein neues Gutachten mit einer besseren Datenbasis zu sorgen.
[1] Die Forderung nach einem „allgemein anerkannten theoretischen Konzept“ kann man der 2HM-Gruppe nicht zum Vorwurf machen. Diese Formulierung kam vom Auftraggeber im BMWi. Naturgemäß kann sich die allgemeine „Anerkennung“ erst in der Praxis ergeben. …
[2] In „GKV 90 Prozent“ (Das E-Magazin des GKV-Spitzenverbandes), März 2018
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