12.05.2025
Ambulantisierung in Krankenhäusern mit Nebenwirkungen
US-Studie: schlechtere Versorgungsqualität und Mehrausgaben nach Übernahme von Praxen durch Krankenhäuser
In Deutschland wagen immer mehr Krankenhäuser den Einstieg in die ambulante Versorgung. So gründen und übernehmen Krankenhäuser z.B. medizinische Versorgungszentren (MVZ). Ein vergleichbarer Trend ist auch in den USA zu beobachten. Dort kaufen immer mehr Krankenhäuser Arztpraxen auf und wandeln diese in eine Krankenhausambulanz um („vertikale Integration“). Ob diese Entwicklung vorteilhaft ist, beleuchtet eine US-Studie [1].
Durch die Gegenüberstellung von Ausgaben und Qualitätskennzahlen von knapp 2,6 Millionen Patientenkontakten für den Fachbereich Gastroenterologie konnten wichtige Rückschlüsse auf die tatsächlichen Auswirkungen einer vertikalen Integration gezogen werden.
Der Strukturwandel im deutschen Gesundheitswesen wird mit dem Krankenhausversorgungsverbesserungsgesetz (KHVVG) weiter beschleunigt. Die Ambulantisierung ist auf dem Vormarsch. Auch Krankenhäuser müssen spätestens jetzt nachhaltig umdenken und einen Einstieg in den ambulanten Sektor in Erwägung ziehen. Rückblickend lässt sich hierzu aus den vergangenen Jahren eine Vielzahl an gesundheitspolitischen Interventionen anbringen, die Krankenhäusern den Zugang zum ambulanten Leistungsangebot ermöglichen (z.B. Hybrid-DRGs, MVZ, ambulante OPs). Aber welche Auswirkungen hat es, wenn z. B. ein Klinikkonzern ein MVZ übernimmt? Um hierauf eine Antwort zu finden, lohnt sich auch ein Blick in die USA.
In den USA kaufen immer mehr Krankenhäuser ambulante Arztpraxen auf: „vertikale Integration“. Dadurch werden Arztpraxen zu einer Krankenhausambulanz. Damit wechselt auch die Rolle der betroffenen „integrierten“ Ärzte. Sie sind nicht mehr Praxiseigentümer, arbeiten aber weiterhin in derselben Praxis (teilweise auch im Angestelltenverhältnis). Dieser Umwandlungstrend in Krankenhausambulanzen kann neben dem Wunsch nach einer verbesserten Versorgungskoordination auch auf ökonomische Gründe zurückgeführt werden. Ein und dieselbe Behandlung kann in verschiedenen Einrichtungen unterschiedliche Preise haben. Findet die Behandlung in einer Krankenhausambulanz statt, ist der Preis höher, als wenn sie in einer klassischen Arztpraxis durchgeführt wird. So erstattete die amerikanische Krankenversicherung (Medicare) für eine Koloskopie (Darmspiegelung) im Jahr 2019 $ 917, wenn diese in einer Krankenhausambulanz durchgeführt wurde. Für eine Koloskopie in einer niedergelassenen Arztpraxis lag der Erstattungsbetrag bei $ 413.
In der Literatur zeigt sich bislang ein gemischtes Bild, welche Auswirkungen die vertikale Integration tatsächlich hat. Neben der zu begrüßenden Steigerung der Effizienz und verbesserten Koordination sprechen Experten auch von Preiserhöhungen und einer Verschlechterung der Versorgungsqualität (z.B. [2,3,4]).
Die Studie von Saghafian et al. [1] quantifiziert erstmalig die Auswirkungen von Praxisübernahmen durch Krankenhäuser und zeigt damit auf, wie Ärzte der betroffenen Praxen nach einer vertikalen Integration ihr Verhalten ändern.
Studiendesign
Für die Studie [1] wurden mehrere Datensätze aus den Jahren 2008 bis 2015 zusammengeführt. Insgesamt konnten so 2,6 Millionen Patientenkontakte von über 5.488 Ärzten berücksichtigt werden. Durch den langen Beobachtungszeitraum konnten Saghafian et al. [1] analysieren, wie sich das Verhalten der Ärzte nach einer vertikalen Integration verändert. Dabei wurden Kennzahlen zu Prozess, zu Qualität, Effizienz und Ausgaben miteinander verglichen (siehe Tabelle 1).
