AMNOG ade?

Vor den parlamentarischen Beratungen des GKV-Finanzstabilisierungsgesetzes

Sebastian Hofmann, Redakteur Observer Datenbank, Observer Gesundheit

Das alte AMNOG hat ausgedient. Deutschland verliert ein Privileg. Der Vergleichs-Preis der GKV wird zum zentralen Kriterium. Verhandlungen werden entwertet. Es tut sich eine Lücke auf: Wer sorgt dafür, dass Patienten zurückgezogene Arzneimittel erhalten?

Mit der Stellungnahme des Bundesrates beginnt das parlamentarische Verfahren zum GKV-Finanzstabilisierungsgesetz. In einer verbalen Großtat nimmt die Länderkammer ihre (industriellen) Landeskinder in Schutz und fordert den Bundestag auf, die forschende Pharma-Industrie aus dem Spargesetz herauszuhalten. Diese Forderung ist so heroisch wie banal. Gesundheitspolitische Gesetze passieren den Bundesrat stets so, wie sie vom Bundestag beschlossen wurden – zumal, wenn sie wie das GKV-Finanzstabilisierungsgesetz zustimmungsfrei sind. Das Äußerste, was die Länder an parlamentarischer Kontrolle zu leisten bereit sind, ist eine kritische Erklärung – zeitgleich zu dem Beschluss, als Länderkammer dann doch nicht aktiv zu werden. Ein solches Vorgehen ist auch bei diesem Gesetz zu erwarten, und die Rahmenbedingungen für innovative Arzneimittel werden ein zentraler Teil des Gesetzes bleiben. In Kürze beginnen hierzu die Beratungen im Bundestag. Was dort beschlossen wird, ist entscheidend. Grund genug, das Konzept des Bundesgesundheitsministeriums (BMG) näher unter die Lupe zu nehmen.

 

Der Paradigmenwechsel

Mit dem GKV-Finanzstabilisierungsgesetz soll die Preisbildung für neue Wirkstoffe geändert werden. Der Gesetzentwurf bricht mit den Prinzipien des geltenden Systems, das nach einem Gesetz aus 2010 „AMNOG-Verfahren“ genannt wird. Die damals begonnene Nutzenbewertung bleibt unverändert. Bei der anschließenden Preisbildung hingegen wird umgestellt: Zunächst ordnet der GKV-Spitzenverband den neuen Wirkstoff dem billigsten Vergleichspreis zu. Die Verhandlung mit dem Hersteller dreht sich dann in den meisten Fällen nur noch darum, wie die gesetzlichen Vorgaben zum Vergleichspreis (z.B.: Kürzung um mindestens 10 %) umgesetzt werden. Das Motto lautet: Die Verhandlung ist tot, es lebe der Preis-Anker!

Mit seinem Gesetzentwurf erfüllt das BMG einen Auftrag der Ampel. Im Koalitionsvertrag findet sich unter der Überschrift „Gesundheitsfinanzierung“ die Vereinbarung: „Das Gesetz zur Neuordnung des Arzneimittelmarktes (AMNOG) entwickeln wir weiter. Wir stärken die Möglichkeiten der Krankenkassen zur Begrenzung der Arzneimittelpreise. Der verhandelte Erstattungspreis gilt ab dem siebten Monat nach Markteintritt.“ (S. 68)

Es soll also gespart werden; von Prinzipien ist hier nicht die Rede. Das Bekenntnis „Wir stellen die Versorgung mit innovativen Arzneimitteln und Impfstoffen sicher“ findet sich im Koalitionsvertrag zwar auf der gleichen Seite, aber unter anderer Überschrift. Man geht anscheinend davon aus, dass beides nichts miteinander zu tun hat. Deutschland soll auch in Zukunft privilegiert versorgt werden – egal, wie sich die Preisbildung für die Hersteller gestaltet.

Angesichts der geplanten Umwälzungen erscheint diese Zuversicht allerdings mehr als fraglich. Um das Ausmaß des Wandels zu ermessen, lohnt sich zunächst der Blick zurück auf das (schwarz-gelbe) Konzept des „Ur-AMNOG“, mit dem Philipp Rösler (FDP) die Vergütung neuer Wirkstoffe ab 2011 auf eine neue Basis stellte. Das Gesetz sollte seinerzeit die GKV mit den hohen Kosten des Fortschrittes versöhnen – ohne die Industrie zu verschrecken. Die neue Marktordnung hatte einige grundlegende Elemente für die Preisbildung.