Eine weitere Besonderheit des Datensatzes ist, dass dieser sich ausschließlich auf das Fachgebiet „Gastroenterologie“ fokussiert. Der Grund für die Schwerpunksetzung ist, dass die Gastroenterologie im Vergleich zu anderen Fachrichtungen eine hohe Anzahl an ambulanten Leistungen vorweist und in der Vergangenheit gerade hier ein enormer Anstieg der vertikalen Integration zu beobachten war [5]. Als Schwerpunktintervention wurde die Koloskopie gewählt.
Auswirkungen einer vertikalen Integration auf Prozess, Qualität, Effizienz und Ausgaben
Quelle: Deutsche Übersetzung aus der Studie Saghafian et al. [1].
Studienergebnisse
Insgesamt belegen die Studienergebnisse [1], dass eine vertikale Integration das ärztliche Verhalten verändert, was sich negativ auf die Versorgungsqualität auswirkt und die Ausgaben erhöht. Eine Übersicht zu den zentralen Ergebnissen befindet sich in Tabelle 1, auf die nun näher eingegangen wird.
Ergebnis 1: Negative Veränderung bei der Leistungserbringung
Ärzte verwenden nach einer vertikalen Integration 7,7 % weniger tiefe Sedierungen bei einer Koloskopie. Dabei können tiefe Sedierungen (mit Propofol) unerwünschte Komplikationen nach einer Koloskopie vermeiden (siehe Ergebnis 3), zu schnelleren Entlassungen führen und die Erholungszeit verkürzen. Im Vergleich zu anderen Sedierungsarten erfordert die tiefe Sedierung mehr Ressourcen und Koordinationsaufwand, da sie nur von Anästhesisten verabreicht werden kann, während andere Arten der Sedierung von Krankenpflegefachkräften durchgeführt werden können. Die Wissenschaftler vermuten, dass die integrierten Praxen tiefe Sedierungen vermehrt auf andere profitablere Eingriffe als die Koloskopie verlegt haben. Dies würde auch erklären, weshalb die Gesamtanzahl an tiefen Sedierungen bei den betrachteten integrierten Praxen tendenziell nicht gesunken ist.
Ergebnis 2: Verbesserte Effizienz
Nach einer vertikalen Integration erhöht sich die operative Effizienz in Praxen. D.h. es werden mehr Leistungen an mehr Patienten erbracht. Zurückgeführt wird dies u.a. auf die finanziellen Anreizwirkungen, die durch eine Veränderung der Organisationstruktur hervorgerufen wird (siehe Einleitung).
Ergebnis 3: Mehr Komplikationen
Sobald Ärzte sich für eine vertikale Integrierung entschieden haben, erfahren Patienten signifikant mehr Komplikationen nach einer Koloskopie (Blutungen, kardiologische Komplikationen, leichte GI-Symptome). Die Wissenschaftler betonen, dass solche Komplikationen nach einer Koloskopie keine Seltenheit sind und sich auch gegenseitig beeinflussen können. Mit einer zusätzlichen Analyse konnte aber gezeigt werden, dass der Anstieg von Komplikationen mit der vertikalen Integration zusammenhängt.
Ein Grund für die schlechtere Versorgungsqualität sehen die Wissenschaftler bei den gestiegenen Patientenzahlen nach einer vertikalen Integration (siehe Ergebnis 2). Erhöht sich der Patientenzulauf und damit auch die Leistungserbringungsgeschwindigkeit, kann sich die Versorgungsqualität verschlechtern. Ferner könnte auch der Rückgang von tiefen Sedierungen ein Grund für den Komplikationsanstieg sein. Mit tiefen Sedierungen können nachweislich Komplikationen reduziert werden (z.B. wegen einer kürzerer Eingriffszeit).