Die Prinzipien des AMNOG, Stand 2011:

  • Was GKV und PKV für einen neuen Wirkstoff zahlen, wird zwischen Hersteller und GKV-Spitzenverband frei verhandelt.
  • Um das Privileg des schnellen Zugangs zu allen Innovationen zu schützen, ist der Hersteller im ersten Jahr frei in seiner Preisbildung. Der verhandelte „Erstattungsbetrag“ gilt erst ab dem zweiten Jahr nach der Markteinführung.
  • Der Erstattungsbetrag soll den therapeutischen Wert des neuen Wirkstoffes abbilden. Basis ist die „frühe Nutzenbewertung“ im Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA). Jeder Wirkstoff muss sich mit dem Goldstandard vergleichen.
  • Kann ein Wirkstoff keinen therapeutischen Fortschritt („Zusatznutzen“) zeigen, dann gilt der Preis des Vergleich-Medikaments als Maßstab (Preis-Obergrenze). Nur dann.
  • Arzneimittel gegen seltene Erkrankungen (Orphan Drugs) gelten grundsätzlich als Fortschritt.

Nach dem Vorschlag des BMG sollen alle diese Prinzipien gebrochen werden. Um das o.g. Sparziel des Koalitionsvertrages umzusetzen, wird die Preisbildung stattdessen an „Leitplanken“ orientiert, die zulasten der Hersteller gehen.

Die Prinzipien im Gesetzentwurf der Bundesregierung, Stand September 2022:

  • Um das weltweite Privileg des schnellen Zugangs zu erhalten, soll den Herstellern nur noch sechs Monate freie Preisbildung gewährt werden.
  • Der Erstattungsbetrag orientiert sich grundsätzlich nicht mehr am therapeutischen Nutzen. Für die weit überwiegende Zahl der neuen Wirkstoffe dreht sich die Preisbildung stattdessen um den Preis des Vergleichs-Medikamentes. Der Preis für den neuen Wirkstoff wird um den Preis des Vergleichs-Medikamentes herum gruppiert. Das Ergebnis der Nutzenbewertung dient v.a. dazu, die Richtung möglicher Abweichungen vorzugeben.
  • Die Regel lautet jetzt: Mehr Geld wird zur absoluten Ausnahme (Sprung-Innovation). Der normale medizinische Fortschritt (Schritt-Innovationen) wird selbstverständlich und gratis. Ohne Schritt-Innovationen gibt es Abzüge.
  • Orphan Drugs gelten nur dann per Zulassung als Fortschritt, wenn sie die GKV weniger als 20 Mio. EUR pro Jahr kosten.

Hier drängt sich der Eindruck auf: Der therapeutische Wert eines neuen Wirkstoffes (Zusatznutzen) hat als Maßstab ausgedient. Zum zentralen Kriterium der Preisbildung wird das Faktotum „Preis der Vergleichs-Therapie“. Der Anspruch der AMNOG-Erfinder, den Preis v.a. am therapeutischen Wert zu orientieren, wird aufgegeben.

 

Die neuen Leitplanken

Eine Analyse der zentralen Reform-Elemente soll helfen, diesen Eindruck zu überprüfen. Die zitierten „Leitplanken“ (AMNOG I, usw.) stammen aus der Presse-Begleitinformation des BMG vom 8.7.2022 zur Veröffentlichung des Gesetzentwurfes:

AMNOG I: Die Zeitspanne für die freie Preisbildung von patentgeschützten Arzneimitteln wird auf sechs Monate verkürzt.“

Mit dieser „Leitplanke“ wird ein zentraler Anreiz für die Industrie halbiert. Davon sind nicht nur die Umsätze im ersten Jahr betroffen. Auch das Privileg des deutschen Gesundheitswesens ist in Gefahr. Der Hintergrund: Hersteller bieten neue Arzneimittel i.d.R. sofort nach der Zulassung in Deutschland an („first launch country“), weil viele andere Länder ihre nationale Erstattung am deutschen Preis orientieren (z.B. Erstattung zu 60 % des deutschen Preises). Aktuell haben die Hersteller für diese Verhandlungen ein Jahr (freie Preisbildung in Deutschland) Zeit. Die Halbierung der Zeitspanne dürfte die Strahlkraft Deutschlands als attraktiver Markt der ersten Stunde deutlich schmälern. Ob andere Länder den deutschen Listenpreis weiter als Referenz akzeptieren – wohlwissend, dass dieser ab dem 7. Monat Makulatur ist –, scheint zumindest fraglich. Der Gesetzgeber setzt damit das Privileg, dass in Deutschland alles Neue sofort erhältlich ist, bewusst aufs Spiel. Entscheidend ist nun die Sicht derer, die in der Industrie die Neu-Einführungen planen – vom Headquarter aus über die ganze Welt.

AMNOG II: Für die Preisbildung von Arzneimitteln mit keinem oder geringem Zusatznutzen gibt es Vorgaben.“

Für Arzneimittel ohne Zusatznutzen-Label soll weniger bezahlt werden, als für die zweckmäßige Vergleichstherapie. Für Arzneimittel, bei denen der G-BA „nur“ einen geringen Zusatznutzen sieht, soll keine Preiserhöhung möglich sein. Gleiches gilt für Wirkstoffe mit „nicht quantifizierbarem“ Zusatznutzen. Damit endet faktisch das Paradigma des geltenden AMNOG-Verfahrens, dass bei belegtem Zusatznutzen ein besserer Preis möglich ist. Das ist nur noch in den seltenen Fällen eines „beträchtlichen“ oder „erheblichen“ Zusatznutzens möglich.

AMNOG III: Erhöht sich der Absatz eines patentgeschützten Arzneimittels (z.B. durch Ausweitung auf weitere Patientengruppen) erheblich, muss das bei Preisverhandlungen berücksichtigt werden.“

Damit wird ein Mengenrabatt verpflichtend festgeschrieben. Die Möglichkeit besteht bereits; dem GKV-Spitzenverband (GKV-SV) wird mit der neuen Pflicht in den Verhandlungen der Rücken gestärkt. Unklar ist, ob der Mengenrabatt vorsorglich vereinbart werden muss, oder ob bei unerwartet hohen Absätzen eine neue Verhandlungsrunde angesetzt werden muss. Auf den – bereits gut ausgelasteten – GKV-SV könnten zahlreiche neue Verhandlungen zukommen.

AMNOG IV: Reduzierung der Umsatzschwelle für Arzneimittel, die zur Behandlung eines seltenen Leidens zugelassen worden sind, von 50 Mio. Euro auf 20 Mio. Euro.“

Damit wird das – politisch ausdrücklich gewollte – Privileg der Orphan Drugs weiter eingeschränkt. Die Fälle, in denen für ein Orphan Drug wegen Überschreitens der Umsatzschwelle beim G-BA ein vollständiges Nutzendossier vorgelegt werden muss, steigen weiter an. Der G-BA hat in der letzten Zeit oft auf die Besonderheiten dieser Arzneimittel Rücksicht genommen und dabei auch Ausnahmen von seinen methodischen Anforderungen zugelassen. Um den teils schwerstkranken Patienten die oft einzige Therapie-Option zu erhalten, agiert der G-BA hier flexibel. Mit steigender Zahl werden solche „flexiblen“ Wertungen zunehmen müssen. Je häufiger der G-BA von der eigenen Methodik abweicht, umso lauter stellen sich grundsätzliche methodische Fragen.

AMNOG V: Bei der Erstattungsverhandlung ist zukünftig ein Verwurf preismindernd zu berücksichtigen, wenn bei den jeweiligen Patientengruppen ein Verwurf von über 20 % der in Verkehr gebrachten Packungsgröße zu erwarten ist.