Ergebnis 4: Mehr Ausgaben für die Krankenversicherung
Nach einer vertikalen Integration erhöhen sich die Gesamtausgaben für die Krankenversicherung (Medicare). Dies ist u.a. mit der erhöhten operativen Effizienz (z.B. steigende Patientenzahlen) zu begründen, welche die Vergütung des integrierten Arztes erhöht. Ein weiterer Grund für die höheren Ausgaben der Krankenversicherung, liegt bei den höheren Kosten, die sich durch den Wechsel der Einrichtungsstruktur (d.h. Krankenhausambulanz) ergibt (siehe Einleitung). Im Schnitt kostet eine Koloskopie nach einer vertikalen Integration $ 127 mehr.
Was bedeuten die Ergebnisse für die Praxis?
Die Studienergebnisse werfen ein eher negatives Bild auf die Auswirkungen einer vertikalen Integration. Ausgewählte Qualitätsindikatoren verschlechtern sich, und die Ausgaben für die Krankenversicherung steigen.
Ein Lösungsvorschlag der Wissenschaftler ist, die finanziellen Anreizstrukturen zu ändern, damit die integrierten Ärzte wieder vermehrt tiefere Sedierungen bei einer Koloskopie anwenden, wodurch Nebenwirkungen vermieden werden können. Um dies zu erreichen, müsste der Erstattungsbetrag einer Koloskopie um ca. $ 588,40 erhöht werden. Bevor eine solche Intervention eingeleitet wird, sei es jedoch wichtig zu prüfen, dass entsprechende Voraussetzungen im Gesundheitssystem erfüllt sind (z.B. ausreichend Anästhesisten) und dass sich daraus keine unerwünschten Nebeneffekte ergeben (z.B. mehr Koloskopien als nötig). Ferner sei es erforderlich, die Qualitäts- und Verhaltenseffekt nach einer vertikalen Integration fortlaufend zu beobachten. Dies könne beispielsweise durch eine Berichtspflicht von ausgewählten Qualitätsindikatoren gelingen.
Ferner ist anzumerken, dass sich die Studie auf ein medizinisches Fachgebiet konzentriert hat. Weitere Studien zu anderen medizinischen Fachgebieten könnten helfen, die Evidenz zu stärken.
Vor dem Hintergrund der Studienergebnisse [1] und dem angestrebten Strukturwandel des Gesundheitswesens in Deutschland sollte die Ambulantisierung in Krankenhäusern fortlaufend im Blick behalten werden, damit finanzielle Anreizwirkungen sich nicht negativ auf die Versorgungsqualität und Gesundheitsausgaben auswirken.
Die Umwandlung von einer Arztpraxis in eine Krankenhausambulanz kann negative Auswirkungen auf die Versorgungsqualität haben und die Gesundheitsausgaben erhöhen. Dies lässt sich zumindest für die Gastroenterologie bestätigen. Die Wissenschaftler haben u.a. festgestellt, dass weniger tiefe Sedierungen bei einer Koloskopie nach einer vertikalen Integration durchgeführt werden. Dieses Ergebnis steht auch im Zusammenhang mit den beobachteten Komplikationen. Weitere Forschung ist erforderlich, um die Evidenz der US-Studie medizinisch-fachübergreifend zu stärken.
Literatur
[1] Saghafian S, Song L, Newhouse J, Landrum MB, Hsu J (2023) The Impact of Vertical Integration on Physician Behavior and Healthcare Delivery: Evidence from Gastroenterology Practices. Management Science 69(12):7158-7179.
[2] Baker LC, Bundorf MK, Kessler DP (2014) Vertical integration: Hos pital ownership of physician practices is associated with higher prices and spending. Health Affairs 33(5):756–763.
[3] Neprash HT, Chernew ME, Hicks AL, Gibson T, McWilliams JM (2015) Association of financial integration between physicians and hospitals with commercial healthcare prices. JAMA Internal Medicine 175(12):1932–1939.
[4] Capps C, Dranove D, Ody C (2018) The effect of hospital acquisi tions of physician practices on prices and spending. J. Health Econom. 59:139–152.
[5] Nikpay SS, Richards MR, Penson D (2018) Hospital-physician con solidation accelerated in the past decade in cardiology, oncol ogy. Health Affairs 37(7):1123–1127.
Dr. Ines Niehaus
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