Der Hintergrund: Manche Arzneimittel müssen nach Körpergewicht dosiert werden; die einzige Packungsgröße ist oft so portioniert, dass sie für einen dicken Mann reicht, z.B. in einer 1-Liter-Infusionspackung. Wird nun ein kleines Kind behandelt, landet der Großteil der möglicherweise hochteuren Infusion im Müll. Das wirkt auf den ersten Blick wie eine sagenhafte Verschwendung und soll mit der neuen Regelung geheilt werden. Das Problem: Die Regelung ignoriert die weltweit übliche Kalkulation der Hersteller. Diese legen ihre Umsatzerwartungen auf die Einzeldosen um – egal wieviel davon im Einzelfall verbraucht wird. Der tatsächliche Verlust (im Müll) ist dabei überschaubar, weil der Wert des Materials i.d.R. nur einen Bruchteil des Preises ausmacht (der Preis muss die Kosten für Forschung und Entwicklung aller Projekte des Herstellers einspielen; die Produktionskosten sind oft nebensächlich). Soll also für alle Behandlungen mit Müll-Anteil („Verwurf“) der Preis gesenkt werden, müsste der Preis für die Standard-Packung steigen, damit der Hersteller den gleichen Umsatz erzielen kann. Der GKV-SV soll nun also die o.g. (Milchmädchen-) Assoziation (sagenhafte Verschwendung) in den Verhandlungen mit dem Hersteller heilen. Ob dies zu erbaulichen Verhandlungen führen wird, erscheint offen. Schließlich macht es wenig Sinn, ein weltweit geübtes Kalkül zu ignorieren.

Abschlag auf Arzneimittel einer Kombinationstherapie: Wenn Arzneimittel in vom G-BA definierten Kombinationen eingesetzt werden, erhalten Krankenkassen vom Hersteller einen Abschlag in Höhe von 20 % des Erstattungsbetrages.“

Die Problematik der hochteuren Kombinationstherapien in der Onkologie, die teilweise in der letzten Phase der Krankheit eine Verlängerung des Lebens um wenige Monate ermöglichen, ist unbestritten. Nun soll ein Abschlag vorgenommen werden auf die Preise von allen Wirkstoffen, die in „vom G-BA definierten Kombinationen“ angewandt werden. Das Problem scheint damit leicht gemildert. Der G-BA erhält eine neue Aufgabe, die Onkologie bleibt trotzdem teuer. Das Problem, das Josef Hecken (G-BA) gern als „Todesspirale der AMNOG-Preisbildung“ bezeichnet, wird nicht gelöst. Der Preisanker für einen neuen (Kombinations-) Wirkstoff ist die Summe der bisherigen (Kombinations-) Wirkstoffe. Da kommt in der Onkologie einiges zusammen; zukünftig um 20 % gekürzt.

 

Zwei Lücken im Konzept

Jede Kritik dieses Reformkonzept muss berücksichtigen: Es gibt nirgendwo auf der Welt ein befriedigendes Konzept für eine „sachgerechte“ Preisbildung zu innovativen Arzneimitteln. Ein therapeutischer Nutzen lässt sich nicht in Geld fassen. Und: Kein Unternehmen der Welt wird dem Kunden seine interne Kostenstruktur offenlegen. Das BMG sieht nun das Konzept „Verhandlungen auf der Basis einer Nutzen-Bewertung“ als gescheitert und führt den Preis der Vergleichs-Therapie als „Surrogat-Parameter“ ein. Die Begründung auf S. 3 des Gesetzentwurfes bietet interessante Einsichten in die Erkenntnisse des BMG. Dort heißt es: „Der Erstattungsbetrag einer patentgeschützten Vergleichstherapie ist für forschende Arzneimittelhersteller grundsätzlich auskömmlich in der jeweiligen Indikation.“ Das mag in vielen Fällen zutreffen. Verlassen möchte man sich auf diese öffentlich-rechtliche Erkenntnis zu unternehmerischen Kalkülen aus aller Welt jedoch nicht. Hier tut sich eine Lücke im Konzept des BMG auf. Will man das Gleichgewicht des „Ur-AMNOG“ bewahren, müsste der Hersteller an der Auswahl des (alles bestimmenden) Vergleichs-Preises gleichberechtigt beteiligt werden. Schließlich dürfte es Fälle geben, in denen der Preis der billigsten Vergleichs-Therapie unangemessen niedrig ist. Dies kann der GKV-Spitzenverband schlichtweg nicht beurteilen und sollte es damit auch nicht alleine entscheiden. Will man die alte, jahrelang hoch gelobte Balance zwischen den Verhandlungspartnern erhalten, bräuchte es eine Einigung zur „Leitplanke“ Vergleichs-Preis, die im Streitfall durch einen Schiedsspruch ersetzt werden könnte.

Eine weitere Lücke tut sich auf, stellt man die Frage: Wer besorgt dem Patienten ein Arzneimittel, das der Hersteller in Deutschland nicht anbieten mag. Bisher kommt das sehr selten vor. Das Ur-AMNOG hat das ehemalige politische Ziel (gleichbleibend gute Versorgung in Deutschland) weitgehend erfüllt. Die Verschlechterung der Rahmenbedingungen durch AMNOG-neu könnte aber dazu führen, dass sich die Fälle häufen, in denen neue Wirkstoffe in Deutschland spät oder gar nicht eingeführt bzw. nach sechs Monaten wieder vom Markt genommen werden. Damit würde sich vermehrt folgendes Problem für die Versorgung stellen: Bietet ein Hersteller sein Produkt in Deutschland nicht an, muss es bei therapeutischem Bedarf aus Ländern bezogen werden, in denen es verfügbar ist. Bisher bleibt eine solche Ersatzbeschaffung im Ausland an den behandelnden Ärzten hängen. Dies kommentiert die Fachgesellschaft der Onkologen (DGHO) anlässlich der aktuellen Marktrücknahme des Wirkstoffs Amivantamab sehr besorgt: „Die aktuelle Lage ist für Patientinnen und Patienten und für die behandelnden Ärztinnen und Ärzte sehr belastend (…) Dazu kommt, dass der Import aus dem Ausland eine besondere ärztliche Verantwortung und einen hohen administrativen Aufwand mit sich bringt. Das kann die Verordnung verzögern.“

Das scheint als Regelfall denkbar ungeeignet. Wer will den behandelnden Ärzten den Aufwand und das (Regress-) Risiko einer Ersatz-Beschaffung aus dem Ausland zumuten. Hier braucht es – rein vorsorglich – eine neue Dienstleistung: Wo das System versagt, muss das System für Ersatz sorgen. Dazu müsste der Gesetzgeber jemandem die Aufgabe erteilen, Ärzten bei Bedarf die Arzneimittel aus dem Ausland zu besorgen. Um die Behandlung nicht zu verzögern, müssten bei der Beschaffung gleich alle Fragen zur Erstattung (einschließlich MD-Prüfung) vorab geklärt werden. Für diese neue Aufgabe hätte der GKV-Spitzenverband sicherlich die besten Voraussetzungen. Dessen Kompetenz ist unbestritten und die Aufgabe hätte eine konzeptionelle Logik: Wer die Beschaffung auf direkten Weg nicht geschafft hat, sorgt als Dienstleister für Ersatz. Ein gutes Regulativ im Sinne der Balance?

 

Im Schweinsgalopp durchs Parlament

Bleibt die AMNOG-Reform ein Teil des GKV-Finanzstabilisierungsgesetzes, ist an eine gründliche Beratung im Parlament nicht zu denken. Das Gesetz muss bis Ende Oktober endgültig (auch vom Bundesrat) verabschiedet sein, damit die Krankenkassen eine sichere Rechtsgrundlage für 2023 haben. Die Industrie beschränkt sich auf Abwehr und hat für die Umsetzung des Koalitionsvertrages bisher keine eigenen Vorschläge entwickelt. Die fachliche Debatte dürfte inhaltlich eher schlicht werden. Änderungen wird es trotzdem geben. Die als pragmatisch bekannte Abteilung Arzneimittel im BMG hat zu diesem Zweck sicher bereits eine Regelung eingepflegt, die man im Verfahren zurücknehmen und der Lobby als Entgegenkommen verkaufen kann. Wie geschaffen wäre hierfür eine Regelung, die schon auf den ersten Blick nicht ernst gemeint wirkt: Nach dem Gesetz sollen alle bisherigen Vereinbarungen mit den Herstellern gekündigt werden können – auch zu einem späteren Stichtag, damit man ohne Sorge über beschränkte Kapazitäten auf Vorrat kündigen kann. Durch eine solche Regelung würde der Gesetzgeber alle Unterschriften des GKV-Spitzenverbandes, einer Körperschaft des öffentlichen Rechtes, mit einem Federstrich zur Makulatur machen. Das ginge dann doch ein bisschen weit. Das Gesetz geht mit dem GKV-Spitzenverband nicht gerade zimperlich um, indem es seine Vertragskompetenz durch Vorgaben massiv beschneidet. Vor aller Welt bloßstellen sollte er ihn aber trotzdem nicht. Pacta sunt servanda, das gilt auch für die GKV.


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